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Zweiter Abschnitt.

Geschichte des Fortgangs und der Entwickelung der Bildung und Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts.

Erstes Kapitel.
Frankreich.

Einleitende Bemerkungen über einige Erscheinungen der englischen Literatur.

Die französische Literatur der in diesem Bande behandelten Periode ist von solcher Bedeutung für den Zweck dieses Werkes, daß wir die Englische nur im Vorbeigehen erwähnen wollen. Wir wollen nur die Namen einiger englischer Schriftsteller anführen, auf ihre Arbeiten werden wir im nächsten Bande wieder zurückkommen.

Den ersten Plag unter diesen Männern verdient unstreitig Lord Chesterfield, der, wie das in unsern Tagen oft geschieht und geschehen ist, durch seinen Rang und seine Thätigkeit als Weltmann und Staatsmann seinen Schriften in ganz Europa eine große Zahl von Bewunderern verschaffte und ihnen jenen Stempel der Vornehmheit ausdrückte, welcher der Modelectüre von einem Ende von Europa zum andern bald einen franzö fischen, bald einen englischen Charakter gibt. Chesterfield war persönlich und hernach auch durch seine Bücher in Paris, in Berlin, im Haag ebenso bekannt und beliebt, als in London; er nimmt einen der ersten Pläge unter den Schriftstellern ein, die nach dem Beispiel der Franzosen sich bemühten, eine vor

nehme Literatur für die höheren Klassen von ganz Europa zu erschaffen, die, allen Europäern angehörend, jedes nationellen, individuellen, kräftigen Charakters ermangelt und im Egoismus weichlich zerfließt. Sein Hauptwerk schildert und unterrichtet den Mann, den er als ein Ideal des ächten Staats- und Weltmanns den gemeinen bürgerlich Erzogenen entgegenstellt. Mit Chesterfield's berühmten Briefen in der Hand versteht man Rousseaus Tendenz viel leichter, weil der Mann, den dieser als Ideal des wahren Menschen aufstellt, gerade das Gegentheil von Chesterfield's Weltmann ist. Der Titel dieser Instruktion des Weltmanns lautet: Briefe des Herrn Philipp Dorner Stanhope an seinen Sohn Philipp Stanhope.

Chesterfield war Freund von Voltaire und Montesquieu, er hatte unter Walpole seine diplomatische Laufbahn begonnen und gerade um 1748 beschlossen; daraus allein wird man schon schließen können, daß er sehr wenig Werth auf bürgerliche Moral legte. Zur Ehre der Engländer der Zeit Chesterfield's müssen wir jedoch gestehen, daß sie es noch nicht so weit gebracht hatten, daß sie der genialen Lebensweisheit unbedingt gehuldigt, oder die Vollendung der Form, die man an den erwähnten Briefen rühmte, den Styl, die Sprache, die das Buch zu einem klassischen machten, für einen hinreichenden Ersag für den mangelnden Ernst des Inhalts hätten gelten lassen. Auch ohne in eine ausführliche Untersuchung oder in eine Analyse von Chesterfield's Schriften einzugehen, läßt sich darthun, daß er, wie Hume, auch in Rücksicht der Form ganz zur französischen Schule übergegangen war. Um dies zu beweisen dürfen wir nur das Zeugniß des Franzosen Süard anführen, welches um so mehr Gewicht hat, als auch alle Engländer, welche ihre berühmten Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts mehr als die früheren bewundern, mit ihm völlig übereinstimmen. Süard fagt nämlich ausbrüdlich, es gäbe wenig Bücher in englischer Sprache, deren Styl sich mehr den grammatischen Formen der französischen Sprache nähere als der von Chesterfield's Briefen. Er fügt hinzu, was wir oben angedeutet haben: dies kommt daher, weil Chesterfield, wie Hume,

Bolingbroke und Gibbon mit der französischen Literatur und Sprache aufs innigste vertraut war. Dasselbe beweisen auch die vielen und lauten Lobreden der Franzosen, die man bei ihren Schriftstellern nachlesen mag.

Der Inhalt jener Briefe entspricht ganz der Sophistik und Rhetorik ihrer Form. Chesterfield, wie viele Deutsche, welche Göthe nachahmen, sagt ganz dreist heraus, daß Manieren und äußere Gewandtheit in der Welt viel wesentlicher sind, als Ernst und Tugend. Die Lehre, welche man sonst nur im Stillen und mechanisch jungen Leuten von Stande einprägt, wird hier systematisch gelehrt, daß die bloße äußere Form ohne allen innern Gehalt dem vornehmen Mann ein Uebergewicht im Verkehr des Lebens gebe, daß seine einzige Wissenschaft darin bestehe, nie eine Blöße zu geben, seine Reden wie seine Gesichtszüge und die Bewegungen seines Körpers ganz in seiner Gewalt zu haben u. s. w.

Dieses Alles behandelt übrigens Chesterfield anders, als unsere deutschen Philosophen und Rechtssophisten, die in großartiger Rede Religion und Moral so wunderlich entstellen, daß die einfache Seele vor lauter Dialektik, Poesie, Rhetorik nicht mehr weiß, was Recht oder Unrecht ist; er redet nicht von Philosophie, sondern von Erfahrung. Chesterfield macht nur zur Regel und Lehre was in den Kreisen, in welchen er sich bewegte, stets als Weisheit gegolten hat und in diesen Kreisen ftets als solche gelten muß. Platonische Philosophie und christlich bürgerliche Moral würden dort lächerlich sein; doch ist Chesterfield noch einen Schritt weiter gegangen und auf diese Weise der Frivolität der Schule Holbach's näher gekommen. Dies hat ihm sein eigner guter Freund Johnson vorgeworfen, wenn er sagte: Chesterfield's Buch sei eine Anweisung zur Moral öffentlicher Dirnen und zu Manieren eines Tanzmeisters.

Dies ist freilich etwas hart ausgedrückt, Johnson spielt aber besonders darauf an, daß Chesterfield auch in dem Punkte die Franzosen seiner Zeit nachahmt, daß er die Klugheitslehre der Wüftlinge in ein System bringt. Er lehrt nämlich seinen Sohn, wie er gewisse bestimmte Weiber verführen könne, dann wie man es anzufangen habe, um jede weibliche Tugend zu

zerstören, denn bekanntlich sind alle weibliche Tugenden durch Keuschheit bedingt. Chesterfield lehrt übrigens diese Verführungskunst nur in Beziehung auf diplomatische Geschicklichkeit desjenigen Weltmanns, der das weibliche Geschlecht als Werkzeug seiner politischen Zwecke, seiner ehrgeizigen und sinnlichen Bedürfnisse betrachtet.

Hume, der in der Zeit, deren Geschichte wir erzählen, in Deutschland, wo er durch eine ganz abscheuliche Uebersetzung nur den Gelehrten allein zugänglich war, weniger als in Frankreich gelesen oder bewundert ward, hat durch seine eigne ganz bestimmte Erklärung, daß ihn bei Abfaffung seiner Geschichte das Urtheil und der Geschmack seiner Pariser Freunde, der ausschließend sogenannten Philosophen, geleitet habe, den Beweis erleichtert, daß auch er nur die Lehren der Männer, von denen wir in den folgenden Paragraphen reden, in ein englisches Gewand kleidete. Uebrigens lieferte Hume seiner Zeit eine Geschichte, wie sie das Bedürfniß der Zeit forderte. Nachdem Voltaire und Bolingbroke ein Licht gesunder Kritik oder kecken Läugnens über die todte Masse des historischen Wissens verbreitet hatten, mußte man nothwendig Dialektik, Rhetorik und Sophistik zu Hülfe rufen, wenn man zu dem Publikum reden wollte, welches ihre Schriften gelesen hatte.

Jeder, der Humes oder auch Gibbons Lebensgeschichte kennt, weiß auch, daß diese beiden unter den französischen Akademikern und Encyklopädisten zu Hause waren, daß sie in der französischen Literatur und Sprache lebten, und von der Begierde durch Effect zu glänzen, gleich den Parisern ergriffen, die französische Rhetorik und Sophistik nicht verschmähen durften. Dies wird man wahrnehmen, wenn man die darum nicht weniger ausgezeichneten und ihres bleibenden Ruhms würdigen Hauptwerke der beiden Meister einer neuen Schule auch nur flüchtig durchblättert. Hume stand weit höher, als unser Grimm, als der Italiener Galiani, als die Diderot, Raynal, Marmontel, Helvetius, Holbach, denn er war auch Rousseaus Freund. Diesem war aber bekanntlich die Weisheit der angeführten Männer eine Thorheit und ein Frevel, das Leben derselben ein Aergerniß. Hume kam daher auch mit

seinem historischen Werke, mit seinen kühnen Zweifeln, mit der scharfen Kritik, mit der Kunst, die Thatsachen für ein gewisses System und für einen gewissen Zweck zu gebrauchen, in England etwas zu früh, die erste Aufnahme seiner Arbeit war deshalb keineswegs ermunternd. Erst mit der Ausbreitung der neuen Bildung, als die Pariser Ansicht des Lebens die Modeansicht der vornehmen Welt geworden war, siegte die neue Art Geschichte über das alte Vorurtheil. Dies folgern wir aus Humes eignen Worten, wenn er triumphirend berich tet, wie unglaublich gering anfangs der Absag eines Werks gewesen sei, welches nachher verbreitet war, wie englische Zeitungen zu sein pflegen. Wir würden diese allgemeinen Andeutungen durch eine nähere Prüfung vieler Stellen aus Humes Geschichte, in welchen von Christenthum und seinen Einrichtungen, vom Mittelalter und seinen Sitten und seiner Religiosität die Rede ist, belegen, wenn wir nicht im nächsten Bande ausführlicher auf Hume zurückkommen müßten.

Von Fieldlings und Richardsons Romanen, welche für das deutsche Leben und für die deutsche allgemeine Literatur der beiden vorlegten Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts viel bedeutender sind, als Chesterfield oder Hume, läßt sich nicht behaupten, daß sie für die vornehmen Klassen berechnet seien, man wird daher auch in ihnen keine Spuren jener von Paris und von Voltaire ausgegangenen Bildung entdecken; doch wird man von einer andern Seite her den mächtigen Einfluß einer neuen Zeit nicht verkennen. Fieldling hat nur englisches Leben und englische Sitten nach englischer Weise von der Seite her gezeichnet, von welcher es auch Hogarth mit Hülfe des Pinsels und Griffels meisterhaft dargestellt hat; aber auch er zeigt mechanische Religionsübung und hierarchische Heuchelei in demselben Licht als die französischen Spötter; Richardsons Manier dagegen wird von den Franzosen selbst als die ihrige erkannt.

Fieldling stellt in seinem Tom Jones die alte Methode der Erziehung, die auf Formen und Formeln beruhende Religiofität des Kirchenglaubens mit dem natürlichen Gefühl, mit dem angebornen Sinn der Rechtlichkeit, mit der Religion des reinen Gemüths in einen eben so schroffen Kontrast, als

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