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EPISTVLARVM

LIBER PRIOR.

I 1.

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Maecenas hat Horaz aufgefordert sein dichterisches Schaffen wieder aufzunehmen; H. lehnt ab: das Versemachen sei nichts mehr für ihn (1-10). Er sei vielmehr in den Hafen der Philosophie eingelaufen. 'All mein Sinnen und Trachten ist dem Wahren und Guten zugekehrt, ohne daß ich auf ein bestimmtes philosophisches System eingeschworen wäre bald neige ich mehr zur Stoa, bald mehr zu Aristipp; schwer empfinde ich alle Hemmungen, welche mich von der ernstlichen und gründlichen Beschäftigung mit dem abhalten, was doch jedem ohne Unterschied not tut (11—26). So muß ich mir denn an den einfachsten Elementen genügen lassen: aber auch das ist nicht zu verachten, und ein gewisser Grad sittlicher Läuterung ist jedem erreichbar, der nur den guten Willen dazu hat (27-40). Anfang aller Tugend und Weisheit ist es, schlimme Irrwege zu meiden: das erfordert weit geringere Mühe, als sie die meisten auf die Vermeidung eingebildeter Übel, der Armut und der Zurücksetzung im öffentlichen Leben verwenden (41-51). Freilich, bei uns in Rom gilt nicht die virtus, wie sie sollte, sondern das Geld als Krone des Lebens: kann man wirklich im Ernste zweifeln, welches dieser Güter höheren Wert besitzt? (52-69) Ich meinerseits brauche nur auf die Früchte zu sehen, die meinen Mitbürgern ihr Streben nach Reichtum trägt (70—75): sie scheuen keinen Weg, auch den schmutzigsten nicht (76-80), und das Resultat ist beim Reichen immerwährende Unzufriedenheit mit dem Vorhandenen, die sich in törichter Unbeständigkeit äußert (81-90), während der Arme, der das Ziel seines Strebens noch nicht erreicht hat, doch wenigstens im Punkte der Unbeständigkeit es dem Reichen gleich tut (91-93). Ja

Horatius III. 4. Aufl.

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ich selbst bin über diesen Zustand noch nicht hinausgelangt:
und du, mein treuer Beschützer, mit deinem scharfen Auge
für äußere Inkonvenienz, willst mich ruhig bei den Widersprüchen
und Unklarheiten meines Inneren belassen, während du über
mein leibliches Wohl aufs sorglichste wachst (94-105). Nein,
ich bleibe dabei die Philosophie ist das Wahre: sie gewährt
alle denkbaren Güter des Lebens, vor allem Gesundheit
wenn nicht ein dummer Schnupfen sie stört (106-108).'

Der Inhalt des Briefes ist, wenn wir von der Einkleidung
absehen, eine Empfehlung der Philosophie oder, was für H.
auf dasselbe hinausläuft, des Strebens nach virtus: also das
Thema, das von Vertretern so ziemlich aller Philosophenschulen
immer wieder in ihren λόγοι προτρεπτικοὶ πρὸς φιλοσο-
φίαν oder πρὸς ἀρετήν behandelt worden ist, mit deren Resten
denn auch die horazischen Ausführungen zahlreiche unverkenn-
bare Berührungspunkte aufweisen, sowohl in der Mahnung
zur Philosophie wie in der Schilderung der Folgen ihrer
Vernachlässigung und im Vergleich der virtus mit den Lebens-
zielen der großen Menge. Aber H. kleidet seinen Protrepticus.
ein als Ablehnung des Wunsches nach neuen Gedichten, den
Maecen geäußert hatte, und gibt somit den allgemeingültigen Ge-
danken eine durchaus persönliche Wendung: statt als Philosoph
und Prediger der virtus andere zur Umkehr und Einkehr zu
ermahnen, führt er aus, daß und warum er selbst die Vertiefung
in Fragen des sittlichen Lebens als Aufgabe und Inhalt seines
Daseins erkannt habe. Indem der Brief so den Leser von
vornherein darauf vorbereitet, daß er in der folgenden Sammlung
vorwiegend Erörterungen ethischer Art finden werde, mit denen
der Verfasser zu der 30 verlassenen Sermonendichtung seiner
Jugend zurückkehrt, eignete er sich vorzüglich dazu, als Vorwort
und zugleich Widmung dem Buche vorangestellt zu werden.
Höchst wahrscheinlich ist er von Hause aus eben zu diesem
Zweck gedichtet worden, wie Franke vermutet, gleichzeitig mit
dem im zwanzigsten Briefe enthaltenen Nachwort, wie ja auch Vor-
und Nachwort der Odenbücher (I 1, III 30) nach Abschluß der
lyrischen Dichtungen unmittelbar vor deren Veröffentlichung ver-
faßt sind. Dann wäre die Entstehungszeit in den Spätherbst 20
zu setzen, und die Widmung an Maecenas besiegelte zugleich
den völligen Abschluß der Krisis seines Verhältnisses zu diesem,
welche I 7 vor Augen stellt.

Prima dicte mihi, summa dicende Camena, spectatum satis et donatum iam rude quaeris, Maecenas, iterum antiquo me includere ludo? non eademst aetas, non mens.

1. Der Eingang gemahnt an eine altepische Formel (Aτoetdn.. ἐν σοὶ μὲν λήξω, σέο δ ̓ ἄρξομαι

SO

Il. I 96), die vor allem in Hymnen und Enkomien beliebt war: Theokrit im Prooemium seines Ptolemaios ἀνδρῶν δ' αὖ Πτολεμαῖος ἐνὶ πρώτοισι λεγέσθω (=dicende) καὶ πύματος καὶ μέσσος· δ γὰρ προφερέστατος ἀνδρῶν 17, 3. Dem Sinne nach berührt sich H.s Anrede am nächsten mit Virgils Versicherung seiner unwandelbaren Ergebenheit Pollio gegenüber: a te principium, tibi desinet buc. 8, 11, unterscheidet sich aber von dieser wie allen ähnlichen darin, daß sie durch den Hinweis auf die Vergangenheit das Versprechen für die Zukunft bekräftigen darf: H.s früheste Publikation war das erste Buch der Satiren, eingegeben von der Musa pedestris (sat. II 6, 17), welches mit qui fit Maecenas anhebt, und so trägt auch das Epoden- wie das erste Odenbuch Maecens Namen an der Spitze: durch diese Anrede wird das ganze Buch dem Genannten gewidmet. In Camena ist hier, etwa wie in Regulum.. insigni referam Camena od. I 12,37, die ursprüngliche Bedeutung stark verblaßt; aber niemals meint H. in solchen Fällen mit Camena oder Musa das einzelne konkret vorgestellte Gedicht, sondern stets das abstrakt gedachte poetische Schaffen, dessen Anfang und Ende hier durch prima und summa bezeichnet wird.

2. Verkürztes Gleichnis: ich bin gleichsam ein alter Gladiator, der oft genug die Schaulust der Menge befriedigt hat, satis spectatus, und

Veianius armis

schließlich ehrenvoll entlassen ist. Die rudis, das hölzerne Rappier, schenkte der Herr dem ausgedienten Fechter als Symbol der Entlassung: tam bonus gladiator rudem tam cito? Cic. Phil. II 74. Aber wie solche freigelassenen ehemaligen Fechter, rudiarii, zuweilen doch noch wieder die Arena betraten (Tiberius munus gladiatorium... dedit... rudiariis quoque quibusdam revocatis auctoramento centenum milium Sueton. Tib. 7), so will jetzt Maecenas ihn durch seine Aufforderung zu dichten nötigen in die verlassene Gladiatorenkaserne, ludus, wie Aemilius ludus a. p. 32, zurückzukehren. Zugleich deutet ludus an, daß es gegenüber dem quid verum atque decens curov. 11, welches jetzt H.s Sinn völlig ausfülle, ein ludere sei, wozu ihn M. verlocken wolle: daher versus et cetera ludicra pono 10. spectatus, in übertragenem Sinne auch für erprobt' oft gebraucht, ist für den Gladiator doppelt bezeichnend; aber mit dem Terminus der Gladiatorenschulen spectatus oder spectavit, der auf den sog. Gladiatorentesseren in der Abkürzung SP oder SPECT erscheint und eine uns nicht sicher bestimmbare Klasse von Gladiatoren auszeichnet, hat der horazische Ausdruck nichts zu schaffen, wie der Zusatz satis beweist.

satis

4. aetas: denn die convivia und proelia virginum (od. I 6, 17), die der lyra iocosa (od. III 3, 69) des H. den passendsten Stoff geben (zu I 32), ziemen der Jugend, und schon bevor H. seine drei Ödenbücher herausgab, hatte er mit

Herculis ad postem fixis latet abditus agro, ne populum extrema totiens exoret arena. est mihi purgatam crebro qui personet aurem :

dem gegen Schluß des dritten (26) gestellten vixi puellis nuper idoneus seinen Verzicht auf diese Poesie vorbereitet. Seitdem ist noch nicht viel Zeit verstrichen: erst jetzt wird der Abschied wirklich vollzogen, v. 10.- -mens ist die Stimmung, welche mit den Jahren verändert auf seine Neigungen zurückgewirkt hat: quae mens est hodie cur eadem non puero fuit od. IV 10,7; so auch istuc mens animusque fert epp. I 14, 8. Das Folgende (bis v. 10) veranschaulicht diesen Gegensatz des Jetzt zum Einst durch Vergleich und Bild, v. 11. 12 geben den Entschluß, zu dem er sich durchgerungen. Veianius, der Achill der Arena, hält sich zurückgezogen und verborgen auf seiner ländlichen Besitzung, um nicht der Versuchung zu erliegen, doch noch einmal aufzutreten. Schutzpatron der Gladiatoren scheint der Hercules Fundanius in Rom (CIL VI 311; Vopisc. Flor. 4) gewesen zu sein: Veianius nobilis gladiator post multas palmas consecratis Herculi Fundanio (-no codd.) armis suis in agellum se contulit Porph. An dem Pfeiler seines Tempels hat Veianius seine Waffen als Weihgeschenk aufgehängt donum figere ist hierfür die solenne Bezeichnung als er seinen Beruf aufgab: s. zu od. III 26, 3,

6. exoret: der Fechter, welcher den Kürzeren zog, pflegte durch Niederlegung des Schildes und Erheben der unbewehrten Linken sich für besiegt zu erklären und an die Schranken der Arena (extrema arena) vor die Loge seines Herrn, des Spielgebers, zu treten, dessen Winkes gewärtig, um entweder wehrlos den Todes

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stoß vom Gegner zu empfangen oder die Erlaubnis, abtreten zu dürfen, missio, zu erhalten. Die Entscheidung richtete sich in der Regel nach der Stimmung des Publikums und fiel oft genug zugunsten des Besiegten aus: der Secutor Flamma war 34 mal aufgetreten, 21 mal als erklärter Sieger und hatte 4 mal die missio erhalten, CIL X 1297; aber freilich wollte das Publikum auch gebeten sein: illis (sc. gladiatoribus) licet arma submittere, misericordiam populi temptare: tu neque submittes neque vitam rogabis Sen. epp. 37, 2, und diese Demütigung vor allem hat Veianius satt. Nicht weniger satt ist es H. so dürfen wir den Vergleich ausführen seine Dichtungen dem launischen Urteil des Publikums zu unterwerfen, cum scribo et supplex populi suffragia capto epp. II 2, 103.

7. Und zudem wer weiß, ob es mir noch so gelänge wie ehedem. Das Bild vom alten Renner, dem vorhergehenden vom alten Fechter verwandt, ist griechischer Dichtung entlehnt der alternde Ibykos zögert, noch einmal dem Eros das Herz zu öffnen Bote φερέζυγος ἵππος ἀεθλοφόρος ποτί γήραι ἀέκων σὺν ἔχεσφι θοοῖς ἐς ἅμιλλαν ἔβα (fr. 2) und schon von Ennius auf sich angewandt: sicut fortis equus, spatio qui saepe supremo vicit Olympia, nunc senio confectus quiescit (ann. 374). ·purgatam aurem, wie das analoge emunctae naris (sat. 14,8) der Volkssprache entnommen perpurigatis damus tibi ambo operam auribus Plaut. mil. 774 · kontrastiert pikant mit der poetischen Fiktion des geheimnisvollen Etwas, dessen Stimme zum Ohr

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