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Gesetzgebung des Reiches unberührt geblieben waren, zu regeln. Ja, sie war sogar befugt, Reichsgesehe zu ergänzen, wenn das Reichsgesetz eine Materie nicht erschöpfend behandeln wollte.

Mit dem gemeinen Rechte nicht zu verwechseln ist das gemeinsame, d. i. dasjenige Recht, dessen Inhalt mit dem Inhalt eines in einem anderen Gebiete geltenden Rechtes übereinstimmt, aber auf einer anderen Rechtsquelle beruht als in jenem Lande. Man nennt solches regelmäßig auf dem gleichen Gedanken beruhende, gleichen Bedürfnissen entsprungene Recht häufig allgemeines Recht. Solches allgemeines Recht waren das Handelsgesetzbuch und die Wechselordnung vor ihrer Erhebung zum gemeinen Rechte. Der Bundestag hatte die fertiggestellten Entwürfe den Regierungen der einzelnen Bundesstaaten empfohlen, und diese hatten die Entwürfe als Landesgefeße erlassen. Damit war eine übereinstimmung des Inhalts des Handels- und Wechselrechts hergestellt; formell gemeines und damit dem Einflusse der Landesgesetzgebung entzogenes Recht wurden beide Gesetzbücher erst durch das norddeutsche Bundes-, spätere Reichsgesek vom 5. Juni 1869.

Das deutsche Privatrecht (f. § 1 II) war zu seinem größten Teile Partikularrecht, zum anderen Teile gemeines Recht, so weit es nämlich auf gemeinrechtlichen Quellen, Gesez oder allgemeiner deutscher Gewohnheit beruht. Seine Säge hatten daher Anspruch auf unmittelbare Anwendbarkeit nur soweit sie gemeines Recht waren; soweit sie auf partikularen Quellen beruhten, reichte ihre unmittelbare Anwendbarkeit nicht über das Geltungsgebiet jener Quelle hinaus. Die Wissenschaft des deutschen Privatrechts lehrte daher zum Teile nicht Recht, das der Richter ohne weiteres zur Norm seiner Entscheidung machen durfte, sie zeigte nur die einheimisch deutschen Rechtsgedanken und die Gestaltung auf, die diese in allen, in vielen oder in einzelnen Partikularrechten erhalten hatten.

Die Partikularrechte selbst waren entweder solche, die

1. das gemeine Recht als subsidiäre Rechtsquelle bestehen ließen, oder

2. solche, die das gemeine Recht ausschlossen und sich selbst an dessen Stelle setten.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war es selten, daß ein Landesgesetz ausschließende Geltung beanspruchte. Seit dieser Zeit sind mehrere ausschließende Gesezbücher erlassen worden, und auch die seit jener Zeit erlassenen Einzelgesehe verfolgten regelmäßig die Absicht, die entsprechenden Säße des gemeinen Rechts außer Anwendung zu sehen.

Diese ausschließenden Gesezbücher sind:

1. Das Allgemeine Landrecht für die Preußi

schen Staaten vom 5. Februar 1794 mit Gesegestraft vom 1. Juni 1794. Es galt in den sechs östlichen Provinzen Preußens mit Ausnahme von Neuvorpommern und Rügen, ferner in Westfalen und in den Kreisen Rees, Duisburg und Essen, ferner in denjenigen Teilen Hannovers, die vor 1815 zu Preußen gehört hatten, d. i. in Ostfriesland, Lingen und Eichsfeld, ferner in den fränkischen Herzog= tümern Ansbach und Baireuth, in einigen anderen kleinen Gebietsteilen Bayerns sowie in einem Teile von Sachsen-Weimar.

2. Das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Juni 1811. Es galt in ganz Zisleithanien, in Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien, außerdem im Fürstentum Liechtenstein und in einigen bayerischen Ortschaften.

3. Der Code civil von 1804 trat in den zur Zeit seiner Publikation zu Frankreich gehörigen linksrheinischen deutschen Gebietsteilen in Kraft und wurde dann auch auf dem rechten Rheinufer eingeführt, hier aber später wieder aufgehoben, ausgenommen in den rechtsrheinischen Teilen des früheren Herzogtums Berg. Er galt in Elsaß-Lothringen, auf dem linken Rheinufer der preußischen Rheinproving, in Rheinhessen, in der bayerischen Pfalz und in dem olden= burgischen Fürstentum Birkenfeld.

4. Das badische Landrecht von 1809 war eine mit Zusäßen versehene deutsche übersehung des code civil und galt im Großherzogtum Baden.

5. Das bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 2. Januar 1863 hatte Gefeßestraft vom 1. März 1865 im Königreich Sachsen.

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In allen übrigen Gebieten Deutschlands blieb das gemeine Recht bestehen, und zwar als subsidiäres Recht. Mit dem Jahre 1806 wurde es da, wo ausschließende Gesetzbücher nicht bestanden, Landes recht der einzelnen deutschen Staaten und unterlag der Einwirkung durch die Landesgefeßgebung. überall da also, wo Reichsgesege, insbesondere die Einführungsgeseße zu den neuen Gesetzgebungswerten, auf das Landesrecht verweisen, ist auch das sog. gemeine Recht mitverstanden.

II. § 3. Das neue Privatrecht Deutschlands.

Die erste Anregung zur Schöpfung eines einheitlichen nationalen Gesetzbuches hatte Thibaut im Jahre 1814 durch seine Schrift: „über die Notwendigkeit eines Allgemeinen bürgerlichen Rechtes für Deutschland" gegeben. Savigny war ihm mit der Schrift: „über den Beruf unserer Zeit für Gefeßgebung und Rechtswissenschaft" entgegengetreten: es fehle noch an der wissenschaftlichen Beherrschung des aufgenommenen fremden und des einheimischen Rechts. Rich

tiger war, daß keine einheitliche Staatsgewalt vorhanden war, die im Wege der Gesetzgebung einheitliches Recht hätte schaffen können. Als aber durch Vertrag vom 22. März 1834 der Zollverein errichtet worden war, machte sich das Bedürfnis wenigstens nach einem einheitlichen Handels- und Wechselrechte fühlbar.

Das frühere Wechselrecht beruhte auf partikularen Wechselgesehen und dem Gewohnheitsrechte des Handelsstandes; dieser Zustand entsprach nicht den Bedürfnissen eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes. In mehreren deutschen Staaten wurden Entwürfe eines Wechselgesetes vorbereitet, in Preußen insbesondere wurde 1836 ein Entwurf einer Wechselordnung ausgearbeitet, aber erst nach wiederholter Beratung im Jahre 1847 veröffentlicht. Der Entwurf wurde allen deutschen Bundesstaaten mit der Einladung zu einer am 20. Oktober 1847 in Leipzig zusammentretenden Konferenz mitgeteilt. Die aus Rechtsgelehrten und Vertretern des Handelsstandes gebildete Konferenz legte ihren Beratungen den preußischen Entwurf zugrunde und beendete ihre Beratungen nach 35 Sigungen am 9. Dezember 1847. Da sie keine gefeßgebende Versammlung war, konnte sie ein Gesetz nicht schaffen, und da auch der Bundestag keine gefeßgebende Gewalt besaß, mußte den einzelnen Regierungen die Verkündung des Entwurfes als Landesgesetz überlassen bleiben. Einzelne Regierun gen erhoben den Entwurf zum Gesez, die Ereignisse des Jahres 1848 stellten den Regierungen aber zunächst andere Aufgaben. Das Jahr 1848 steigerte zugleich das Verlangen nach Herstellung einheitlicher Rechtseinrichtungen, die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt a. M. ergriff deshalb die Gelegenheit, unter überschreitung ihrer Zuständigkeit den Leipziger Entwurf wie eine ihr gemachte Gesezesvorlage zu behandeln, und am 26. November 1848 verkündete der Reichsverweser die Wechselordnung im Reichsgefeßblatte. Später wurde der Entwurf in fast allen zum Deutschen Bunde gehörigen Staaten im Wege der Landesgesetzgebung eingeführt, er wurde also fog. allgemeines Recht. Durch Gesetz vom 5. Juni 1869 wurde die W norddeutsches Bundesrecht und im Jahre 1871 deutsches Reichsrecht.

Auf demselben Wege entstand ein gemeinsames Handels = recht. An der Entwicklung dieses Rechtszweiges hatte viel weniger das römische Recht als vielmehr das mittelalterlich-italienische Recht und die Verkehrssitte des Handelsstandes mitgewirkt. Das Corpus juris civilis enthielt nur einzelne, dem Handel besonders dienende Rechtsinstitute (lex Rhodia de jactu, foenus nauticum, a. exercitoria, institoria, tributoria), ein eigentliches Sonderrecht des Handels aber fehlte nicht bloß ihm, sondern auch den Statutarrechten des Mittelalters. Erst im späteren Mittelalter und in der Neuzeit

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sonderte sich das Handelsrecht als ein eigener Rechtszweig vom allge= meinen bürgerlichen Recht ab, und eine Kodifikation des Handelsrechts ist sehr spät erfolgt. Die erste solche Kodifikation enthielt das achte Buch des zweiten Teils des preußischen Allgemeinen Landrechts, und zwar wurde das Handelsrecht hier behandelt als ein Teil des Rechts des Bürgerstandes". Ihm folgte in Frankreich der code de commerce (in Kraft seit dem 1. Januar 1808), ein Gesetzgebungswerk, das einen bedeutenden Einfluß erlangte und auch auf die Entwicklung des deutschen Handelsrechts einwirkte. In Deutschland half man sich wiederum auf dem Wege einer Verständigung über die Grundsäge eines gemeinsamen Handelsrechts und durch Einführung dieser Grundsäge mittels der Gesetzgebungsgewalt der Bundesstaaten. Auf einen von Bayern gestellten Antrag beschloß der Bundestag am 17. April 1856 die Niedersehung einer aus Rechtsgelehrten und Sachverständigen bestehenden Kommission „zur Entwerfung und Vorlage eines Allgemeinen Handelsgesetzbuches für die deutschen Bundesstaaten". Nachdem die preußische Regierung den nur für Preußen bestimmten, aber auf der Grundlage der drei verschiedenen in seinem Gebiete bestehenden Zivilrechtssysteme ausgearbeiteten Entwurf vollendet hatte, trat die Kommission am 15. Januar 1857 in Nürnberg zusammen, legte ihren Beratungen jenen preußischen Entwurf zugrunde, beriet zunächst das eigentliche Handelsrecht in zwei Lesungen, nahm dann in Hamburg zwei Lesungen des Seerechts vor und beendete schließlich in einer dritten Lesung in Nürnberg im März 1861 ihre Beratungen. Der von ihr hergestellte Entwurf wurde dem Bundestage vorgelegt und von diesem den deutschen Regierungen zur Annahme empfohlen, er wurde denn auch in fast allen deutschen Bundesstaaten als Landesgeset verfündet und so zum sog. allgemeinen Recht erhoben. Das Handelsgesehbuch war aber als Landesgeseh der Abänderung durch Landesgesez ausgesezt; dieser Zustand änderte sich erst, als durch Bundesgesetz vom 5. Juni 1869 das HGB zu norddeutschem Bundesrecht, durch die Reichsgefeße vom 16. April (für das Deutsche Reich außer Bayern), vom 22. April 1871 (für Bayern) und vom 19. Juni 1872. (für das Reichsland) zu deutschem Reichsrecht erklärt und damit dem Einflusse der Landesgesehgebung entzogen wurde. Der das Aktienrecht behandelnde Teil dieses Gesetzbuches erfuhr Abänderungen durch die Geseze vom 11. Juni 1870 und 18. Juli 1884.

Weitere Kodifikationsbestrebungen hatten keinen Erfolg. Am 6. Februar 1862 beschloß der Bundestag die Niedersehung einer Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Obligationenrechts. Preußen bestritt die Zuständigkeit des Bundestages zur Fassung eines solchen Beschlusses und versagte infolgedessen der gleich

wohl im Januar 1863 in Dresden zusammentretenden Kommission feine Teilnahme. Der von der Kommission ausgearbeitete sog. Dresdener Entwurf wurde kurz vor dem Kriege von 1866 veröffentlicht.

Die Verfassung des Norddeutschen Bundes wie die des Deutschen Reiches (Art. 4) räumte dem Reiche nur die Zuständigkeit für das Handels- und Wechselrecht und für das Obligationenrecht ein. So lange aber das Reich von der ihm gegebenen Befugnis keinen Gebrauch machte, blieben die Einzelstaaten berechtigt, im Wege ihrer Gesez= gebung auch in den jezt zur Zuständigkeit des Reiches gehörigen Gebieten neues, also partikuläres Recht zu schaffen. Zwar wurde das HGB und die WO zu norddeutschem und später deutschem Recht er= hoben, ein einheitliches Obligationenrecht aber nicht in Angriff ge= nommen, dagegen wurde eine Anzahl von Spezialgesehen obligationenrechtlichen Inhalts erlassen (z. B. das Gef. vom 14. November 1867, Gef. vom 24. Mai 1880). Da das Reich indessen durch Art. 4 der Verf. das Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiete des Bankwesens, des Patent- und Urheberrechts und des Post- und Telegraphenrechts erlangt hatte, entstanden in allen diesen Zweigen Reichsgeseze privat= rechtlichen Inhalts.

Erst als durch Gesetz vom 20. Dezember 1873 die Zuständigkeit des Reiches auf das gesamte bürgerliche Recht ausgedehnt worden war, wurde die Ausarbeitung eines bürgerlichen Ge= fehbuches für ganz Deutschland in Angriff genommen. Anfang des Jahres 1874 sezte der Bundesrat zunächst eine Kommission von fünf Juristen (die sog. Vorkommission) ein, welche über Plan und Methode der Ausarbeitung des BGB Vorschläge machen sollte. Durch den Bericht vom 15. April 1874 entledigte sie sich ihrer Aufgabe, indem sie an den Entwurf die Forderung stellte, er solle

unter Berücksichtigung der geltenden Gesezbücher und der von den Einzelstaaten, sowie im Auftrage des ehemaligen Deutschen Bundes über einzelne Rechtsteile ausgearbeiteten Gefeßentwürfe, das den Gesamtzuständen des Deutschen Reiches entsprechende bürgerliche Recht in einer den Anforderungen der heutigen Wissenschaft gemäßen Form kodifizierend zusammenfassen.

Das Handelsrecht sollte zum Gegenstande einer besonderen Kodifitation gemacht, und gewisse Teile des Privatrechts sollten in dem Entwurfe nicht behandelt werden. Der Bundesrat billigte die Vorschläge der Kommission und segte eine Kommission von elf Mitgliedern zur Ausarbeitung eines Entwurfes des BGB ein. Vom 17. bis 29. September 1874 fand die erste Sigungsperiode der Kommission statt. In dieser wurde der Beschluß gefaßt, keines der be= stehenden Gesehbücher zugrunde zu legen, sondern einen neuen Entwurf auszuarbeiten, diesen Entwurf in fünf Teile einzuteilen und

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