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Beren Zahl der Eltern und der Leser überhaupt die erfreulichste Aussicht bot, daß die neue Generation ohne Arbeit werde weise und tugendhaft werden. Dies darf Niemand auffallend scheinen, weil nur der allein, der selbst recht tüchtig gearbeitet hat, weiß, daß die Mühe und Arbeit des Lernens schon an sich Zweck ist, und daß ein Wissen auf bequemem Wege ohne Mühe erwor ben, oder eingeübt, stets flach und unerfreulich bleibt. Der Wunderverheißung zufolge, welche Basedow ausgehen ließ, sollten Sprachen und Sachen, Grammatik und Geschichte spielend gelehrt, Moral und Religion auf einerlei Weise Juden und Christen, Protestanten und Katholiken eingeprägt werden.

Das Schriftchen, welches wir als Vorläufer des Elementarwerks bezeichnen, erschien 1769 zugleich als drittes Stück seiner vierteljährigen Unterhaltungen und als besondere Schrift auf fünfthalb Bogen mit drei Kupfertafeln unter dem Titel, Endzweck, Möglichkeit und Probe des versprochenen Elementarbuchs der Sacherkennntniß und Spracherkenntniß und zugleich Anfang der Arbeit am Elementarbuche zur Verbesserung des Schulwesens. Im folgenden Jahr (Ostern 1770) erschien dann ein Theil der eigentlichen Arbeit selbst, nämlich das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker und drei Stücke des Elementarbuchs für die Jugend und für ihre Lehrer und Freunde in gesitteten Ständen mit dreiundfünfzig ausgezeichnet schönen Kupfertafeln. Um dieselbe Zeit nahm Basedow Wolke, den ihm Büsch und Kästner empfohlen hatten, einen Mann, der niemals ordentlich und systematisch gebildet war, als Gehülfen für Mathematik, Naturkunde, Technologie zu sich. Wolke hatte den kindlichen Ton mehr in seiner Gewalt als Basedow, wurde aber, wie das dabei nicht zu vermeiden ist, gar oft albern und kindisch und ahnte so wenig als Basedow oder Schlözer, was eigentlich Menschenbildung und Größe des menschlichen Geistes sei. Dieser Autodidact machte auch an Basedows kleiner Tochter die Probe der neuen Methode und hielt hernach mit dem Kinde das berühmte Eramen, wie ein Marktschreier auf der Bühne Zähne ausreißt. Die Geschichte der

Wirkung der Erscheinung des großen Werks selbst, der Anstalt in Dessau, der Salzmannschen und Campeschen Bücher und Anstalten, der Reformen und der Herrschaft der Kinder und Kindereien im Leben und in der Literatur gehört in die folgende Periode. Wir fügen nur am Schlusse noch hinzu, daß bei Basedow das Gelingen eines Plans unmittelbar einen andern hervorrief. Auch der neue Plan ward durch ein Manifest um 1770 bekannt gemacht.

Basedow wollte nämlich jegt eine ungeheure Bücherfabrik und Bildungsanstalt für Lehrer mit einer gigantischen Schule für die Menschheit und Menschlichkeit verbinden und kündigte dies an durch den Vorschlag und Nachricht von der bevorstehenden Verbesserung des Schulwesens durch das Elementarwerk, durch Schulkabinette, Edukationshandlung und ein elementarisches

Institut.

Unter dem Lestern verstand Basedow jene philanthropische große Schule, welche wir hernach in ungemein verkleinertem Maaßstabe als Probe werden in Dessau errichtet sehen, wo nicht blos Kinder, sondern auch die Lehrer, welche den verbesserten Unterricht zu ertheilen und die neue Erziehungsmethode zu üben bestimmt wären, unter Basedows Anleitung sollten gebildet werden.

S. 4.

Lessing.

Wir schließen diese Periode mit der Anführung dessen, was Lessing in dem Zeitraum von 1756–1771 geleistet hat, übergehen aber dabei seine Beiträge zu den Literaturbriefen, weil wir diese im Anfange dieses Abschnitts erwähnt haben. Wir betrachten ihn im Allgemeinen als den Anfänger und Vollender deutscher Bildung. Wir haben seiner schon in der vorigen Periode erwähnt, wir werden ihn in der folgenden vor Allen als den Schöpfer einer neuen Sprache und als den heftigsten Gegner sclavischer Unterwerfung unter unverständige Gewohnheiten anführen müssen. Den Gipfel seines Ruhms erreichte er übrigens erst in der folgenden Periode im Kampfe mit

einem lutherischen Pfaffen und mit dem byzantinischen Lehrbegriff des Schulsystems der Theologie; in diesem Kampfe ward er Sieger, fiel aber als Opfer seines Feuereifers. Lessing hatte den Vorzug vor vielen andern, welche nach ihm die deutsche Sprache, die deutsche Literatur, das deutsche Leben aus der reinen und ächten Quelle der Alten und besonders der Griechen bereicherten, daß er zwar nach ihrem Muster immer einfach, gediegen, gedrungen schrieb, dabei aber unserer Sprache nie Gewalt anthat. Er entfernte sich nie ganz von der Sprache des Umgangs, sondern gab das Muster, wie man diese und mit ihr zugleich das deutsche servile Leben veredeln müsse. Er ist auch dadurch groß, daß er nie aus dem Volke heraustrat, um im Nimbus der Vornehmheit zu glänzen und in den Salons zu herrschen. Er verschmähte alle elenden Mittel, welche von egoistischen Seelen ergriffen werden, um sich Ansehen zu verschaffen, nie machte er Partei, erschien nie an einem kleinen Hofe bald kriechend, bald herrschend, war nie Organ einer Academie oder Universität, um sich Clienten, seinem Buchhändler Kunden zu verschaffen.

Wir müssen seiner Verdienste um unsere Sprache und Literatur und seiner unübertroffenen und unübertrefflichen Meifterwerke der Redekunst und Dichtung um so mehr ausführlich gedenken, als er im eigentlichen Sinne des Worts nie Volksschriftsteller war, wenn man darunter einen Mann versteht, der für Damen und für Lesecabinette schreibt. Er wollte nicht vom Haufen gelesen werden, weil er bei allen seinen Arbeiten nur den gründlich gebildeten Theil der Nation vor Augen hatte. Lessing verstand allein unter allen seinen Zeitgenossen die schwere Kunst, zugleich streng logisch, gründlich, belehrend und doch auch unterhaltend und lebhaft zu schreiben, und den Leser durch die Form des Vortrags zu zwingen, an der Sache selbst Antheil zu nehmen. Er konnte, ohne zu Spielereien oder Wigeleien herabzusteigen, oder die Phantasie durch allerlei Schildereien zu bewegen, sogar Abhandlungen über gelehrte Gegenstände oder polemische Schriften über schwere Materien durch Form des Vortrags dem gewöhnlichen Leser anziehend machen.

Lessing gehörte außerdem unter die wenigen Gelehrten, die sich selbst weder überschägen, noch falsch schägen, wenn sie einen großen Ruf erlangt haben; er erkannte selbst, daß er mehr Urtheil und Geschmack als eigentlich große dichterische Anlagen habe, er hat sich daher auch, wenn er, um seine Regeln durch sein Beispiel einzuschärfen, als Dichter auftrat, auf solche Gattungen beschränkt, die weder dithyrambische Begeisterung, noch tragisches Feuer fordern. Davon macht Emilia Galotti keine Ausnahme, weil er das Stück blos in der Absicht schrieb, um zu zeigen, daß ein deutsches Trauerspiel nicht durchaus unmöglich sei, wenn auch die Höhe der Griechen nicht erreicht werden sollte.

Leffing hatte sich am Ende der vorigen Periode und in den ersten Jahren des siebenjährigen Kriegs, während er beim Grafen Trauenzien verweilte, mit andern Dingen beschäftigt, als mit der Literatur, er begann hernach seine schriftstellerische Laufbahn aufs neue mit zwei Schriften ganz verschiedener Art, mit seinem Laokoon und der Minna von Barnhelm. Laofoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, erschien zuerst im Jahre 1766, Minna von Barnhelm im folgenden (1767). Mit der Erscheinung dieses Buchs und mit Herders gleichzeitigen Fragmenten beginnt eine ganz andere Lehre über das Schöne in Poesie und Kunst in Deutschland verbreitet zu werden, als bis dahin geherrscht hatte, oder als von unsern westlichen Nachbarn gelernt werden konnte. Das Studium des Alterthums erhielt durch Winkelmann, Lessing, Heyne um diese Zeit in deutschen Schulen eine ganz andere Richtung und Bedeutung als im ganzen übrigen Europa, man begann unter uns die kleinstädtischen Fesseln eines gelehrten Handwerksgeistes abzuschütteln und lernte empfinden, was ächt menschliche Bildung sei.

Leffings Laokoon war die Frucht seines auf Winkelmanns Schriften gerichteten Studiums, und dieser erkannte noch kurz vor seinem Tode Lessings Verdienste in Rücksicht auf Beurtheilung der Kunst und Kunstwerke an. Winkelmann gestand dabei, daß ihn Lessing in Beziehung auf Vortrag, Styl und Sprache so weit übertreffe, daß er wünsche, geschrieben zu

haben, wie dieser. Lessing wollte nicht blos alle Kunstwerke beurtheilen oder Gegenstände der alten Kunstgeschichte erläutern ; sondern er wollte seinen Landsleuten zeigen, daß die unter ihnen damals noch für ächte Poesie geltende poetische Malerei und Versmacherei nur Rhetorik, nicht Poesie sei. So wie Winkelmanns Ansichten, denen Lessing folgte, bekanntlich in ganz Europa eine andere Beurtheilung der Kunf, als die bis dahin herrschende, begründeten, so änderte Lessings Laokoon die bis dahin in Deutschland geltende Schultheorie vom Schönen in den Werken der Dichtkunst. Man lernte aus dem Laokoon auf eine angenehme und unterhaltende Weise die Muster der Alten und zwar nur der Vorzüglichsten unter ihnen, richtig gebrauchen, man war in den Stand gesezt, selbst zu urtheilen, und es war nicht mehr so leicht, den Dichternamen zu erwerben als vorher.

Lessing, der von seinen eignen dichterischen Fähigkeiten sehr bescheiden urtheilt, scheut sich nicht, zu sagen, daß sein Freund Kleist über den von ganz Deutschland bewunderten Frühling ganz anders gedacht habe als das deutsche Publikum. Er habe eingesehen, daß diese nach den englischen Mustern eines Thomson und anderer neben einander gestellte Reihe von Gemälden der Bewegung entbehre, welche das Wesen der Poesie ausmache. Er habe daher auch alles ändern, einen Plan hineinlegen und die Menge der Bilder, die er aufs Gerathewohl, bald hier, bald da aus dem unendlichen Raume der verjüngten Schöpfung gerissen habe, vor seinen Augen entstehen und auf einander folgen lassen wollen. Schon die Wahl des Laokoon und der Zusaß auf dem Titel lehrt, wie sicher Lessing sein Ziel zu treffen verstand; denn man denkt unmittelbar an das berühmte Kunstwerk in Marmor und an die Stelle Virgils im zweiten Buche der Aeneide, Leffing darf daher nur die Erinnerung an den Philoctet des Sophocles, der sich um körperlichen Schmerz dreht, hervorrufen, um Alles zu vereinigen, was er als Grundlage bedarf. Er zeigt am Werke des Künstlers, an dem des rhetorischen Dichters und an dem des schöpferischen und begeisterten Tragikers, wie sich jeder, der in seiner Gattung groß sein will, eines Stoffs auf eine seiner Gattung eigenthümliche Weise bedienen muß.

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