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GEDANKENGANG HORAZISCHER ODEN

IN DISPOSITIONELLER ÜBERSICHT

NEBST EINEM

KRITISCH-EXEGETISCHEN ANHANG

VON

DR. FRIEDRICH GEBHARD.

MÜNCHEN

DRUCK VON H. KUTZNER
1891.

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aus dem Festgruss an die 41. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner von dem Lehrerkollegium des K. Wilhelms-Gymnasium in München.

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Vorwort.

Detaillierte Analysen oder wie man bei Hinzufügung von Nummern, Zeichen und Einteilungsgründen auch zu sagen sich gewöhnt hat Dispositionen einzelner, zunächst grösserer Oden des Horaz bietet der Verfasser dar, von der Meinung ausgehend, dass dieselben nicht ganz überflüssig seien, vielmehr der Förderung des Verständnisses dieses gedankenreichen Dichters an ihrem Teil zu dienen geeignet seien.

Das Verständnis eines Kunstwerkes bleibt ja doch immerhin die Hauptsache; es bleibt sie selbst dann, wenn das Kunstwerk ein lyrisches Gedicht ist, da auch das Geniessen vor allem davon abhängig ist, dass man zuvor im vollen Umfange erkannt hat, was der Dichter eigentlich gefühlt, gedacht hat. Nun ist aber Horaz in seinen Oden nicht ausschliesslich lyrischer Dichter, sondern zum grösseren Teil Gedankendichter. Ein klarer Einblick in die Sache und den Zusammenhang der Ideen ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung, um ihm nicht bloss völlig gerecht zu werden, sondern ihn auch in genügender Weise zu durchdringen und seinen Ideengang zu beherrschen. Vieles ist in letzterer Zeit in dieser Hinsicht geschehen, gleichwohl bleibt noch vieles, ja sehr vieles zu thun übrig. Denn nicht immer hat man die Sache, die in den Oden sich aussprechenden Ideen so, wie sie es verdienten, ins Auge gefasst und liebevoll, ohne alles Vorurteil, zu pflegen versucht.

Noch im Jahre 1881 sah sich der verdiente Horazforscher Kiessling gezwungen, es auszusprechen,,,dass die angestrengte kritische Thätigkeit eines halben Jahrhunderts jetzt eigentlich ergebnislos zum Stillstand komme und dass der Fortschritt zu einer klaren Erkenntnis von den Voraussetzungen horazischer Odendichtung und zu einem sicheren Einblick in die Art und Weise, wie der Dichter seine Stoffe wählte und formte, jetzt erst gethan werden müsse" (,,Phil. Untersuchungen" von

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Kiessling und Wilamowitz II 75). In der That hatten Peerlkamp und seine Nachfolger allzusehr darauf verzichtet, durch gründliche Sacherklärung des Dichters und liebevolles Versenken in die Art und Weise seines Schaffens eine feste Grundlage für die Kritik zu gewinnen, ihn vielmehr überwiegend nach äusseren Kennzeichen und vorgefassten Ansichten beurteilt. Erst in neuester Zeit ist man zur Sache zurückgekehrt und hat auf verschiedenen Wegen das Verständnis des gefeierten Dichters zu fördern versucht. Vor allem ist es nach Nauck, dessen Verdienste namentlich um die Worterklärung unbestritten bleiben, Kiessling selbst gewesen, der manche feine und treffende Beobachtung über Personen und Sachen, sowie über das ,,Formen" des Stoffes gemacht hat; sodann hat Oesterlen namentlich in seiner Schrift: „Der Humor bei Horaz" 1883, zum Verständnis des Dichters einen hübschen Beitrag geliefert. Fast gleichzeitig kam Rosenberg: ,,Die Lyrik des Horaz" 1883, der mit dem ihm eigenen feinen ästhetischen Sinn, den er sich nicht einseitig an den Alten bildete, die Oden beurteilte und dem Dichter auf allen Gebieten in hohem Grade gerecht geworden ist. Indes ist speziell auf dem Gebiete der Gedankenfolge auch dieser treffliche Forscher gleich seinen verdienten Vorgängern hie und da irre gegangen; und dies darf keineswegs wundernehmen, denn mag jemand noch so sehr von der sorgfältigen, klaren Gliederung, die in den Oden herrscht, überzeugt sein und Rosenberg ist es, worüber weiter unten er muss unbedingt in manche Täuschung verfallen, wenn und solange er sich nicht ein Bild des Gedankengangs bis in seine feinsten Verästelungen hinaus hinschreibt; denn letzterer ist gerade in den gedankenreichsten Gedichten allzu difficil gegliedert, als dass man ihn ohne diese Beihilfe jederzeit völlig sicher übersehen und bemeistern könnte.

So sind denn nach Nauck Kiesslings, Oesterlens und Rosenbergs Leistungen dem Verständnis des Dichters sehr förderlich; würdig gesellen sich ihnen bei die durch Gelehrsamkeit und Kritik gleich ausgezeichnete Ausgabe von Schütz und der sorgfältige Kommentar Küsters. Alle diese Werke sind in besonderem Grade für die Exegese verwertbar. Hingegen dient Weissenfels,,,Horaz" 1885, mehr didaktischen Zwecken; Luc. Müllers,,Q. Horat. Flaccus" 1880 ist populär gehalten; Bobrik, Horaz. Entdeckungen und Forschungen 1885, und Anspach, die Horaz. Oden des 1. Buches in Bezug auf Interpol., Aufbau und Zeit ihrer Abfassung, I. Teil, Progr. v. Cleve 1888, haben Wege betreten, die kaum zu praktischen Resultaten führen werden. Verhältnismässig nur wenig gewinnt

man forner für das Verständnis überhaupt und die Analyse insbesondere von Plüss,,,Horazstudien" 1882, noch weniger von Gebhardi,,,Ein ästhetischer Kommentar zu den lyrischen Dichtungen des Horaz“ 1885. Denn während ersterer mystischen Tiefsing in Horaz hineinträgt, der diesem Dichter sicher ganz ferne lag, weshalb denn auch seine Analysen meist des sicheren Untergrundes entbehren, beschränkt sich Gebhardi im ganzen auf breite, zuweilen nur sehr lax mit dem Gegenstande zusammenhängende Citate aus Dichtern und anderen Schriftstellern sowie aus neueren Kommentatoren.

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Einen völlig neuen Weg endlich, welchen auch ich für einen der produktivsten halte, um zum Verständnis eines Autors, sei es welcher Art auch immer, hindurchzudringen, sobald hiezu durch reichliche Sacherklärung der Weg genügend geebnet ist und das ist heutzutage denn doch der Fall, hat Leuchtenberger,,die Oden des Horaz für den Schulgebrauch disponiert" 1889, betreten. Aber Leuchtenberger ist, da er auf halbem Wege stehen blieb, nicht zum Ziele gelangt. Zwar führt er im Vorwort mit Recht aus, dass der lyrische Dichter und Horaz insbesondere logisch gliedert; mit Recht, denn die Logik ist ein Gesetz, auf das niemand verzichten kann, ohne Gefahr zu laufen, verworren und unverständlich zu reden oder zu schreiben, und das ist bei Horaz doch sicher nicht der Fall. Allein auffallenderweise wird Leuchtenberger diesem völlig richtigen Gedanken selber untreu, indem er kurz darauf plausibel zu machen sucht, dass Horaz wohl bloss einen Grundriss entwarf und dass sich ihm unter der Ausführung selbst die Zahl (!) und Folge der Teilgedanken, der Unterteile, wohl auch der Hauptteile sicherlich oft genug geändert habe". So hat es denn Leuchtenberger nicht versucht, der Sache auf den Grund zu kommen, woher es kommt, dass keine seiner Dispositionen unanfechtbar ist.

Und somit bin ich bei meiner eigenen Aufgabe. Auch ich habe Dispositionen aufzustellen versucht. Nicht eine vorgefasste Idee hat mich darauf gebracht, auch nicht das Vorbild Leuchtenbergers, dessen Versuche mir erst dann zu Gesichte kamen, als ich ca. 3/4 der von mir bis jetzt gefertigten (60) Detailanalysen vollendet hatte, sondern das Bemühen, im Unterricht den Schülern den Gedankengang einer jeden Ode möglichst klar und anschaulich darzulegen. Schon von jeher pflegte ich übersetzte und erklärte sei es prosaische oder poetische Stücke mit den Schülern ganz speziell auf den logischen Zusammenhang zu prüfen und häufig geradezu eine Disposition davon aufzustellen. Dieses that

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