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Allein, wirkt jene gleich mit überlegner Stärke,
So geht doch die Vernunft vorfichtiger zu Werke.
Steh feft, und händige der Lüfte jähen Lauf;
Ermuntre die Vernunft. Auf die Vernunft merk auf.
Aufmerkfamkeit erwirbt Gewohnheit und Erfahrung.
Sie ftärken die Vernunft; fie dienen zur Verwahrung
Für allem Ueberfall; fie finds, durch die befchränkt 135
Die Eigenliebe fich zur beffern Seite lenkt.

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O Schulen! rüftig ftets die Spaltung zu beginnen, Trennt diefe Freunde, trennt von der Vernunft die Sinnen, Nehmt von der Tugend weg die Anmuth. Schlaue Schaar! So theilt dein rafcher Witz, was nie zu theilen war. Spitzköpfe deren Hirn, wann im Gewäfch verfenket Sie fich in Haaren find, bisweilen gar nichts denket, Bisweilen einerley; das misverstandne Wort

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Giebt Anlaß zu dem Krieg, und Zanksucht fetzt ihn fort.
Auf einen Endzweck fchaun Vernunft und Eigenliebe; 145
Wir wenden uns fowohl aus Einlicht, als aus Triebe,
Von allem Schmerze weg, und dem Vergnügen zu.
Was fucheft du denn fonft? und was fonft flieheft du?
Nur, daß, wann diefe fchnell die ftarken Flügel fchwinget,
Und immer gierig ift, und alles in fich schlinget:
Dort jene ganz gemach den Honig in fich zieht,
Und doch der Blume fchont. Du Reiz! den keiner flieht,
O Wolluft! ja du bist das höchfte Gut zu nennen.
Ach möchten Sterbliche dein Wefen nicht verkennen,
Für die nur allzu oft, wenn fich ihr Fuß verirrt,
Dein trüglich Afterbild ein wahres Uebel wird!

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III. Die Leidenfchaften find nur Aefte diefer Liebe. Schein oder wirklich Gut regt ihres Laufs Getriebe. Doch weil das Gut nicht ftets der Theilung fähig ist, Und die Vernunft befiehlt, daß ich, was mir erfprießt, 160 Mir eigen machen foll: fo können Leidenfchaften, Ob fie wohl nur im Grund des eignen Beftens haften,

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Sind anders die zum Werk erlefnen Mittel rein,"
Der Pflege der Vernunft noch immer würdig feyn.
Sie gehn und ftellen fich mit unter diefe Fahne:
Die andern fchaun umher, vollführen ihre Bahne
Zu einem fchönern Ziel und breiten weit hinaus
Jhr überfließend Wohl auf Nebenmenfchen aus;
Sie gehn und adeln fich, und ihr erlaucht Gefchlechte
Führt von den Tugenden die Namen und die Rechte.
Sey ftolz, o Stoiker, und in dem öden Schoos
Der ftillen Apathie durch fteife Tugend groß.
Welch wunderlich Gefchöpf, ein Menfch, der nicht empfindet!
Elende Feftigkeit, die durch den Froft fich bindet,
Er zieht der Geifter Lauf zurück und in die Bruft.
Nein, deine Tugend fey Empfindung, Reiz und Luft;,
Nur Uebung macht uns ftark, nicht Ruhe. Nur in Stürmen,
Und nur, wann fich in dir die Leidenfchaften thürmen,
Hebt fich dein Geift empor. Das Wetter, ob den Theil
Es auch verwüften mag, zielt auf des Ganzen Heil.
Man fchifft verfchiedentlich im Lebens Oceane;
Auf ihrer Karte nur zeigt die Vernunft die Bahne,
Sie fitzt am Steuer da; die rechte Regungskraft,
Der treibend volle Wind ftürmt aus der Leidenschaft.
Nicht auf der Stille nur fchwebt Gott einhergetragen; 185
Er fteigt auch auf den Sturm, und Wetter find fein Wagen.
Der Leidenschaften Schaar den Elementen gleich,

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Gebohren zu dem Streit, kann doch in Gottes Reich,
Wann unter fich vermifcht fie fich gelindert finden,
Sich in dem großen Werk zu feinem Zweck verbinden, 190
Wenn du fie mäßigest und zum Gebrauche kehrft,

So thuft du was du follft, nicht wenn du fie zerstörft;
Woraus der Mensch befteht, kann das der Mensch zernichten?
Zu herrfchen über fie, fie auf das Ziel zu richten
Ift der Vernunft genug.
Das Beyspiel der Natur.

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Geh hin; du haft vor dir

Geh, folge Gott und ihr !

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Auch ihr, o! Liebe du, du Hoffnung, du o! Freude, Der Anmuth lächlend Chor; und du! im Trauerkleide Des Schmerzens fchwarzer Zug, Furcht, Kümmerniß und Haß! Ihr alle spannt in uns nach eurem Ebenmaaß

Die Federn zu dem Lauf, ihr ordnet die Gewichte.
Ein wohlverftandner Streit des Schattens mit dem Lichte.
Der unfern Wandel malt und in einander webt,
Drückt in die Züge Kraft und jede Farbe lebt.
Nie ganz verlaffen uns die fpielenden Vergnügen;
Sie ftehn dem Auge da, wann fie der Hand entfliegen ;
Sinkt in der Wirklichkeit hier eines und hört auf,
So fteigt ein andres fchon dort im Profpect herauf.
Die gegenwärtigen mit offnem Arm zu faffen,
Und jene künftige nicht aus der Acht zu laffen,
Ift die Beschäftigung, der unfre Lebenszeit,
Der unfre ganze Kraft und Leib und Geift fich weyht.
Sie alle locken an im Reiz, den fie verbreiten,
Nur ift der Eindruck nicht gleich stark auf allen Seiten;
Der Menfchen Sinne find verschieden unter fich,
Drum trifft der Gegenstand fie auch verschiedentlich;
Und wie das Werkzeug ist, mit dem fie fich bewegen,
Ift eine Leidenschaft der andern überlegen:
Oft, Aarons Schlange gleich verschlinget auch wohl gar
Die Oberleidenfchaft der andern ganze Schaar.

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Sie, aus der ganzen Schaar vorzüglich auserkohren Lebt immer mit uns fort, mit uns zugleich gebohren. Und weil der Menfch vielleicht, eh er den Tag noch fieht, Im erften Lebenshauch den Urgrund in fich zieht, Aus welchem schon der Tod im Hinterhalte zielet; Wie da mit unferm Wuchs mehr wirkfam, mehr gefühlet Die junge Krankheit wächft: fo diefe Leidenschaft, Die Krankheit des Gemüths. Des Lebens reicher Saft Bestimmt in feinem Lauf den ganzen Bau zu nehren, Fließt ihr alleine zu in fie fich zu verkehren;

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Was nur das Herz erwärmt, was nur das Haupt erfüllt
Nachdem fich das Gemüth mehr äußert, mehr enthüllt,
Dieß alles durch und durch führt in verwegner Eile
Die rege Phantafie zu diefem kranken Theile.

Sie stammt von der Natur, Gewohnheit zieht fie groß; 235
Der Witz verzärtelt fie ftets mehr auf feinem Schoos.
Auch wohl felbft die Vernunft bläft noch in ihre Hitze,
Befiedert ihren Flug und fchärfet ihre Spitze :
So wie der reine Strahl, der aus der Sonne geht,
Wann er den Effig trifft, die Schärfe noch erhöht.

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Wir meynen die Vernunft und ihr Gebot zu hören, Wir fehn ein Diadem, das wir mit Recht verehren; Rechtmäßig ist ihr Thron, ift gleich der Zepter fchwach: Wir, ein elendes Volk, gehn diefem Winke nach, Und wem gehorchen wir ? ach, uns zum Mißgeftirne, 245 Nicht ihr, nur der durch fie empor gekommnen Dirne, Dem Schooskind ihrer Huld. Wie? Fürftinn, wenn du noch Zu herrschen fähig bift, wohlan fo zeig es doch.

Gieb uns nicht Regeln nur, nein, gieb uns auch die Waffen. Dir pocht die Magd, und du willst dir nicht Recht verfchaffen. Und wie? beklageft du die menfchliche Natur,

Verbeßre fie vielmehr

Anklägerinn voll Ernft.

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Vom Richtstuhl steigst du nieder,
Die du verdammet haft, vertheidigeft du wieder;
Beredeft uns zur Wahl und ftreichft fie dann heraus. 255
Auf leichte Siege ftolz führft du fie weit hinaus,

Und feffelft um dich her das Volk der fchwachen Triebe
Der ftärkern Leidenfchaft, der herrschenden zu liebe:
Hilfft kleinen Uebeln ab und hebft die Krankheit nicht.
So prahlet oft der Arzt, und macht aus Flüffen Gicht. 26
Und welchen Weg foll ich befolgen oder fliehen?
Die Bahne der Natur bleibt immer vorzuziehen !
Zu einer Führerinn taugt die Vernunft da nicht.
Sie hat die Aufficht nur; und es ist ihre Pflicht

Zu beffern, aber nicht von Grundaus umzukehren.
Die Oberleidenfchaft ift niemals zu zerstören.

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Sie fey mehr Freund als Feind; fie fey mit dir in Bund,
Benachbarte Vernunft. In ihres Antriebs Grund
Wirkt eine ftärkre Macht, nach den verschiednen Enden
Mit ewiger Gewalt der Menfchen Lauf zu wenden.
Gott winket; folge du. Zwar Triebe vieler Art
Den Nebenwinden gleich begleiten unfre Fahrt,
Und jagen uns im Meer des Lebens auf und nieder;
Doch ftets der rechte Trieb ergreift das Segel wieder,
Und richtet unfre Bahn auf ein bestimmtes Land.
Ob Macht, ob Wiffenschaft, Gold oder hoher Stand,
Und ob von ihnen weit, doch stärker als fie alle
Dir in der Ruhe Schoos Gemächlichkeit gefalle,
Was es von allen fey, nur ihm, ihm eilest du,
Das Leben ungefchont, im ganzen Leben zu.
Des Kaufmanns Emfigkeit, des Weifen kalte Stille,
Der ftolzen Heldenfchaar gebietherifcher Wille,
Und jener niedre Sinn der trägen Klofterzunft,
Erhalten alle gleich den Beyfall der Vernunft.

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Des Himmels Scheidekunft, die alles zubereitet, Und in der Folge ftets aus böfem gutes leitet, Erzielt auf diefem Grund der Oberleidenfchaft Das alleredelte, des Menfchen stärkste Kraft. Der flüchtige Mercur wird fo in uns figiret. Durch jenes dichtere zur Haltbarkeit geführet Wird unfre Tugend feft. Und beyde gehen hin Zu ihrem gleichen Ziel, der Geift und auch der Sinn. So wie dem rohen Stamm auf immer einverleibet Ein anfangs schwaches Reis zu fchnellem Wuchs bekleiber: So fchoßt die Tugend auf im Grund der Leidenfchaft; 295 Der Wurzel wilder Trieb fließt aus in reichen Saft. Nimm weg die Leidenfchaft, wo bleibt der Tugend Stütze? Welch eine reife Frucht an Ehrbarkeit und Witze

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