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B. Der Verzug des Gläubigers (mora accipiendi).1) I. Voraussehung. Altes und neues Recht fordern übereinstimmend Nichtannahme der angebotenen Leistung (§ 293). Während aber nach der herrschenden Lehre des gemeinen Rechts nach dem auch hier geltenden Verschuldungsprinzip verschuldete Nichtannahme verlangt wird, erklärt das BGB die einfache Tatsache der Nichtannahme für ausreichend, es folgt also der auch im gemeinen Rechte vielfach vertretenen objektiven Theorie. Dieser Standpunkt findet seine Rechtfertigung darin, daß für den Gläubiger keine Annahmepflicht besteht. Wo eine solche vorhanden ist (§§ 433, 445, 640), begründet ihre nicht rechtzeitige Erfüllung eine mora debitoris. Der Gläubiger kann sich also nach neuem Recht auch durch den Nachweis zufälliger Unmöglichkeit der Annahme vor den Folgen des Verzugs nicht schüßen. Das BGB verlangt von ihm vielmehr stetige Annahmebereitschaft. Die Annahmebereitschaft segt aber die Fälligkeit der Schuld voraus. Ist also für die Leistung eine Zeit nicht bestimmt oder ist der Schuldner berechtigt, vor der bestimmten Zeit zu leisten, so kann vom Gläubiger eine immerwährende Annahmebereitschaft nicht verlangt werden. Er kommt deshalb in diesen Fällen nicht in Verzug, wenn er an der Annahme der angebotenen Leistung vorübergehend verhindert war (z. B. durch Nichtbeschaffung von Lagerräumen), es sei denn, daß der Schuldner die Leistung eine angemessene Zeit vorher angekündigt hatte (§ 299).

Eine Voraussetzung des Gläubigerverzugs ist nach beiden Rechten Angebot der Leistung, und zwar bildet hier wie dort die sogenannte Realoblation die Regel (§ 294). Es genügt also nicht wörtliche Erklärung der Erfüllungsbereitschaft (Verbaloblation), erfordert wird vielmehr, daß der Schuldner alles tue, was von seiner Seite zur Leistung nötig ist, so daß der Gläubiger in der Lage ist, die Tilgung der Obligation zu vollenden.

Ausnahmen von diesem Grundsaße:

1. Trok Angebots kommt der Gläubiger nach altem und neuem Recht nicht in Verzug, wenn der Schuldner außerstande ist, die Leistung zu bewirken. In den meisten hierher gehörenden Fällen wird es sich um ein Scheinangebot handeln (§§ 297, 296).

2. Verbaloblation reicht nach beiden Rechten a us a) wenn der Gläubiger dem Schuldner erklärt hat, daß er die Leistung nicht annehmen werde,

b) wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist, z. B. wenn der Schuldner ein Bildnis des

1) Kohler, Arch. f. bürg. Recht 13 S. 144 ff. Munk, Begriff und Voraussetzungen der mora creditoris. 1898.

Gläubigers herzustellen oder wenn der Gläubiger die geschuldete Sache abzuholen hat. In diesem Falle reicht zu einem wirksamen Angebote die Aufforderung aus, die erforderliche Handlung vorzunehmen (§ 295).

3. Weder wörtliches noch tatsächliches Angebot ist erforderlich, wenn für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit festgesezt ist, die sich nach dem Kalender bestimmt oder berechnen läßt, z. B. Empfangnahme des Geldes bei einem vor dem Grundbuchamt stattfindenden Termine. Des Angebots bedarf es hier nur in dem Falle, wenn der Gläubiger die Handlung rechtzeitig vornimmt. Denn nur in diesem Falle erklärt er seine Annahmebereitschaft unter Umständen, unter welchen er auf Erfüllungsbereit= schaft rechnen darf. Dies gilt insbesondere für Schulden aus Inhaber- und Orderpapieren mit bestimmtem Vorlegungstermin (§ 296).

Trog Annahmebereitschaft kommt der Gläubiger in Verzug, wenn der Schuldner nur gegen eine Leistung des Gläubigers zu leisten verpflichtet ist (z. B. Übergabe der gekauften Sache gegen Zahlung des Preises), der Schuldner die dem Gläubiger obliegende Leistung auch verlangt, der Gläubiger aber diese Leistung nicht anbietet (§ 298). Dieser Fall kann eintreten nicht bloß bei Erfüllung gegenseitiger, sondern auch derjenigen Verträge, bei denen eine Verpflichtung nur eines Kontrahenten wesentlich ist (Fälle der actio contraria).

II. Die Wirkungen des Gläubigerverzugs sind unmittelbare und mittelbare.

1. Die unmittelbare Wirkung besteht nicht in einer Befreiung des Schuldners, sondern nur in einer Erleichterung seiner Verpflichtungen. Hierher gehört

a) daß der Schuldner nach altem und neuem Rechte (§ 300) nur noch Vorsaz und grobe Fahrlässigkeit vertritt,

b) der übergang der Gefahr auf den Gläubiger bei gegenseitigen Verträgen und Gattungsschulden. Denn wer aus einem gegenseitigen Vertrage 3. B. einem Kaufvertrage zur Leistung einer bestimmten Sache verpflichtet war, wird durch zufälligen Untergang der Sache frei und behält seinen Anspruch auf die Gegenleistung (also auf den Preis), wenn die Sache nach Eintritt des Annahmeverzugs unterging, während er sonst die Gefahr bis zur übergabe getragen haben würde (§§ 324 Abs. 2, 446); bei einer Gattungsschuld dagegen geht nach neuem Rechte (§ 300 Abs. 2), das damit eine gemeinrechtliche Streitfrage entscheidet, die Gefahr der ausgeschiedenen und angebotenen Sache über, wenn der Gläubiger die Sache nicht annimmt;

e) daß nach gemeinem Rechte nur die Pflicht zur Zahlung von

Verzugszinsen, nach neuem Rechte (§ 301) aber jegliche Zinszahlungspflicht des Schuldners a uf hört,

d) daß nach neuem Rechte sich die Pflicht des Schuldners zur Herausgabe oder zum Ersatz von Nugungen in die Pflicht umwandelt, nur die von ihm tatsächlich gezogenen Nuzungen zu gewähren (§ 302).

2. Mittelbare Wirkungen sind die dem Schuldner gegebenen Rechte.

a) Nur die durch das erfolglose Angebot verursachten Kosten und die durch die Aufbewahrung des Leistungsgegenstandes veranlaßten Mehraufwendungen kann der Schuldner ersetzt verlangen (§ 304). Eine weitere Schadensersatpflicht besteht wenigstens nach neuem Rechte nicht, weil der Verzug ein Verschulden des Gläubigers nicht voraussetzt.

b) Das römische Recht gab dem Schuldner die Befugnis, sich durch Preisgebung der Sache zu befreien (l. 1 § 3, 4 D. 18, 6; 1. 12, 14 eod; 1. 8 D. 33, 6), und zwar, wie anzunehmen, nach vorheriger Androhung. Das BGB (§ 303) gibt dieses Recht nur in bezug auf Grundstücke, zu deren Herausgabe der Schuldner verpflichtet ist. Mit der Besihaufgabe wird der Schuldner von der Herausgabepflicht, nicht von der etwa daneben bestehenden Eigentumsübertragungspflicht befreit. Vorherige Androhung ist, wenn sie nicht untunlich, Voraussetzung für die Wirksamkeit der Preisgebung. Das BGB gibt dem Schuldner aber in der Hinterlegung ein Mittel an die Hand, sich von der Sorge der Obhut des geschuldeten Gegenstands und zugleich von der Schuld selbst zu befreien, hierin im wesentlichen mit dem gemeinen Recht übereinstimmend (§§ 372 BGB, Art. 40 WO). Eignet sich die Sache nicht zur Hinterlegung, so kann der Schuldner sie versteigern lassen, aber nur zu dem Zwecke, den Erlös zu hinterlegen und sich hierdurch zu befreien (§ 383).

§ 66. Haftung für Verschulden und für den Zufall.

1. Auf die Entstehung, Veränderung und Aufhebung von Schuldverhältnissen können Umstände einwirken, deren Fernbleiben erwünscht ist und die mit ihrem Eintritt eine Schädigung, einen Ver= luft herbeiführen. Diese Umstände sind un abwendbare, wenn fie mit den dem Menschen zu Gebote stehenden Mitteln nicht verhütet werden können, andernfalls sind sie abwendbar. Für das Eintreten jener fann niemand verantwortlich gemacht, sie müssen von dem, den fie treffen, als Unglücksfälle hingenommen werden. Unter den abwendbaren Ereignissen muß vom Rechte die Unterscheidung gemacht werden in solche, die vorausgesehen und solche, die nicht vorausgesehen

werden können, denn im Recht ist nur die Frage von Wichtigkeit, ob für ein bestimmtes Ereignis eine Person verantwortlich gemacht werden kann, und für unvorhersehbare Ereignisse tritt nach allge= meinen Grundsägen eine Verantwortung nicht ein. Unvorhersehbare Umstände werden vom Recht als Zufall (casus) und der durch sie herbeigeführte Verlust als Gefahr (periculum) bezeichnet. Es tommt aber nicht darauf an, ob irgend jemand, sondern darauf, ob eine bestimmte Person sie vorhersehen konnte. Es kann daher ein von sie A. ausgeführter Diebstahl für den B., der die gestohlene Sache zu verwahren hatte, ein Zufall sein.

Für Ereignisse, die vorausgesehen werden fönnen, kann das Recht eine Verantwortung auferlegen. Und zwar wird derjenige, der die rechtsverlegende Wirkung seiner Handlung vorhergesehen hat, wegen Vorsa e 3 (dolus), derjenige, der jene Wirkung bei größerer Aufmerksamkeit hätte vorhersehen können, wegen Fahrlässig = feit (culpa) verantwortlich gemacht. In zahlreichen Fällen aber tritt eine Haftung nicht ein, obwohl eine Fahrlässigkeit geringen Grades vorlag, in andern Fällen dagegen tritt eine Haftung ein, obwohl ein unvorhersehbares Ereignis, ein Zufall, vorlag. Das BGB spricht deshalb (§§ 275, 280, 282) von Umständen, die jemand zu vertreten, und von solchen, die er nicht zu ver= treten hat.

Vorsah ist nach römischem, gemeinem und neuem Rechte (§ 276) stets zu vertreten. Eine Haftung für unerlaubte Handlungen aber trat nach dem entwickelten römischen und nach gemeinem Rechte, abgesehen von den Fällen, in denen nicht (wie z. B. beim Diebstahl) Vorsak zum Wesen des Delikts gehört, schon im Falle einer Fahrlässigkeit ein. Dem ist das BGB grundsäßlich gefolgt (§§ 276, 823, 824, 827, 831, 834, 836—839), gleichviel welchen Grad das Versehen hat. In Vertragsverhältnissen haftet nach römischem und gemeinem Rechte der Schuldner immer für Vorsag und grobes Versehen, und diese Haftung kann ihm nicht im voraus erlassen werden. Für geringes Versehen haftet derjenige Schuldner, in dessen Interesse der Vertrag geschlossen ist. Das BGB stellt die Regel auf, daß schlechthin für Fahrlässigkeit, d. i. jeden Grad des Versehens einzustehen sei (§ 276) und beschränkt nur in bestimmten Fällen die Haftung auf grobe Fahrlässigkeit.1) Ge= wisse Personen haften nach gemeinem wie neuem Rechte für diligentia in concreto (f. oben § 46), d. h. sie können sich gegenüber der an und für sich begründeten Haftung für jedes Versehen darauf berufen, daß sie in eigenen Angelegenheiten eine geringere Sorgfalt anwenden,

1) §§ 277, 300, 460, 521, 523, 524, 539, 599, 617, 680, 912, 968.

nach BGB aber bleiben sie in jedem Falle für grobe Fahrlässigkeit haftbar (§ 277).

Nach neuem Rechte kann dem Schuldner nur die Haftung für Vorsag nicht im voraus erlassen werden (§ 276, Ausnahme § 278).

Das bisherige Recht legte, von den Fällen der Haftung für diligentia quam suis abgesehen, den von dem Verhalten eines bonus pater familias hergenommenen abstrakten Maßstab an, das BGB (§ 276) aber verlangt die Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und nennt Fahrlässigkeit die Verlegung dieses Maßes von Sorgfalt. Als Fahrlässigkeit ist nach beiden Rechten auch die mangelnde Geschicklichkeit (imperitia) zu behandeln, denn wer eine gefahrdrohende Handlung vornimmt, ohne die dazu erforderliche Geschicklichkeit zu besigen, verlegt sowohl die Sorgfalt des ordentlichen Hausvaters als auch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Auch das HGB legt für die Regel den abstrakten Maßstab an, indem es (§ 347 HGB) in den Fällen, in denen jemand aus einem Geschäfte, das auf seiner Seite Handelsgeschäft, zur Sorgfalt verpflichtet ist, für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (ordentlichen Frachtführers, ordentlichen Schiffers) verantwortlich macht, im übrigen kommen jezt die Vorschriften des BGB zur Anwendung. Das HGB will also in den angegebenen Fällen nur eine strengere Beurteilung.

2. Grundsätzlich haftet ein jeder nur für sein eigenes Verhalten. Von diesem Grundsaye wich sowohl das ältere römische als das ältere deutsche Recht insofern ab, als hier der Hausherr für unerlaubte Handlungen seiner Kinder und Sklaven haftete und sich (nach römischem Rechte) durch deren Preisgebung (noxae deditio) von seiner Verpflichtung befreien konnte. Im übrigen stand das römische Recht unter der Herrschaft jenes allgemeinen Grundsages. Die Folge war, daß eine Haftung für das Verhalten anderer nur dann eintrat, wenn bei der Auswahl (c ulpa in eligendo) oder bei der Beaufsichtigung des Vertreters oder Gehilfen (culpa in custodiendo oder inspiciendo) ein eigenes Versehen begangen wurde. Eine Haftung für fremde Schuld trat ausnahmsweise ein, wenn durch Werfen oder Gießen aus einem Hause ein Schaden angerichtet wurde, in welchem Falle der Inhaber der Wohnung oder des Gebäudes ohne Rücksicht auf eigene Schuld haftete (actio de effusis et dejectis), und wenn an den Sachen von Reisenden Entwendungen oder Beschädigungen verübt wurden, in welchem Falle der Gastwirt, Stallwirt oder Schiffer gleichfalls ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden haftete (a. de recepto caupon. usw.). Im späteren Recht entwickelte sich der Grundsay, daß der institor (Geschäftsgehilfe) den Prinzipal durch

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