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compendium, welches das ganze Pandektenrecht in Einem Bande statt der üblichen drei, und gleichwohl mit reichem Material, in lesbarem Deutsch, in conciser Schärfe und gedrängter Kürze des Ausdrucks, in mustergültiger Proprietät und Klarheit der Terminologie zur Anschauung brachte.

Gleichwohl erscheinen diese äußerlichen Vorzüge verhältnißmäßig gering im Vergleich mit dem tiefen Eindringen in die juristische Logik des classischen Pandektenrechts und deren geistvoller Reproduction. Diesem materiellen, das juristische Denken überall anregenden und den juristischen Verstand in hohem Grade befriedigenden Gehalt wird daher der Erfolg des Werks vorzugsweise zuzuschreiben seyn.

Es hat allerdings und selbst in der neuesten Zeit nicht an Oppositionen gegen diese seine vorherrschende Eigenthümlichkeit gefehlt, so wenig bezüglich des Ganzen als im Einzelnen.

„Es hat einmal etwas höchst Verlockendes sagt Jhering, Geist des römischen Rechts III. (1871) S. 309- ja man möchte sagen es ist eine im Wesen der Jurisprudenz selber tief begründete Versuchung, daß sie den realen Mächten gegenüber, mit denen sie sich in die Schöpfung des Rechts zu theilen hat, die Autonomie des juristischen Denkens zur möglichsten Geltung zu bringen und auch das Positive zur idealen Höhe einer logisch-juristischen Wahrheit zu erheben sucht. Gerade in der Gegenwart hat diese Richtung einen höchst bedenklichen Grad erreicht — bedenklich aus dem Grunde, weil diese Scheinbegründung, diese logische Selbsttäuschung von den wahrhaften Quellen, in denen die leßten Gründe der Rechtsfäße zu suchen, und damit vom wahren Verständniß des Rechts überhaupt abführt. An die Stelle der realen Kräfte, welche im Schooße des Rechts walten, sezt sich die Dialektik des Begriffs; was jene geschaffen und hervorgebracht, giebt sie für ihr Werk aus, indem sie, jenachdem es positiver oder negativer Art ist, das eine als logisch nothwendig,

das andere als logisch unmöglich deducirt. Die Stellvertretung und die Uebertragung der Obligationen ist ausgeschlossen, weil der Begriff der Obligation sie nicht verstattet (Puchta, Pandekten §. 273), der Erblasser kann nicht zum Theil aus dem Testament, zum Theil nach Intestaterbrecht beerbt werden, weil die testamentarische und Intestatsuccession logisch incompatibele Begriffe sind, die Specification muß Eigenthum geben und die bona oder mala fides darauf ohne Einfluß seyn, weil der Begriff dies verlangt und selbst der Eigenthumserwerb an der insula in flumine nata der alveus derelictus ist durch dringende begriffliche Gründe ins Leben gerufen (Puchta §. 154. 165). In Puchta zählt die oben geschilderte Richtung ihren namhaftesten Repräsentanten, und wenn ich nach eigener Erfahrung urtheilen darf, so hat gerade sein Beispiel auf Manche einen bestimmenden Einfluß ausgeübt. Wir dürfen hoffen, daß diese ungesunde Richtung - ich fann sie nicht anders bezeichnen, dieser Gößencultus des Logischen ihren Höhepunkt bereits erreicht hat, wenigstens möchte es schwer seyn, die in dieser Richtung begangenen Excesse noch zu überbieten. Dieselben haben aber doch das Gute gehabt, daß sie Jedem, der seine Augen noch nicht völlig verloren hat, dieselben ge= öffnet haben." So weit Jhering's Urtheil über das Ganze.

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In speciellen Anwendungen hat dieser Tadel auch anderweitige Zustimmung gefunden. „Puchta sagt z. B. mein verehrter College Bruns in v. Holzendorff's Encyklopädie (1870) S. 368 erklärt zwei Erben hinter einander für dem Wesen des Erbrechts widersprechend". Wo und wie dieses mit dem Wesen des Erbrechts in Widerspruch stehen soll, ist — schwer zu entdecken, zumal die Römer selbst es gar nicht angenommen haben. Sie gründen die Regel (semel heres semper heres) nicht auf die specifische Natur des Erbrechts, sondern sie war ihnen nur eine Folge der allgemeinen Unzulässigkeit von Endterminen und Resolutivbedingungen bei den

altcivilen Rechten. Deßhalb machen sie auch bei Soldaten eine Ausnahme von der Regel, ebenso wie von der Regel nemo pro parte etc. Diese Ausnahme ist für Mühlenbruch und Puchta natürlich sehr unbequem, sie wollen darin nur eine fideicommissarische Substitution sehen, beachten aber nicht, daß dann gar kein Privilegium für die Soldaten mehr darin läge und die Zusammenstellung mit dem nemo pro parte sinnlos wäre.“

Es giebt aber auch altcivile Rechte, welche wegen ihrer vergänglichen Natur Endtermine und Resolutivbedingungen ertragen, wie z. B. Nießbrauch und Vormundschaft, während jedes Erbrecht gerade seinem allgemeinen Wesen nach einen Todesfall und einen Generationswechsel vorausseßt, über den sich nur die völlig subjective Willfür des Soldaten hinwegsehen darf.

Doch über diese und ähnliche Einzelheiten ließe sich vielleicht noch streiten.

Jhering's Einwürfe aber lassen ganz außer Acht, daß Puchta die realen Faktoren der Rechtsbildung, die historischen, politischen, öconomischen, ethischen Elemente, mit einem Worte die ganze lebenskräftige rechtsbildende Vergangenheit des römischen Rechts noch in einem zweiten Hauptwerke so ausführlich wie befriedigend dargestellt hat. Dieses Werk ist der „Cursus der Institutionen“, von welchem der Herausgeber soeben die siebente vermehrte Auflage besorgt hat.

Es sind also nur die Pandekten, in denen jene realen Faktoren. hinter dem logischen Element zurücktreten.

Diese Behandlungsweise aber hat ihre volle Berechtigung. So lange das römische Recht im Rechtsunterricht durch einen Doppelcursus vertreten wird, müssen seine vergänglichen historischen Elemente naturgemäß den Institutionen und nur die bleibenden rationellen universalen den Pandekten zufallen. Diese bleibenden Elemente aber was sind sie anders als jenes logische Gegenbild, welches

überall wo eine Rechtswissenschaft entsteht, dem realen Wesen der Dinge gegenübertritt. Indem nun der Verfasser hiermit abschließt, verfährt er nicht anders wie die classischen Juristen, welche beispielsweise ihr Nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest nicht auf seine ethischen und politischen Gründe, sondern auf den logischen und sprachlichen Widerspruch zwischen testatus und intestatus zurückführen.

Mit etwas mehr Schein von Recht könnte man dem Verfasser vorwerfen wollen, daß er auf jener Stufe der römischen Rechtsdialektik stehen bleibt, statt auf die mittelalterlichen und modernen Rechtsgedanken einzugehen, welche das römische Recht allmälig in das gemeine deutsche Recht umgestaltet haber. So könnte Jemand geltend machen, daß der Verfasser den Rechtsschuß der Tradition auf die iustae causae des römischen Rechts beschränkt (§. 148 e), daß er die unentwickelte römische Stellvertretung, welche in dem Sclavenwesen und dem Familienrecht ihren Ursprung, in der Verwerfung der Verträge zu Gunsten oder zu Lasten Dritter, so wie in der activen Correalobligation und der Delegation ihre Consequenzen hatte, als geltendes Recht behandelt (§. 273), daß er das mangelhafte römische Credit- und Vormundschaftswesen (§. 193. 331), die auf sittlicher Corruption beruhende Beschränkung des Gelddarlehens an Hausfinder (§. 306), das specifisch römische Notherbenrecht (§. 485) insonderheit die Enterbungsformen (§. 473 Note c, vgl. dagegen Vangerow §. 449, 1, Jhering, Geist des R. R. II. 2. S. 437 Note 614) als Bestandtheile unseres heutigen Rechts darstellt, so daß es den Germanisten überlassen bleibt, von dem ganzen ehemals sogenannten usus modernus pandectarum Besitz zu ergreifen und denselben auf seine wahren Grundlagen zurückzuführen, wie denn dieses, und zwar nicht zum Schaden der Sache, beispielsweise in Beseler's „System des deutschen Privatrechts" bereits geschehen ist und bei der vorherrschen

den germanistischen Strömung der Zeit bald allgemein geschehen dürfte.

Sollte jedoch der Verfasser in jenem romanistischen Rigorismus in der That zu streng verfahren seyn, so liegt die Compensation wiederum eben in seiner oben erwähnten eigenthümlichen Richtung auf die römische Rechtsdialektik. Denn wie verkommen auch die historischen und ethischen Grundlagen des classischen römischen Rechts, die Staatsinstitutionen, das Vormundschafts- und Creditrecht, die sittlichen Zustände, das Strafrecht und vollends das Internationalrecht des sinkenden römischen Kaiserreichs uns mit Recht erscheinen mögen, über allen diesen Rechtstheilen steht doch noch immer die meisterhafte Logik der classischen Juristen, jene Rechtsmathematik, die in den Seminarien der Rechtslehrer und Respondenten erzogen, in der reichen Rechtslitteratur gesammelt und vor Allem durch die antike Einheit praktischer Theorie und wissenschaftlicher Praris getragen, ein Bruchstück altrömischer Geistesgröße darstellt, mächtig genug, um noch in dem trümmerhaften byzantinischen Excerpt dem mittelalterlichen wie dem heutigen Recht als Muster zu dienen.

Unsere Zeit und unsere Nation bedarf des juristischen Idealismus um so dringender, je mehr auch in der Rechtswissenschaft der Subjektivismus der Methode und Construktion, wie in dem Rechtsleben der Gegenwart die Richtung auf die materiellen Interessen vorherrschend wird. Die romanistische Rechtswissenschaft ist aber nicht nur eine Zierde und ein Sammelplaß der Culturvölker, die Universalität, die Einfachheit, Klarheit und Consequenz ihrer Rechtsgedanken erhebt sie zum Correktiv gegen die Ausschreitungen des modernen Rechtsgeistes, zu einer Schule und Zucht des juristischen Denkens, in welche uns noch mehr als bisher zu vertiefen Noth thut, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, längst Veraltetes und Abgestorbenes als geltendes Recht zu behandeln oder in der Construktion

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