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stimmungen trifft, die mit den Vorschriften des früheren Gesezes im Widerspruch stehen. Geseze aber, die gegenüber einem anderen die Eigenschaft eines Spezialgesetes haben, werden nicht dadurch aufgehoben, daß das allgemeine Gefeß aufgehoben wird (lex posterior generalis non derogat legi priori speciali).

Ein Geset tann auch durch entgegenstehendes Gewohnheitsrecht aufgehoben werden, wenn die Rechtsanschauung, auf welcher das Geseg beruht, sich ändert, insbesondere also dann, wenn das Gesetz für aufgehoben gehalten wird (RG bei Seuff. 52, 1).

4. Die Gesetzgebung ist eine fragmentarische, wenn einzelne Stücke einer Rechtsmaterie durch einzelne Geseze geregelt wer= den, eine novellistische, wenn ein umfangreicheres Gefeß in einzelnen Punkten geändert wird. Wird eine ganze Rechtsmaterie dadurch umgestaltet, daß alle in sie einschlagenden bisherigen Geseße aufgehoben werden, so enthält das neue Gesetz eine Kodifikation (z. B. das BGB); wird vom Gesetz aus einem vorhandenen Rechtsstoffe nur einzelnes herausgehoben und mit Gesegeskraft versehen, so spricht man von Jntorporation (Digesten und Koder).

5. Staatsverträge verpflichten nur die kontrahierenden Staaten, nicht deren Untertanen. Die legteren werden nur verpflichtet durch die auf Grund des Vertrags erlassenen Gesetze oder Verordnungen. Enthält aber der Vertrag Rechtsnormen, welche sich an die Behörden oder die Untertanen eines oder beider Vertragsstaaten wenden, so bedarf es der Verfündung des Staatsvertrages in der für Geseze vor geschriebenen Form, denn dadurch erlangt er für die Untertanen verbindliche Kraft.1) Namens des Deutschen Reiches Verträge zu schließen, ist der Kaiser befugt. Erstrecken sich solche Verträge aber auf Gegenstände, welche nach Art. 4 VU in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, so ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichstages erforderlich (Art. 11).

Da dem Reiche nicht die Macht zusteht, von den Bundesstaaten mit ausländischen Staaten geschlossene Verträge zu lösen, so bleiben nach Art. 26 EG z. BGB solche Staatsverträge, auch soweit sie privatrechtlichen Inhalts sind, in Kraft. In Zukunft aber können Staatsverträge privatrechtlichen Inhalts von einem Bundesstaate nur hinsichtlich derjenigen Rechtsmaterien geschlossen werden, welche der Landesgesetzgebung vorbehalten sind.

1) Laband, Staatsrecht des Deutschen Reichs, § 21.

§ 5. Das Gewohnheitsrecht. 1)

1. über Begriff und Entstehung des Gewohnheitsrechts haben verschiedene Auffassungen bestanden. Nachdem man zuerst in Anlehnung an den tacitus consensus populi, der nach der 1. 32 D. de leg. 1,3 dem suffragium gleichstehen sollte, den Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts auf eine stillschweigende Genehmigung der gesetzgebenden Gewalt zurückgeführt, später aber in Anwendung der c. 11 X de consuet. 1,4 die fortgesezte übung als Entstehungsgrund des Gewohnheitsrechts angesehen hatte, erklärte die historische Schule das Gewohnheitsrecht für identisch mit der Rechtsüberzeugung des Volkes: nach ihr ist der Gewohnheitsrechtssag in der überzeugung vorhanden und die übung nur seine Erkenntnisquelle.") Die jezt herrschende Ansicht verlangt für die Entstehung des Gewohnheitsrechts das Zusammenwirken jenes äußeren, in der Gewohnheit, mit dem inneren, in der übung liegenden Momentes.") Gewohnheitsrecht sind also die ungesezten, weil nicht vom Staate gegebenen, durch Rechtsüberzeugung und übung entstandenen Rechtssäge. Es genügt daher nicht die bloße übung, denn sie erzeugt nur eine Gewöhnung ohne das Bewußtsein von der Rechtsnotwendigkeit, es genügt auch nicht die bloße Rechtsüberzeugung, denn sie schafft teine Rechtssähe. Es ist insofern ungeschriebenes Recht, als es zu seiner Entstehung nicht der Aufzeichnung bedarf. Wird es niedergeschrieben, so ist die Schrift nur seine beste Erkenntnisquelle. Erfolgt die Aufzeichnung und die Verkündung durch die gefeßgebende Gewalt, so wird es Gesek.

Das Gewohnheitsrecht erfordert eine im gesamten Volke oder in einem gewissen Voltskreise herrschende überzeugung von dem Vorhandensein einer verbindlichen Rechtsnorm, die opinio juris oder necessitatis, und die Anwendung dieser Norm. Wie lange die übung bestehen, welche Anzahl von Übungsfällen nachgewiesen sein muß, hängt von der Beschaffenheit des einzelnen Rechtssages ab. Der überzeugung kann ein Irrtum, insbesondere die irrige Anschauung, daß man Gesezesrecht anwende, zugrunde liegen,) aber ein Sag, der

1) Neuestens Brie: Die Lehre vom Gewohnheitsrecht, 1899. Bisher nur der erste Teil, enthaltend die geschichtliche Grundlegung, erschienen.

Puchta, Gewohnheitsrecht I u. II. 1828, 1837. b. Savigny System I S. 76 ff. Ihnen folgend Thöl, v. Gerber, Stobbe Dahn. 3) Jest besonders Regelsberg r I § 19. Gierte I § 20. Außerdem Wächter, Windscheid, Beseler, Unger, Goldichmidt und RG 20, 305.

4) Anders die herrschende (Windscheid I. § 16 Nr. 3, RG 12, 292; 26, 320 und zahlreiche andere Entsch.), aber von Zitelmann Ge

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gegen die gute Sitte oder gegen die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung verstößt, ist nicht Recht.

2. Das Gewohnheitsrecht ist ein gemeines, wenn es sich über das ganze Gebiet des gemeinen Rechts, ein partikulares, wenn es sich tatsächlich über ein geringeres Gebiet erstreckt, gleichviel, ob die Beteiligten es sich als gemeines oder als partikulares Recht vorstellen.') Es kann sich auf bestimmte Berufsstände und noch engere Kreise beschränken. Das in Korporationen und das in Familien des hohen Adels bestehende Gewohnheitsrecht wird vorzugsweise Observanz genannt.

Gewohnheitsrecht ist auch das sog. Juristenrecht, insofern durch gleichmäßige Anwendung eines Rechtssages in richterlichen Entscheidungen (Gerichtsgebrauch) die Rechtsüberzeugung der Gerichte als eines Gemeinschaftsorganes betätigt wird. Die Aufnahme des römischen Rechtes beruht auf Juristenrecht, und zahlreiche Säße des modernen Rechts sind Erzeugnis des Gerichtsgebrauchs. Niemals aber hat die einzelne Entscheidung, selbst wenn fie jest in Gemäßheit des § 137 GVG vom Plenum des Reichsgerichts erlassen wird, an sich verbindliche Kraft. Die Rechts wissenschaft enthüllt zwar verborgene, aber doch immer vorhandene Rechtssätze, sie stellt Lehrsäte, nicht neue Rechtsfäße auf und ist daher nicht Rechtsquelle. 2)

3. Die Kraft des Gewohnheitsrechtes ist da, wo nicht ausdrückliche Gesezesbestimmungen entgegenstehen, der des Gesezes gleich. Es kann also Gesezesrecht durch Gewohnheitsrecht nicht bloß ergänzt, sondern auch abgeändert werden (cons. praeter contra legem); es fann endlich einem Gesetze durch Gewohnheit eine bestimmte Auslegung gegeben werden (Usualinterpretation).

Art. 1 des alten HGB versagte durch seine Bestimmung:

"In Handelssachen kommen, insoweit dieses Gesetzbuch feine Bestimmungen enthält, die Handelsgebräuche" - damit das Gewohnheitsrecht meinend und in deren Ermangelung das allgemeine bürgerliche Recht zur Anwendung,"

dem Gewohnheitsrechte die Kraft, das HGB zu ändern, verlieh ihm derogatorische Kraft aber gegenüber dem allgemeinen bürgerlichen Recht.

wohnheitsrecht und Irrtum Arch. f. ziv. P. 66, 223 ff. Gierke d. P. I 167 f. bekämpfte Ansicht.

1) A. M. RG 26, 193. Dagegen mit Recht Gierte I § 20 V.

) Die Ansichten hierüber sind immer noch sehr geteilt. Beseler schied zwischen Volksrecht und Juristenrecht, Puchta macht die Wissenschaft zu einer Rechtsquelle. Am klarsten und überall zutreffend jet Gierte I § 21. Von Entscheidungen f. RG 3, 178.

Dem BGB und dem neuen HGB fehlen Vorschriften über das Gewohnheitsrecht. Die Entscheidung der Frage, ob und inwieweit in Zukunft gewohnheitsrechtliche Säge verbindende Kraft haben, bleibt daher der Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen. Es wird unterschieden werden müssen:

a) partikuläres Gewohnheitsrecht, das nach Art. 2 RV als Landesrecht Reichsgesete zwar nicht aufheben, wohl aber ergänzen, b) allgemeines Gewohnheitsrecht, das als Reichsrecht Reichsgesehe sowohl ergänzen als abändern fann.

Damit ist dem Interesse der Reichsgesetzgebung an der Wahrung der durch die neue Kodifikation geschaffenen Rechtseinheit Genüge geleistet, und Art. 2 EG 3. neuen HGB hat im Gegensahe zu Art. 1 des alten HGB das Gewohnheitsrecht nicht erwähnt, weil eine Wiederholung jenes Art. 1 die Anerkennung auch des partikulären, das HGB abändernden Gewohnheitsrechts enthalten haben würde.

Soweit aber neben der Reichsgesetzgebung das Landesrecht bestehen bleibt, behält das Gewohnheitsrecht diejenige Bedeutung, die ihm das Landesrecht einräumt. überall da also, wo das Landesgesetz die Anwendung gewohnheitsrechtlicher Normen nicht verbietet oder einschränkt, bleiben nicht bloß die am 1. Januar 1900 bestehen= den Gewohnheitsrechtsfäße in Kraft, sondern kann sich auch neues Gewohnheitsrecht, und zwar sowohl ergänzendes als abänderndes, bilden (Artt. 2, 3, 55 EG 3. BGB, Art. 15 EG z. HGB).

4. Da das Gewohnheitsrecht übung vorausseßt und häufig eine lange gleichmäßige übung verlangt, so ist die Abgrenzung feines Begriffes gegen andere gleichfalls auf übung beruhende Erscheinungen des Rechtslebens geboten.

a) Wie das Gesez, so enthält das Gewohnheitsrecht eine Rechtsnorm im Sinne des § 550 3PO. Dadurch unterscheidet sich das Gewohnheitsrecht von der erwerbenden Verjährung, welche subjektive Rechte begründet. Die lange übung kann ferner einen Beweisgrund dafür abgeben, daß ein bestimmtes Rechtsverhältnis entstanden sei, und die sog. unvordenkliche Ver= jährung begründet in den Fällen, in denen sie anerkannt war, sogar eine Rechtsvermutung dafür, daß ein Recht, welches so lange ungestört ausgeübt worden, daß Zeit und Art seiner Entstehung nicht mehr bekannt waren, durch gültigen Titel begründet worden sei. Das Wort Herkommen bezeichnet zwar immer das Bestehen einer längeren übung, aber bald der eines subjektiven Rechtes, bald der eines Rechtssakes.

b) Das Gewohnheitsrecht entsteht durch die Betätigung dessen, was man für rechtlich notwendig erachtet. Durch fortgesette übung des geschäftlich 3 we & mäßigen entsteht ein bloßer Ge

gegen die gute Sitte oder gegen die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung verstößt, ist nicht Recht.

2. Das Gewohnheitsrecht ist ein gemeines, wenn es sich über das ganze Gebiet des gemeinen Rechts, ein partikulares, wenn es sich tatsächlich über ein geringeres Gebiet erstreckt, gleichviel, ob die Beteiligten es sich als gemeines oder als partikulares Recht vorstellen.') Es kann sich auf bestimmie Berufsstände und noch engere Kreise beschränken. Das in Korporationen und das in Familien des hohen Adels bestehende Gewohnheitsrecht wird vorzugsweise Observanz genannt.

Gewohnheitsrecht ist auch das sog. Juristenrecht, insofern durch gleichmäßige Anwendung eines Rechtssakes in richterlichen Ent= scheidungen (Gerichtsgebrauch) die Rechtsüberzeugung der Gerichte als eines Gemeinschaftsorganes betätigt wird. Die Aufnahme des römischen Rechtes beruht auf Juristenrecht, und zahl= reiche Säge des modernen Rechts sind Erzeugnis des Gerichtsgebrauchs. Niemals aber hat die einzelne Entscheidung, selbst wenn sie jest in Gemäßheit des § 137 GVG vom Plenum des Reichsgerichts erlassen wird, an sich verbindliche Kraft. Die Rechts= wissenschaft enthüllt zwar verborgene, aber doch immer vorhandene Rechtsfähe, sie stellt Lehrfäße, nicht neue Rechtsfäße auf und ist daher nicht Rechtsquelle. 2)

3. Die Kraft des Gewohnheitsrechtes ist da, wo nicht ausdrückliche Gesetzesbestimmungen entgegenstehen, der des Gesetzes gleich. Es kann also Gesezesrecht durch Gewohnheitsrecht nicht bloß ergänzt, sondern auch abgeändert werden (cons. praeter contra legem); es fann endlich einem Geseze durch Gewohnheit eine bestimmte Auslegung gegeben werden (Usualinterpretation).

Art. 1 des alten HGB versagte durch seine Bestimmung:

„In Handelssachen kommen, insoweit dieses Gesetzbuch feine Bestimmungen enthält, die Handelsgebräuche" damit das Gewohnheitsrecht meinend und in deren Ermangelung das allgemeine bürgerliche Recht zur Anwendung,"

dem Gewohnheitsrechte die Kraft, das HGB zu ändern, verlieh ihm derogatorische Kraft aber gegenüber dem allgemeinen bürgerlichen Recht.

wohnheitsrecht und Irrtum Arch. f. ziv. P. 66, 223 ff. Gierke d. P. I 167 f. bekämpfte Ansicht.

1) A. M. RG 26, 193. Dagegen mit Recht (Gierke I § 20 V. 2) Die Ansichten hierüber sind immer noch sehr geteilt. Beseler schied zwischen Volksrecht und Juristenrecht, Puchta macht die Wissenschaft zu einer Rechtsquelle. Am klarsten und überall zutreffend jezt Gierte I § 21. Von Entscheidungen f. RG 3, 178.

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