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übereinstimmende Auslegung scheint an und für sich recht ansprechend zu sein, und doch ist sie m. E. ausgeschlossen; denn Turnus musste sofort auf der Stelle, wo er sich gerade befindet, von der Erde verschlungen werden, sonst hat die ganze Redewendung keinen Sinn. Da bleibt wohl als einziger Ausweg nur noch folgende Erklärung übrig wie (als welche erg. Präd.) könnte sich die Erde aufthun, um mich zu verschlingen?' Wir zweifeln, dass durch diese streng genommen ziemlich gehaltlose und doch einzig mögliche Deutung der Sinn der Stelle erheblich gewinnt. Gleichwohl wird sich derjenige, welcher in dem Fragepronomen eine besondere Bedeutung sucht, mit derselben begnügen müssen. Uns scheint jedoch die Form der Frage für den Sinn ganz unwesentlich und nebensächlich zu sein. Wir verweisen deshalb auf folgende eigenthümliche Erscheinung, der wir in der Aeneis wiederholt begegnen. Mit der Frage quid ago? verbindet sich die der Form nach übereinstimmende, aber dem Wesen nach grundverschiedene Frage quae terra? Die erste hat der Form entsprechend einen allgemeinen Sinn, die zweite bezieht sich trotz der allgemeinen Form auf einen besonderen Gegenstand. Durch diesen Widerspruch zwischen Form und Inhalt werden wir unwillkürlich darauf geführt, dass die Form der zweiten Frage nur unter dem Einflusse der vorangehenden entstanden ist, um dieser äußer lich angereiht werden zu können (Assimilation), während sich das Wesen der Frage gegen den Anschluss sträubt und eine Form verlangt, in welcher terra unzweideutig als einzelner Gegenstand fungiert (specielle Frage oder Wunsch). Das den Anschluss vermittelnde, aber dem Wesen der Frage fremdartige Element ist quae. Die deutsche Sprache weiß mit diesem nur auf eine Assimilation zurückzuführenden Zuwachs nichts Rechtes anzufangen. Der Gedanke, wie wir ihn hier brauchen, findet sich schlicht und gerade Aen. IV, 24: sed mihi vel tellus optem prius ima dehiscat. Wenn wir also von der Assimilation, welche die obige Form der Frage (quae terra...?) ohne Zweifel veranlasst hat, absehen, so ergibt sich das allein Richtige: möchte sich die Erde... aufthun, um mich zu verschlingen?' So hat uns dieses Beispiel zweierlei bewiesen: erstens, dass sich die Frage quae terra? auf einen besonderen Gegenstand bezieht, und zweitens, dass die Form quae nur ein stilistisches Mittel ist, um der Rede einen glatteren und gleichmäßigeren Gang zu verleihen.

Einen weiteren deutlichen Beleg hiefür liefert die Frage des Aeneas VI, 466: quem fugis? extremum fato, quod te adloquor, hoc est. Nicht allgemein wird gefragt: 'wen fliehst du?' sondern Aeneas bezieht die Frage auf sich selbst, also, wenn die Form der Frage dem ihr innewohnenden Sinn entsprechen soll: quem me fugis? Wagner erklärt: cur me fugis? Wir könnten, wenn schon um jeden Preis eine dem obigen Wortlaute genau entsprechende Erklärung gefunden werden soll, nur folgenden Sinn darin entdecken: wie (als welchen erg. Präd.) kannst du mich fliehen? wie kannst du mich fliehen als einen, der nach der Bestimmung

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des Schicksals nun zum letztenmal mit dir spricht?'1) Bezüglich der Form vgl. u. a. Aen. X, 670: quae me fuga quemve (i. e. me) reducit? 'wie (als welchen) bringt mich die Flucht zurück? wie kehre ich von meiner Flucht zurück?' Natürlich als ein mit Schmach Beladener). Wiewohl es nun auf diese Weise gelungen ist, der Frage quem fugis? einen Sinn abzugewinnen, mit dem man sich, wenn nöthig, zufrieden geben kann, so glauben wir doch, dass dieselbe nichts anderes bedeutet, als was wir Aen. IV, 314 lesen: mene fugis? Eine Assimilation liegt hier allerdings nicht vor, da die Frage allein steht, aber unabweislich macht sich der Einfluss derselben fühlbar Aen. V, 742: quem fugis? aut quis te nostris complectibus arcet? Die für die Assimilation maßgebende Frage ist hier die zweite, d. i. diejenige, welche die ihrem Wesen entsprechende Form aufweist. Wir übersetzen: 'Du fliehst vor mir? oder hält dich jemand (dies ebenfalls infolge von Assimilation an die vorangehende Frage) von unserer Umarmung zurück?' Man sieht, wie auch im Deutschen die Form einer Frage durch eine zweite beeinflusst werden kann.

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Ebenso verhält es sich mit unserer Stelle Aen. I, 8. Die Möglichkeit einer Beziehung des allgemeinen quo numine auf eine einzelne Göttin (Juno) unterliegt nach den obigen Ausführungen keinem Zweifel. Die Frage lautet demnach unabhängig nicht etwa: 'welche Gottheit wurde verletzt?', sondern: 'wie, inwiefern (als welche erg. Präd.) wurde die Gottheit der Juno verletzt?' Dies gilt, wenn man der vorliegenden Form genau Rechnung tragen will. Uns jedoch scheint es weniger denn je zweifelhaft, dass hier nur die Assimilation (quidve dolens) den Ausschlag gegeben und die auffallende Verschiebung und Unklarheit der Construction zur Folge gehabt hat. Daher übersetzen wir mit Aufhebung der Assimilation im Lateinischen: 'Sag an, o Muse, die Gründe, wurde die Gottheit der Götterkönigin verletzt oder fühlte sich diese durch etwas gekränkt, dass sie den durch kindliche Liebe ausgezeichneten Mann zwang, soviele Abenteuer zu bestehen, sovielen Mühsalen sich zu unterziehen?')/

Dieses Ergebnis wäre endlich auch bei der gleichartigen Stelle Aen. II, 322: quo res summa loco, Panthu? quam prendimus arcem? welche man ebenfalls verschieden erklärt und durch Änderungen vergeblich zu heilen versucht hat, in Erwägung zu ziehen1). Auch

1) Aeneas kommt nämlich als Unsterblicher ein zweitesmal nicht mehr in die Unterwelt.

2) Übrigens finden wir hier der Gleichmäßigkeit wegen mehrmals Besonderes und Allgemeines in einem Verse beisammen: quo feror? unde abii? quae me fuga quemve reducit? Die erste Frage ist allgemein, die übrigen drei speciell. Die letzte lautet: wie bin ich da geflohen, und wie kehr' ich zurück?

3) Das Verhältnis der Sätze quo numine laeso quidve dolens regina deum.. impulerit gibt folgendes Scheina: im Lat.

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a+a'<b

Deut. a + a1> b

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*) Die Stelle ist so recht in der Art Vergils gedichtet, dass eine Änderung

des Textes ausgeschlossen erscheint.

hier ist quam arcem nicht allgemein zu nehmen, sondern es bezieht sich auf die Burg von Troja. Nun könnte man allerdings, da quam nur prädicativ aufgefasst werden kann, erklären: 'wie (als welche, in welchem Zustande) erreichen wir die Burg? wie finden wir die Lage daselbst?' Allein so verlockend dies auch im ersten Augenblicke zu sein scheint, der Gedanke leidet an einem inneren Widerspruche. Zunächst ist die Frage nach dem Zustande der Burg schon in der Frage quo res summa loco? enthalten; denn die Gesammtlage des Staates hängt hauptsächlich von dem Bestande der Burg ab. Dieselbe setzt ferner als selbstverständlich voraus, dass Aeneas die Burg ohne weiters erreichen wird. Dies entspricht aber der Lage nicht; denn in dem Augenblicke, da Aeneas den aus der Burg mit den Penaten fliehenden Panthus trifft, muss ihm sofort klar werden, dass der Bestand des gesammten Staates, die Burg mit inbegriffen (res summa; auch in der Antwort wird die Burg nicht besonders erwähnt), aufs äußerste gefährdet ist (erste Frage), sein zweiter Gedanke aber muss sein, ob es ihm noch möglich sein wird zu helfen und, wie er sich vorgenommen (vgl. concurrere in arcem V. 315), die Burg zu erreichen (zweite Frage). Auf die Antwort des Priesters, Trojas Schicksal sei besiegelt und die ganze Stadt von den Feinden besetzt, schwindet denn auch diese Hoffnung, und Aeneas stürzt sich in den Kampf, um zu sterben. Dies der natürliche Zusammenhang 1).

Um nun demgemäß die Frage quam prendimus arcem? zu erklären, müssen wir entsprechend unseren obigen Ausführungen annehmen, dass auch hier die Assimilation ihre Wirkung geübt und die Übereinstimmung der Form bei widersprechendem Inhalt (quo loco quam arcem, das erste ist allgemein, das zweite speciell) herbeigeführt hat, dass jenes quam nichts weiter bezweckt als die formelle Übereinstimmung beider Fragen herzustellen, während der Sinn und der Zusammenhang an und für sich einfach die Frage verlangt: erreichen wir noch die Burg? Prendimus hat wie im Deutschen Futurbedeutung. Der Plural erklärt sich daraus, dass Aeneas die Genossen vor Augen hat, mit denen er sich, wie er v. 315 f. erklärt hat, verbinden will (glomerare manum), um mit ihnen (cum sociis) nach der Burg zu eilen. So erscheint Kvíčalas Conjectur inquam als überflüssig; sie ist aber auch an und für sich zu matt für diese Stelle. Auch das von demselben Gelehrten vorgeschlagene perdimus gibt, wenn man schon von dem auffallenden perfectischen Präsens absieht, keinen passenderen Sinn, als welchen wir oben mit Hilfe der überlieferten Lesart erhalten haben.

Wien.

R. MAXA.

1) Wenn Aeneas doch die Burg erreicht, so liegt dies außerhalb des Zusammenhanges.

Apocolocyntosis i. e. Apotheosis per satiram.

Auch nach der bekannten meisterhaften Studie Büchelers 1) sind noch nicht alle Fragen gelöst, die sich auf die im Sangallensis nr. 569 trefflich überlieferte Satire auf den todten Kaiser Claudius beziehen. Bekanntlich berichtet Dio Cassius LX, 35, Seneca habe eine Schmühschrift gegen Claudius geschrieben ἀποκολοκύντωσιν αὐτὸ ὥσπερ τινὰ ἀπαθανάτιειν ὀνομάσας'. Dagegen ist die Satire im Sangallensis Divi Claudii apotheosis per satiram betitelt 2). Darum wurde wiederholt die Frage aufgeworfen, ob dieselbe mit der von Dio Cassius erwähnten Schmähschrift identisch ist. Diese Frage ist nicht immer bejaht worden. Zuletzt hat noch Birt3) nachzuweisen versucht, dass Seneca zwei Schmähschriften geschrieben habe, eine politische, die uns erhaltene apotheosis, und eine verloren gegangene philosophische, die apocolocyntosis. Wenn nun auch gegenwärtig kaum jemand mehr an der Identität der beiden Schriftwerke zweifelt, so erscheint doch die Frage noch nicht genügend beantwortet, warum gerade die maßgebende Überlieferung den bei Dio Cassius überlieferten Titel nicht kennt und ihn durch apotheosis mit dem noch durch den Namen des Autors getrennten Zusatz per satiram ersetzt. Nicht recht klar ist Büchelers) Bemerkung, das ursprüngliche apocolocyntosis sei von 'mittelalterlichen Lateinschreibern' in das bekanntere apotheosis geändert worden. Soll man annehmen, dass derlei 'Latein schreiber' die Bedeutung von apocolocyntosis kannten? Auch Schanz 5) bemerkt etwas unbestimmt, an die Stelle der ursprünglichen Aufschrift sei späterhin das geläufige άлoléшcic getreten. Und was den Zusatz per satiram betrifft, so lässt Bücheler 6) wohl die Frage offen, ob derselbe von Seneca herrührt; doch scheint es ihm gerathener, ihn auf die Recension eines Grammatikers zurückzuführen; danach wäre also per satiram noch zu dem ursprünglichen Titel apocolocyntosis hinzugesetzt worden. Ich denke, alle auf den Titel der Schrift bezüglichen Fragen lassen sich recht einfach lösen. Wie wir oben sahen, fand es schon Dio Cassius nöthig, das unverständliche άпокоλокÚνтшCIC durch den Zusatz άпаlανáтιсιс zu erläutern. Ich meine darum, schon im Alterthum wurde von einem Grammatiker der Titel apocolocyntosis durch die Randglosse i. e. apotheosis per satiram erläutert, die somit besagen sollte, 'Verkürbisung' sei ein 'scherzhafter Ausdruck für Vergötterung'; und gewiss liegt die Vermuthung nahe, jener Grammatiker habe die Stelle bei Dio Cassius gekannt. Wie nun in tausend anderen Fällen hat die Glosse das Ursprüngliche verdrängt, und so ist in der gegenwärtigen Überlieferung aus der apocolocyntosis eine apotheosis per satiram geworden; der Zusatz per

1) Symb. Bonn. S. 31 ff.

2) Die genaue inscriptio lautet:

DIUI- CLAVDII. INCIPIT ATTOOHOZIE ANNEI SENECE p SATIRÃ.

3) De Senecae apocolocyntosi et apotheosi lucubratio, Marburg 1888.

a. a. O. S. 36.

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satiram ist unzertrennlich mit apotheosis verbunden und hat mit apocolocyntosis nie etwas zu thun gehabt. Wenn er gleichwohl gegenwärtig in der inscriptio durch den Namen des Autors von apotheosis getrennt erscheint, so ist die Erklärung dafür nicht schwer zu finden. Jeder Kundige kennt den Platz, den in einer richtigen inscriptio der Name des Autors einnimmt: er beginnt dieselbe. Darum ist Divi Claudii apotheosis Annaei Senecae einfach ein Unding, und es ist leicht zu erkennen, dass in der ursprünglichen inscriptio der Name des Autors überhaupt fehlte und erst später von einer Randbemerkung her an ungehöriger Stelle eingedrungen ist. Der ursprüngliche Titel der Schrift lautete demnach: Divi Claudii apocolocyntosis; das letztere Wort wurde später durch das Glossem apotheosis per satiram verdrängt, und schließlich nach apotheosis ungeschickt der Name des Autors eingeschoben. So erscheint mir wohl einfach die Verschiedenheit der beiden Titel aufgeklärt, aus welcher man auf zwei verschiedene Schriften nicht wird schließen dürfen. Ungelöst freilich wird wohl immer die Frage bleiben, wie der ursprüngliche Titel apocolocyntosis zu erklären ist. Denn bekanntlich schließt die erhaltene Satire nicht, wie zu erwarten wäre, mit der Verwandlung des Claudius in einen Kürbis, sondern damit, dass er, wie er im Leben der Knecht von Freigelassenen war, so nach dem Tode Folterknecht bei dem Freigelassenen Menander wird, der als Untersuchungsrichter beim unterweltlichen Gerichte bestellt ist.

Wien.

H. ST. SEDLMAYER.

Zu Apuleius Metam. I, 10.

Von der Hexe Meroe wird I, 9 berichtet, sie habe einen ungetreuen Liebhaber in einen Biber, einen Nachbarwirt, der ihrer Schenke Concurrenz machte, in einen Frosch und den gegnerischen Advocaten in einen Widder verwandelt, endlich die zungenfertige Gattin ihres Buhlen zu dauernder Schwangerschaft verurtheilt et, ut cuncti numerant, so heißt es drastisch weiter, iam octo annorum onere misella illa velut elephantum paritura distenditur. (10.) Quae cum subinde ac multi nocerentur, publicitus indignatio percrebruit statutumque, ut in eam die altera severissime saxorum iaculationibus vindicaretur. Hier haben die Einleitungsworte des 10. Capitels den Herausgebern und Erklärern viel Kopfzerbrechen verursacht. Durch die Änderungen Hildebrands subinde, ut multi, noceretur oder Eyssenhardts s. ac multis noceret wird der handschriftliche Knoten nicht gelöst, sondern durchhauen. Weit leichter ist Rhodes Vorschlag (im Rh. Mus. XXX, 269) Quoi cum subinde aemuli nocerentur; doch halte ich auch diese Vermuthung deshalb für unwahrscheinlich, weil unter den vielen Geschädigten nicht bloß aemuli sich befanden (dies gilt gleich von dem an erster Stelle Genannten) und weil die Rache nur an Nebenbuhlern bei der Volksmenge wohl am ehesten Verständnis und Entschuldigung gefunden haben würde.

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