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› VENUSTISSIMAE OPTICES, QUAM PERSPECTIVAM NOMINANT, viginti figurae bezeichnet ift. Man darf es aber nicht etwa für ein Lehrbuch der Perspective halten; vielmehr find es zwanzig auf runde Platten mit grofser Feinheit geftochene ideale Anfichten antiker Gebäude, die unbedingt in ihrer Mannigfaltigkeit und Anmuth zum Schönften gehören, was von folchen Reftaurationen in antikem Geifte gefchaffen worden ist. Der Künstler benutzt diefe Darstellungen zu dem Zweck, die Gesetze der Perspective, die er mit Meisterschaft beherrscht, nach allen Seiten zur An

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Befon

schauung zu bringen, aber unter der Hand wird ihm daraus eine Schilderung römischer Baukunft, die uns in die Plätze und Märkte der alten Welt mit ihren Hallen, Bafiliken und Tempeln, mit den reichen Durchblicken durch Säulenstellungen und Bogengänge, in die Höfe der Paläfte mit ihren Arkaden, in die mannigfaltigsten Formen öffentlicher Gebäude schauen lässt. ders erfindungsreich weifs er die öffentlichen Plätze durch Treppenanlagen zu gliedern und die Vorftellung eines bewegten Terrains zu erzeugen, das für die Darlegung der perfpectivischen Gesetze überaus dankbar ift. Nicht minder find die verfchiedenen Formen römischer Wölbung, ihre mannigfaltige

Verbindung für reich gegliederte Raumanlagen und ihre Bekleidung mit den edlen Formen des griechischen Säulenbaues unerschöpflich reich variirt, und dabei ist nirgends die Linie des Wirklichen und Möglichen überschritten. Der Beschauer denkt fich fo gern in diese weiten Hallen und schönen Umgebungen hinein, und es wird ihm darin fo leicht und frei zu Muthe, wie vor den beften Werken der Renaissance und des claffischen Alterthums. Diefe Reihenfolge allein würde ihrem Urheber das Anrecht auf einen ausgezeichneten Platz unter den ersten Architekten der Zeit verschaffen. Nicht minder frisch und originell ftrömt feine Erfindungsgabe in dem ein Jahr vorher erschienenen Quartband: »LIBER DE EO PICTURAE GENERE QUOD GROTTESCHE VOCANT ITALI. Aureliae 1550«. Neue Auflage Paris 1566, unter dem Titel: »Livre de grotesques«. Es ift eine köftliche Sammlung geistreich entworfener und mit vollendeter Freiheit gezeichneter Arabesken auf 35 Blättern. Hierher gehört noch ein Werk vom Jahre 1560: »JACOBI ANDROVETII DE CERCEAU LIBER NOVUS, amplectens multas et varias omnis ordinis, tam antiquorum quam modernorum, fabricas «. Man kann es als eine Fortsetzung der 1549 und 1550 erschienenen Werke betrachten; es enthält auf 26 Folioblättern einige Entwürfe und Aufnahmen antiker Gebäude, darunter den Triumphbogen von Befançon.

In der Sammlung der Tempel vom J. 1550 bringt die Dedication das Versprechen in einer Reihe folgender Bücher die Tempel, die Grabmäler, die Springbrunnen, die Kamine und endlich die Schlöffer und Paläste gefondert behandeln zu wollen. Der fleissige Künstler hat nicht bloss dieses Programm ausgeführt, fondern in noch umfassenderer Weise seine praktischen Anleitungen zum Bauen gegeben. Diefs zunächst in einem Foliobande, der 1559 zu Paris unter dem Titel erfchien: »DE ARCHITECTURA, Jacobi Androvetii du Cerceau, opus«. Diefes Werk verfolgt den rein praktischen Zweck, den Baulustigen eine Anzahl von Plänen von der einfachsten bis zur reichften Entwicklung in Grundriffen, Durchschnitten, Aufriffen und Perspectiven vorzulegen, um für die mannigfaltigften Wünsche und Bedürf niffe einen Anhalt zu bieten.

Es beginnt mit einer Widmung an Heinrich II: der König habe an feinen früheren leichteren Arbeiten Gefallen gefunden, defshalb biete er ihm hier fünfzig Entwürfe zu Wohnhäusern, geschaffen »non modo in principum et potentiorum fed etiam mediocrium et tenuiorium gratiam«<, damit Frankreich, schon durch prächtige Bauten geschmückt, noch weniger Anlass habe, bei Auswärtigen und Fremden die fchöne Baukunft zu fuchen. Seinen Text beginnt er dann mit einer Erklärung des franzöfifchen Klafters, sowie der Haupttheile der Gebäude. Daran schliefst fich eine Erläuterung der auf einer grofsen Anzahl von Tafeln mitgetheilten Pläne. Sie begreifen

die ganze Stufenleiter vom Einfachen, felbft Nüchternen bis zum Reichen und Prachtvollen. Die Grundrisse zeugen von grofser Gewandtheit, find praktisch angeordnet und mannigfaltig entwickelt, wobei überall den Bedürfnissen seiner Zeit und feines Landes Rechnung getragen wird. Die Einzelgliederung und die Formbehandlung trägt häufig das Gepräge einer gewissen Trockenheit, obwohl es auch an reicheren Entwürfen nicht fehlt; ftets ruht aber mit vollem Recht wie bei jeder gefunden Architektur der Hauptaccent auf der Gesammtgliederung der Massen, auf dem lebendig bewegten Umriss, und darin bewährt du Cerceau wieder feine Meisterschaft (vgl. Fig. 87).

Neben einer grofsen Zahl normal angelegter Bauten fehlt es dann freilich nicht an mancherlei abstracten Combinationen, in denen die architektonische Phantafie der damaligen Künftler fo gern fchwelgte. So Nr. XVI: griechisches Kreuz, Vorderarm Eingangshalle, rechts Küche sammt Zubehör, links Pferdestall, an der Rücksseite Wohnräume, in der Mitte mächtiger Rundbau mit dem runden Treppenhaus, oben terraffenförmig abgeftuft und mit Laterne geschlossen. Nr. XXVII: Sechseck, im innern Hof drei Wendeltreppen in den Ecken, an drei Seiten des Polygons quadratische Pavillons mit den Wohnräumen vorgelegt. Nr. XXXV: kreisrunder Grundplan, von Waffergraben umgeben, im Innern zu einem griechischen Kreuz eingetheilt, in der Mitte kreuzförmiger Hof, in deffen Ecken vier Wendeltreppen. Nr. XXXVII: vier quadratische Treppenhäuser, in gemeffenem Abstand durch offene Arkaden zu einem grofsen Quadrat verbunden, an den Aussenseiten mit Pavillons für die Wohnungen, Wirthschaftsräume und Stallungen; die Treppen wieder terrassenförmig abgestuft und mit Laternen geschlossen. Man sieht, wie die alte Liebhaberei für Treppenanlagen gelegentlich noch spukt. Nr. XLIII: griechisches Kreuz, auf den Endpunkten und in der Mitte quadratische Pavillons, verbunden durch Arkaden, im mittleren vier Treppen. Noch wunderlicher Nr. XLIV: um einen quadratischen, an den Ecken abgefchrägten Hofraum mit Pfeilerhallen find in einer Flucht die Wohnräume angeordnet, auf den abgeschrägten Ecken treten quadratische Pavillons in diagonaler Stellung vor. Eine Variation diefes Grundriffes in Nr. XLVIII, nur dafs hier die Hauptseiten diagonal und die Pavillons demnach normal geftellt find; der Hof ohne Arkaden. Die Krone der Wunderlichkeit gebührt Nr. XLIX: die Mitte bildet ein zehneckiger Hof mit Arkaden, an fünf Seiten des Zehnecks legen fich grosse rechtwinklige Pavillons, zwischen die beiden vorderen fchiebt fich ein quadratischer zweiter Hof mit den Wirthschaftsgebäuden (vgl. auch Fig. 88).

An dieses Werk schliefst fich gleichfam als zweiter Band das 1561 zu Paris in Folio erschienene: »LIVRE D'ARCHITECTURE contenant plufieurs et diverses ordonnances de cheminées, lucarnes, portes, fontaines, puis et pavillons. Es handelt alfo von der innern und äussern Ausstattung

LÜBKE, Gefch. d. Renaissance in Frankreich. II. Aufl.

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der Gebäude und zeugt trotz mancher zum Barocken neigender Elemente aufs Neue in günstiger Weise von der reichen Erfindungsgabe des Künstlers. Zehn verschiedene Entwürfe zu Grabmälern find hinzugefügt. In der Widmung an den König spricht er bereits von feiner durch die früheren Herrscher bestätigten Abficht, die königlichen Schlöffer und andere merkwürdige Gebäude des Landes herauszugeben. Als dritter Band dieser Reihenfolge erschien 1582 in Paris als eins feiner letzten Werke, wieder mit einer Widmung an den König, ein neues »LIVRE D'ARCHITECTURE«, welches den Plan des ersten Bandes weiterführt und auf 38 Folioblättern Entwürfe zu Landhäusern von der einfachsten Art bis zum prächtigsten Schlofs zusammenstellt. Die Einleitung enthält Erläuterungen über die Maasse, die Materialien, die Berechnung der Preife, um ähnlich wie in jenem früheren Bande den Bauluftigen eine Norm für Aufstellung von Kostenanschlägen zu geben. Hier zeigt fich die Erfindungsgabe du Cerceau's wieder mit unerschöpflicher Mannigfaltigkeit in liebenswürdiger, aber auch in barocker Weise. Die Mehrzahl der Entwürfe ift praktisch, klar und einfach, so dass man sie jeden Augenblick als Mufter für Landfitze verwerthen könnte. Besonders anmuthig die kleineren Gebäude in Nr. V, VII, VIII, IX, XII, XIII, ftattlicher Nr. XI mit Prachtportal und runden Eckthürmen, reizend mit seiner Gartenanlage Nr. XIX, originell in Form und Dekoration Nr. XXV, dagegen abftrakt und wunderlich Nr. XX, mit rundem Arkadenhof in der Mitte, vier Pavillons in den Axen und quadratischem Umfaffungsbau, das Ganze von Waffergräben umzogen. Faft eben fo feltfam Nr. XXX. mit ovalem Hof in der Mitte, um welchen fich die Gebäude zu einem Rechteck mit Pavillons und vorfpringenden Erkerthürmen gruppiren. Ausgerundete Façaden zeigen Nr. VI und XVIII, und gefchweifte Dächer kommen mehrfach mit andern Barockformen, namentlich in Nr. XXVII und XXXVII vor.

Aufser einem theoretischen Werk »LEÇONS DE PERSPECTIVE POSITIVE«<, welches 1576 zu Paris in 60 Blättern Kleinfolio erschien, ist noch des grofsen zweibändigen Werkes der »plus excellents baftimens de France<< zu gedenken, welches mit zahlreichen Abbildungen dreifsig der bedeutendsten Schlöffer Frankreichs darstellt. Schon der Umstand, dass die Mehrzahl diefer Gebäude den Stürmen der Zeit erlegen ist, verleiht dieser Arbeit einen hohen Werth. Zwar fehlt es in den Aufnahmen nicht an Flüchtigkeiten und Irrthümern, und die Darstellung leidet häufig an einer gewissen Trockenheit; aber neben dem liebevollen Fleifs und der treuen Ausdauer, die du Cerceau hier wie in allen Arbeiten bewiefen hat, erfreut es durch die künstlerische Frische, die anschauliche Lebendigkeit der Auffaffung.

Jacques Androuet hatte zwei Söhne, welche beide den Beruf des Architekten praktisch ausübten: Baptiste, um 1555 geboren, 1602 fchon als abgeschieden bezeichnet. Er war Architekt Heinrichs III und Heinrichs IV,

wurde 1578 an den Bau des Louvre berufen und in demfelben Jahre mit dem Neubau des Pont Neuf betraut. Bei der Errichtung der Kapelle der Valois in der Kirche zu St. Denis trat er als Nachfolger Bullant's ein. Wie fein Vater war er Proteftant und hielt fo treu an feiner Ueberzeugung, dafs er, auf Antrieb der Fanatiker zum Uebertritt aufgefordert, vorzog, feine Stelle aufzugeben und felbft das schöne Haus im Stich zu lassen, welches er fich eben 1584 in Paris erbaut hatte. Sein Bruder Jacques findet sich seit 1576 erwähnt und starb 1614. Er war Architekt Heinrichs IV und Ludwigs XIII. Wahrscheinlich erbaute er die zweite Hälfte der grofsen Louvregalerie. Endlich ist noch der Sohn Baptift's, Jean, zu erwähnen, der 1617 zum Architekten Ludwigs XIII ernannt wurde. Er wird zum letzten Male im Jahre 1649 genannt.

UNTE

§ 66.

PHILIBERT DE L'ORME.

INTER den durch ihre ausgeführten Werke hervorragenden Meistern ift neben Lescot vor Allen Philibert de l'Orme zu nennen, nicht minder bedeutend als Jener, wenn schon von wesentlich verschiedener Anlage. Ging Jener völlig im künftlerifchen Schaffen auf, fo ift in Diefem die Phantafie von einer ftärkeren Zugabe der Reflexion begleitet, die ihn antreibt, aufser den Schöpfungen des praktischen Architekten auch den Beruf des Theoretikers mit Eifer zu erfaffen. Man kann ihn den französischen L. B. Alberti nennen, wenn er auch an Tiefe und Umfang des Wissens dem berühmten Florentiner nicht gleichkommt. Er gehört zu jenen denkenden, grübelnden Künstlern, welche ftets auf neue Erfindungen finnen, und die Architektur verdankt ihm wichtige Neuerungen auf dem Felde der Conftruction. Grossen Einfluss gewann er fodann durch feine literarischen Arbeiten, da er zu den Erften gehörte, welche in Frankreich die Lehre von der Baukunft fyftematisch darzustellen unternahmen.

De l'Orme scheint um 1515 geboren zu fein und gehört vielleicht einer Familie von Architekten an, aus der wir einem Mitgliede schon beim Bau von Gaillon begegneten. Diess würde erklären, warum er in ungewöhnlich jungen Jahren schon zur Kunft und in die Praxis gelangte, denn wie er selbst erzählt, hatte er als Fünfzehnjähriger bereits dreihundert Arbeiter unter seinem Befehl. Kurze Zeit darauf begab er fich, immer noch sehr jung, nach Rom, wo er mit bedeutendem Aufwand von Mühe und Kosten die antiken Denkmale aufnahm.') Als er eines Tages mit feinen Leuten bei dieser Arbeit befchäftigt war, kam der Cardinal von Santa Croce,

1) Von diefen Studien berichtet er im Livre d'architecture fol. 131.

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