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strebungen geltend, welche von den seinigen abwichen und ihnen sogar schroff entgegentraten. Hier ist zunächst der Einfluß der alexandrinischen Poesie und Grammatik bemerkbar, welche in Rom festen Fuß faßte, und die Ansprüche an eine feine, bis ins einzelnste der poetischen Technik sauber ausgearbeitete und geglättete Darstellung, verbunden mit einer ausgesuchten Gelehrsamkeit in griechischer Mythologie und Literatur als die wesentlichen Erfordernisse der Poesie zur Anerkennung brachte. Die Dichter der früheren Periode, die großen Epiker und Dramatiker, wurden bei Seite geschoben; nicht Homer, nicht die attischen Tragiker und Komiker, wurden als Muster für die Nachbildung angesehen, sondern die zierlichen kleinen Epyllien, Elegien und Epigramme der alexandrinischen Dichter. Die ältere römische Poesie mußte diesen Filigranarbeitern roh erscheinen und namentlich Ennius, in dessen Bewunderung Cicero groß geworden war, wurde mit der Etikette des κυκλικός ποιητής versehen und in Mißachtung gebracht 1). Nicht allein auf die dichterischen Versuche, über welche Cicero wiederholt mit Geringschätzung urteilt, erstreckte sich dieser Einfluß, sondern auch auf die Kritik, und es bildete sich immer mehr eine Klasse von kritisierenden Kennern aus, welche ihren Maßstab für literarische Leistungen aus den Schulen der Grammatiker mitbrachten. Dies sind jene docti, intellegentes (183), auf welche Cicero nicht immer freundliche Seitenblicke wirft und denen er das Urteil des Publikums entgegenstellt, welches beim Redner den Ausschlag gebe, Tusc. II 3: orationes nos multitudinis iudicio probari volebamus: popularis est enim illa facultas, et effectus eloquentiae est audientium approbatio 2). Und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die damals in der Praxis allgemein herrschende Beredsamkeit, deren Gipfelpunkt Cicero darstellte, durch starke Mittel den Beifall und die Anteilnahme der Hörerschaft zu erwerben suchte; wie denn Cicero die Wirkung auf die Leidenschaften und die Erregung des Mitleides geflissentlich als die eigentliche Domäne des großen Redners hinstellt (89. 142. 190. 198 m. zu 322), wie er die periodisierte und rhythmisierte Rede für die allein berechtigte erklärt 3). Wenn die Neuattiker aus theoretischen Gründen auf die Verwendung dieser Mittel verzichteten, so

Über diese literarischen Vorgänge klären uns am besten die Gedichte Catulls auf; vgl. Skutsch Euphorion' bei Pauly-Wissowa. 2) Eloquentiam, quae admirationem non habet, nullam iudico schreibt Cic. an Brutus (Quint. VIII 3, 6).

3) Natürlich verlangte er auch eine lebhafte actio (110 E.).

konnte das dem Cicero nur als eine große Verkehrtheit erscheinen und war auch in Wahrheit nichts Anderes. Die Auseinandersetzung über das Verhältnis des Redners zum Kenner und zum Publikum (183-193) gewinnt daher eine eigentümliche Bedeutung, wenn man sich daran erinnert, daß diejenigen, welche dazumal als Kenner und Kritiker auftraten, größtenteils einer dem Cicero entgegentretenden Richtung angehörten. Unumwunden ist dies gesagt de opt. gen. orat. 11.

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Wir sehen hieraus auch, in welcher Weise die neue Richtung sich auf dem Gebiet der Beredsamkeit geltend machte. Allerdings stellte man auch hier die attischen Redner als Muster auf, aber nur die älteren, vor allen Dingen Lysias, der als das Muster des feinen Stils galt; man zog sogar dem Demosthenes den Hyperides vor, und da das Feine, Knappe und Strenge allein als die wahren Eigenschaften des guten Geschmacks galten, so fand der Stil des Thucydides (287. orat. 30) auch unter den Rednern jener Zeit begeisterte Verehrer, wie sie Dionys von Halicarnass charakterisiert (de Thuc. 34): 8ool μèv ovv extεJavμάκασιν αὐτὸν ὑπὲρ τὸ μέτριον, ὡς μηδὲν τῶν θεοφορή των διαφέρειν, διὰ τὸ πλῆθος ἐοίκασι τῶν ἐνθυμημάτων τοῦτ ̓ ἐσχηκέναι τὸ πάθος· οὓς ἐὰν διδάσκῃ τις ἐφ' ἑκάστῳ πράγματι παρατιθεὶς τὸν λόγον — δυσχεραίνουσιν, ὅμοιόν τι πάσχοντες τοῖς κεκρατημένοις ὑφ' οίας δή τινος ὄψεως ἔρωτι μὴ πολὺ ἀπέχοντι μανίας. Es war begreiflich, daß bei dieser einseitigen Vorliebe vielfach Dürftigkeit und Magerkeit an die Stelle jener knappen Feinheit trat, die man eigentlich sich vorgesetzt hatte; und Cicero erkannte in der ganzen Richtung nur den Mangel an Fähigkeit ein höheres Ziel zu erreichen, Tusc. II 3: repperiebantur nonnulli, qui nihil laudarent nisi quod se imitari posse confiderent, quemque sperandi sibi, eundem bene dicendi finem proponerent, et cum obruerentur copia sententiarum atque verborum, ieiunitatem et famem se malle quam ubertatem et copiam dicerent; unde erat exortum genus Atticorum eis ipsis, qui id sequi se profitebantur, ignotum; qui iam conticuerunt paene ab ipso foro irrisi. Dagegen mußten sich die, welche einer solchen Richtung angehörten, notwendig auch gegen Cicero wenden, da er ihrer Ansicht nach nicht weit genug in der Bekämpfung des asianischen Stils gegangen war und also als der Vertreter einer falschen Richtung um so mehr bekämpft werden mußte, je größer das Ansehen war, welches er genoß. Die wesentlichen Punkte des Tadels, welche man gegen Cicero aussprach, gibt Quintilian (XII, 10, 12) an: M. Tullium

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orum homines temporum incessere audebant ut tumidiorem et Asianum et redundantem et in repetitionibus nimium et in salibus aliquando frigidum et in compositione fra ctum, exultantem ac paene, quod procul absit, viro molliorem. praecipue vero presserunt eum qui videri Atticorum imitatores concupierant. haec manus, quasi quibusdam sacris initiata, ut alienigenam et parum studiosum devinctumque illis legibus insequebatur, unde nunc quoque aridi et exsucci et exsangues. hi sunt enim, qui suae imbecillitati sanitatis appellationem, quae est maxime contraria, obtendant; qui, quia clariorem vim eloquentiae velut solem ferre non possunt, umbra magni nominis delitescunt.

Ein Hauptvertreter dieser neuen Richtung war C. Licinius Calvus (geb. 82), und die auch sonst hervortretende Polemik gegen diesen angeblich feinen Atticismus (67 f. or. 23) knüpft sich daher ganz natürlich an die Charakteristik desselben als Redner (283 ff.). Wir erfahren aber auch, daß Calvus neben Brutus zu den scharfen Tadlern Ciceros gehörte, wie Tacitus (dial. 18) berichtet: satis constat ne Ciceroni quidem obtrectatores defuisse, quibus inflatus et tumens nec satis pressus, sed supra modum exultans et superfluens et parum Atticus videretur. legistis utique et Calvi et Bruti ad Ciceronem missas epistulas, ex quibus facile est deprehendere, Calvum quidem Ciceroni visum exsanguem et attritum, Brutum autem otiosum atque diiunctum; rursusque Ciceronem a Calvo quidem male audisse tamquam solutum et enervem, a Bruto autem, ut ipsius verbis utar tamquam fractum atque el umbem. Quintil. XII, 1, 22: transeo illos, qui Ciceroni ac Demostheni ne in eloquentia quidem satis tribuunt: quamquam neque ipsi Ciceroni Demosthenes videatur satis esse perfectus, quem dormitare interdum dicit, nec Cicero Bruto Calvoque, qui certe compositionem illius etiam apud ipsum reprendunt. Es ist vielleicht kein Zufall, daß der Brutus und der Orator in dem auf Calvus' Tode folgenden Jahre erschienen; Cicero mochte den Zeitpunkt für geeignet halten, den anderen Hauptvertreter des römischen Atticismus, Brutus, auf den er auch große politische Hoffnungen setzte, zu sich herüber zu ziehen.

Daß Brutus auf der dem Cicero entgegengesetzten Seite stand, war diesem wohl bekannt 1). Er hebt im orator dessen widerstreitende Ansicht über Isokrates hervor (13, 40), qui praeter ceteros eiusdem generis laudatur semper a nobis, non

1) Vgl. die Einleitung zum orator, bes. S. 25 f.

numquam, Brute, leniter et erudite repugnante te, und deutet zum Schluß vernehmlich an (71, 237), daß er auf seine Zustimmung nicht zu rechnen wage. Es ist daher von eigentümlicher Bedeutung, wenn er in den beiden Schriften, welche durch die historische Darstellung der Entwickelung der Beredsamkeit bei den Römern (Brutus) und die theoretische Darstellung des wahren Redners, wie er ihn sich dachte (orator), seinen Standpunkt zu begründen und für seine Leistungen den Maßstab zu geben bestimmt waren, sich an Brutus wendet. Er schätzte ihn persönlich hoch, er wünschte in ihm den Mann zu finden, der auf seiner Bahn fortschritte, während er ihn auf der anderen Seite stehen sah, und so legte er ihm vor allem dasjenige dar, was er für sich und seine Ansicht und gegen die anders Denkenden zu sagen hatte. Wenn man diese eigentümlichen Verhältnisse im Auge behält, so treten namentlich die polemischen wie die prinzipiellen Auseinandersetzungen und Andeutungen, die zum großen Teil ausdrücklich an Brutus gerichtet sind, erst in das rechte Licht. Tacitus meint, bei den Urteilen des Calvus, Asinius und Cicero über die gegenseitige Beredsamkeit spiele livor und malignitas mit, nur Brutus habe unbeeinflußt durch solche Regungen seine Meinung ausgesprochen (dial. 25). Dabei kann politische Vorliebe für den Tyrannenmörder mitspielen; aber Brutus wird sich wirklich wegen der freundschaftlichen Beziehungen zu Cicero vorsichtiger und verbindlicher ausgedrückt haben.

Die Darstellung in unserer Schrift ist nicht gleich, und man kann sie nicht gerade zu den stilistisch vorzüglichsten des Cicero rechnen. Der Grund liegt hauptsächlich in der Masse des Stoffs, die eine wohl gegliederte, lebendig und mannigfaltig ausgeführte Darstellung sehr erschwerte; diese ist häufig abgerissen und hart und in den Wendungen einförmig (S. 6). Nur wo Gelegenheit zu weiterer Ausführung sich bietet, bei den eingeschalteten Betrachtungen, in der Erzählung nach Rutilius Mitteilung (85 ff.), bei der Schilderung der wirklichen bedeutenden Redner, wie Antonius, Crassus, Hortensius, Caesar u. a., zeigt sich die reiche und glänzende Darstellung des Cicero im gewohnten Licht und dann gewinnt man auch eine klare Anschauung der Personen und ihrer individuellen Bedeutung.

Die Form des Dialogs ist mit mehr Geschick benutzt als sonst meistens. Es liegt in der Natur der Sache, daß auch hier die Weise des Dialogs angewandt ist, welche als die Aristotelische im Gegensatz zur Platonischen bezeichnet wird, so daß

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der Hauptvortrag einem Redner zufällt (quae his temporibus scripsi AquoToTélεiov morem habent, in quo sermo ita inducitur ceterorum, ut penes ipsum sit principatus, ad Att. XIII, 19, 4; zu 10); aber die mitredenden Personen sind sehr passend angebracht, um manches hervortreten zu lassen, das den behandelten Gegenstand von einer anderen Seite her in das rechte Licht setzt. Cicero trägt, wie schon bemerkt, die Geschichte der Beredsamkeit von einem einseitigen Standpunkt vor, der ihm die möglichste Vollständigkeit in der Aufzählung der Redner und die günstigste Beurteilung derselben gestattet. Das Gegengewicht gegen diese Einseitigkeit bildet nachher Atticus, der ganz unbefangen das Urteil ausspricht, das ein wissenschaftlich gebildeter Mann, der ohne ein bestimmtes Interesse die Geschichte der römischen Beredsamkeit verfolgte, über die früheren Leistungen sich bilden mochte. Über die lebenden Redner zu sprechen, lag aus begreiflichen Gründen außerhalb der Grenzen dieser Aufgabe, doch weiß Cicero es so zu wenden, daß nicht nur Cato (118) beiläufig erwähnt wird, sondern auf eine ungezwungene Weise einige der bedeutendsten Erscheinungen, Servius Sulpicius (150 ff.), Marcellus (248 ff.) und sehr bezeichnend für Ciceros politische Vorsicht Caesar (252 ff.) größtenteils durch Brutus und Atticus näher charakterisiert werden. Von seinen eigenen Leistungen zu sprechen lehnt Cicero natürlich ab, doch spricht er auf Brutus Wunsch von seinen Studien und Bildungsmitteln (304 ff.). Auch versteht er es sehr gut, durch einzelne hingeworfene Andeutungen auf die Stellung hinzuweisen, welche er selbst unter den römischen Rednern einnehme (123. 150. 190). Vgl. oben S. 00.

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Hierfür sind die Teilnehmer am Gespräch Brutus und Atticus in sehr geeigneter Weise verwendet worden, beide übrigens charakteristisch von einander unterschieden. T. Pomponius Atticus (geb. 109) als der ältere Mann, durch gelehrte Bildung und Erfahrung ausgezeichnet und langjähriger Freund Ciceros, tritt mit einer gewissen Selbständigkeit auf, die mitunter nicht ohne einen Anflug von Heiterkeit ist, wie sie aus vertrautem Umgang hervorzugehen pflegt. Nicht nur in historischen Dingen berichtigt er einen Irrtum Ciceros (42 ff.) und modifiziert in längerer Rede das von ihm gegebene Urteil (292 ff.), so wie er die Charakteristik des Caesar entwirft (251 ff.); in einzelnen Bemerkungen berührt er mit einigem Spott Ciceros übergroße Vollständigkeit (S. 5), und wo er eine Frage aufwirft, zeugt diese von genauer Kunde (99) und tiefer Erfahrung (183). Auch ist

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