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Louvrehof und beim Schlofs von Ancy-le-Franc. Bald aber empfand man, dafs die zahlreichen Pilafterordnungen den Façaden etwas Monotones und Kleinliches gäben, was bei der im Ganzen geringeren Stockwerkshöhe der franzöfifchen Bauten - einem natürlichen Ergebnifs der klimatischen Bedingungen um fo unverkennbarer hervortritt. Daher jene Versuche, durch Einordnung zweier Stockwerke in eine mächtige Pilasterstellung den Façaden einen Ausdruck von Würde und Gröfse zu geben, von denen wir schon in § 36 an den jüngeren Bauten von Chantilly ein Beispiel gehabt haben. In diesen Lösungen find die französischen Architekten ganz originell, wie später auch die Betrachtung von Charleval (§ 76) beweifen wird.

Im Ganzen entgehen nun freilich diese französischen Werke ebenso wenig wie die verwandten italienischen einer gewiffen Kühle, ja selbst Nüchternheit des Eindrucks, und bisweilen empfindet man den Hauch diefer Kälte etwa wie den einer Ronfard'schen Ode, manchmal aber auch wie die edle verständige Klarheit eines Effais von Montaigne. Nicht felten scheint es fogar, als wolle die Architektur in Sack und Asche eines freudlosen schematischen Dorismus und einer »mürrischen« Ruftica Bufse thun für die fröhlichen Thorheiten ihrer harmlos fpielenden Jugendjahre unter Franz I. Aber neben diefer ftrengeren Auffaffung gewinnt bald eine andere Platz, die man den geraden Gegensatz, das Durchbrechen eines übermüthigen phantastischen Sinnes nennen kann, der aber nicht mehr in der freien liebenswürdigen Naivetät der Frühepoche, fondern in bedenklicher Wendung zum Barocken zur Erscheinung kommt. So ift das »weisse Haus, welches Karl von Bourbon dem Schlofs Gaillon hinzufügte (§ 16), durch feine dorischen Rufticafäulen, durch die häfslichen Hermen mit Schmetterlingsflügeln und mit Voluten ftatt der Arme, durch die grotesken Panisken mit kreuzweis verfchlungenen Bocksbeinen ein tolles Prachtftück diefer Mifsarchitektur. Malerisch, ja theatralisch bewegte Atlanten, hockende Panisken mit doppelten Schmetterlingsflügeln, Fenster mit gebrochenen und aufgerollten Giebeln, Ueberhäufung mit wild in's Kraut gefchoffenem Laubwerk ficht man am Terraffenbau des Schloffes Vallery (§ 74). Diese Phantaftik wirkt um fo empfindlicher, als fie mit einer bewussten und korrekten Gliederbildung Hand in Hand geht, das Walten der Reflexion überall durchschimmern, die Abwefenheit der Naivetät alfo deutlich erkennen läfst. Solche Bauten fchwanken oft in ihren einzelnen Theilen zwifchen Nüchternheit und Ueberladung, wie die Zeit felbft zwifchen den Extremen fanatischer Bigotterie und fchamlofer Ausfchweifung hin und her trieb. Verwunderlich aber ist, gegenüber der Strenge, die damals noch in Italien herrschte, das Losbrechen diefes tollen Fafchings, in welchem wir wieder eine ächt nationale Eigenheit anzuerkennen haben. Denn es spiegelt sich darin jener Hang zu forcirter Uebertreibung, welchem der Franzose, dessen

Bewegungslinie fich ftets in Extremen hinzieht, auf allen Gebieten geistigen Lebens von je her fich überlaffen hat. Bauten, wie die oben geschilderten zu Gaillon und Vallery kann man als Grimaffen der Architektur bezeichnen, und folche Grimassen schneidet die französische Kunst auch fonft noch zur Genüge. Indefs dürfen wir nicht vergeffen, dafs durch keinen Geringeren als Michelangelo bereits ein bedenklicher Vorgang für die Entfeffelung fubjektiver Willkür gegeben war. Immer aber fteht die ausgeartete Renaiffance Italiens noch ernft und ftreng da gegenüber den Uebertreibungen franzöfifcher Kunft. Namentlich unterfcheidet fich von dem pompöfen Pathos des späteren italienischen Barockftils diefe Architektur durch das bezeichnende Streben nach einer falfchen Grazie, welches indefs feines Zieles fo weit verfehlt, dafs es eher in's Poffenhafte, Burleske umschlägt.

AN

$ 63.

PIERRE LESCOT UND JEAN GOUJON.

N die Spitze der grofsen Meifter franzöfifcher Renaiffance fetzen wir die liebenswürdige Gestalt Pierre Lescots, in welchem die phantasievolle Kunft der Frühzeit ihren durch das Studium der Antike geläuterten, geradezu klaffifchen Ausdruck findet.) Er wurde, wie es fcheint, um 1510 zu Paris geboren als Sohn des Seigneur de Clagny, feines gleichnamigen Vaters, der in angefehenen Hofämtern zu den Räthen Franz' I gehörte. Als Sohn eines edlen Haufes in angenehmen Verhältniffen aufgewachsen, fühlte der junge Pierre fich früh schon zu den Wissenschaften und Künsten hingezogen, wie uns fein Freund Ronfard in einem längeren Gedicht 2)

erzählt:

>

Toy, L'Escot, dont le nom jusques aux aftres vole,

As pareil naturel: car, eftant à l'escole,

On ne peut le deftin de ton esprit forcer,

Que tousjours avec l'encre on ne te vift tracer
Quelque belle peinture, et jà, fait géomètre,
Angles, lignes et poincts fur une carte mettre.
Puis, arrivant ton âge, au terme de vingt ans,
Tes esprits courageux ne furent pas contans
Sans doctement conjoindre avecques la peinture
L'art de mathématique et de l'architecture,
Où tu es tellement avec honneur monté

Que le fiècle ancien eft par toy furmonté. «<

Dafs er fodann zeitig nach Rom gegangen und dort die antiken Denkmäler ftudirt hat, kann keinem Zweifel unterliegen, wenn es auch nicht

1) Für die Lebensgefchichte diefes und der anderen französischen Meister dieser Epoche vgl. die ausgezeichnete Schrift von A. Berty, les grands architectes Français de la renaiffance. Paris 1860. 8. 2) Oeuvres de Ronfard, ed. Blanchemain (Paris 1866) VI, p. 188.

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durch schriftliches Zeugniss bestätigt wird. Seine Werke beweisen es zur Genüge, denn damals gab es in Frankreich kein anderes Mittel, fich eine gründliche Kenntnifs der antiken Architektur zu verfchaffen. Nach feiner Rückkehr mufs er bald die Aufmerksamkeit Franz' I auf fich gezogen haben, wie uns wieder Ronfard erzählt:

>>Jadis le Roy François, des lettres amateur,
De ton divin esprit premier admirateur,
T'aima pardeffus tout: ce ne fut, en ton âge,

Peu d'honneur d'eftre aymé d'un fi grand personnage«<

Gewiss ist, dafs er feit 1546 den Neubau des Louvre leitete, dem er bis zu feinem Tode im Jahr 1578 ununterbrochen vorstand. Wie fehr Heinrich II ihn schätzte, erfahren wir abermals durch Ronfard's Erzählung:

>Henry, qui après lui tint le fceptre de France,

Ayant de ta valeur parfaite cognoiffance,
Honora ton fçavoir, fi bien que ce grand roy,

Ne vouloit escouter un autre homme que toy«<

Der König ernannte ihn zu seinem Rath und Almofenier, aufserdem zum Abt von Clermont und endlich im Jahr 1554 zum Canonicus bei der Kirche Notre Dame zu Paris. Er mufs alfo die niederen Weihen empfangen haben, was bei seiner forgfältigen und felbft gelehrten Erziehung um fo weniger Anstand fand. Bezeichnend für die Zeit ist, dass das Kapitel von Notre Dame ihn zurückwies wegen feines Bartes, den er nach der Hoffitte trug. Erft auf seine motivirte Vorftellung dispenfirte ihn das Kapitel von der Verpflichtung der Canoniker, mindestens einmal alle drei Wochen fich rasiren zu lassen, und nahm ihn, mit Bart, in feine Reihen auf.

Lescot scheint nicht zu den vielbeschäftigten Architekten der Zeit gehört zu haben. Seine Vermögenslage wies ihn nicht auf Erwerb hin und die Stellung bei Hofe mag ihn ganz ausgefüllt haben. Wir wissen nur, dass er in St. Germain l'Auxerrois in den Jahren 1541 bis 44 den Lettner errichtet hat, deffen Skulpturen Jean Goujon arbeitete. Sodann führte er 1550 die Fontaine des Innocents oder des Nymphes aus, bei welcher derfelbe Bildhauer ihn unterstützte. Von dem Lettner, der 1745 niedergeriffen wurde, find nur noch einige Reliefs im Louvre erhalten. Er beftand aus drei Arkaden, deren mittlere den Haupteingang in den Chor bildete, während die feitlichen einen mit einer Balustrade eingefchloffenen Altar enthielten. Jede der Arkaden war mit zwei korinthischen Säulen bekleidet und in den Zwickeln fah man Engel mit den Marterwerkzeugen. Ueber den Säulen erhoben fich die vier Evangeliften, und an der Mitte der Attika breitete fich ein grofses Relief der Grablegung Chrifti aus.

Die Fontaine lehnte fich an die Kirche des Innocents und öffnete fich mit einem Bogen auf die Rue aux fers und mit zweien auf die von St.

Denis.) Um 1783 bei der Zerstörung der Kirche trug man die Fontaine forgfältig ab, die fodann mit Hinzufügung eines vierten Bogens in ziemlich. widerfinniger Weife als viereckiger Pavillon wieder aufgebaut worden ist.

Am 3. Auguft 1546 ernannte Franz I Lescot zum Architekten des Louvre, und feit dem Jahre 1550 bezog er in diefer Stellung einen Monatsgehalt von 100 Livres, anfehnlich für jene Zeit, wenn wir z. B. damit vergleichen, dass Domenico Boccador für die Ausführung des Hôtel de ville ungefähr zur selben Zeit nur 250 Livres Jahrgehalt empfing.

Ehe wir von dem Hauptbau Lescot's fprechen, ift des Künstlers zu gedenken, den wir zweimal fchon mit ihm verbunden fanden, und dem man auch die reiche plastische Ausftattung des Louvre verdankt. Aber nicht blos als Bildhauer, und zwar als der vorzüglichste unter fämmtlichen gleichzeitigen Meistern Frankreichs, fondern auch als Architekt wird Fean Goujon mehrfach bezeugt. Jean Martin in der Widmung feiner Uebersetzung des Vitruv nennt Goujon, der ihm die Figuren zu feinem Buche gezeichnet hat, naguères architecte de Monfeigneur le Conneftable et maintenant l'un des vôtres«, d. h. Heinrichs II. Ebenfo wird er in den Rechnungen der Kathedrale von Rouen2) » tailleur de pierre et masson< genannt und in dem Auszug des Vitruv, welchen 1556 Jean Gardet und Dominique Bertin veröffentlichten, heifst er »sculpteur et architecte de grand bruit«. Allerdings vermag man keine Bauten von ihm nachzuweifen, und es ist sogar wenig wahrscheinlich, dafs er folche ausgeführt habe; allein feine Zeichnungen zu Martins Vitruv und die Epistel an die Lefer, welche er selbst am Ende des Buches veröffentlicht, bezeugen zur Genüge, dafs er die Baukunst theorethisch aus dem Grunde verstand. Er empfiehlt den Baubeflissenen eindringlich, unter Berufung auf die Beispiele Rafael's, Mantegna's (den er >non inferieur en fon temps« nennt), Michelangelo's, Sangallo's, Bramante's, das Studium der Geometrie und Perspective. »Ce que fentans avoir acquis par travail et exercitation continuele, ilz fe font tout curieufement delectez à poursuyvre ce noble subject, que leur immortèle renommée est espandue parmy toute la circumférance de la terre«. Auch Serlio, Lescot, Philibert de l'Orme führt er als treffliche Architekten auf und fagt dann, er habe diefe Zeichnungen gemacht, weil »par le paffé il y a eu quelques faultes en l'intelligence du texte d'icelluy Vitruve, par espécial en la formation d'aucuns membres de maffonnerie, chofe qui eft procédée par la mauvaise congnoiffance qu'en ont eu noz maistres modernes, laquelle eft manifestement approuuée par les oeuures qu'ilz ont cy devant faictes, d'autant quelles font desmesurées, et hors de toute fymmétrie«.

1) Eine Abb. der ursprünglichen Anlage in Blondel, archit. Françoife, Tom. III. *) A. Deville, tombeaux de la cathédrale de Rouen (Rouen 1833. 8.), p. 126.

Nicht blofs die Zeichnungen, fondern mehr noch die Erklärungen, welche er zu denselben giebt, erweisen Goujon als durchgebildeten Architekten. Man lefe, was er über die Bedeutung der Perspective für die Gestaltung und die Verhältniffe der einzelnen Glieder fagt; wie er die Lage der Gebäude, je nachdem fie in engen Gaffen oder auf freien Plätzen liegen, für die Modification der Profile in Anschlag bringt; wie er die Perspective namentlich auch für die Bildung der Portale (S. 81) massgebend hinstellt; wie er auf gesetzmäfsige Begründung der Architektur durch mathematische Verhältniffe dringt; man vergleiche die Beispiele von verschiedenen Kapitälen, Basen, Friesen und Gefimfen, die er beibringt; die feinen Unterschiede, die er z. B. beim Entwurf eines korinthifchen Kapitäles (S. 98, 99, 100), eines römischen (S. 93), oder eines dorifchen (S. 105, 106, 107, 108) macht; man erwäge, was er über die verschiedene Zeichnung der ionischen Volute fagt (S. 72, 73), von der er behauptet, dafs Niemand, mit Ausnahme von Albrecht Dürer, fie völlig richtig nach der Vorschrift Vitruv's entworfen habe;') und vieles Andre diefer Art. Kurz, wir sehen Goujon in alle Tiefen und Feinheiten der Architektur und ihrer Wiffenfchaft eingeweiht und erhalten von feinen Beftrebungen auf diefem Gebiet denfelben Eindruck der Gründlichkeit und fast möchte man fagen, gelehrten Schärfe der Beobachtung und Unterfuchung, welche allen grofsen Meistern der Renaissance eigen find und ihren Werken den Stempel vollendeter Klarheit, Harmonie und Eurhythmie aufprägen.

Genug alfo, um dem trefflichen Meister der Sculpturen des Louvre, der Schlöffer Anet und Écouen, der Fontaine des Innocents und fo mancher anderen Werke unter den Architekten einen ehrenvollen Platz anzuweisen. Gehörte ja ohne Frage eine tüchtige Kenntnifs der Bauformen dazu, um jenen Denkmalen einen im Geifte der Architektur durchgeführten plastischen Schmuck zu verleihen.

Jean Goujon fcheint 1562 geftorben zu sein, wenigftens verschwindet er mit diesem Jahr aus den Rechnungen des Louvre. Geboren wurde er gewifs vor 1510, da er schon 1540 in S. Maclou zu Rouen arbeitete, wo er u. a. die Entwürfe zu den Säulen machte, welche die Orgeln tragen. Er war gleich den du Cerceau's, Jean Coufin, Bernard de Paliffy und andern berühmten Künstlern der Zeit Hugenott2) und es ift inmitten der Gräuel der Religionskriege ein tröftliches Bild, wenn wir ihn, nahe verbunden mit Pierre Lescot, dem Abt und Canonicus von Notre Dame, feine schönsten Werke schaffen sehen.

1) »Afin de ne frauder perfonne de fa deue louenge, ie confeffe qu'homme ne l'a point faicte felon l'entente de Vitruue fors Albert Durer paintre qui l'a tournée perfectement bien«< p. 349. — 2) Seine Ermordung in der Bartholomäusnacht ift ein blofses Märchen.

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