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Vierundzwanzigstes Capitel.
Occidentalisch-christliches Sprachgebiet.

§. 309. Als allgemeines Kennzeichen, das die germanischen Sprachen von den urverwandten (oben §. 10 u. 11) unterscheidet 1 und unter ihren eigenen einzelnen Zweigen eine wesentliche Verschiedenheit begründet, hat Jak. Grimm die Lautverschiebung 2 nachgewiesen.

1 Vor allen andern Sprachen ausgezeichnet und durch die gebildetsten Nationen repräsentirt sind die indisch-europäischen und unter diesen wiederum die indisch-germanischen Sprachidiome: Sanskrit, die medischen, semitischen, griechischen und lateinische oder römische, die reingermanischen, romanischen und slawischen Sprachen. 2 Dies ist der Wechsel der Muten. Es sind nämlich in identisch unentlehnten Wörtern die stummen Consonanten von der ursprünglichen Stufe gerückt. Aus ursprünglicher Tenuis ist im Gothischen Aspirata, aus ursprünglicher Media ist Tenuis, aus ursprünglicher Aspirata ist Media geworden. So entspricht z. B. dem griechischen das gothische f, dem griechischen ẞ das gothische p, dem griechischen das gothische b. Die Lautverschiebung innerhalb der germanischen Sprachen zeigt sich im Hochdeutschen, d. h. hier in den oberdeutschen Mundarten. Während nämlich in den übrigen deutschen Sprachen die stummen Consonanten auf der Stufe geblieben sind, die sie im Gothischen eingenommen haben, sind sie im Hochdeutschen nochmals verrückt worden. Für das Althochdeutsche stellt sich das strenge Gesetz so dar, dass gothische Aspirata althochdeutscher Media, gothische Tenuis althochdeutscher Aspirata, gothische Media althochdeutscher Tenuis entspricht. Die etwaigen Störungen dieser Consequenz innerhalb der alt-, mittel- und neuhochdeutschen Mundarten beeinträchtigen die Wahrheit dieser grammatischen Entdeckung nicht. Derselbe Trieb der Lautverschiebung zeigt sich noch jetzt in ober- und mitteldeutschen Mundarten, in der Verwechselung der sogenannten weichen und harten Buchstaben. Das Sprachgebiet der deutschen Hauptmundarten s. bei GRIMM, Deutsche Grammatik, 3. A., I, 2 fg. VENEDEY, Gesch. des deutschen Volks, 1856.

§. 340. Die gothischen Sprachdenkmäler des Ulfilas (4. Jahrh.) geben das älteste Zeugniss von der ursprünglichen Beschaffenheit der germanischen Sprachen 1.

Die Sprachdenkmäler der Angelsachsen reichen bis in das 7. Jahrh. 2 in dem Gedichte Caedmon's († 680) 3. Aus der angelsächsischen Sprache ging durch Zutritt eines romanischen Elements, das die Normannen 1066 zubrachten, die englische Sprache hervor, die sich der Zeit nach in das Altenglische und seit dem 14. Jahrh. in das Neuenglische scheidet.,,Wie mächtig das germanische Element im Englischen sei, hat jüngst Macaulay in seinem Stil aufs herrlichste dargethan.“

Für die altnordische Sprache Skandinaviens zeugen die

weit ältern, wenn auch erst im 11. Jahrh. aufgezeichneten Lieder der ältern,Edda'. Aus dieser noch in Island erhaltenen Form (Norraena tunga) entwickelte sich das Dänische in Dänemark und Norwegen und das Schwedische 4.

Gering sind die Spuren des Longobardischen und Burgundischen. Die Mundart der Friesen hörte mit dem 14. Jahrh. als eigentliche Schriftsprache auf 5. Sie bildet den Uebergang vom Dänischen ins Sächsische. Das fast einzige Denkmal der altsächsischen Sprache ist der ,Heljand' des 9. Jahrh. (Uebersetz. von Rapp, 1856). Seitdem war bis in das 16. Jahrh. Niederdeutsch die Schriftsprache 6. Ihr folgte Hochdeutsch, während jenes Idiom auch durch Plattdeutsch bezeichnet ward.

Aus der Mundart der Niederfranken erstand im 13. Jahrh. als Schriftsprache die niederländische und seit dem 15. Jahrh. die neuniederländische Sprache 7.

1 GABELENTZ u. LÖBE, Gothisches Glossar. 2 TH. WRIGHT, Biographia Britannica literar., 1842. 3 Ausg. von BOUTERWEK 1849. HICKES, Thes. linguar. sept., 1711. TURNER, Hist. of the Anglosaxons. LEO, Altsächsische u. angelsächsische Sprachproben, 1838. 4 RASK, Undersögelse

u. s. w., 1818, u. Veiledning u. s. w., 1832; deutsch von Wienbarg 1839. PETERSEN, Det danske, norske og swenske Sprogs Historie, 1829 fg.

5 WIARDA, Gesch. d. altfries. Sprache, 1784. 6 KINDERLING, Gesch. d. niedersächs. Sprache, 1808. 7 WILLEMS, Nederduitsche Taal- en Letterkonde, 1819. MONE, Uebersetz. d. niederländ. Volkslit. ält. Zeit, 1838. Vgl. unten §. 417.

§. 311. Drei Zeiträume des Hochdeutschen, der eigentlichen deutschen Literatursprache.

1) Zum Althochdeutschen, von dem unsere Kenntniss bis zum 7. Jahrh. reicht, führt keine Brücke vom Gothischen. Innerhalb desselben herrschen drei Mundarten, die alemannische, fränkische und bairische 1.

2) Es geht im 12. Jahrh. über in das Mittelhochdeutsche, das im 13. Jahrh. in der Poesie zu seiner höchsten Blüte gelangt. Seine Mundarten sind dieselben, wie im Althochdeutschen, führen aber die Namen der schwäbischen, bairisch-östreichischen und fränkischen, deren. Einfluss sich über den Mittelrhein, Hessen und Thüringen erstreckte 2.

3) Das Neuhochdeutsche beginnt im 16. Jahrh. mit Luther und ist seitdem herrschende Schriftsprache 3.

Auf die Frage: wo das beste Deutsch gesprochen werde?

entschied Adelung für Meissen. Daher die Elbe in Schiller's,Flüssen':

Alle ihr andern, ihr sprecht nur ein Kauderwelsch; unter den Flüssen Deutschlands rede nur ich, und auch in Meissen nur deutsch!

1 GRAFF, Althochdeutscher Sprachschatz, 1834 fg. RICHTHOFEn, Altfriesisches Wörterbuch. 2 BARTHEL, Grundriss d. mittelhochdeutschen Formenlehre für Anfänger, 1854. Pfeiffer, Beiträge zur Gesch. d. mitteldeutschen Sprache u. Lit., 1854. MÜLLER U. ZARNCKE, Mittelhochdeutsches Wörterb. etc., seit 1854. 3 ADELUNG, Gesch. d. deutschen Sprache, 1781. JAK. GRIMM, Deutsche Grammatik, 1822, u. Gesch. d. deutschen Sprache, 1848. WOCHER, Entwickel. d. deutschen Sprache, 1843. JAK. u. W. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, seit 1852. PRUTZ, Zur deutschen Lit.- u. Culturgesch., 1854. SCHÖTENSACK, Grundriss d. neuhochdeutschen Sprache, 1856. Die Literatur der Dialekte bei VATER, Lit. d. Grammatik. FIRMENICH, Deutsche Sprachproben in Germaniens Völkerstimmen, seit 1846. Deutschlands Mundarten, eine Monatsschrift für Dichtung, Forschung u. Kritik von PANGKOFER, fortgesetzt von FROMMANN, 1854 u. 1855. SCHWEMINSKI, Materialien zur Gesch. d. deutschen Mundarten (Herrig, Archiv, 13, 1—19).

§. 312. Das Romanzo und die daraus hervorgegangenen romanischen Mundarten entstanden aus der Vermischung des Germanischen mit der lingua Romana rustica oder dem sermo vulgaris seit dem 6. Jahrh.: Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Provenzalisch, Französisch, Daco-Romanisch oder Walachisch, Ladin im Engadinthal, Mundart in Graubündten.

Bei allen wesentlichen Abweichungen soll die innere Verwandtschaft dieser Dialekte lange anerkannt sein, wie man aus Rambaut's († 1207),Descort' (Klage) schliessen zu können meint, worin auf eine provenzalische Strophe eine italienische, französische, gascognische und catalonische folgt.

PLANTA, Gesch. d. roman. Sprachen, 1776. SISMONDI, De la littér. etc., 1813; deutsch von Hain 1816. DIEFENBACH, Ueber d. roman. Schriftsprachen, 1831. HEILMAIER, Entstehung der roman. Sprachen, 1834. CONRADI, Prakt. deutsch-roman. Grammatik, 1820, u. Dictionar. etc., 1823. DIEZ, Gramm. der roman. Sprachen, 1836-43. Wörterbuch der roman. Sprachen, 1853, mit etymolog. Ergänzungen von MAHN. FUCHS, Ueber die sogenannten unregelmässigen Zeitwörter in den roman. Sprachen, nebst Andeutungen über die wichtigsten roman. Mundarten, 1840. MAHN, Etymolog. Untersuchungen auf dem Gebiet d. roman. Sprachen, Spec. 1—4, 1854 u. 1855. Bopp, Ueber das Albanesische, 1855.

§. 313. Die slawische Kirchensprache kam durch die Brüder Cyrill und Method (860) mit dem Cyrill'schen Alphabet und dem Christenthum von Griechenland her 1. Aus der Volkssprache finden sich Anklänge in Liedern aus dem slawischen Heidenthum.

Dobrowski nimmt zwei Ordnungen an: 1) den südöstlichen Zweig (meist griechisch-katholische Slawen) mit

eigenem Alphabet, Kirilica, noch jetzt in den religiösen Schriften herrschend und bis ins 17. Jahrh. auch Amtsschrift, woraus sich die glagolitische, russische und serbische Schrift bildete, umfassend Russen, Bulgaren, Serben, Dalmater, Kroaten und Winden oder Slowenen in Steiermark, Kärnten und Krain.

2) Nordwestlicher Zweig (katholische Slawen) mit lateinischer Schrift, umfassend Polen, Böhmen, Slowaken und Sorben-Wenden 2.

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1 DOBROWSKI, Cyrill u. Method, 1823. 2 Ders., Grammatik. SCHAFFARIK, Gesch. d. slaw. Sprache u. Lit. nach allen Mundarten, 1826, u. Slawische Alterthümer (deutsch 1843). KAULFUSS, Die Slawen, 1842.

§. 314. Celten wird ein einst weit verbreiteter Volksstamm genannt, der jetzt nur noch in den westlichen Theilen Europas, in der französischen Kleinbretagne, in Hochschottland, Wales, auf der Insel Man und in Irland sich erhalten und seine Sprache, die in Cornwallis seit etwa 70 Jahren erloschen ist, bewahrt hat. Die aus dem Griechischen entstandene Buchstabenschrift war von den Druiden verbreitet.

ROSTRENEN, Wörterbuch d. altbreton. Sprache, 1732. MAHÉ, Antiquités du Morbihan, 1829. COURSON, Essai sur l'hist., la langue etc. de la Bretagne armoricaine, 1840. LEGONIDEC, Gramm. celto-bretonne, 1807 u. 1838. KARDANET, Hist. de la lang. des Bret., 1821. MACPHERSON, On the origine of the anc. Caled., 1768. MACKENZIE, Rapport of the committee etc., 1805. SCHÖPFLIN, Vindiciae Celticae. RADLOF, Neue Untersuchungen des Celtenthums, 1822. L. DIEFENBACH, Celtica, 1839. BOPP, Ueber d. celtische Sprache etc., 1839. ZEUSS, Die Deutschen u. die Nachbarstämme, 1837. Grammatica Celtica, 1853. MÜLLER, Die Marken des Vaterlandes, 1837. LEO, Die Malbergische Glosse, ein Rest altcelt. Sprache u. Rechtsauffassung, 1842. EDWARDS, Recherches sur les langues celtiques, 1844. HOLTZMANN, Celten u. Germanen, 1855 (unten §. 404), u. Ueber das Verhalten d. Malberger Glosse zur Lex Salica, 1853.

§. 315. Ob die über Ungarn verbreitete Sprache der Magyaren mit der lappländischen und finnischen 1 oder mit den sogenannten orientalischen 2 verwandt sei, darüber gehen die Gelehrten auseinander. Beimischungen des Lateinischen sind unverkennbar 3.

1 Nach Rudbeck, Eccard, Ihre, Hell, Sajnovits, Gatterer, Schlözer, Büsching, Hagen, Gyarmathi. 2 Nach Otrokotsi, Oertel, Kalmar, Versegi, Beregszaszi. 3 MÜLLER, Der uigrische Volksstamm, 1837. GRUBER, Hist. linguae Hungaricae, 1830. Sprachlehre u. Wörterbuch von BLOCH 1846, u. A.

§. 316. In der grossen Trias des Germanischen, Romanischen und Slawischen erscheinen die beiden erstern als die Organe der Production und Mittheilung, das letztere nebst

den geringen Massen des Celtischen, Turanischen u. s. w. als Organe der Empfängniss und Nachbildung.

Eine culturhistorische Schilderung dieser Völkerfamilien bei WACHSMUTH, Culturgesch., III, 34-41. ENGELMANN, Bibliographie der neuern Sprachen, 1842.

Erster Kreis.

Romanische Literaturen.

§. 317. Das älteste Schriftdenkmal neugebildeter romanischer Sprache ist ein Gedicht über die Gefangenschaft des Boëthius, ferner ein Siegeslied der Franken unter Chlotar II. (Alleinherrscher 613-622), der Eid von Strasburg 842, den Ludwig der Deutsche seinem Bruder Karl dem Kahlen leistete, worin die Grundzüge des Nordfranzösischen erkennbar sind. Der Vertrag von Koblenz 860 ist die nächstfolgende französisch-romanische Sprachprobe. Das Siegeslied auf Ludwig's III. Sieg über die Normannen bei Saucourt in Vimeu 881. Das älteste rhythmische Denkmal in nordfranzösischem Romanzo die Prosa (Kirchenlied) von der heiligen Eulalia aus dem 9. Jahrh.

DIEZ, Altroman. Sprachdenkmale, 1846. Hoffmann u. Willems, Elnonensia, 1837.

Fünfundzwanzigstes Capitel.

Frankreich.

§. 318. Die französische Sprache schied sich etwa seit der Thronbesteigung der Capetinger (987), nach und nach mit schärferer Bestimmtheit, in zwei Hauptdialekte, den wallonischen im Norden und den limosinischen im Süden. Der Unterschied wurde nach dem Bejahungsausdrucke bezeichnet: die südliche Sprache hiess langue d'oc (die occitanische, limosinische, roman provençal, nach der römischen provincia Narbonnensis im südlichen Gallien)', die nördliche langue d'oil oder d'oui (die nordfranzösische oder roman wallon).

Die nördliche trat durch kirchliche Begünstigung 2 früher in das öffentliche Leben ein 3; dagegen gelangte die süd

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