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auf sie einwirken zu können: „Deinde hac (scil. eloquendi vi) cohortamur, hac persuademus, hac consolamur afflictos, hac deducimus perterritos a timore, hac gestientes comprimimus, hac cupiditates iracundiasque restringuimus . . ." Cic., De nat. deor. 2, 59. 148. Viel höher als die gewöhnliche Umgangssprache (sermo, cf. Horat., Sat. 1, 4, 41-42) steht die Rede (contentio, oratio): „Itaque sermo potius quam oratio dicitur. Quamquam enim omnis locutio oratio est, tamen unius oratoris locutio hoc proprio signata nomine est." Cicero, Orator 19, 64. cf. Ibidem 32, 113. Platon, Protagoras 22, 336 B „zwois rào̟ éywy' Snunyoosiv." Sie erscheint als eine zusammenhängende, geordnete, motivirte Gedanken-Kundgebung, welche über irgend einen Gegenstand eine aufklärende Erörterung zu geben sucht: „Sed cum duplex ratio sit orationis etc." Cic., De officiis 2, 14, 48. cf. 1, 37, 132.

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Es charakterisirt sich somit die Beredsamkeit im weiteren Sinn als die Fähigkeit, den Inhalt des eigenen Bewusstseins so in Worte zu kleiden, dass er sich im Bewusstsein Anderer klar wiederspiegelt. Wird diese Fähigkeit in hübscher Form, mit völliger Beherrschung des sprachlichen Ausdruckes sowie mit logischer Vorführung aller einschlägigen Beweise speziell zu dem Zwecke bethätigt, um durch die Macht der Wahrheit auf andere Personen bestimmend einzuwirken, beziehungsweise in einer gewissen Hinsicht auf dieselben einen anregenden oder lenkenden Einfluss zu üben: so erfüllt sie die Absicht des Ueberzeugens. Und darin besteht die Beredsamkeit im engeren Sinn.

Es gibt nur eine Beredsamkeit, mag sie was immer für ein Gebiet betreffen: „Una est . . . eloquentia, quascunque in oras disputationis regionesve delata est." De orat. 3, 6, 22. Diese ist nicht aus der Kunst entstanden, sondern es ist aus ihr allmälig die Redekunst hervorgegangen: sic esse

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non eloquentiam ex artificio sed artificium ex eloquentia natum." Ibidem 1, 32, 146. Entsprungen aus den edelsten Veranlassungen sowie aus den besten Absichten: ex honestissimis causis natum atque ab optimis rationibus profectum." Cic., Rhetorica 1, 1, 2 und beruhend auf den wissenschaftlichen Kenntnissen der einsichtsvollsten Männer: eruditissimorum hominum artibus eloquentiam contineri. . ." De orat. 1, 2, 5 ist sie stets in Ehren gestanden: cf. Cic., Brutus 10, 40. Sie ziert nicht allein Diejenigen, welche dieselbe besitzen, sondern sie nützt auch dem ganzen Staat: eloquentia ... non modo eos ornat, penes quos est, sed etiam juvat universam rem publicam. Cic., Orator 41, 132. Sie ist eine wichtige, mächtige Sache: „ . . . nec tamen dubito, quin habuerit vim magnam semper oratio." Cic., Brutus 10, 39.

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πᾶν γὰρ

aipei kóros etc." Euripides, Phoinissae 516-517. Ihr kommt es zu, auf den menschlichen Sinn und das menschliche Gemüth einen ebenso tiefen als mannigfachen Eindruck zu machen: dicendo tenere hominum coetus, mentes allicere, voluntates impellere quo velit, unde autem velit deducere." De orat. 1, 8, 30. cf. 2, 44, 185. Orator 38, 131. Sie ist im Stande, durch weise Gedanken den Geist zu fesseln und durch schöne Worte das Ohr zu erfreuen, das Herz des Volkes zu bewegen, die Bedenklichkeiten der Richter zu beheben, entscheidende Rathschläge durchzusetzen, die Unschuldigen zu beschirmen, den Nothleidenden zu helfen, die Bedrängten zu retten, die Verfolgten zu befreien, die Verirrten zurückzurufen, die Schwachen aufzurichten, die Dreisten niederzuwerfen, die Widerstrebenden zu überwältigen, die Schwankenden zu gewinnen, die Zweifelnden zu bekehren, die Abtrünnigen gefangen zu nehmen, das Recht zu stützen, die Ungerechtigkeit zurückzuweisen und mit gleicher Kraft abzuwehren oder anzugreifen: cf. De orat. 1, 8, 32. Sie kann zu einer machtreichen Herrscherin,

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ista praeclara gubernatrix

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domina rerum

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eloquendi vis "De nat. deor. 2, 59, 148. „ de tηv πειθὼ τὴν τύραννον etc." Euripides, Hecabe 816-819. τέχνη ψυχαγωγία TIS" Platon, Phaidros 43, 261 A. „Súvapis yuzayoría“ Ibiηδύναμις ψυχαγωγία" dem 56, 271 C.

Das gelingt aber nur einem vollkommenen Redner; und darum ist dieser eine hervorragende Erscheinung: „ nihil perfecto oratore praeclarius." De orat. 2, 8, 33.

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sic

et

perfecti oratoris divinitas quaedam . . ." Ibid. 2, 74, 298. Ausgezeichnet durch besondere natürliche Gaben sowie ausgerüstet mit reichlichen Kenntnissen, wissenschaftlicher Bildung und sprachlicher Fertigkeit gleicht derselbe einem hochausgestatteten, gewaltigen, einflussreichen Wesen (cf. Ibid. 1, 46, 202 ejus artis antistes etc."), das in positiver oder negativer Hinsicht überaus Vieles sowohl in Bezug auf Einzelne als in Bezug auf die Gesammtheit zu wirken im Stande ist: enim statuo, perfecti oratoris moderatione et sapientia privatorum plurimorum et universae rei publicae salutem maxime contineri." De orat. 1, 8, 34. „Tantum ego in excellenti oratore et eodem bono viro pono esse ornamenti universae civitati." Ibid. 2, 20, 85. Er besitzt die besten Waffen, um die Schuldlosen zu beschützen, die Schuldigen zu entlarven, zu überführen, zu demüthigen: qui scelus fraudemque nocentis possit dicendo subjicere odio civium supplicioque constringere idemque ingenii praesidio innocentiam judiciorum poena liberare. "De orat. 1, 46, 202. eadem facul

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tate et fraus hominum ad perniciem et integritas ad salutem vocatur." Ibidem 2, 9, 35. Er versteht es, auf den rechten Weg hinzuweisen und vom Irrthum abzulenken: ... languentem

labentemque populum aut ad decus excitare aut ab errore deducere. ." Ibid. 1, 46, 202; verschiedene Gemüthsbewegungen und Stimmungen hervorzurufen oder sie zu unterdrücken, zu mässigen, zu corrigiren: „Quis enim nescit, maximam vim existere oratoris in hominum mentibus vel ad iram aut ad odium aut ad dolorem incitandis vel ab hisce iisdem permotionibus ad lenitatem misericordiamque revocandis?" De orat. 1, 12, 53. cf. Ibid. 2, 17, 72. 2, 44, 185. 2, 51, 206. Orator 38, 131; den Willen der Zuhörer zu befestigen oder zu beugen, sie anzufeuern oder zu beschwichtigen: „Hujus est . . . et languentis populi incitatio et effrenati moderatio." De orat. 2, 9, 35.

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.. aut (populum) inflammare in improbos aut incitatum in bonos mitigare . . . denique quemcunque in animis hominum motum res et causa postulet, eum dicendo vel excitare vel sedare." Ibid. 1, 46, 202. cf. 2, 51, 208. Er vermag am besten die Leidenschaften zu bekämpfen, zur Tugend aufzufordern und vor dem Laster zu warnen, die Guten zu loben, die Bösen zu tadeln, die Lauen anzuspornen, die Uebermüthigen zu bändigen, die Trauernden zu trösten: Quis cohortari ad virtutem ardentius, quis a vitiis acrius revocare, quis vituperare improbos asperius, quis laudare bonos ornatius, quis cupiditatem vehementius frangere accusando potest, quis maerorem levare mitius consolando?" De orat. 2, 9, 35. Er weiss. das Erhabene in würdevoller, das Niedrige in schlichter, das Uebrige in geeigneter Weise auszudrücken: „Is erit igitur eloquens, . . . qui poterit parva sumisse, modica temperate, magna graviter dicere." Orator 29, 101. cf. Ibid. 29, 100; er besitzt die Kunst, im Denken und Reden das Vielfache in seine Einheit zusammenzufassen und die Einheit in ihre vielfachen Theile zu zerlegen: cf. Platon, Phaidros 49, 265 D. 20, 266 B; er weiss zu behaupten, zu begründen und zu widerlegen; er weiss die Zweifel zu beseitigen, die Vorurtheile zu überwinden

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und die Irrthümer aufzudecken; er weiss zu erklären, zu belehren, zu beweisen, zu überzeugen und zu rühren; er weiss die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erregen, sie anderen Sinnes zu machen, ihren Willen zu bewegen und ihr Gemüth zu gewinnen, es zu entflammen oder zu besänftigen: „Hujus eloquentiae est, tractare animos, hujus permovere. Haec modo perfringit, modo inrepit in sensus; inserit novas opiniones, evellit insitas." Orator 28, 97. cf. Ibid. 35, 122. Ihn ehrt das Volk, ihn bewundert es: „In quo igitur homines exhorrescunt? quem stupefacti dicentem intuentur? in quo exclamant? quem deum, ut ita. dicam, inter homines putant?" De orat. 3, 14, 53; ihm schenkt es Glauben, ihm zollt es Beifall, ihm bezeigt es seine Zustimmung, von ihm lässt es sich antreiben oder zurückhalten, ermuthigen oder beruhigen: „Credit iis, quae dicuntur, qui audit oratorem; vera putat, assentitur, probat; fidem facit oratio . . . Delectatur audiens multitudo et ducitur oratione. . . Gaudet dolet, ridet plorat, favet odit, contemnit invidet, ad misericordiam inducitur, ad pudendum ad pigendum, irascitur miratur, sperat timet . . ." Cic., Brutus 50, 187–188. . cf. 84, 290.

Ein Solcher erscheint jedoch nahezu als „rara avis“ (Horat., Sat. 2, 2, 26. Juvenalis, Cat. 6, 165). Ein perfecter Redner ist fast eine perfecte Rarität: „, . . . nihil in hominum genere rarius perfecto oratore inveniri potest." De orat. 1, 28, 128. Es gibt sehr viele Redefertige, aber nur äusserst Wenige, welche zu einem höheren, wahrhaft kunstmässigen Grad von Beredsamkeit sich erschwingen können: ναρθηκοφόροι μὲν πολλοὶ, ẞázzoι dé tε лavooi.“ Platon, Phaidon 13, 69 C. „Itaque scripsi disertos me cognoscere nonnullos, eloquentem adhuc neminem." De orat. 1, 21, 94. cf. Orat, 5, 18. 30, 105. cupisse dicere, non plurimos ausos esse, potuisse paucos." Brutus 49, 182.

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omnes

quam pauci fuerint laude digni." Brut. 78, 270.

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