Page images
PDF
EPUB

sie ist für das Werk nicht vorteilhaft geworden. Denn sie wirkt durch die Menge gleichgültiger Namen zerstreuend, ohne für das Gesamtbild entsprechend interessante und charakteristische Züge zu bieten, und macht durch die Anhäufung von Einzelheiten den Vortrag mitunter schwerfällig, sowie sie eine öftere Wiederholung derselben Ausdrücke und Wendungen herbeiführt. (Cicero arbeitete mit einer erstaunlichen Raschheit, die gewisse Spuren in seinen Schriften hinterließ. Wenn die Herausgeber das beachtet hätten, so hätten sie sich gehütet, manche Zeichen von Flüchtigkeit der Tätigkeit eines ganz nebelhaft bleibenden Interpolators zuzuschreiben. Am meisten hat sich noch Martha von diesem Fehler freigehalten. Vgl. zu 117 E. 122. 172. 307. 327. Auch scribi 181, das Eberhard in sciri änderte, ist wohl eine leichte Entgleisung.) Mitunter hat er diese Einförmigkeit dadurch zu unterbrechen gesucht, daß er ohne strenge Innehaltung der Chronologie Gruppen von Rednern zusammenstellt, z. B. die Stoiker (117—121), die Redner aus den Provinzialstädten (169-172. 271), die accusatores (130 f.), die agitierenden Volksredner (223 f.), die im letzten Kriege getöteten (265-269); was noch in anderer Beziehung die Übersicht erleichtert. Auch durch andere Betrachtungen (z. B. 70. 255 ff.) wird die Aufzählung öfter unterbrochen 1); doch kann das alles eine gewisse Monotonie mancher Partien nicht verdecken. Atticus verwundert sich einige Mal mit leisem Spott über die Leute, welche aufzuzählen Cicero der Mühe wert finde (176. 244. 269. 297), und dieser entschuldigt sich deshalb wiederholt (137. 181. 244. 270. 299). Auch sagt er in Beziehung darauf im orator (23) 'ego idem, qui in illo sermone nostro, qui est expositus in Bruto, multum tribuerim Latinis, vel ut hortarer alios vel quod amarem meos, recordor longe omnibus unum anteferre Demosthenem'. Man sieht daraus, daß Cicero das Urteil, welches er den Atticus aussprechen läßt, im Herzensgrunde für das richtige hält und eine Menge von Rednern aufzählt und ihre Vorzüge in das hellste Licht stellt, teils aus dem oft bei ihm hervortretenden Wunsch als Römer den Griechen auch auf dem Gebiete der Literatur möglichst viel (181) entgegenzustellen, teils aus dem praktischen Interesse seine Landsleute auf das hinzuweisen, was ihnen die heimische Literatur darbot, und sie zum Studium derselben aufzufordern und anzuregen (64. 65;

1) Dieselbe Technik wendet Cicero in dem kunstvolleren Dialoge de oratore an, auch im Orator; sie ist mit der des hellenistischen Lehrgedichtes eng verwandt.

112; 132), teils auch aus Rücksicht auf die wirklichen oder angeblichen Nachkommen 1) der von ihm gelobten Redner (53 ff.). Am Schlusse faßt er die aus dem Schwarm hervorragenden Männer noch einmal zusammen (333).

Überhaupt ist das Interesse, welches Cicero bei dieser Übersicht der römischen Beredsamkeit hat, keineswegs allein das des Geschichtsforschers, sondern eben so sehr das praktische der Belehrung, wie er selbst sagt (319) omnis hic sermo noster non solum enumerationem oratorum, verum etiam praecepta quaedam desiderat. Diese Belehrung wird nun sowohl durch die kritische Würdigung der bedeutenderen Redner, welche auf Einzelnes eingeht, gegeben, als auch durch die Behandlung verschiedener Fragen, welche sich beiläufig ergeben (z. B. 210 f. 258 ff.).

Von der größten Wichtigkeit sind die Andeutungen, welche Cicero sowohl über seinen eigenen Bildungsgang und über die Anforderungen, welche er an den wahren Redner stellt, als über verschiedene, nach seinem Urteil einseitige und verkehrte Richtungen gibt, die zu seiner Zeit sich geltend machten. Es ist unverkennbar, daß er dadurch die Stellung, welche er unter den römischen Rednern einnahm, begründen und gegen mancherlei Anfechtungen behaupten wollte. Demselben Zweck dienen auch die beiden gleichzeitigen Schriften, der orator und de optumo genere oratorum, in denen nicht nur dieselben Ansichten wiederkehren, sondern auch dieselbe abwehrende Tendenz hervortritt. Ja man wird sagen dürfen, daß diese Tendenz für Cicero das eigentlich treibende Motiv zur Abfassung der Schrift gewesen ist 2).

Was Cicero vom Redner verlangt, eine gründliche wissenschaftliche Durchbildung durch philosophische, juristische, historische, literarische Studien, Kenntnis der vollkommenen Muster der Redekunst in der griechischen Literatur, und die Beherrschung aller Mittel einer kunstmäßig ausgebildeten Beredsamkeit nach den verschiedensten Seiten hin, um jedes an der rechten Stelle gebrauchen zu können, das deutet er oft genug an, namentlich 231 f. 321 f. Obgleich er dort sagt nihil de me dicam und auf Brutus Frage, ob er glaube, daß ein Redner, wie er ihn sich denke, schon unter den Römern existiere, ausweichend antwortet (162), so beweist doch die Übersicht, welche er von seinem Studiengange gibt (303 ff.), die Parallele, welche er den

1) Man muß dabei den Ahnenstolz der Römer in Betracht ziehen, den besonders die Familienmünzen deutlich erkennen lassen.

2) Gut ausgeführt von Franz Müller Progr. Colberg 1874. Norden Antike Kunstprosa S. 276 ff. Schlittenbauer, Neue Ibb. Suppl. XXVIII.

Brutus zwischen Servius Sulpicius und sich ziehen läßt (150 ff.), und manche andere Äußerung, daß er glaubte diesen Standpunkt erreicht und zwar allein erreicht zu haben. Denn Niemand außer ihm hatte neben der gewöhnlichen rednerischen Vorbildung diejenige genossen, welche die Philosophenschule vermittelte, genauer gesprochen allein die akademische Schule unter Philon und Antiochos (119 ff.)1); Niemand hatte mit dieser doppelten Vorbildung so glänzende und offenkundige Erfolge erzielt wie er. Und zum Beweise, daß auch andere ihm diese Stellung einräumten, läßt er nicht allein den Brutus sagen, wie durch Cicero die früheren Redner in Vergessenheit gebracht worden seien (123), sondern er führt auch die rühmenden Zeugnisse kompetenter Beurteiler, des Hortensius (190) und Caesar (254) vor. Überhaupt spitzt Cicero seine ganze Darstellung von vornherein auf sich selbst zu und läßt gelegentlich mit aller nur wünschenswerter Offenheit durchblicken, daß er alle früheren Redner in den Schatten gestellt habe und eigentlich allein von allen nachahmenswert und genießbar sei (123. 140. 150. 161. 190); kann man doch manchmal fast auf den Gedanken kommen, er habe die Form des Dialoges nur gewählt, um Brutus und Atticus die Lobsprüche in den Mund zu legen, die er sich scheute ex sua persona vorzubringen.

Hortensius hatte als Redner besonders dadurch Glück gemacht, daß er dem modernen rhetorischen Geschmack erhebliche Konzessionen gemacht, wie man damals sagte den ‘asiatischen' Stil angewendet hatte2). Quintilian bemerkt über den Unterschied der attischen und asiatischen Beredsamkeit (XII, 10, 16): et antiqua quidem illa divisio inter Atticos atque Asianos fuit, cum hi pressi et integri, contra inflati illi et inanes haberentur, in his nihil superflueret, illis iudicium maxime ac modus deesset. quod quidam hoc putant accidisse, quod paullatim sermone Graeco in proximas Asiae civitates influente nondum satis periti loquendi facundiam concupierint, ideoque ea, quae proprie signari poterant, circuitu coeperint enuntiare ac deinde in eo perseverarint. mihi autem orationis differentiam fecisse et dicentium et audientium naturae videntur, quod Attici, limati quidem et emuncti, nihil inane aut redundans ferebant, Asiana gens, tumidior alioqui atque iactantior, vaniore etiam dicendi gloria

1) Vgl. Rhein. Mus. LVIII 552–597 und Neue Jahrb. N. F. XI 681-689 und die Anm. zu 322.

2) Vgl. den grundlegenden Aufsatz von v. Wilamowitz Asianismus und Atticismus Hermes XXXV 1–52.

inflata est. Noch bei weitem ungünstiger ist die Charakteristik, welche der freilich parteiische Dionys von Halicarnass, der unter Augustus schrieb, von der asianischen ῥητορική gibt (de orat. ant. 1): ἀφόρητος ἀναιδείᾳ θεατρικῇ καὶ ἀνάγωγος καὶ οὔτε φιλοσοφίας οὔτ ̓ ἄλλου παιδεύματος οὐδενὸς μετειληφυῖα ἐλευθερίου, λαθοῦσα καὶ παρακρουσαμένη τὴν τῶν ὄχλων ἄγνοιαν οὐ μόνον ἐν εὐπορίᾳ καὶ τρυφῇ καὶ μορφῇ πλείονι τῆς ἑτέρας διήγεν, ἀλλὰ καὶ τὰς τιμὰς καὶ τὰς προστασίας τῶν πόλεων, ἃς ἔδει τὴν φιλόσοφον (ῥητορικὴν) ἔχειν, εἰς ἑαυτὴν ἀνηρτήσατο, καὶ ἦν φορτική τις πάνυ καὶ ὀχληρά, καὶ τελευτῶσα παραπλησίαν ἐποίησε γενέσθαι τὴν ̔Ελλάδα ταῖς τῶν ἀσώτων καὶ κακοδαιμόνων οἰκίαις. Er rühmt es seiner Zeit nach, daß sie der Herrschaft dieser prunkenden Beredsamkeit ein Ende gemacht und die echte und gesunde wieder in ihr Recht eingesetzt habe; was er dem Einflusse Roms zuschreibt (a. a. Ο. 3): αἰτία δ ̓ οἶμαι καὶ ἀρχὴ τῆς τοσαύτης μεταβολῆς ἐγένετο ἡ πάντων κρατοῦσα Ρώμη, πρὸς ἑαυτὴν ἀναγκάζουσα τὰς ὅλας πόλεις ἀποβλέπειν. Cicero hatte hieran, wenn man seiner eigenen Darstellung Glauben schenkt, den wesentlichsten Anteil. Anfangs war er ebenfalls dem Beispiel des Hortensius gefolgt; aber da er sich durch Gesundheitsrücksichten genötigt sah, zu große Anstrengungen zu vermeiden, dann durch die Lehre des Molo und eifriges Studium besonders in Asien zu besserer Erkenntnis gelangt war, verließ er diesen Weg (316). Obgleich er auch später die sogen. asianische Beredsamkeit nicht ganz verwarf, sondern das, was ihm gut an derselben erschien, gelten ließ (51. 325 f.), so hatte er doch nun die Überzeugung gewonnen, welche auf alle Zeit maßgebend für ihn geblieben ist, daß man, um den wahren Stil der römischen Beredsamkeit auszubilden, die großen Muster des vollendeten attischen Stils studieren und nachbilden müsse. Daher war es vor allen Demosthenes, den er als sein Vorbild ansah. Alles dies wohlverstanden nach seiner eigenen Darstellung! So groß die innere Verwandtschaft zwischen ihm und Demosthenes war (die auch durch Caecilius von Kalakte anerkannt wurde, als er seine σύγκρισις Δημοσθένους καὶ Κικέρωνος schrieb; vgl. π. ψ. 12,4), so bin ich doch überzeugt, daß er ein eigentlicher Nachahmer des großen attischen Redners nie gewesen ist, sondern die Demosthenesnachahmung nur als einen Trumpf gegen die Jungattiker ausspielt. Das hellenistische Kunsturteil hatte festgestellt, daß die Größe des Demosthenes in der Beherrschung aller Stilarten liege (zu 35);

er hatte sich also nicht wie Lysias und die anderen Vorbilder der Neuattiker auf einen xaoaxτng beschränkt. Da er nun damals schon für den Hauptvertreter attischer Beredsamkeit galt und ihm mindestens Niemand die attische Herkunft streitig machen konnte, so durfte man seinen Nachahmer nicht als Asianer bezeichnen. Näheres darüber im Orator 1). Allein auch andere Attiker, besonders Isokrates und den von ihm hochbewunderten Plato, las er eifrig und strebte danach ihre Vorzüge zu vereinigen. Wenngleich das Urteil Quintilians (X, 1, 108) nam mihi videtur M. Tullius, cum se totum ad imitationem Graecorum contulisset, effinxisse vim Demosthenis, copiam Platonis, iucunditatem Isocratis uns übertrieben scheinen muß, so war doch die Richtung seines Strebens bei dem Verhältnis, in welchem die römische Literatur zur griechischen stand, die wahre und der Erfolg konnte bei Ciceros rednerischer Begabung nicht ausbleiben. Um bei dieser Nachbildung griechischer Muster sich seines Zusammenhangs mit der römischen Bildung und ihren nationalen Elementen bewußt zu bleiben, wandte er auch den römischen Rednern der früheren Zeit, die man damals ganz vernachlässigte, ein genaueres Studium zu. Dieses auch bei seinen Zeitgenossen zu erwecken, ist scheinbar eine Hauptaufgabe der vorliegenden Schrift, in der er dem Brutus verspricht ihm später auch ältere römische Redner zu erklären (300); so wie er nicht ohne Absicht wiederholt die Unerläßlichkeit und den Wert einer korrekten Sprache betont (210 ff. 258), welche in einer Zeit, wo sie nicht mehr als das natürliche Erbteil eines jeden Wohlerzogenen gelten konnte, nur durch wissenschaftliches Studium (252 ff.), nicht durch willkürliche Versuche (259 f.), erzielt werden konnte; er schärft eben deshalb auch den Unterschied in der Sprache der Römer und Provinzialen ein (170 ff.). In Wahrheit sind es aber doch ganz andere Beweggründe, die ihn zur Abfassung der Schrift getrieben haben.

Nachdem es ihm nämlich gelungen war, seinen Leistungen als Stilist die allgemeine Anerkennung zu verschaffen, machten sich in seinen späteren Jahren 2) in Rom Ansichten und Be

1) Wichtig ist ad Att. X la 2 (es handelt sich um eine Rede des Brutus, an der Cic. Leidenschaft vermißt und über die er Atticus' Urteil erbittet): quamquam vereor, ne cognomine tuo lapsus vлεоατTixos sis in iudicando; sed si recordabere Anuoodévovs fulmina, tum intelleges posse vel ἀττικώτατα gravissime (d. h. δεινότατα) dici.

2) In de oratore ist von den Attikern noch nicht die Rede; das beweist zwar nicht, daß es noch keine gab, aber wohl, daß sie Cic. noch nicht angegriffen hatten.

« PreviousContinue »