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Erstes Buch: Allgemeiner Teil.

Einleitung.

I. Das frühere Privatrecht Deutschlands.

§ 1. Die Bestandteile des bisherigen Rechts.

Das Privatrecht, das bis zum 1. Januar 1900 in Deutschland galt, hatte sich aus fremden und einheimisch - deutschen Be= standteilen entwickelt.

I. 1. Fremd war das aufgenommene römische Recht. Die „Rezeption") war seit dem Beginne des 16. Jahrhunderts vollendete Tatsache. Ihre Erklärung findet sie in der Zersplitterung des deutschen Rechts im späteren Mittelalter und dem Bedürfnisse des deutschen Verkehrslebens nach einem einheitlichen, wissenschaftlich durchgebildeten Rechte, unter st i kt wurde sie bei dem Fehlen eines deutschen Nationalbewußtseins durch die irrige Auffassung, daß Justinian ein Vorgänger der römischen Kaiser deutscher Nation gewesen, sein Gesetzbuch deshalb im Deutschen Reiche geltendes Recht sei. Vollzogen aber wurde diese Aufnahme durch die Geltung, welche die in Italien juristisch gebildeten, nachher in Deutschland zu Ehren und Ämtern gelangten Deutschen zunächst als Schiedsrichter, dann als Mitglieder einflußreicher Gerichte, insbesondere des Reichskammergerichts, des Reichshofrats und der territorialen Hofgerichte dem fremden Rechte verschafften, ferner durch die Schriften der italienischen, später auch deutscher Juristen, insbesondere durch die zahlreichen populären Darstellungen des römischen Rechts, wie es sich in Italien unter dem Einflusse der Gloffatoren und der Postglossa= toren gebildet hatte. Die Tatsache der Rezeption fand schließlich ge= segliche Anerkennung, indem zuerst die Reichskammergerichtsordnung

1) Aus der umfangreichen Literatur über diesen Gegenstand hebe ich hervor: Stobbe: Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 1 u. 2, 1860, 1864. Stinking: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I 1880. Gierte: Deutsches Privatrecht I S. 8ff. Regelsberger: Pandekten I S. 3 ff. Vgl. auch meinen Zivilprozeß II, Heft 3 S. 97 ff.

Engelmann, D. bürgerliche Recht Deutschlands. IV. Aufl.

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von 1495 und später eine Anzahl unter dem Einflusse der reichskammergerichtlichen Praxis entstandener Partikulargesehbücher die Anwendung des kaiserlichen und gemeinen Rechts", d. h. des bereits rezipierten fremden Rechts als subsidiärer Rechtsquelle anordneten. Damit ist aber das römische Recht nicht zum Gesetzesrechte geworden. Wie es im Wege des Gewohnheitsrechtes aufge= nommen wurde, so ist es trok jener gefeßlichen Anerkennung Gewohnheitsrecht geblieben.

Rezipiert ist nur das in die Sammlung Justinians aufgenommene römische Recht, aber auch von diesem nicht diejenigen Stellen, welche von den Gloffatoren nicht mit der Glosse versehen worden sind (Quidquid non agnoscit glossa nec agnoscit euria). Rezipiert sind ferner nicht diejenigen Teile des corpus juris civilis, welche das Staatsrecht des römischen Reiches behandeln. Gleichwohl war und blieb streitig, ob das römische Recht im Ganzen (in complexu) oder nur in seinen einzelnen Säßen aufgenommen sei; die herrschende Meinung war für die Rezeption in complexu, man sagte deshalb früher: Qui jus Romanum allegat, habet fundatam intentionem, in dem Sinne, daß die Geltung des angerufenen römischen Rechtssages ohne weiteres anzunehmen sei, wenn nicht nachgewiesen werde, daß gerade er nicht rezipiert sei.

Das justinianische Gesetzbuch, das nicht eine Kodifikation, sondern eine Kompilation des Rechts darstellt, besteht aus vier Teilen1):

a) den Institutiones, einem auf der Grundlage der Institutionen des Gajus verfaßten Lehrbuche des gelten den Rechtes. Seiner Einteilung liegt der Gedanke zugrunde: Omne autem jus, quo utimur, vel ad personas vel ad res vel ad actiones pertinet. Danach werden im ersten Teile die Rechtssubjekte und damit auch das sog. Personenrecht, im zweiten die Vermögensrechte, im dritten die Klagerechte erörtert. Dieser Stoff ist in vier Bücher eingeteilt. Zitiert wird z. B. § 12 I. de jure nat. 1, 2 (Stelle, an der der oben mitgeteilte Sag steht), indem I. Institutionen bedeutet, die dahinter stehende 1 das Buch, die 2 den Titel (Unterabteilung des Buchs) und § 12 den § (Unterabteilung der Titel) angibt.

b) Die Digesta oder Pandectae enthalten in 50 Büchern, die wieder in Titel und leges oder fragmenta zerfallen, eine Sammlung von Aussprüchen (39) römischer Juristen. Die Aussprüche sind wissenschaftlichen Werken entnommen

1) S. darüber jetzt vorzugsweise Krüger: Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts. 1888 (Bindingsche Sammlung). S. 322 ff.

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