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Das System Broca kann nämlich in seiner jetzigen Gestaltung nicht auf die Messung von Köpfen angewendet werden.

Die Messung der Köpfe aber kann vor Allem für die kraniometrischen Studien klinischer Fragen und für die Kraniometrie der Racenlehre noch nicht umgangen werden.

III.

Aus diesen Gründen müssen wir heute noch auf das in Deutschland übliche System zurückkommen.

Die sagittal-vertikale Projectionsebene dieses Systems ist wieder die mediale.

Die horizontale Projectionsebene ist mit einigen Variationen die Jochbogenebene 1). Als quere verticale Ebene dieses Systems gilt die auf beiden früher genannten senkrechten Ebenen mitten durch beide Gehörgänge 2).

Da es unzweifelhaft ist, dass der Fusspunkt der Coordinaten in der Medianlinie liegen muss, so hat dieses System den theoretischen Nachtheil, dass seine sagittal-horizontale Coordinate in Bezug auf seine Lage in der Medianebene nicht bestimmt ist.

Diesem Nachtheil des Systems lässt sich aber durch meinen früher beschriebenen Coordinatenapparat abhelfen (S. Kraniometrische Mittheilungen, Band VIII der „Mittheil. der anthropol. Ges. in Wien", Nov. 3-4).

Dieser Apparat muss aber noch einem andern Nachtheile dieses Systems abhelfen, den Broca mit Recht hervorhebt. Wir haben nämlich eine horizontale Linie und keine horizontale Ebene. Letztere muss erst dadurch hergestellt werden, dass die Einstellung beiderseits gemacht werde, was eine schwerfällige Operation ist. Der Apparat gibt nun an, in

1) Die Baer'sche Horizontale ist für die Messung von Köpfen nicht recht passend. Deshalb habe ich für Köpfe die Horizontale vom obern hintern Winkel des äusseren Gehörganges zur Mitte der Sutura pontis zygomatici gezogen und an Schädeln vom letzteren Punkte zur kleinen Grube, die über der Spina meatus auditorii extern. liegt.

2) Ich will letztere Ebene kurzweg die Camper'sche nennen.

welcher Höhe der medianen Nasenlinie die Jochbogenebene durchschneidet.

Man kann diese Zahl für jeden gegebenen Schädel, den man misst, bestimmen, oder eine Mittelzahl für bestimmte Racen für jedes Geschlecht und Alter suchen.

Das Rechnen mit einer solchen Constanten hat sogar den Vorzug vor der directen Einstellung eines jeden Schädels in die Jochbogenebene, weil sie uns vor den vielen Variationen der Lage dieser Ebene selbst befreit, und weil sie im Vereine mit der directen Messung für atypische Schädel geradezu ein wichtiges Element liefert, um die abnormen Drehungen dieser Ebenen kenntlich zu machen 1).

Für europäische Schädel scheint es nach meinen bisherigen Beobachtungen Regel zu sein, dass die Jochbogenebene die zwei oberen Drittel der Nasenhöhe vom unteren trennt 2).

Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass die Verbindungslinie zwischen beiden Ohren, die durch den genannten Fusspunkt der Coordinationsaxen durchgeht, die Quercoordinate dieses Systems und die auf die beiden genannten Coordinationsaxen dieses Systems senkrecht stehende Linie die verticale Coordinate darstellt.

Ich will hier noch einmal betonen, dass bei dem Systeme, dem die Jochbogenebene zu Grunde liegt, die Messungen aller Punkte, deren „Höhe“, „Länge" und „Breite" bestimmt werden soll, durch Triangulirung von beiden Ohren aus bestimmt wird 3).

1) Dadurch, dass man solche Mittelzahlen hat, ist man im Stande, die Messungen der Linien am lebenden Kopfe in derselben Weise zu projiciren, wie bei directer Messung des Schädels (S. Fig. 2 loco citato).

2) Da ich während der Construction meines Apparates, der in Paris ausgestellt war, noch zwischen mehreren Principien geschwankt hatte, litt derselbe sehr darunter und seine Ausführung konnte nur den Charakter eines Modelles annehmen. Ich lasse jetzt den Apparat neu ausführen. Er wird bedeutend einfacher und gestattet 1. die Horizontal-Einstellung eines jeden Schädels in jede beliebige anatomische Ebene und 2. die sofortige Projection eines jeden Maasses auf die Coordinaten des Systems, auf das der Schädel gerade eingestellt ist, also auch durch Einstellung nacheinander nach mehreren Systemen die Projectionsmaasse dieser verschiedenen Systeme.

3) Anthropologen, die nicht mit dem Gebrauche mathematischer Formeln vertraut sind, können mit Hülfe eines Maass

So unvergleichlich schwerfälliger dieses deutsche System gegenüber dem französischen ist, so können wir es doch nicht umgehen, wo es sich um Messungen von Köpfen handelt und die Vergleichung der Zahlen beider Systeme wird einen wichtigen Beitrag zum Gesetze des Verhältnisses beider Ebenen bei den verschiedenen Schädeltypen liefern.

IV.

Wenn schon, nach dem bisher Gesagten, klar ist, dass es kaum an der Zeit sein dürfte, das eine oder das andere System als „Normalsystem" für alle kraniometrischen Studien hinzustellen, so gibt es noch einen anderen, wichtigen Grund dafür, im Momente von einer Unificirung der Projectionsebenen und Coordinaten abzustehen.

Alle anatomischen Projectionsebenen und Coordinaten sind nämlich selbst variable Grössen1).

Besonders an pathologischen Schädeln kann man die Erfahrung machen, dass die mathematische Bestimmung einer bestimmten Atypie daran scheitert, dass die Projectionsebene oder Coordinatenaxe, auf die man reduciren will, eine compensirende und entgegengesetzte Lageänderung erfährt, wie der Punkt und die Ebene, deren Lageveränderung man studieren will. So kann es geschehen, dass durch dieselbe Ursache, welche Oxykephalie bedingt z. B. die Jochbogenebene nach unten gedreht wird. Dann ergeben die Linien, die man von den verschiedenen Punkten der geneigten Scheitelebene auf die Jochbogenebene projicirt, gleiche Grössen, analog wie im normalen Zustande, während die kranioskopische Betrachtung eine bedeutende Höhendifferenz dieser Punkte von der horizontalen Blickrichtung gibt.

stabes, eines Kniezirkels und eines Transporteurs die betreffenden Grössen finden.

Uebrigens wird die Verbesserung des Instrumentariums die directe Ablesung einer jeden proponirten Höhe, Länge und Breite leicht gestatten. Es braucht hiezu keiner neuen Entdeckung, sondern bloss der Adaptirung bekannter mechanischer Principien.

1) Ich habe schon früher hervorgehoben, dass die Broca'sche Ebene eine grosse Constanz bei den bisherigen Versuchen gezeigt.

Aber gerade für pathologische Schädel müssten diese Versuche erst in grösserem Maassstabe gemacht werden.

Es ist also unthunlich, die mannigfachen Variationen in der Architektur des Schädels unter jeder Bedingung von allgemein bestimmten Ebenen und Axen aus zu studiren, so lange nicht direct erwiesen ist, dass für alle Atypien eine bestimmte Horizontale die richtige Projectionsebene sei. Machen wir uns nur klar, was wir vor Allem mit einer bestimmten Orientirung des Schädels bei Messungen bezwecken. Wir wollen vor Allem bestimmte kranioskopische Verhältnisse durch Zahlen anschaulich machen und diess ist besonders wichtig für niedere Grade und zweifelhafte Fälle dieser Verhältnisse.

Ein Mathematiker von Fach wird sich ein beliebiges Projectionssystem wählen und wird aus den gewonnenen Zahlen der Messung sich ein exactes Bild schaffen können.

Dieses Bild wird aber in der Regel nicht anschaulich sein; es wird nicht für Jedermann erkenntlich sein.

Unsere heutige Aufgabe ist es, die Variationen, die wir an Racen-Schädeln und an atypischen Schädeln sehen, quantitativ zu fixiren und wir wissen heute schon, dass jede Abweichung von einem bestimmten Typus eine Summe anderer Abweichungen involvirt. Diesen Abweichungen sind auch theilweise unsere fixen Punkte und Ebenen unterworfen.

Diese Variationen müssen früher studiert werden, bevor wir ein bestimmtes System variabler Grössen zu fixiren vermögen.

Wir werden dann bestimmte Mittellagen für die Projectionsebenen und Axen bekommen, die vielleicht an keinem Schädel vorhanden sind, aber in die Zeichnung eines jeden Schädels eingefügt, eine genaue Messung vom allgemeinen Gesichtspunkte aus gestatten.

Wir müssen daher für jedes bestimmte Verhältniss die charakteristische Orientirung suchen, bei der z. B. die Prognathie oder die rückfliegende Stirne jedesmal in unseren Zahlen erscheint. Wir werden dann untersuchen, warum bei anderer Orientirung die Zahlen diese Verhältnisse nicht wieder geben und wir werden auf diese Weise zu einer grossen Summe von Partialgesetzen gelangen, welche die Abhängigkeit des Aufbaues der verschiedenen Schädeltheile von einander geben. Haben wir diese gefunden, dann ist eine bestimmte Orien

tirung überhaupt keine wichtige Frage mehr, wie jeder Mathematiker bestätigen wird. Dass für keine der jetzigen Orientirungen erwiesen sei, dass sie für die Erforschung aller, besonders abnormer Verhältnisse hinreichend sei, muss Jedermann zugeben.

Wird doch der Gesichtswinkel mit dem Broca'schen Goniometer nach dem Coordinatensystem bestimmt, dessen Horizontalebene jene Langer's, und deren Querebene die Camper'sche ist. Offenbar haben die Messungen innerhalb des Broca'schen Systems der Projectionsebenen kein befriedigendes Resultat gegeben. Das heisst mit andern Worten, um den Gesichtswinkel am besten zu bestimmen, muss man nach Langer orientiren!

Ich glaube diese wenigen Auseinandersetzungen werden schon genügen, um zu zeigen, dass die Wahl bestimmter anatomischer Ebenen als Projectionsebenen heute von Uebel sei. Würden wir uns nämlich heute über eine bestimmte Orientirung des Schädels, i. e. über ein bestimmtes Projectionssystem einigen, so müssten wir diese Einigung morgen wieder aufgeben, weil die beste Orientirung mit jedem Untersuchungsthema

eine andere wird.

V.

Dafür aber muss ein Princip in die Kraniometrie aufgenommen werden, nämlich das Princip der Reduction, das ermöglicht, bestimmte Längen-, Breiten- und Höhenmaasse des einen Systems in jene des anderen zu übertragen.

Ich habe in der früher citirten Abhandlung gezeigt, wie man die ursprünglich Virchow'schen Längen- und Höhenmaasse in jene entsprechenden Maasse umsetzt, die man bei den Messungen vom Ohre aus erhält. Durch gleichzeitige Triangulirung eines jeden zu bestimmenden Punktes vom Ohre und den beiden untersten Punkten des Processus condyloidei kann man Reductions-Constanten finden, welche die Maasse des französischen Systems in jene des deutschen oder umgekehrt übersetzt. Gerade wieder die Abweichung dieser Constanten bei verschiedenen Geschlechtern, Altern, Racen und pathologischen Zuständen ergibt eine reiche Quelle der Erkenntniss für die Variationen der Projectionsebenen und Coor

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