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Erste Abtheilung.

Abhandlungen.

Die Publilische Rogation 283 u. c.

Der nothwendige Zusammenhang, in welchem eine Untersuchung über die Publilische Rogation mit der Frage über die Wahl der Volkstribunen vor 283 u. c. steht, bringt es mit sich, dass wir zuerst jenes Resultates gedenken, das auf Grund des Berichtes von Dionysius über diese Frage gewonnen wurde und welches also lautete1):

1. Eine Einflussnahme von Seite der Patricier auf die Wahl der Volkstribunen lässt sich nicht erweisen;

2. die Plebejer wählen ihre Tribunen allein und unabhängig, also in ihren eigenen Versammlungen;

3. die Plebs war auf Grundlage einer bereits bestehenden römischen Staatsform organisiert und stimmte nach bereits bestehenden Abtheilungen;

4. welchen Namen diese Abtheilungen hatten, ist aus Dionysius nicht zu ersehen; seine Angaben über die comitia curiata sind von Widersprüchen nicht frei.

Was nun Livius betrifft, dessen Bericht die Grundlage für die nachfolgende Untersuchung abgeben soll, so stimmt derselbe mit Dionysius in den zwei ersten Puncten überein; über die zwei letzten finden sich bei ihm keine Angaben vor, da bekanntlich die Bezeichnung comitia tributa erst seit Volero (abwechselnd mit concilium) im Gebrauche erscheint "). Die Uebereinstimmung zweier Schriftsteller in der Thatsache, dass vor 283 u. c. auf die Wahl der Volkstribunen die Patricier keinen Einfluss hatten, ist gewiss ein beachtenswerthes Zeugnis dafür, dass die magistratus plebis weder in den comitiis curiatis noch

1) Vgl. Jahrg. 1863 dieser Zeitschrift. S. 627–638.

*) Liv. II, 35 kommt für die Versammlung der Plebs der Ausdruck coitiones, concilia vor.

Zeitschrift f. d. öster. Gymn. 1866. III, u, 1V. Heft.

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in den centuriatis gewählt sein konnten. Gleichwol findet die Ansicht, dass die magistratus plebis vor 283 u. c. in den comitiis centuriatis gewählt wurden, noch ihre Vertreter. Dieselbe ist bereits von Becker 3) angefochten und neuerdings durch Schwegler) sehr eingehend bekämpft worden; wenn wir dieser Ansicht hier Erwähnung thun, so geschieht es, weil hiefür auch Livius als Gewährsmann angeführt wird, und zwar ist dies Liv. II, 56, 3 haud parva res sub titulo prima specie minime atroci ferebatur, sed quae patriciis omnem potestatem per clientium suffragia creandi quos vellent tribunos auferret, eine Erklärung, welche Livius für die Bedeutung der Publilischen Rogation gibt „ut plebei magistratus tributis comitiis fierent."

Dass Livius hier an die comitia centuriata denkt, lässt sich kaum bezweifeln; denn wenn er auch dieselben nicht ausdrücklich nennt, so können unter Versammlungen, in welchen Patricier mit ihren Clienten den entscheidenden Einfluss haben, eben nur die comitia centuriata verstanden werden, wofür Liv. II, 64, 2 eine wichtige Belegstelle liefert 5). Indes wenn wir auch diese Annahme gelten lassen, dass Livius hier an die comitia centuriata denkt: einer Folgerung, dass nach dem Berichte des Livius die Wahl der magistratus plebis vor 283 u. c. in den comitiis centuriatis stattgefunden habe, vermögen wir uns nicht anzuschliefsen. Abgesehen nämlich davon, dass Livius an zwei Stellen, die von dem obigen Satze nur durch wenige Zeilen getrennt sind, wiederholt und mit Nachdruck hervorhebt "), dass die Plebejer es waren, welche den Volero zum Tribunen gewählt und wieder gewählt haben: so ist die Wahl eines Volero, der schon vorher eine den Patriciern verhasste Persönlichkeit war, nur denkbar, wenn Patricier und Clienten auf die Wahl keinen Einfluss hatten. Und dieser Mann, der in seinem ersten Tribunate eine den Patriciern so anstöfsige Rogation gestellt hatte, sollte zum zweitenmale zum Tribunen gewählt worden sein in einer Versammlung, in welcher, wie der Satz des Livius besagt, die Patricier mit ihren Clienten die Wahl derjenigen durchsetzen konnten, die sie wollten? Dieser Fall, wir verhehlen es nicht, erschwert die Untersuchung über die Publilische Rogation in nicht geringem Grade; indem wir uns die Interpretation dieser Stelle für eine spätere Zeit vorbehalten, fassen wir unsere Ansicht über die Vorfrage, die Wahl der magistratus plebis vor 283 u. c. dahin zusammen: Auf Grund der übereinstimmenden Berichte des Livius und Dionysius sind bis zum Jahre 283 u. c. die magistratus plebis in einer Sonder

3) R. A. 2. Th. 2. Ab. S. 253 ff.

1) R. G. 2. B. S. 541 ff.

5) Irata plebs interesse consularibus comitiis noluit: per patres clientesque patrum consules creati T. Quinctius, Q. Servilius.

) Liv. II, 56, 1. Voleronem amplexa favore plebs proximis comitiis tribunum plebi creat; ib. 5. plebs Voleronem reficit.

versammlung der plebs (concilium plebis) gewählt worden; die Abstimmung erfolgte ohne Zweifel tributim.

Gleichwie über die Vorfrage abweichende Ansichten herrschen, ebenso gehen die Ansichten über den eigentlichen Inhalt der Publilischen Rogation auseinander. Da es nicht unsere Absicht ist eine Untersuchung über die von den Geschichtsforschern aufgestellten Ansichten durchzuführen, so wird es genügen, an zwei Beispielen den Stand der Frage zu bezeichnen.

„Es wurde klar, sagt Lange 7), dass politisch unabhängigere Männer zu Volkstribunen gewählt werden mussten, als diejenigen waren, auf deren Wahl Patricier und Clienten in den Centuriatcomitien den gröfsten Einfluss hatten. Publilius Volero promulgierte in der Absicht, der Plebs unabhängigere Vertreter ihrer Interessen zu verschaffen, ein Gesetz, wornach die Tribunen und Aedilen in den rein plebeischen comitiis tributis gewählt werden sollten." Schwegler ) dagegen, welcher wie bekannt die Wahl der Tribunen in den Centuriatcomitien auf das entschiedenste bekämpft, meint, „das Publilische Gesetz habe allerdings um die Competenz der Tributcomitien genau festzustellen, unter den Rechten der Plebs auch das Recht ihre Magistrate in Tributcomitien zu wählen aufgezählt; aber es habe diesen Wahlmodus nicht eingeführt" und führt als einen wesentlichen Punct der Publilischen Rogation an: „auch über Gegenstände, die den gesammten Staat betreffen, ist die Plebs berechtigt auf Antrag eines Tribunen Beschlüsse (plebiscita) zu fassen, und beruft sich auf Dionysius 9, 43 und Zonaras VII, 17." Aber gerade das, was Schwegler als den Hauptinhalt der Publilischen Rogation betrachtet, wird von Lange) entschieden bekämpft. Was übrigens Dionysius von der Erweiterung des ursprünglichen Antrages durch einen Zusatz, wodurch die Rechtsgiltigkeit der Plebiscita überhaupt hätte festgesetzt werden sollen (Dionys. 9, 43. Zonar. 7, 17), ist ohne Zweifel vom Standpuncte seiner ungesunden Pragmatik ersonnen." Diese Erscheinung hat ihren Erklärungsgrund. Während Lange sich vorzugsweise auf Livius stützt, nimmt Schwegler den Dionysius und Zonaras zu Hilfe; allein es bedarf eben dieser verschiedenen Schriftsteller nicht um diese divergierenden Ansichten zu Tage zu fördern. Wer des Livius. Bericht allein aufmerksam liest, wird bei ihm Stellen finden, deren Interpretation Schwierigkeiten bietet. Den Wortlaut der Publilischen Regation fasst Livius also: ut plebei magistratus tributis comitiis fierent 10); dagegen bezeichnet er an einer anderen Stelle das Resultat der Publilischen Rogation, Varia fortuna belli, atroci discordia domi forisque annum exactum

R. A. I, 457.

R. G. 2, S. 557.
R. A. I, 452.

1) Liv. II, 56, 2.

insignem maxime comitia tributa efficiunt), und während er bei dem Wortlaut der Publilischen Rogation bemerkt, haud parva res sub titulo prima specie minime atroci ferebatur, sed quae patriciis omnem potestatem per clientium suffragia creandi quos vellent tribunos auferret 12), bemerkt er an der Stelle, wo er als Hauptresultat der publilischen Rogation die comitia tributa anführt, res maior victoria suscepti certaminis quam usu; plus enim dignitatis comitiis ipsis detractum est patribus ex concilio submovendis quam virium aut plebi additum est aut demptum patribus 13). Und zu alldem ruft noch Appius mit Bezug auf die Publilische Rogation: Appius contra testari deos atque homines rem publicam prodi ac deseri, non consulem senatui sed senatum consuli deesse, graviores leges accipi, quam in sacro monte acceptae sint 14).

Wir müssen die Interpretation auch dieser Stellen auf eine spätere Zeit verschieben und uns begnügen den Inhalt der zu erörternden Fragen skizziert zu haben.

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So sehr nun auch die Ansichten über den Inhalt der Publilischen Rogation auseinandergehen, in einem Puncte stimmen die Geschichtsforscher überein, nämlich in der Anerkennung der Bedeutung dieser Rogation für die Entwicklung des Tribunats. Derjenige, welcher zuerst einsah, sagt Lange 15), dass die Plebs solange vergeblich Verbesserungen ihrer materiellen Lage fordern würde, als nicht die politische Stellung derselben verbessert würde, der dem bisher auf socialem Gebiete sich bewegenden Ständekampfe zuerst eine politische Richtung verlieh, der an der Spitze der von Seiten der Plebs mit bewusstem Streben unternommenen Bewegungen steht, welche zur politischen Gleichstellung der nicht vollberechtigten Plebejer mit den Patriciern führten, ist Publilius Volero, Volkstribun im Jahre 283. Und in mehr concreter Weise drückt sich Schwegler aus 16), wenn er sagt: „der Gegenstand der Publilischen Rogation waren. die Tributcomitien überhaupt. Er verfolgte den Zweck, diesen Sonderversammlungen der Plebs eine gesetzlich anerkannte Stellung und Geltung zu verschaffen, die Rechte und Befugnisse derselben auf gesetzlichem Wege festzustellen." Ueber die hohe Bedeutung der Publilischen Rogation sind denn auch die Berichte der alten Schriftsteller in voller Uebereinstimmung. Betrachtet man nämlich alle begleitenden Umstände dieser Rogation, so prägt sich schon in diesen die Gröfse der Begebenheit aus. Der an Genucius vollbrachte Mord, die Aufregung der Plebs,

1) Liv. II, 60, 4.
12) Liv. II, 56, 2.
13) Liv. II, 60, 4.
14) Liv. Il, 57, 4.
15) R. A. 1, 451.
16) R. G. 2, 555.

die stürmischen Auftritte auf dem Marktplatze, die fast zu einem Kampfe und nach Dionysius sogar zu einer Besetzung des Capitoliums führten, wie nahe lag der Schritt zu einer zweiten secessio. Auch fehlt es nicht an einzelnen Bemerkungen, die darauf hinweisen, dass die Publilische Rogation ein wichtiger Abschnitt in der Entwicklung des Tribunats ist, gleichsam der Abschluss einer Periode und der Anfang einer neuen. Tum vero irasci plebs, sagt Livius, tribunorum magis silentio quam consulum imperio et dicere actum esse de libertate sua, rursus ad antiqua reditum, cum Genucio uno mortuam ac sepultam tribuniciam potestatem, aliud agendum ac cogitandum quomodo resistatur patribus 17). Dass ein Claudius mitten in der Bewegung steht, beweist dass die Wogen der Bewegung hochgiengen, und seine Worte graviores leges accipi quam in sacro monte acceptae sint bürgen dafür, dass hier eine wichtige Angelegenheit entschieden wurde, weshalb wir auch dem von ihm gegebenen Winke folgen und die leges in sacro monte acceptae näher in's Auge fassen wollen.

Nach dem Berichte des Livius kehrte die secedierte Plebs erst in Folge von Unterhandlungen und nach Feststellung gewisser Bedingungen nach Rom zurück. Diese Bedingungen bildeten den Inhalt eines Friedensvertrages, der unter Mitwirkung von bevollmächtigten Fetialen geschlossen und von Patriciern und Plebejern beschworen wurde. Wenn daher Appius sich auf die leges beruft, so werden es ohne Zweifel die condiciones concordiae 18) sein und unsere Aufgabe bestände darin, das Verhältnis zu erörtern, in welchem die Publilische Rogation zu jenen condiciones steht. Allein ein Blick auf den Wortlaut der beiden leges beweist, dass aufser dem dünnen Faden, welchen die magistratus plebis und magistratus plebei bilden, ein weiterer Zusammenhang nicht besteht, indem die Publilische Rogation Momente, wie die creatio, comitia tributa hervorhebt, die in den condiciones gar nicht berührt sind. Den Schluss, den wir aus der Gegenüberstellung gewinnen, ist, dass die condiciones in den allgemeinsten Umrissen ein Verhältnis andeuten, dessen Formen erst in der Publilischen Rogation bestimmter hervortreten.

Ob die condiciones wol bestimmter abgefasst waren? Es unterliegt keinem Zweifel, dass Livius dem Umfange nach den Inhalt der condiciones bedeutend eingeschränkt hatte, da er sich mit Hervorhebung eines Punctes, der Grundzüge des Tribunats. begnügte, während doch augenscheinlich die Wiederherstellung der Eintracht eine Regelung noch anderer Verhältnisse, wie z. B. des Schuldrechtes, nothwendig machte. Ob aber die Grundzüge

17) Liv. II, 55, 2.

5) Liv. II. 33. Agi deinde de concordia coeptum, concessumque in condiciones, ut plebi sui magistratus essent sacrosancti, quibusu uxilii latio adversus consules esset, neve cui patrum eum magistratum capere liceret.

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