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er es, der ganz in Übereinstimmung mit der Haltung, welche er während seines ganzen Lebens beobachtete, die Rede vom politischen Gebiet fern zu halten ermahnt (11. 157).

M. Iunius Brutus (geb. 78: zu 324 E.), nach dem Cicero das Buch benannt hat 1) erscheint dagegen als der jüngere, wenn gleich durch gelehrte Studien ausgebildet, doch mit der Geschichte der Beredsamkeit wenig vertraut und begierig von Cicero sich belehren zu lassen (300), der daher seine Bemerkungen vorzugsweise an ihn richtet (z. B. 125. 332), welche Brutus mit Äußerungen des Dankes und der Verehrung erwidert (23. 52. 74. 123. 190. 232 f. 292. 329). In ihm ist ein Bild gegeben von dem Maß der Kenntnisse, welche auch tüchtiger gebildete Römer damaliger Zeit von den früheren Leistungen in der Beredsamkeit besaßen. Er bekennt wenig in derselben bewandert zu sein (133. 147), und die eigenen Bemerkungen oder Fragen über Gegenstände, welche das Gespräch berührt (163. 172. 91. 170. 204. 211. 219. 279 f.), oder Redner, welche er selbst kennt (118. 150. 161. 262. 266. 284), sind meistens weniger bedeutend, mit Ausnahme etwa der Äußerungen über Marcellus (248 ff.), und dienen hauptsächlich nur den Vortrag zu beleben und fortzuführen. Daß Cicero diese Schrift nach ihm benennt, daß er ihm gerade in diesen Jahren auffallend viele Schriften widmet, liegt natürlich nicht an einer plötzlich aufgeflackerten Herzensfreundschaft für diesen wenig achtbaren Vertreter der übelsten Traditionen der römischen Nobilität 2). Vielmehr er

hoffte Cicero wie auch andere von ihm, dem angeblichen Nachkommen des Vertreibers der Könige (zu 53), irgend eine Tat, die das alte Ansehen des Senates und damit auch sein eigenes wiederherstellte, und außerdem glaubte er, ihn von seinen falschen rhetorischen Ansichten bekehren zu können, um vielleicht dereinst in besseren Tagen neben ihm im Senat wieder

1) Durch Anführungen bei Cicero wie bei anderen alten Schriftstellern steht der Titel Brutus fest. Wenn Sueton (Caes. 56) sagt Cicero ad M. Brutum oratores enumerans, so ist das nicht ganz genau ausgedrückt, und gleich darauf (57) zitiert er selbst Cicero in eodem Bruto; bei Fronto (ad Verum p. 127 Naber) ist es ein offenbares Versehen, wenn er sagt: oratores, quos in oratore Cicero eloquentiae civitate gregatim donavit; vgl. § 244. Der Nebentitel de claris oratoribus scheint auf Flavius Blondus zurückzugehen (Detlefsen Verhandl. d. 27. Philologenvers. S. 98) und hat jedenfalls keinerlei Gewähr.

2) Vgl. O. E. Schmidt Verhandl. d. 40. Philologenvers. Lpz. 1890 S. 165-185. E. Schwartz Hermes XXXII 185 ff.

eine führende Rolle zu spielen. Die erste Hoffnung ist leider in Erfüllung gegangen; die zweite nicht, obwohl Cicero gleich darauf im Orator sein Urteil über den richtigen Stil eingehend begründete 1).

Die Schrift des Cicero ist uns nur durch eine Handschrift erhalten worden, welche im J. 1422 in Lodi gefunden wurde, aber schon nach wenigen Jahren verloren ging. Dieser 'codex pervetustus cuius litteras vetustiores paucissimi scirent legere' enthielt außer de inventione und den rhetorica ad Herennium die Bücher de oratore vollständig, so wie den orator und den Brutus. Der Finder Gherardo Landriano, Bischof von Lodi (1419-1437), schickte die Handschrift nach Mailand an Gasparino Barziza (gest. 1431, welcher die Bücher de oratore durch Cosmo von Cremona abschreiben und verbessern ließ, und die Abschrift statt der alten Handschrift Landriani übersandte (Barzizii opp. p. 215 f.). Vom Brutus nahm Blondus Flavius in Mailand eine Abschrift, welche rasch vervielfältigt wurde (Blondi Flav. Ital. illustr. p. 346 Bas.). Sie liegt heute noch im Ottob. 1592 B vor, der sich durch besondere Unzuverlässigkeit auszeichnet und ganz aus dem Apparat ausgeschaltet werden kann 2). Dieser muß vielmehr basiert werden auf F, dem Florent. Magliab. I 1,14, der Ende des J. 1422 oder Anfang 1423 aus L abgeschrieben worden ist; ferner auf O, dem Ottob. 2057, der noch 1422 geschrieben ist, aber vielleicht nicht direkt aus L stammt 3), und G Neapol. IV B 43, der ebenfalls nur indirekt auf L zurückzugehen scheint. Von einer Heranziehung weiterer Abschriften ist kaum irgend welche Förderung des Textes zu erhoffen.

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Über die Güte der Überlieferung von L können wir uns da ein Urteil bilden, wo eine andere Handschriftenklasse uns eine Kontrolle gestattet und auch die indirekte Überlieferung ausgiebiger ist, d. h. in de oratore und im Orator. Denn wie der Text von de inventione und der Rhetorik an Herennius in L aussah, scheint Niemanden bekümmert zu haben; sonst würden

1) Ad Att. XIV 20, 3. Auch Cornificius hoffte er wohl durch den Orator zu gewinnen, wie ep. XII 19, 2 zeigt.

2) Noch mehr gilt das natürlich von den aus ihm geflossenen Abschriften H und M. Übrigens bezweifelt Friedrich (Erkl. Ausg.3 35) die direkte Abkunft von B aus dem Archetypus; hier läßt sich ohne Autopsie kaum urteilen.

3) Stangl Blätter f. d. bayr. Gymn. XXI 38. Vgl. auch P. Reis Dissert. Argentorat. XII 173 ff. Das Hauptverdienst um die Aufhellung dieser Fragen hat Heerdegen (Praef. zur Ausg. des Orator). Brutus. 5. Aufl.

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wir auch hier L mit einer alten Überlieferung vergleichen können1). Es ergibt sich nun, daß L auf eine ziemlich getreue Copie des Textes zurückgeht, in der sich verhältnismäßig wenig Schreibfehler fanden; doch scheinen willkürliche Umstellungen einzelner Worte vorzukommen (die man im Brutus kaum entdecken kann, da die Kontrolle fehlt) und auch kleine Interpolationen (197. 222. 280). Wo feste Kriterien vorliegen, wie sie besonders die Beobachtung der Clausel 2) liefert, bewährt sich im allgemeinen die Überlieferung von L3). Für die Kritik ergibt sich daraus die Notwendigkeit, vorsichtig und konservativ zu verfahren, was leider in den bei uns verbreiteten Ausgaben bisher nicht geschehen ist; vielmehr herrscht hier noch das Verfahren, das ich im Bursian 124 S. 17 gekennzeichnet habe.

Die wichtigsten Ausgaben sind heute die folgenden: Die erklärenden von Piderit-Friedrich, Leipzig 1889 und von J. Martha, Paris 1892; die Textausgaben von Stangl, Leipzig 1886 und Friedrich, Leipzig 1891, von denen die erstere den Apparat unter dem Text hat, die letztere leider in der Praefatio; endlich die Oxforder Ausgabe der Rhetorica von Wilkins. Über die neuere Literatur orientieren die Berichte von Stroebel (Bursian 80. 84) und Ammon (Bursian 105. 117. 126).

1) Marx Praef. zum auct. ad Her. 32 f.

2) Auf die Bedeutung der Clausel namentlich für die Wortstellung habe ich im Kommentar öfters hingewiesen. Cicero wendet vier Clauseln an (J. Wolff Neue Jahrb. Suppl. 26. Zielinski Philol. Suppl. IX): den Ditrochaeus, der womöglich (aber nicht immer) durch einen Creticus (resp. Molossus oder Choriambus) eingeleitet wird; den Creticus+Trochaeus; den Doppelcreticus; den Trochaeus + Creticus. Alle diese Formen können durch Auflösung der Längen und Eintreten des Molossus statt des Creticus im vorletzten Fuße variiert werden. Von ihnen ist die letzte immer selten gewesen; von den drei anderen bevorzugt Cicero in der letzten Periode seiner Schriftstellerei die zweite und dritte. Diese Clauseln treten nicht bloß am Satz- und Periodenschluß ein, sondern auch innerhalb des Satzes an den Schlüssen der xala. (Einiges bei K. Ziegler praef. Firmici p. 14 ff.). Cicero hat die Anwendung dieser Clauseln in der Rhetorenschule praktisch gelernt, ohne sie theoretisch beschreiben zu können; dies zu tun hat er sich erst dann bemüht, als er über Rhetorik zu schreiben begann, und es ist ihm nicht ganz gelungen, zur Klarheit zu kommen. Jedoch führt eine richtige Interpretation der betr. Stellen ungefähr auf die oben angegebenen Formen. (Darüber werde ich im Kommentar zum Orator mehr sagen.)

3) Beweisend ist namentlich 320, wo das sinnlose magnum scelus zur Emendation herausforderte, sich aber doch gehalten hat.

M. TULLI CICERONIS

BRUTUS.

Cum e Cilicia decedens Rhodum venissem et eo mihi de Q. 1 Hortensi morte esset allatum, opinione omnium maiorem animo 1 cepi dolorem. nam et amico amisso cum consuetudine iucunda tum multorum officiorum coniunctione me privatum. videbam, et interitu talis auguris dignitatem nostri collegi deminutam dolebam; qua in cogitatione et cooptatum me ab eo in collegium recordabar, in quo iuratus iudicium dignitatis meae fecerat, et inauguratum ab eodem; ex quo augurum institutis in parentis eum loco colere debebam. augebat etiam molestiam, quod magna 2

1-9. Prooemium. Hortensius' Tod.

cum

1. Cicero war im J. 51 als Prokonsul nach Cilicien gegangen und kam auf der Rückreise nach Rom im Anfang August 50 nach Rhodos. Die Nachricht von dem nahen Ende des Hortensius (301) meldete ihm Caelius, epp. ad fam. VIII 13, 2: Q. Hortensius, has litteras scripsi, animam agebat. Vgl. ad Att. VI 6, 2: de Hortensio te certo scio dolere, equidem excrucior. сері. 147; vgl. 13A. officiorum (zu 220) wozu auch gemeinsame Verteidigungen gehörten, wie die des Murena, Sulla, Sestius u. a. 323 m. 190. cooptatum. 101. Cicero war im J. 53 an P. Crassus' (des Sohnes des Triumvirn) Stelle Augur geworden. Phil. II 4: me augurem a toto collegio expetitum Cn. Pompeius et Q. Hortensius nominaverunt, nec enim licebat a pluribus nominari. Die Ergänzung der Priesterkollegien geschah durch drei Akte. Durch zwei Mitglieder des Kollegiums

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wurden die aufzunehmenden Mitglieder, wahrscheinlich drei, vorgeschlagen (nominare); der Vorschlagende mußte durch einen Eid bekräftigen, daß er den Kandidaten für den würdigsten halte. Hierauf erfolgte die eigentliche cooptatio durch das Kollegium, es ist nicht bekannt unter welchen Formen. Sie sank zu einer Förmlichkeit herab, seitdem die freie Selbstergänzung durch die lex Domitia im J. 103 in der Weise beschränkt war, daß das Volk in den Comitien aus den vorgeschlagenen Kandidaten wählte. Endlich erfolgte die Weihe zum Priesteramt, inauguratio. Das Verhältnis der Augurn unter einander wurde als ein sehr nahes und inniges aufgefaßt; de orat. III 200: pro meo sodali, qui mihi in liberum loco more maiorum esse deberet; ep. III 10, 9. Darin liegt wohl eine Erinnerung an den ursprünlich gentilicischen Charakter der Priesterkollegien. Vgl. zu 166.

2. molestia

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sollicitudo 11;

sapientium civium bonorumque penuria vir egregius, coniunctissumusque mecum consiliorum omnium societate, alienissumo rei publicae tempore exstinctus et auctoritatis et prudentiae suae triste nobis desiderium reliquerat; dolebamque quod non, ut plerique putabant, adversarium aut obtrectatorem laudum mearum, sed socium potius et consortem gloriosi laboris amiseram. 3 etenim si in leviorum artium studio memoriae proditum est, poetas nobiles poetarum aequalium morte doluisse, quo tandem animo eius interitum ferre debui, cum quo certare erat gloriosius quam omnino adversarium non habere? cum praesertim non modo numquam sit aut illius a me cursus impeditus aut ab illo meus, sed contra semper alter ab altero adiutus et communi4 cando et monendo et favendo. sed quoniam perpetua quadam

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tate, de or. I 44 quorum artibus vestra dicendi vis ne minima quidem societate coniungitur. consilia geht auf die Politik; de consiliis suis nannte Cic. eine Schrift zur Rechtfertigung seiner Politik. 330 E. socium et consortem: in den höher stilisierten Prooemien stellt Cic. gern synonyme Ausdrücke zusammen; vgl. z. B. incommodo detrimentoque 4, spoliatum atque orbatum 6, memoria et recordatio 9. Feine Unterschiede in der Bedeutung herauszufinden unterläßt man' besser. gloriosi laboris bezieht sich, wie laudum zeigt, auf die Tätigkeit als Redner.

3. Ενθύμημα ἐκ τοῦ μᾶλλον xai τTov (Aristot. rhet. II 23, 4); tandem 'erst' drückt die Steigerung aus. leviores artes, wie leviora studia (Cato 50 vgl. de fin. II 107), mediocres artes, (de or. I 6), nach römischer Vorstellung Kunst (70), Poesie und Wissenschaft im Gegensatz zu ernsthafter d. h. praktischer Beschäftigung. poetas nobiles Cicero denkt wohl an Sophokles.

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Vita Eurip. 10: λέγουσι καὶ Σου φοκλέα ἀκούσαντα, ὅτι ἐτελεύ τησεν Εὐριπίδης, αὐτὸν μὲν ἱματίῳ φαιῷ προελθεῖν, τὸν δὲ χορὸν καὶ τοὺς ὑποκριτὰς ἀστεφανώτους εἰσαγαγεῖν ἐν τῷ προαγώνι. morte, weil es hier nicht auf den Ausdruck des Gefühles ankommt (mortem, s. 21 E.), sondern auf das Gefühl selbst (4 m.). cum auch bei Cic. nicht selten vor dem Relativum, zumeist im pl. cum praesertim 190. So ganz ungetrübt war das Verhältnis zwischen beiden nicht immer gewesen. Daß sie in manchen Verhandlungen einander gegenüber standen, wie im Verrinischen Prozeß oder bei der lex Manilia, trug dazu kaum etwas bei. Aber Cicero gibt ihm in den J. 58-56 Lauheit, ja Feindseligkeit Schuld (vgl. ad. Att. III 9, 2) und meinte, sein glänzend geführtes Konsulat habe Hortenslus eine Zeitlang verstimmt (323). favendo vom tätlichen Wirken für jemand.

4. Cicero führt hier einen beliebten Tóлоs der Consolations

literatur aus; vgl. de or. III 8 Senec. suas. 6, 6 cons. ad Marc. 20, 2 Tac. Agr. 44f. u. dazu Gudeman. quadam, 'ich möchte sagen' ist wenig von

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