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für jeden dieser Teile einen besonderen Redaktor zu bestellen. Fragen von grundsäglicher Bedeutung sollte die gesamte Kommission ent= scheiden, und zu diesem Zwecke sollte sie alle Jahre eine Zusammenkunft haben. Nachdem die Teilentwürfe fertiggestellt waren, trat die Gesamtkommission am 4. Oktober 1881 zusammen. Sie hielt wöchentlich vier Sizungen ab, von denen drei der Beratung gewidmet waren und in deren vierter die von den Hilfsarbeitern geführten Protokolle vorgelesen und festgestellt wurden. Nachdem die Teilentwürfe durch beraten worden waren, wurde der ganze Entwurf in der Zeit vom 30. September bis 16. Dezember 1887 einer nochmaligen Beratung unterzogen, worauf der Vorsitzende mittels Berichts vom 27. Dezember 1887 den Entwurf dem Reichskanzler überreichte. Die von der Vorkommission in Aussicht genommenen fünf Bücher waren zwar beibehalten worden, doch war ihnen ein sechstes mit der überschrift: „Räumliche Herrschaft der Rechtsnormen" hinzugefügt. Im Jahre 1888 wurde der Gesezentwurf nebst 5 Bänden Motiven veröffentlicht. Die Motive sind nicht ein Werk der Gesamttommission, sondern eine „Privatarbeit“ der Hilfsarbeiter.

Nachdem der Entwurf zuerst eine ungünstige Kritik erfahren hatte und namentlich von Gierke als nicht deutsch, nicht sozial und nicht volkstümlich und daher als ungeeignet bezeichnet worden war, auch nur als Grundlage weiterer Arbeit zu dienen, erkannte man doch allmählich den hohen Wert der im Entwurf enthaltenen Geistesarbeit. Der Bundesrat beschloß deshalb am 4. Dezember 1890 den Entwurf einer zweiten Lesung zu unterziehen und sehte zu diesem Zweck eine Kommission von 22 Mitgliedern Juristen und Ver

ein. Die Kom

tretern verschiedener wirtschaftlicher Interessen mission trat am 15. Dezember 1890 zusammen und hielt vom 1. April 1891 ab wöchentlich drei Sizungen.1) Der von ihr hergestellte Entwurf wurde mittels Schreibens vom 22. Oktober 1895 dem Bundesrat überreicht. Dieser verwies den Entwurf am 16. Januar 1896 an den Reichstag und fügte eine Denkschrift bei. Der Reichstag verwies den Entwurf an eine Kommission von 21 Mitgliedern und nahm ihn dann mit 222 gegen 48 Stimmen an. Nach Zustimmung des Bundesrates wurde das BGB nebst dem Einführungsgesete am 18. August 1896 vom Kaiser vollzogen.

Eine weniger eingehende Behandlung wurde dem neuen Ha ndels gesebuche zuteil. Denn dieses (in §§) lehnt sich eng an

1) Ihre Beratungen sind niedergelegt in den „Protokollen der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches“. Im Auftrage des Reichsjustizamts bearbeitet von Achilles, Gebhard und Spahn.

das bisherige HGB (in Artikeln) an und ändert es nur soweit dies durch die Vorschriften des BGB oder durch die seit dem Inkraftfreten des alten HGB gemachten Erfahrungen geboten war. Neu sind im HGB (neuer Fassung) die Bestimmungen über Handlungslehrlinge (§§ 76-82), Handlungsagenten (§§ 84-92) und über das Lagergeschäft (§§ 416-424). Es ist am 10. Mai 1897 voll= zogen worden. Auch zu ihm ist ein Einführungsgeset erlassen, welches das Verhältnis des neuen Gesetzbuchs zu den Landesgefeßen und den. Reichsgesehen handelsrechtlichen Inhalts regelt und übergangsbestim mungen gibt. Eine Reihe von Vorschriften des alten HGB ist ge= strichen, weil sie vom BGB übernommen worden sind.

Außer diesen beiden umfassenden Gesetzbüchern trat am 1. Januar 1900 ein das Gerichtsverfassungsgesek, die Zivilprozeßordnung und die Konkursordnung änderndes Gesez vom 17. 5. 1898, ein Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung von Gegenständen des unbeweglichen Vermögens vom 24. 3. 1897 (184 §§) nebst Einführungsgesek, eine Grundbuchordnung vom 24. 3. 1897 (102 §§) nebst Einführungsgesetz, und ein Gesetz über die Angelegen= heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. 5. 1898 (200 §§) in Kraft. Zwar haben alle diese sog. Neben gesehe den Zweck, formelles Recht zu schaffen, sie enthalten aber zahlreiche, dem Privatrecht angehörige Säße.

Das BGB und seine Nebengeseye umfassen keineswegs das gesamte Privatrecht des Deutschen Reiches. Die Änderungen, die sie im Privatrecht Deutschlands herbeigeführt haben, bestehen nur in einer Vermehrung des Reichsrechts und damit in einer Umkehrung des Verhältnisses von Reichsrecht und Landesrecht.

1. Nach dem früheren Rechtszustande gehörte die überwiegende Masse der privatrechtlichen Normen dem Landesrecht an, während nur vereinzelte Materien des Privatrechts durch einzelne Reichsgesehe geregelt waren. Die neue Gesetzgebung läßt grundsä ß l i ch diese einzelnen privatrechtlichen Reichsgesete bestehen (vgl. jedoch Art. 32 EG 3. BGB), und stellt neben sie das neugeschaffene Reichsrecht.

2. Während bisher troß der Zuständigkeit des Reiches für das gesamte Privatrecht die Landesgesetzgebung befugt war, in den nicht durch Reichsgesetz geregelten Materien privatrechtliche Normen abzuändern und neue privatrechtliche Normen zu schaffen, ist jetzt g r und säglich das gesamte Privatrecht durch Reichsgese geregelt und daher grundsätzlich der Einwirkung der Landesgesetzgebung entzogen. Daher sind mit dem 1. Januar 1900 die privatrechtlichen Vorschriften der Landesgefeße außer Kraft getreten, und nur soweit durch das an diesem Tage ins Leben gesezte Reichs

recht zugunsten der Landesgeseze ein Vorbehalt gemacht wird, bleibt das bisherige Landesrecht bestehen und die Landesgesetzgebung be= fugt, dieses Landesrecht fortzubilden (Art. 55 EG 3. BGB, Art. 15 EG 3. HGB).

Untereinander stehen die am 1. Januar 1900 ins Leben getretenen Geseze gleich. Nur das HGB macht hiervon eine Ausnahme, da es als Spezialgefeß die Normen für diejenigen besonderen Rechtsverhältnisse gibt, die dem Handel angehören. Daher geht es in Handels sachen, d. h. bei der Beurteilung von Rechtsverhältnissen des Handelsrechts dem BGB vor (Art. 2 EG z. HGB). Das BGV als die Norm für den allgemeinen bürgerlichen Verkehr kommt nur dann zur Anwendung, wenn nicht im HGB oder in dem zu diesem erlassenen Einf.-Geset ein anderes bestimmt ist. Das BGB tommt demnach zur Anwendung nur wo eine Ergänzung des HGB nötig ist, d. h.

1. da, wo das HGB die Anwendung des VGB ausdrücklich verlangt (§§ 27, 62, 75, 105, 139, 228, 338, 339, 347, 366, 368, 371, 374, 375, 382, 385, 396, 440, Art. 4, 14 Einf.-Ges.), 2. da, wo es die Anwendung des BGB stillschweigend zuläßt, d. i. überall da, wo eine abweichende Vorschrift des HGB fehlt, also auch nicht durch Analogie aus dem Gesamtinhalt des als ein Ganzes aufzufassenden HGB entnommen werden kann. Die anderen Reichsgesehe (außer dem BGB) werden durch das HGB nicht berührt, denn sie sind gleichfalls Spezialgefeße (Art. 2 Abs. 2 EG 3. HGB). Das Einf.-Gef. z. HGB hebt aber eine Reihe gesetzlicher Bestimmungen auf (Art. 8), zahlreiche andere reichsgesetzliche Bestimmungen ändert es ab (Art. 9-14).

Die Einteilung des BGB folgt dem System der Pandettenlehrbücher und daher der Stoffverteilung in 5 Bücher: Allgemeiner Teil, Recht der Schuldverhältnisse, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht. Die Bücher zerfallen in Abschnitte, die meisten von diesen wieder in Titel. Da aber die Zahlen der §§ durch das Gesetzbuch fortlaufen, wird die einzelne Bestimmung nur nach dem § angeführt.

Das HGB hatte, wie jedes Spezialgeset, den ihm überwiesenen Stoff nur nach demjenigen Einteilungsgrunde zu ordnen, das für diesen besonderen Stoff als der zweckmäßigste erschien. Es be= handelt im ersten Buche den Handelsstand von § 1-104, im zweiten Buche die Handelsgesellschaften und die stille Gesellschaft von § 105 bis 342, im dritten Buche die Handelsgeschäfte von § 343-473 und im vierten Buche den Seehandel von § 474-905. Es fehlt in ihm das Versicherungsrecht, und die Lehre von den Handelsgesellschaften ist insofern unvollständig, als das Gesez über die Erwerbs- und

Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889 und über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 neben dem HGB bestehen blieben. Auch das Recht der Binnenschiffahrt ist durch ein besonderes Reichsgeset (vom 15. Juni 1895) geregelt. Das deutsche Handels recht beruht aber nicht auf dem HGB allein, sondern noch auf anderen Reichsgesehen.

Erster Abschnitt: Das objektive Recht.

A. Die Quellen des objektiven Rechts.

§ 4. Das Gesetzesrecht.

Die Quellen des objektiven Rechts d. h. der Rechtssäge sind Gesez und Gewohnheit.

1. Begriff. Das Wort Gesez hat eine doppelte Bedeutung. Im materiellen Sinne bezeichnet es das durch einen Ausspruch des Staates gesezte Recht. Es kommt dabei nur darauf an, daß ein Rechtssa 1⁄2 in rechtsverbindlicher Weise durch ein Organ der Staatsgewalt ausgesprochen wird. Gleichgültig ist, ob der Sag - was die Ausnahme bildet — nur auf einen einzigen Tatbestand oder ob er was die Regel bildet auf eine unbestimmte Anzahl von Tatbeständen angewendet werden soll, ob er von dem Gesetzgebungsorgan oder einem anderen Organe der Staatsgewalt ausgeht, wenn er nur von dem verfassungsmäßig bestellten Organe in vorgeschriebener Form getan wird. Geseze in diesem Sinne sind daher auch die Verordnungen, sofern sie von dem zum Erlasse von Verordnungen bestellten Organe gegeben sind und einen Rechtssag aussprechen. Solche Verordnungen heißen Rechtsverordnungen im Gegensaße zu Verwaltungsverordnungen. Lettere ent= halten keinen Rechtssak, sondern nur einen von der vorgefeßten der untergebenen Behörde gegebenen, das Verhalten der letteren be= treffenden Befehl. Die Rechtsverordnung hat allgemein verbindliche Kraft und gehört zu den revisiblen Rechtsnormen im Sinne von § 550 3PO, § 12 EG 3. 3PQ.

Im formellen Sinne bedeutet Gesez jede von dem ge= seggebenden Organe der Staatsgewalterlassene Anordnung. Bedingung ist, daß dasjenige Organ, welches nach der Verfassung zum Erlasse von Gesehen befugt ist, in der für Geseze vorgeschriebenen Form gesprochen hat. Es macht keinen Unterschied, ob der Ausspruch einen Rechtssag oder einen Akt der Staatsverwal

tung enthält (z. B. Aufnahme einer Anleihe, Feststellung des StaatsHaushaltsplanes, Dotation eines verdienten Staatsmannes).

2. Zuständigkeit. Gegenwärtig geht die Gesetzgebung des Deutschen Reiches neben der Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten her. Die Gültigkeit der von letteren erlassenen Geseze hängt von der Beobachtung der Verfassung des betreffenden Staates ab. „Die Reichs gesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag. Die übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgeseze erforderlich und ausreichend" (Art. 5 VU). Durch diese übereinstimmung wird nur der Gesezes= inhalt gebildet, verbindliche Kraft erlangt er erst durch die Verkündigung von Reichswegen. Sie geschieht auf Anordnung des Kaisers durch das Reichsgesegblatt (Art. 17). Die Anordnung erfolgt in Gestalt der Ausfertigung, d. h. indem der Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichstanzlers dem Gefeße seine Unterschrift gibt. Vor dem durch diese Verkündung erfolgenden Gesetzes= ausspruch ist nur ein Gesegentwurf vorhanden. Der Kaiser ist auf die Befugnis der Verkündung beschränkt, geseßgebender Faktor ist er nicht.

Die Befugnis, Verwaltungsverordnungen zu erlassen, steht jeder höheren Reichsverwaltungsbehörde, insbesondere also dem Bundesrate zu. Sie reicht nicht weiter als die Zuständigkeit der betreffenden Verwaltungsbehörde. Rechtsverordnungen zu erlassen, ist an sich ausschließliche Befugnis der gesetzgebenden Gewalt. Sie kann daher nur im Wege der Gesetzgebung übertragen werden (Delegation): dem Bundesrat, dem Kaiser, dem Reichskanzler, anderen Reichsbehörden, den Landesregierungen. Die Befugnis reicht nicht weiter als die vom Reichsgesetze gewährte Ermächtigung.

3. Die verbindliche Kraft des Gesetzes ergreift einen jeden, gleichviel ob er es kennt oder nicht, es falsch oder richtig auslegt. Der römische Sag ignorantia juris nocet gilt auch bei uns. Die Frage, ob auch seine zugunsten von Frauen, Minderjährigen, Soldaten und Landleuten zugelassenen Ausnahmen galten, wurde von der Praxis mit Einschränkungen bejaht, war aber sicher gegenüber der heutigen Gesetzgebung zu verneinen, und ist durch das BGB dadurch verneint, daß es Ausnahmen nicht aufstellt.

Die Gesezestraft erlischt, wenn der Zeitpunkt eintritt, der nach der eigenen Bestimmung des Gesetzes den Endpunkt seiner Geltung bildet, oder wenn die Verhältnisse, auf welche das Gesetz An= wendung finden soll, beseitigt sind, was insbesondere von den fog. Übergangsbestimmungen gilt, endlich dadurch, daß das Gesez aufgehoben wird durch ein anderes Gesez; die Aufhebung geschieht ausdrücklich oder stillschweigend d. H. dadurch, daß das neue Gesetz Be= Engelmann, D. bürgerliche Recht Deutschlands. IV. Aufl.

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