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scheinung und Wesen, die Jungfrauen und Frauen. Der Glanz höchster Schönheit und Reinheit ruht auf ihnen. Mit ihren mächtigen, schneeweißen Gliedern, den großen blauen Augen und dunkelfarbigen Locken schreiten sie in edler Hoheit und Anmut unter den Helden, die sich an ihnen freuen und alles um sie wagen. Neben der gefühlszarten Jungfrau, die mit verstohlenen Seufzern in schamhafter Neigung auf den Erkorenen ihrer Seele blickt, steht das dämonische Racheweib, die Furie, welche ihrer gekränkten Ehre alles opfert. Dann werden sie den Helden zum Fluch, wenn sie Brudermord stiften oder den Werbenden mit herzloser Kälte quälen.

4. Über der Welt der greifbaren Dinge und Menschen baut der romantische Dichter das ebenso wirkliche Nebelreich der Geister auf. Hier setzt sich das Treiben dieser Erde mit allen Beschäftigungen und Einrichtungen wie ein schattenhaftes Nachbild fort. Die ossianischen Geister sind menschenähnliche, materielle Gebilde aus Wolkendunst und Nebelrauch; die Lichter des Himmels scheinen durch ihre ätherischen Leiber. In Berghöhlen wohnen sie und reiten auf tiefhängenden, fliegenden Wolkenfetzen (two dark clouds are the chariots of ghosts II, 47), getragen vom Wirbelwind. Sie sind Schicksalsbereiter und Schicksalskünder zugleich: in ihren geheimnisvollen Regionen brauen sie die künftigen Geschicke und begleiten die Schutzerkorenen aller Wegen. Wie dunkelrote Feuerschweife schweben sie um die Stätten ihrer ehemaligen Ruhmestaten und 'reden in menschlichen Worten mit den Lebenden, und ihre Stimmen bringen Frieden in die unruhvollen Seelen der noch ringenden Nachkommen; in Augenblicken höchster Anspannung sind die Geister der Ahnen den Enkeln nah mit ihrem prophetischen Rat. Wenn aber ein Geist, erzürnt durch Vernachlässigung, seine Hand beschwörend über ein Tal reckt, so sterben die Leute darin (the arm of a ghost, when he stretches it from a cloud: the rest of his thin form is unseen: but the people die in the vale II, 102. air's dark children come to

frighten helpless men II, 47). Der schrecklichste Fürst im Geisterreich ist der Tod selbst, der von fern dem Kampfe zuschaut und oft zwischen den Schlachtreihen hindurch auf das Feld schreitet (Death was distant far, and delayed to come I, 135. Death walked between them to the field I, 136). M. selbst denkt rationalistisch über seine Geister: er kann sogar eine euhemeristische Anmerkung, die nach dem Zeitalter der Aufklärung schmeckt, nicht unterdrücken II, 79.

In den alten keltischen Dichtungen der Iren und Schotten (Lismore S. 77: Krieger mit Katzen- und Hundsköpfen usw.) und auch in den in neuerer Zeit noch gesungenen (W. Shaw, Enquiry into the Authenticity of the Poems ascribed to Ossian 1781: 17822 S. 32: There was much of inchantment, fairies, goblins, incantation rhimes, and the second sight) herrschte durchaus jenes „Celtic Twilight" (wie W. B. Yeats sein folkloristisches irisches Skizzenbuch nennt), das in feinen orientalischen Fabelreizen und bizarren Märchenfarben schillert. Dieses eigne Aroma hat sich bei dem Umschmelzen durch M. verflüchtigt, und so nimmt sich denn seine massige, einfarbige Geistermaschinerie ärmlich aus gegen die spielende Üppigkeit der bunten keltischen Volksphantasie.

Homers mythischer Apparat ist hellenisch heller und weniger spukhaft umwittert, der der Volksballade anspruchsloser, weniger aufgeputzt und vermummt. Die Erscheinungen im klassizistischen Epos treten mit plastischer Klarheit auf (vgl. Hamb. Dramaturgie Stück 11 und 12): Windsor Forest, 3: Be present, sylvan maids! 6: Granville commands; your aid, O Muses bring! 33: Not proud Olympus yields a nobler sight, Tho' gods assembled grace his tow' ring height. Than what more humble mountains offer here, Where, in their blessings, all those gods appear. See Pan with flocks, with fruits Pomona crowned, Here blushing Flora paints the enamelled ground, Here Ceres' gifts in waving prospect stand And nodding tempt the joyful reaper's

hand. 329: In that blest moment, from his oozy bed Old father Thames advanced his rev'rend head; His tresses dropped with dews, and o'er the stream His shining horns diffused a golden gleam.

Wahl der Begebenheiten.

Die Art der Geschehnisse entspricht vollkommen den handelnden Personen und ihrer Wesenheit: sie sind ebenso heroisch und außergewöhnlich. Zwei Reihen von Begebenheiten durchziehen das Ganze:

1. Männerkampf und Heldenleben,

2. Liebesleid und -lust und Frauenklage.

Aus dem Zusammenprall beider Sphären erwachsen die tragischen Konflikte. Der Kampf ist Anfang und Ende der Erlebnisse des ossianischen Helden. Alle seine Arten und Stadien werden vergegenwärtigt: das Spähen nach dem anrückenden Feinde, Aufforderung zur Schlacht durch den Barden oder durch Schlag an den Schild (wessen Schild am stärksten dröhnt, wird zum Herzog gemacht III, 195), Zusammenströmen der gerüsteten Krieger springend und eilend von den Bergen herab, Begrüßung und Gebet zu den Schutzgeistern, Unterredung der Häuptlinge und Krieger, gegenseitige Befeuerung dann Zusammenstoß der Schlachthaufen, Rasen der Kriegswagen, Schwirren der Bogensehnen, Klirren und Blitzen der stählernen Speere, Waten der Rosse im Blute, Zweikämpfe und Massenmetzeleien, Fall und Tod auf dem Felde des Ruhms die Nachspiele: Trauerbotschaft mit den blutigen Waffen an die Familie, Schwur der Blutrache, Trauerklage der Geliebten über dem Heldengrabe und Verherrlichung des aufschwebenden Geistes im Bardenlied. Doch auch lichtere Bilder entrollen sich auf diesem herben heroischen Hintergrunde: die Könige tafeln und zechen drei Tage und drei Nächte lang in den hohen, widerhallenden Sälen ihrer Burgen, die goldne Schale der Freude kreist in der Runde, und der Barde singt zur leisen Musik der Harfensaiten mächtige Hymnen von den Taten und Leiden der

Vater, daß den Hörern das Herz überwallt von Stolz und Ergriffenheit. Seltsame und liebliche Geschichten von Liebe und Tod junger Helden und Frauen erzählen sich auch die Krieger am Wachtfeuer, singt auch die Maid auf der Heide und in der einsamen Halle. In der Jagd auf Eber und Rotwild übt der ossianische Recke die Kräfte für den männermordenden Streit. (Lismore S. 5 ff. Große Jagd Finns. S. 30 ff. Eberjagd (Adonismotiv). S. 88 ff. Vogeljagd.) Neben diesen beiden Hauptbetätigungen betreibt er mit Geschick und Leidenschaft die Meerschiffahrt: auf den Fahrzeugen mit den weißen gebauschten Segeln und hohen Masten fliegt er über den Schaum der rollenden Wogen zur Fehde und auch zu keckem Mädchenraub; denn die Liebe macht diesen Herzen viel zu schaffen. Aus großer freudiger Liebe zum Schönen am Weibe entspringt eine verinnerlichte, oft alles Sinnlichen beraubte Leidenschaft zu der Maid, deren Blick den jungen Krieger unüberwindlich macht. Sie selbst summt still ein Lied von dem Geliebten vor sich hin, wenn sie im Hause oder auf dem Waldhügel von dem Fernen in der Schlacht träumt; sie schreit über seinem toten Leib ihren Schmerz in die Nacht hinaus.

Ebenso wie neben den vornehmen Persönlichkeiten die untergeordneten gar nicht in die Erscheinung treten, fehlen neben diesen heroisch-romantischen Begebenheiten die der nüchternen, leidenschaftslosen Alltäglichkeit gänzlich. Homer scheut sich nicht, seine Personen arbeiten zu lassen; die Klassizisten, die ängstlicher und enger sind als ihr Vorbild, meiden die in ihren Augen unheroische Arbeit und bürgerliche Tätigkeit, während die Ballade ihre Kreise viel weiter zieht und Familienszenen, Haus-, Küchen- und Stallarbeiten u. a. sehen läßt. Das hängt zum Teil mit ihrer andersgearteten Stimmung zusammen, die auch humoristische Lichter erlaubt. Bei Ossian dagegen ist von Essen, Trinken (wenn nicht kollektivisch und heroisch als Festmahl) und Schlafen, von den Verrichtungen im Haushalt und in der Wirtschaft so gut wie nicht die Rede. Darin prägt sich auch recht

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der Gegensatz dieser Art des episch-lyrischen Heldengesanges zu den Erzeugnissen des gleichzeitigen und späteren Realismus aus, in denen, wie z. B. bei Swift und Falconer „The Shipwreck" 1762, eine Andacht zum Unbedeutenden herrscht gegenüber dieser ausschließlichen Beachtung der ungewöhnlichen und gesteigerten Lebensbetätigung.

Als Lieblingsworte M.'s, in denen der Kreis der Geschehnisse zum Teil beschlossen liegt, fallen auf: a) Verben: to rush; to roar, to roll, to murmur; b) Subst.: (Inventar) hero, king, chief, son maid; war, battle; chace; song, hall, shell; shield, spear, dagger, mail,

Wahl der Umgebung.

Die Züge, welche an den Menschen und Begebenheiten zu beobachten sind, finden sich in der Natur und dem. Milieu vorgezeichnet. Erhaben ist die ossianische Landschaft mit ihren großen ungebrochenen Linien in Himmel, Wasser und Erde. Caledonia (Schottland), Erin (Irland), Lochlin (Skandinavien) samt ihren Archipelen sind die Schauplätze. Jedes hat sein Lokalkolorit trotz der gleichbleibenden Attribute der spezifischen Hochgebirgslandschaft, deren Grundzüge gegeben sind durch die Lieblingsworte heath, hill, vale, cave, rock. Das Meer und seine Erscheinungen stehen zurück; wir haben es vorzugsweise mit Landepen zu tun. Nur Ströme und vereinzelt auch die Seen spielen eine bedeutendere Rolle. Der Bergstrom mit seiner Poesie wird, lieblich fließend und ungestüm stürzend, in die Naturdichtung eingeführt, nachdem schon Lismore S. 57 u. a. der cataract oder rapid seine Stelle gefunden hatte. Dazu wird ein Apparat von elementaren Dekorationsstücken aufgeboten, welche der ossianischen Vorliebe für das Schauerliche, Wildbewegte entspringen, vor allem Nebel und Wolken und Winde in allen Stärkegraden (blast, gale, storm, tempest). Von den Gestirnen scheint der Mond, der hier der trübe Gedankenfreund ist, am meisten; Meteore erhellen geisterhaft die Nacht. Sie ist die bevorzugte Zeit. Oft liegt auch der Abend grau auf

RSITY

NIA

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