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Sanskritsprache, enthalten theils Hymnen und Gebete, theils Opfervorschriften, theils Lehren und Sprüche und werden von den Brahmanen studirt und ausgelegt. Die indische Poesie, aufs innigste verwebt mit Musik und Tanz, die jeder Festlust dienten, ist durch und durch religiös; auch wo sie in das Menschliche herabsteigt, geschieht dies nur mit Maschinerie des Götterthums.

Die Puranas, Erläuterungen der Vedas, sind die Hauptquelle der reichen und bunten Mythologie.

Nach den übrigen Schriften, die sich auf Religion und Cultus, zugleich aber auch auf profanes Wissen beziehen, den Upavedas, Vedangas und Upangas, erscheinen die Inder als Erfinder des dem Abendlande erst im 11. Jahrh. durch die Araber überkommenen Zehnziffersystems, der Algebra und Astronomie, des Schach- und Kartenspiels und der Tonleiter von sieben Tönen.

Ueber die Vedas: COLEBROOKE, JONES, ANQUETIL-DUPERRON, M. MÜLLER 1849–54, LANGLOIS 1848-51, PAVIE 1854. Ueber Mythen und Religion: CREUZER, Baur, Görres, Stuhr, v. BoHLEN, LASSEN, Polier (1814), MÜLLER, RHODE. M. MÜLLER, On the Veda and Zend - Avesta, 1853. CoLEBROOKE, Ind. Algebra, 4817. BAILLY, De l'astron. ind., 1787. Thätig für die Vedas sind ausserdem BENFEY, ROTH und WEBER. A. WEBER, Indische Literaturgeschichte, 1852. HOLTZMANN, Indische Dichtungen, 1854.

§. 70. Unter den Rechtsbüchern, den Dharmasastras, steht den Vedas zunächst an Ansehen das aus dem 12. oder 6. Jahrh. v. Chr. herrührende Gesetz des Menu oder Manu 1, welches geistliche und bürgerliche Rechtsverordnungen über Erziehung, Ehe, Cultus, Regierung, Rechtspflege, Kasteneinrichtung u. s. w., nebst den meistens sehr harten Strafbestimmungen gegen die Uebertreter enthält, ein Rechtssystem, in welchem sich Despotismus und Priesterherrschsucht die Hände reichen. Ferner gehören in diese Kategorie: ‚Mitakschara', ,Dayabhaga',,Dattaka-Mimansa', ‚Daya-Krama-Sangraha 2. 1 Original 1813 u. 1830; deutsch von Hüttner, 1797. Digest of Hindu law, 1801.

2 COLEBROOKE,

§. 71. Waren die Rechts- und die heiligen Bücher zunächst für die Braminen oder Priester bestimmt, so sollten die gleichfalls sehr alten grossen mythisch-epischen Darstellungen vorzugsweise den Muth der Ketri oder Kriegerkaste beleben, der ,Ramayăna von Valmiki1 und der,Mahabharata', angeblich von Vyasas 2, die anfangs, den Homerischen Gesängen vergleichbar, mündlich vorgetragen und traditionsweise fortgepflanzt wurden.

Der aus sieben Kamdas oder Büchern, vielen Sargas oder Abschnitten und aus 24,000 Slokas oder Doppelversen bestehende, Ramayana' handelt von dem Kampfe und Siege des göttlichen Helden Rama über Ravana, den Fürsten der Rakschasas oder bösen Genien, um seine geraubte Gattin zu befreien, und wie er auf diesem Zuge zugleich die Religion nach Süden bis Ceylon verbreitete.

Der aus 18 Gesängen bestehende ,Mahabharata' enthält fast alle epischen Sagen der Inder, verflochten in den Kampf der Bharatiden, zweier verwandten Geschlechter, der Pandavas oder Pandus und der Kauravas oder Kurus, um den Thron von Hastinapura, bis letztere mit Hülfe des Krischna besiegt werden. Eine Episode daraus bilden die „Nalas' 3 oder die schöne Erzählung von Nal und Damajanti. Andere Episoden sind: die Reise des Ardschuna zum Himmel des Indra (Indralokagananam), Hidimba's Tod, Brahmanenwehklage, Sundas und Upasundas, Savitri, die Flutsage 4.

Spätere epische Dichtungen gibt es vorzugsweise sechs, die jedoch fast nur dem Namen nach bisher bekannt sind: ,Meghaduta (Wolkenbote) von Kalidasas 5,,Raghuvansa“ (Geschlecht des Raghu), die Geburt des Kumaras von Kalidasas, der Tod des Sisupala von Maghas 6,,Naishadiyacharita' von Sriharscha, ‚Kiratarjuniga von Bharavin,

1 Ausgabe von A. W. SCHLEGEL 1829, GorrESIO 1843; Original und Uebersetzung von Carey und Marshman, 1806. Uebersetzungen von Bruchstücken durch F. u. A. W. Schlegel, Bopp, Höfer, Holtzmann. 2 Ausgabe des Originals 1834, Uebersetzungen von Goldstücker 1847 u. 1851 und F. v. Schack. 3 Ausgabe von BOPP 1810; Uebersetzungen von Kosegarten 1820, Bopp 1838; freie Nachbildung von Rückert 1828. MEIER, Die classischen Dichtungen der Inder, 1847. 4 Alle verdeutscht von Bopp, Den Grundstoff des Mahabharata, seiner Episoden entkleidet, gab HOLTZMANN 1846 in seinem Werke Kuruinge. 5 Deutsch von Hirzel 1845, Müller 1847. 6 Deutsch von Schütz 1842.

§. 72. Als wichtigste Quelle der indischen Philosophie, als Lehre von der Unwandelbarkeit des Schöpfers, ein philosophisches Gespräch zwischen Ardschuna und Krischna, gilt ,Bhagavadgita' (der göttliche Gesang) 1. Im Uebrigen zerfällt die indische Philosophie, die sich jedoch unter dem Einfluss der Priesterkaste und bei der herrschenden poetischen Richtung nicht frei entwickeln konnte, obwol sie die wichtigsten Aufgaben der forschenden Vernunft erschöpfte, in sechs selbständige Systeme 2.

1 Den Wilkins ins Englische, Parraud ins Französische, Meier (in Klaproth's Asiatischem Magazin) ins Deutsche übersetzte, A. W. Schlegel

1823 u. 1846 im Original mit latein. Uebersetzung herausgab. Abhandlung darüber von W. v. HUMBOLDT, 1826. 2 F. SCHLEGEL, Sprache und Weisheit der Inder, 1808. COLEBROOKE, On the philosophy of the Hindous, in den Transactions of the Royal Asiatic society, II. WINDISCHMANN, Sancara (Darsteller des Systems der Vedanta, 1817) s. de theologumenis Vedanticorum, 1833. Bibliotheca Tamulica von GRAUL: Tamulischer Text einer Vedanta dichtung nebst Uebersetzung.

§. 73. Das indische Drama soll von einem mythischen Könige und Weisen, Bharata, herstammen, der seine Schauspiele von Gandharven und Apsarasen (Genien, die den Hofstaat des Gottes Indra bilden) zur Ergötzung Indra's habe aufführen lassen. Zur schönsten Blüte gelangte es unter dem glücklichen Könige Vikramaditya (56 v. Chr.?), an dessen Hofe die Musen geehrt waren. ,,Hauptgegenstand der indischen Dramen ist die Liebe, während die komische Seite desselben sich meistens in der Verspottung der Brahmanen zeigt. Dieses Gemisch von Komik und Pathos findet sich wieder bei Shakspeare und Calderon, wie denn an den Erstern auch die dramatische Sitte der indischen Dichter erinnert, ihre Personen abwechselnd in Versen und Prosa sprechen zu lassen und die untergeordneten ausserdem durch den Gebrauch von Dialekt und Patois zu charakterisiren. Dem indischen Schauspiel fehlt der eigentlich dramatische Nerv, der Kampf mit dem Schicksal. Dafür gibt es einen grossen Reichthum der Naturschilderung, Hoheit und Zartheit der Gesinnung, Buntheit der Scenerie, Innigkeit der Herzensäusserung. Ein tragischer Ausgang ist hier nicht gestattet, sondern die Stücke enden, nachdem sieben, acht, neun Acte hindurch geliebelt, gelitten, intriguirt, gelacht und geklagt worden, mit heller Heiterkeit." Unsere Bezeichnungen Trauerspiel, Lustspiel, Schauspiel hält Scherr nicht passend für die Erzeugnisse der indischen Bühne, sondern meint ihr Wesen durch Melodramen am richtigsten anzudeuten.

Obenan stehen die liebliche, blumenreiche Schicksalsfabel ,Sakuntala oder der Erkennungsring' und,Vikramorvasi (Vikramas und Urvasi) oder der Held und die Nymphe‘2. Beide von Kalidasas, welcher um 56 v. Chr. am Hofe des Königs Vikramaditya lebte, der die Gangesländer bis nach Kaschmir hinauf beherrschte.

Eine halb lyrische, halb dramatische Dichtung ist,Gitagovinda', ein Cyklus glühender Liebeslieder, welche die Liebe des in den Hirten Govinda verwandelten Gottes Krischna

zur schönen Schäferin Radha besingen, deren Verfasser, Jayadeva, noch vor Kalidasas gelebt haben soll 3.

Dramaturgie von Dhananjayas unter dem Titel,Dasarupaka' aus dem 11. Jahrh. n. Chr.

1 Die Sakuntala lernte William Jones durch seinen hindostanischen Lehrer kennen, Chézy gab den Originaltext, Böhtlingk Text und Uebersetzung, Jones engl. Uebersetzung 1789, Forster deutsch 1794, Gerhard metrisch für die Bühne bearbeitet 1820, deutsch auch Hirzel 1833 und Schrader 1837. F. SCHLEGEL sagt, dass dieses Werk von der indischen Dichtkunst den besten Begriff geben könne (Gesch. d. alten u. neuen Lit., n. A., S. 136), und Bohlen bemerkt, dass es ungemein wichtig für die Sitten, den Glauben und das ganze innere Leben des indischen Volks ist, da die Charaktere aus der Natur entlehnt und nicht, wie im Epos, erdichtet sind (Altes Indien, II, 398). Göthe's Epigramm:

Willst du die Blüte des frühen, die Früchte des späteren Jahres,
Willst du, was reizt und entzückt, willst du, was sättigt und nährt,
Willst du den Himmel, die Erde mit einem Namen begreifen :
Nenn' ich Sakuntala dir und so ist Alles gesagt!

3

2 Uebersetzt im Theater der Hindu, I, 295, theilweise auch in den Wiener Jahrbüchern 1829, von Hirzel 1839 und Bollensen 1846. Englisch von Jones, daraus deutsch von Majer, metrisch von Riemschneider und Rückert. Lassen 1837. WOLFF, Theater der Hindu, 1828-31, aus dem Engl. des WILSON 1827.

§. 74. Die indische Lyrik ist erotisch und didakitschascetisch 1.,Mohamudgara' (Schlägel der Thorheit) von Sankara Acharya (8. Jahrh. n. Chr.) 2. Von Kalidasas: „Sringaratilaka (Stirnmal der Liebe), ,Ritusanhara (Versammlung der Jahreszeiten) 3. Die erotischen Epigramme von Amaru. Erotische Sprüche und Lieder von Bhartrihari, einem Zeitgenossen Kalidasas' 4. „Der zerbrochene Krug' von Ghatakarpuras 5, der mit Kalidasas am Hofe Vikramaditya's lebte.

1 FORTLAGE, Vorlesungen über die Gesch. d. Poesie, 1839; die schönste, mit Dichterglut entworfene Schilderung der indischen Poesie. 2 Bekannt gemacht von JONES, verdeutscht von Bohlen (Altes Indien, II, 175). 3 Originaltext von JONES, deutsch von Kosegarten. + Hundert Sprüche und Lieder von ihm und funfzig von Tschaura (?), übersetzt von Bohlen 1833. 5 Im Original und deutsch 1828, deutsch von Bohlen (Altes Indien, II, 381). HÖFER, Indische Gedichte, 1844.

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§. 75. Die Thierfabeln sind ein ursprünglich indisches Erzeugniss voll Ironie und Satire, in dialogischer Form, polemisirend gegen Frömmler, Heuchler und Priester. Von Vischnusarman die ,Panchatantra' (fünf Sammlungen oder Bücher) aus dem 5. Jahrh. n. Chr. Ein Auszug daraus : ,Hitopadesa (freundliche Unterweisung) 1, in alle Sprachen übergegangen, Quelle vieler romantischer Dichtungen des Abendlandes und Mittelalters. In der persischen Bearbeitung wird als der Verfasser Bidpai angegeben 2, welcher Name eine Uebersetzung des indischen Vidyapriya (Freund der Wissen

schaft) sein soll. Man hält Bidpai für eine ebenso fabelhafte Person wie Locman und Aesop. In Europa wurden diese Fabeln zuerst durch die lateinische Uebersetzung bekannt, welche J. von Capua 1262 aus der hebräischen Version des Rabbi Joel besorgte. Die erste deutsche Uebersetzung liess der würtembergische Herzog Eberhard im Bart 1480 fertigen.

Novellensammlungen: von Somadeva die Vrihatkatha (grosse Erzählung) 3, nach Jones eine Art, Orlando furioso, nach Schlegel das Vorbild zu der arabischen Märchensammlung,Tausend und eine Nacht'. Dasakumaracharita' (Geschichte der zehn Jünglinge), nach Schlegel das Vorbild der Volkshistorie von den sieben weisen Meistern. 1 SCHLEGEL u. LASSEN 1829, deutsch von Müller 1843. 2 WILSON, SYLVESTRE DE SACY, KOSEGARTEN 1846, PH. WOLF 1837. 3 Deutsch von Brockhaus 1830 u. 1843. WEBER, Ueber den Zusammenhang indischer Fabeln mit griechischen, 1855.

§. 76. Die Geschichte im höhern Sinne des Worts hat sich in Indien niemals ausgebildet, denn Kritik, Chronologie und Geographie sind den Braminen unbekannt, eine fortlaufende Aera beginnt erst mit der Hedschra 622. Wilford und Jones haben nach fabelhaften Stammtafeln mit monströsen Zahlen eine Reihe von Dynastien mitgetheilt. In den Epopöen und Puranas verlieren sich die wenigen Thatsachen in Dichtung 1.

Studien der Botanik, Medicin (ihr Stifter: Dhanvantari 2), Chirurgie (Rhinoplastik, Staaroperation, Pockenimpfung), Astronomie, Mathematik: Brahmagupta im 6. und Bhaskara im 12. Jahrh. gelten für die berühmtesten Verfasser mathematischer Schriften Indiens 3.

Aus den Schulen der Braminen stammt die Bell-Lancaster'sche Unterrichtsmethode.

1 HAMILTON, Genealogies of the Hindoos, 1819. 2 The Susruta, or system of medicine, 1835; latein. von Hessler 1844. ROYLE, On the antiq. of Hindoo - medicine, 1837. 3 NESSELMANN, Versuch einer krit. Gesch. der Algebra, 1842. BENFEY'S Abhandlung über Indien, in Ersch u. Gruber's Encyklopädie.

Achtes Capitel.

Iranier.

§. 77. Zwischen Indus und Tigris, hauptsächlich in Baktrien, findet sich im hohen Alterthum das Zendvolk, aus

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