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Was ift fein hoher Ruhm? ein Ding, das man erzehlet,
Die fchöne Seite zeigt, die fchimpfliche verhehlet.

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VII. Nimm eine Lehre wahr, und fie erstreckt fich weit: ,, Nichts als die Tugend ift hier unten Seligkeit." 450 Auf dielem Ruhepunkt fteht das Vergnügen ftille, Gefchmeckt in Lauterkeit, gefchmeckt in feiner Fülle, Von Reue nicht verfolgt, vom Uebel nicht berührt. Hier ifts, wo das Verdienft den Lohn fchon mit fich führt, Gleich felig, ob fein Glück in Wohlthun überfließet, Und ob zu feinem Wohl fich fremde Huld ergießet; Vergnügt, wann der Erfolg nach feiner Abficht geht, Nicht unvergnügt, ob da das Schickfal widerfteht; Auf jeden Fall gefaßt, befriediget in allen: Bey vollem Glücksgenuß vom Ekel nicht befallen, In Noth, um fo viel mehr belebet und erweckt, Je mehr der Unfall droht, je mehr das Wetter fchreckt. Die Freuden, welche fich mit ausgelaßnem Lachen Bey ftumpfgewordnem Sinn fühllofe Thoren machen, Sind minder füße wohl, als es die Thränen find, Mit denen in dem Leid der Tugend Auge rinnt. Sie, da fie gutes zieht aus allen Gegenständen, Kann Zufall, Zeit und Ort in eignen Vortheil wenden; Geübt ohn Unterlaß, nie läffig von dem Lauf.

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Des andern ftürzend Weh hilft ihrem Glück nicht auf, 470
Des andern fteigend Wohl kann fie nicht niederfchlagen.
Worinnen hätte fie den Himmel anzuklagen?

Was mangelt ihr? wenn fie an Tugend mehr begehrt,
Ift ihr nicht dadurch schon der edle Wunsch gewährt?

Dieß einzig wahre Glück, dieß ifts, was in den Zeiten 475 Auf alle Sterbliche der Himmel konnte breiten. Die andern Güter mag des Weltlaufs Wirbel drehn Und geben und entziehn: dieß hieß er ftille ftehn.

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Nach jenen wirft du oft die Hand vergebens ftrecken:
Dieß biethet dir fich dar. Dieß kann, wer fühlet, schmecken,480
Dieß kennen, wer nur denkt. Unendlich weifer Schluß,
Voll Unpartheylichkeit! Arm bey dem Ueberfluß,
Blind, bey der Wiffenschaft der hochgetriebnen Lehren,
Wird Thor und Böfewicht dieß Glück doch ftets entbehren.
Der Gute, feinem Heil mit Ernfte zugekehrt,
Sucht niemals es umfonft; er trifft es unbelehrt.
Er, keiner Secte Sklav, zerreißt die schwachen Stricke
Der Menfchenfatzung leicht, und richtet feine Blicke
Zum Herrfcher der Natur aus der Natur empor;
Malt fich den Welten wurf, den Plan der Dinge vor, 499
Den unermeßnen Plan, der Erd und Himmel gründet,
Und mit dem Sterblichen das Göttliche verbindet;
Sieht leicht, kein einzeln Glück ift fo in fich bezirkt,
Daß es nicht immer noch auf andre Wefen wirkt,
Auf Wefen, welche theils in mehr erhobnen Höhen, 495
Theils ihrem Range nach auf tiefern Staffeln stehen;
Merkt bey der Einigkeit von diesem großen Plan
Den erft und letzten Zweck des eignen Dafeyns an;
Und lernet da verftehn (der Menfchlichkeit zur Ehre)
Wie Glaube, wie Gefetz, wie alle Sittenlehre
In Liebe gegen Gott und Menschen sich vollziehn.
Und auch die Hoffnung führt von Ziel zu Ziel nur ihn,
Sie, deren fanfter Strahl fein fuhlend Herz erheitert;
Bis dann, mit einem Glanz, der ftäts fich mehr erweitert,
Dem Glauben zugefellt, und nun ganz unbeschränkt,
Sie feinen Trieb nach Luft auf jene Zukunft lenkt,
Die dieß fein fehnend Herz, das nichts auf Erden ftillet,
Die feinen ganzen Geift mit Freudigkeit erfüllet.

O dreymal feliger! dann zeigt fich deinem Blick,
Weswegen die Natur auf ein bekanntes Glück
In uns die Hoffnung pflanzt, und auf das unbekannte.
In einem künftigen noch unerblickten Stande,

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Die rege Zuversicht. (Warum gab die Natur,
Sie, deren Vorschrift nie umfonft ift, Menfchen nur
Ein nie gefättigtes unendliches Verlangen?
Warum den Thieren nicht? fie fodern, und empfangen
Was nur ihr Trieb begehrt.) In Wahrheit weisheitsvoll
Ift diefes ihr Gefchenk! was ift ihr Zweck? es foll
Die größten Tugenden das größte Glück begleiten.
Auf einmal zeigt fie dir, o Bürger diefer Zeiten!
Der Ausficht fchönften Blick in eignes Wohlergehn,
Und ftärksten Regungsgrund dem andern beyzuftehn.

Bemerke, welche Kraft in eigner Liebe lieget!
Sie, zur gefelligen und göttlichen gefüget,
Trifft Selbftberuhigung in fremder Wohlfart an.
Verlangt dein Edelmuth noch eine weitere Bahn?
Erftreck ihn auf den Feind. Erricht auf allen Seiten
Ein allgemein Syftem der Wohlgewogenheiten;
Der Menschen ganzes Volk, der Wefen weites Land,
Was denket, fühlet, lebt, fey da dein Gegenstand.
Ergieß in lauter Huld dein unbegrenzt Gemüthe:
Dein größtes Wohl befteht in deiner grüßten Güte.

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Vom Ganzen zu dem Theil fteigt Gottes Huld herab:
Du aber in dem Kreis, den dir die Vorlicht gab,
Mußt von dem Einzelnen zum Ganzen dich erheben. 535
Die Eigenliebe dient die Tugend zu beleben,

So wie den ftillen See der kleine Kiefel rührt ;
Wo, wann der Mittelpunkt von ihm den Eindruck fpürt,
Ein immer neuer Kreis, in neuen Kreis gewendet
Auf alle Fluten hin der Wirkung Fortgang fendet.

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Dem Sohne wird der Freund, der Nachbar zugefellt,
Bald folgt das Vaterland, und bald darauf die Welt.
Durchdrungen vom Gefühl des füßeften der Triebe
Erweitert fich dein Geist in immer größre Liebe;
Die Erde lächlet dir in unbegrenzter Luft;

Der Himmel felhft erblickt fein Bild in diefer Bruft.

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Und du, mein Genius, laß mich bey deinem Lichte,
Du meines Laufes Stern, du Richter vom Gedichte,
O Bolingbrok, mein Freund, mein Lehrer, mein Mäcen,
So weit ich gehen mag, durch dich geleitet gehn!
Laß, ob ich meinen Flug auf- oder abwärts wende,
Von niedrer Leidenfchaft bis an ihr glorreich Ende,
Nach jedes Wechfels Art, im Steigen und im Fall,
Gleich dir mich weise feyn, gleich dir groß überall.
Dein Umgang bilde mich. Dein lehrend Beyspiel zeige, 555
Wie man vom hohen Ernft zum Scherze niederfteige,
Voll Geift, doch richtig auch, oft kühne, nie zu frey,
In dem Begriffe ftreng und nett im Ausdruck fey.
O! fage, wann einmal die Segel auszubreiten,

Dein Ruhm befchäftigt ift, u. längst dem Strom der Zeiten 560
Dein Name schwebt, darf ich, wo feine Wimpel wehn
Bey des Triumphes Zug mit kleinem Nachen gehn.
Wann Held und Staatsmann einft in jenem andern Reiche
So ftille Schatten find, als die gemeinfte Leiche,
Und deren Söhne nun der Väter ihr Vergehn
Und ihren Haß auf dich nicht ohne Scham geftehn:
Soll da die fpäte Welt in diefem Reime lefen,
Du feyft mein Philofoph, mein Führer einft gewefen?

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Daß ich durch dich erweckt auf neue Wege fann :
Dem Schalle minder treu das Wefen lieb gewann;
Des Witzes fchimmernd Nichts zurücke weichen hieße,
Und, o Natur, dein Licht in feinem Glanze wiese :
Und überzeugend wies, trotz Wahn und Uebermuth,
Der Himmel fey gerecht, und Welt und alles gut;
Und wies, daß die Vernunft mit Leidenschaft und Triebe 575
Auf gleichen Endzweck zielt; daß du, o Eigenliebe,
Von der Gefelligkeit nicht unterschieden bift;
Daß unfer irdifch Wohl nur in der Tugend ift:
Daß endlich alles das, was wir Erkenntniß nennen,
In wenig Worten liegt, uns felber zu erkennen.

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À STRASBOURG
de l'Imprimerie de JONAS LORENZ.

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