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Dritter Abschnitt: Die Rechtssubjekte.

§ 15. Rechtsfähigkeit.

Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Subjekt von Rechten und Verbindlichkeiten zu sein (deshalb auch Rechtssubjektivität, Rechtspersönlichkeit oder Persönlichkeit schlechthin). Die Rechtsfähigkeit gibt für den Prozeß ohne weiteres Parteifähigkeit (§ 50 3P), d. h. die Fähigkeit, aktiv und passiv Subjekt des Prozesses zu sein (RG 12, 399).

Die Rechtsfähigkeit kommt den natürlichen und den juristischen Personen zu. Natürliche Person ist der Mensch und zwar nach heutigem Rechte jeder Mensch.

A. Die natürliche Person.

§ 16. Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit.

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit seiner Geburt und endet mit seinem Tode.

1. Die Geburt muß, wie altes und neues Recht (§ 1 BGB) verlangen, bollendet, d. h. das Kind muß aus dem Mutterleibe völlig herausgetreten sein. Hat es vor diesem Zeitpunkte gelebt, nach der Geburt aber nicht gelebt, so ist es nicht lebend zur Welt gekommen, und hat Rechtsfähigkeit nicht erlangt.1) Wer auf das Lebendgeborensein eines Kindes Rechte gründet, muß diese Tatsache beweisen. Rechtsfähigkeit kann nur ein Wesen erlangen, das menschliche Gestalt hat, dagegen ist Lebensfähigkeit nach altem und neuem Rechte (§ 1 BGB) kein Erfordernis der Rechtsfähigkeit. Handelt es sich bei Zwillingen um das Recht der Erstgeburt, so hat auch diese zu beweisen, wer aus der früheren Geburt eines der Kinder Rechte herleitet.

Folglich fehlt die Rechtsfähigkeit nach altem wie neuem Rechte dem noch nicht Lebenden, aber bereits Erzeugten (dem Embryo, der Leibesfrucht). Der Grundfag: Nasciturus pro jam nato habetur quoties de commodis ejus agitur hat nur die Bedeutung, daß der nasciturus eine Anwartschaft auf den Erwerb eines Rechtes hat, das er erworben haben würde, wenn er zur Zeit des Anfalls gelebt hätte (§§ 844 [dazu § 3 Haftpflicht-Ges. v. 7. 6. 71, Art. 42 EG 3. BGB], 1923, 2108, 2079 BGB). Das BGB (§ 1923) wählt dafür die Form der Fiktion, daß der nasciturus als

1) Das Strafrecht schüßt das noch nicht vollständig vom Mutterleibe getrennte Kind, NG in Straff. 1, 446; 9, 131.

vor dem Erbfalle geboren gelte. Der Erwerb selbst vollzieht sich nur für das lebend geborene Kind, denn erst in diesem Augenblick ist ein rechtsfähiges Wesen vorhanden. Die Wahrung dieser „künftigen“ Rechte liegt dem Vater oder der Mutter oder einem eigens bestellten Pfleger ob (§ 1912 BGB).

Nicht hierher gehören die Fälle, in denen einem noch nicht einmal Erzeugten Rechte zugedacht werden (§§ 331, 2162, 2178 BGB). Denn hier handelt es sich um einen durch die Entstehung des Berech= tigten bedingten Rechtserwerb.

2. Nach neuerem Rechte geht die Rechtsfähigteit eines Menschen nur durch dessen Tod unter. Denn das Institut der Friedlosigkeit ist verschwunden, ebenso die Strafe des sog. bürgerlichen Todes. Wer das Klostergelübde ablegt, verlor nach gemeinem Rechte die Vermögensfähigkeit zugunsten des Klosters, nach deutschem Rechte galt er als verstorben, nach neuem Rechte bleibt er rechtsfähig (vgl. aber Art. 87 EG).

Wer aus der Tatsache des Todes einer Person Rechte herleitet, hat den Todesfall zu beweisen. Dieser Beweis kann durch den Hinweis darauf geführt werden, daß seit der Geburt des Menschen ein die gewöhnliche Lebensdauer übersteigender Zeitraum verflossen ist.

Eine Vermutung für den Tod besteht nur im Falle der Todeserklärung. Dem älteren deutschen und dem römischen Rechte fremd ist dieses Institut aus der Lehre der italienischen Juristen in das gemeine wie in das neue Recht (§§ 13 ff. BGB, §§ 960-976 ZPO) übergegangen. Wer abwesend ist und von dessen Leben ungewöhnlich lange Zeit hindurch keine Kunde eingelaufen (wer „ber= schollen") ist, kann (nach § 962 ZPO) auf Antrag seines geseglichen Vertreters oder dessen, der an der Todeserklärung ein rechtliches Interesse hat (3. B. des Ehegatten, des gesetzlichen oder eingesetzten Erben, des Nacherben, Fideikommißfolgers) durch gerichtliches Urteil für tot erklärt werden, und zwar nach gemeinem Recht, wenn seit seiner Geburt 70 Jahre, n a ch § 14 BGV, wenn seit dem Schlusse desjenigen Jahres, in welchem der Verschollene nach den legten Nachrichten noch gelebt hat, 10 Jahre verflossen sind. Diese 10 Jahre werden aber nicht vor dem Schlusse des Jahres, in welchem der Verschollene sein 21. Lebensjahr vollendet hat, in Lauf gesezt, und sie verkürzen sich auf 5 Jahre, wenn der Verschollene zur Zeit der Todeserklärung das 70. Lebensjahr vollendet haben würde. Kürzere Fristen gelten nach § 15 für die Kriegsverschollenheit, nach § 16 für die Seeverschollenheit und nach § 17 für diejenigen, die in eine Lebensgefahr geraten und seitdem verschollen find.

Das Urteil tann nur nach vorangegangenem Aufgebotsverfahren erlassen werden (§§ 960 3PO) und wirkt nach der

herrschenden Ansicht des gemeinen Rechts und nach neuem Rechte nicht konstitutiv, d. h. nicht der Tag der Urteilsverkündung gilt als Todestag, sondern es wirkt deklarativ, d. h. der Tod gilt nach neuem Recht (§ 18 BGB) als eingetreten an dem vor dem Urteile liegenden, vom Richter zu ermittelnden und im Urteile anzugebenden Zeitpunkte. Läßt sich der Zeitpunkt des Todes nicht feststellen, so tritt die g eset = liche Bestimmung ein: nach ihr gilt der Verschollene im gewöhnlichen Falle als in dem Zeitpunkte gestorben, in welchem die Todes= erklärung zulässig geworden, die Kriegsverschollenheit tritt ein mit dem Friedensschlusse oder dem Schluffe des Jahres, in dem der Krieg beendet worden, die Seeverschollenheit mit dem Zeitpunkt, in dem das Fahrzeug wirklich oder vermutlich untergegangen, und im Falle der Lebensgefahr mit dem Zeitpunkt, in dem das gefahrdrohende Ereignis eingetreten ist. Ist die Todeszeit nur dem Tage nach fest= gestellt, so gilt als Zeitpunkt des Todes das Ende des Tages. Das Urteil wirkt für und gegen alle und läßt alle Rechtsfolgen des natürlichen Todes eintreten (§§ 1420, 1494, 1544, 1684, 1884, 1885, 1921).

Ihm entspricht eine bis zum Zeitpunkte des angenommenen Todes reichende Lebensvermutung.

Erfolgt dagegen eine Todeserklärung nicht, so bleibt die Ungewißheit, ob der Verschollene gestorben sei, insbesondere also, ob er einen bestimmten Anfall erlebt hat, bestehen. Um diese Ungewißheit zu beseitigen, griff man vielfach zu einer Lebensvermutung dahin, daß der Verschollene 70 Jahre gelebt habe. Die herrschende Meinung des gemeinen Rechtes war aber gegen diese Vermutung, es mußte also auch hier der besondere Nachweis, daß der Verschollene in jenem bestimmten Zeitpunkte gelebt habe, erbracht werden. Das BGB (§ 19) erledigt den Streit, indem es eine Lebensvermutung aufftellt dahin, daß der Verschollene gelebt habe bis zu dem Zeitpunkte, der in Ermanglung anderweiter Ermittlungen als Zeitpunkt des Todes gegolten haben würde, wenn eine Todeserklärung erfolgt wäre. Danach hört die Lebensvermutung mit diesem Zeitpunkt ohne weiteres auf, während die Todesvermutung nur durch die Todeserklärung begründet wird.

Sind mehrere Personen in einer gemeinsamen Lebensgefahr umgekommen, so spricht nach früherem und neuem Rechte (§ 20 BGB) die Vermutung für gleichzeitigen Tod.')

3. Geburts- und Sterbefälle, sowie Heiraten wurden früher in den Kirchenbüchern beurkundet. Durch das Reichsgeseß vom 6. Fe

1) Die Annahme des gemeinen Rechts, daß unmündige Kinder vor, mündige Kinder nach den Eltern umgekommen seien, hat das BGB beseitigt.

bruar 1875 wurden Zivilstandsregister eingeführt. Diese Register beweisen (nach § 15) diejenigen Tatsachen, zu deren Beurkundung sie bestimmt und welche in ihnen eingetragen sind. Doch ist der Gegenbeweis zulässig, daß die Eintragung gefälscht oder unrichtig, oder daß die Anzeige, auf Grund deren die Eintragung stattgefunden hat, unrichtig gewesen sei (§ 418 3PO und § 162 EG 3. ZPO).

§ 17. Die natürlichen Eigenschaften der Person.

1. Das Geschlecht bewirkt heutzutage keinen Unterschied in der Privatrechtsstellung. Auch die Verheiratung hat auf die Ge= fchäftsfähigkeit der Frau keinen Einfluß, die Frau verliert nur die Befugnis über ihre, den Rechten des Mannes unterliegenden Gegenstände zu verfügen (RG 29, 134 über bisheriges Recht, §§ 1393 ff., 1379 LGB). Die gemeinrechtlichen Interzessionsbeschränkungen weiblicher Personen waren schon durch Reichsgefeße (Art. 6 ff. HGV, § 11 Gewerbe-Ordnung, § 23 des GenossenschaftsGeseges vom 1. 5. 89) für gewisse Kreise von Geschäften beseitigt und sind vom BGB ganz aufgehoben worden. Hervorzuheben ist, daß nach neuem Recht eine Frau Urkundszeugin (§§ 2234-2237 BGB, §§ 170, 173 FGG), Vormund (§§ 1780, 1781, 1786 BGB), Mitglied eines Familienrats (§ 1866) sein kann.

Eine Zurücksegung des weiblichen Geschlechtes findet indessen. auch heute noch bei den durch Adel bedingten Vermögensrechten, partikularrechtlich im Rechte der Familienfideikommisse und im Bauernrechte statt.

2. Das Alter. Das römische Recht schied zwischen infantes d. h. Personen unter 7 Jahren, impuberes infantia majores d. h. Personen über 7, aber unter 14 bezw. bei Mädchen 12 Jahren, und endlich puberes d. h. Personen über 14 oder 12 Jahren. Die infantes waren handlungsunfähig, die impuberes. beschränkt und die puberes unbeschränkt handlungsfähig. Später wurden nach dem Vorgang der lex Plaetoria als vollkommen handlungsfähig nur die Personen angesehen, die das 25. Jahr vollendet hatten mit der Maßgabe, daß der pubes minor, der einen Kurator hatte, veräußerungs- und verpflichtungsunfähig war, derjenige aber, der keinen Kurator hatte, zwar mit rechtlicher Wirksamkeit handelte, aber Restitution gegen nachteilige Geschäfte erlangen konnte.

In Deutschland zog man ursprünglich nur eine einzige, Handlungsfähige und Handlungsunfähige fondernde, Altersgrenze von meistens 12 oder 14 Jahren.

Das gemeine Recht behandelte in Anlehnung an die ReichsPolizei-Ordnung von 1548 nur die Großjährigen als vollkommen handlungsfähig. Ihm folgte das Reichsgesetz vom 17. 2. 75, welches

aber das Alter der Großjährigkeit von den gemeinrechtlichen 25 auf 21 Jahre herabsetzte1) und § 2 BGB. Innerhalb der Minderjährigen werden aber unterschieden:

a) die Kinder unter 7 Jahren; sie sind nach altem und neuem Rechte vollkommen handlungsunfähig: sie sind demnach ge= s ch ä f t s u n f ä hig, d. h. unfähig, selbständig rechtsgeschäftliche Willenserklärungen abzugeben (§ 1041) und deliktsunfähig, d. h. für den durch rechtswidriges Verhalten verursachten Schaden nicht verantwortlich (§§ 276, 828). Ihre Willenserklärungen also, auch die, durch welche sie erwerben, sind nichtig (§ 105) und ihre unerlaubten Handlungen wirken wie zufällige Ereignisse.

b) Die über 7 Jahre alten Minderjährigen sind nach altem wie neuem Recht

aa) in der Geschäftsfähigkeit nur beschränkt (§§ 106 ff.). Sie können nach altem und neuem Rechte (§ 107) selbständig nur solche Willenserklärungen abgeben, durch welche sie ausschließlich einen rechtlichen Vorteil erlangen. Ein rechtlicher Vorteil ist dann ge= geben, wenn dem Erwerb eines Rechts oder der Befreiung von einer Pflicht eine Gegenleistung nicht gegenübersteht. Daher ist zu allen Leistung um Gegenleistung bezweckenden Geschäften der Minderjährige unfähig, auch wenn das einzelne Geschäft für ihn wirtschaftlich vorteilhaft ist. Solche Willenserklärungen des Minderjährigen find oder werden wirksam nur wenn sie mit Einwilligung des geseglichen Vertreters, d. i. nach altem und neuem Rechte des Vaters, Vormundes oder Pflegers, nach neuem Rechte (1684, 1685) auch der Mutter, wenn ihr die elterliche Gewalt zusteht, abgegeben werden, oder wenn der gefeßliche Vertreter oder der Volljähriggewordene selbst das bis dahin unwirksame" Rechtsgeschäft genehmigt (§§ 108, 182 bis 184). Daher ist der Minderjährige nicht prozeßfähig (§ 52 3PQ) und nicht wechselfähig (Art. 1 WO), d. h. er kann sich durch eine Wechselerklärung nicht verpflichten; er kann aber einen Wechsel ohne Gegenleistung erwerben. Der von ihm geschlossene Kaufvertrag ist unwirksam, die übereignung der gekauften Sache aber gibt ihm Eigentum (§ 929), doch ohne Rechtsgrund (§ 812). Bis zur Erteilung

1) Es überließ gleichzeitig die Entscheidung über die Großjährigkeitsgrenze der Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen Familien und der fürstlichen Familie Hohenzollern den Hausgesehen, entzog also den andern zum hohen Adel gehörigen Familien das Recht der Autonomie betreffs des Großjährigkeitstermines. Durch Art. 57 Einf G. 3. BGB sind die autonomischen Bestimmungen, soweit sie bis jezt bestanden, aufrecht erhalten.

Das BGB braucht den Ausdruck nicht, der Kürze halber aber sei es gestattet, ihn ferner anzuwenden.

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