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sie immer auf das Wahre, Gute und Schöne gerichtet sein. Hiedurch erhält die Rede ihren eigentlichen Werth, ihre Berechtigung, ihre Würde. In Folge dessen obliegt es in gleicher Weise dem Dichter wie dem Prosaiker, dieses stets zum Ausdruck zu bringen und sowohl auf den Verstand als auf das Gemüth zu wirken, sowohl Geistes- als Charakter-Bildung zu vermitteln, sowohl zu erheitern, als zu belehren und zu erheben ; cf. Horat., Epist. 2, 1, 126-128. Ep. ad Pisones 333-334. 343-344. Wahrheit und Sittlichkeit sind die Grundforderung aller sprachlichen Mittheilung. Diese Eigenschaften sind dem Redner desto mehr unerlässlich, je mehr sie zum Wesen der Beredsamkeit gehören: τὸν ῥητορικὸν ἄνδρα

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. . καὶ

66 Platon,

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τὰ δίκαια εἰδέναι καὶ τὰ καλὰ καὶ ταγαθά Gorgias 16, 461 B. Letztere hat es ja immer mit der Vertheidigung des Gerechten, mit der Bekämpfung des Ungerechten und mit der Darlegung des Gebührenden zu thun: ὅτι ἡ ῥητορικὴ περὶ λόγους εἴη . . τοὺς τοῦ δικαίου καὶ ἀδίκου. Gorgias 15, 460 E. Auch eine noch so schöne, zierliche, kunstmässige Rede wäre ein eitles, markloses, nichtiges Wortgepränge, wenn sie nicht auf richtige Gedanken, stichhaltige Gründe und sittlich-gute Absichten sich stützt: „Quid est enim tam furiosum quam verborum vel optimorum atque ornatissimorum sonitus inanis nulla subjecta sententia nec scientia?" De orat. 1, 12, 51. Ohne das Licht der Wahrheit ist aller Wortschmuck werthlos und unwürdig. Wer die Wahrheit nicht kennt, nur Worten nachjagt und durch eine hübsche Ausdrucksweise irrige, hinfällige Meinungen als das Gegentheil erscheinen lassen möchte: der würde allemal eine lächerliche, kunstwidrige Redekunst produciren: „Móyov dọa τézvηv... ὁ τὴν ἀλήθειαν μὴ εἰδώς, δόξας δὲ τεθηρευκώς, γελοίαν τίνα ́, zai άτεxvov лagesεta." Platon, Phaidros 44, 262 C. In Rücksicht dessen hatte Sokrates am Anfang seiner schlichten,

., καὶ ἄτεχνον παρέξεται.

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würdevollen Vertheidigungsrede an die Richter die Bitte gestellt: bloss auf das Eine zu sehen, ob Das, was er sage, richtig sei oder nicht; denn dies zu prüfen, wäre die Aufgabe eines jeden Richters, gleichwie es eines jeden Redners Pflicht ist, die Wahrheit zu sprechen: καὶ νῦν τοῦτο eye" Platon, Apologia Socratis 1, 18 D.

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τἀληθῆ

Da eine gesittete, ehrliche Person immer nur aus guter Intention spricht: . . . . ὁ ἀγαθὸς ἀνὴρ ó

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ἀποβλέπων πρός

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TI..." Plat., Gorg. 59, 503 D, so muss auch der wahre Redner stets das allgemeine Beste im Auge haben und unter allen Verhältnissen nie ein Unrecht begehen wollen: „Ovdεnote ἄρα βουλήσεται ὁ ῥητορικὸς ἀδικεῖν Gorg. 14, 460 C. Erfüllt von diesem Streben wird es ihm keinesfalls in den Sinn kommen, etwas Unwahres oder Unmoralisches zu verlautbaren oder durch Fülle und Glanz der Worte die Zuhörer zu überreden. Gerade dadurch unterscheidet sich der Redner wesentlich vom frechen Schwätzer, dass er erstens nur Wahres zu sagen trachtet und demgemäss sich niemals erlaubt, sich über etwas zu äussern, was er nicht aus Erfahrung kennt, was er nicht gänzlich erlernt und selbst gründlich erforscht hat: cf. Platon, Gorg. 69, 514 A — 70, 514 E, Ei ovv лagrzakovμev παρεκαλοῦμεν τοιούτους παρακαλεῖν; zweitens, dass er überhaupt niemals ohne vorausgängige reifliche Prüfung sich über etwas zu urtheilen gestattet: exploranda est veritas etc." Phaedrus, Fabulae Aesopiae 3, 10, 5-6. . . . hoc . . primum praecipiemus, quascunque causas erit tracturus, ut eas diligenter penitusque cognoscat." De orat. 2, 24, 99; drittens, dass er schöne Gedanken mit schönen Worten auf eine schöne Weise vortragt und mithin durch die Macht der Wahrheit die Zuhörer zu überzeugen sucht.

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§. 3.

Das Ueberzeugen schliesst in sich das Aufklären, Belehren und Begründen. Dies aber ergibt sich einestheils aus einer deutlichen Darstellung und lichtvollen Auseinandersetzung des betreffenden Gegenstandes, anderntheils aus einer erschöpfenden Beweisführung, welche über die Richtigkeit der vorgebrachten Behauptungen keinen Zweifel bestehen lasst. Die Klarlegung des Sachverhaltes hat immer eine umfassende Sachkenntniss zur nothwendigen Voraussetzung: „,Dicendi . . virtus, nisi ei, qui dicet, ea, de quibus dicet, percepta sint, exstare non potest." De orat. 1, 11, 48. cf. Platon, Phaidros 42, 259 E. Oder wie könnte man Jemanden über etwas belehren, was man selbst nicht genau weiss?,,neque quemquam in eo disertum esse posse, quod nesciat . . ." De orat. 1, 14, 63. Wie könnte man je über etwas wahr, klar und treffend reden, was man nicht völlig durchschaut hat? Dicere. . bene nemo potest, nisi qui prudenter intelligit. Quare qui eloquentiae verae dat operam, dat prudentiae . . "Brut. 6, 23. Aus der richtigen Erkenntniss der Dinge und Verhältnisse muss die Rede hervorströmen: „Etenim ex rerum cognitione efflorescat et redundet oportet oratio . . ." De orat. 1, 6, 20. cf. 3, 31, 125. Spricht man von etwas, worüber man nicht vollends unterrichtet ist, so wäre die ganze diesbezügliche Erörterung ein leeres, werthloses Gerede: quae nisi sint ab oratore percepta et cognita, inanem quandam habet elocutionem et paene puerilem." Ibidem. Haec autem oratio, si res non subest ab oratore percepta et cognita etc." De orat. 1, 12, 50, cf. 1, 36, 166–167. Nothwendiger Weise muss der Redner um so mehr mit gediegenen Kenntnissen ausgerüstet sein, als er ohne dieselben nicht im Stande ist, seine Aufgabe gut zu erfüllen: „Est . . . scientia comprehendenda rerum plurimarum, sine qua verborum

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volubilitas inanis atque irridenda est . . ." De or. 1, 5, 17. cf. 2, 9, 38 „,certius esse nihil potest etc."

Nächst der Wahrheit und Richtigkeit ist sohin das wichtigste Erforderniss die Klarheit. Sie wird bedingt durch eine gute Eintheilung (dispositio, cf. Cic., Rhetorica 1, 7, 9. Rhetorica ad Herennium 1, 2, 3) des gesammten Rede-Inhaltes, nämlich durch folgemässige Entwicklung des Gedankenganges (,,lucidus ordo" Horat., Ep. ad Pisones 41) und geeignete Zusammenfügung der Hauptpunkte zu einem geordneten Ganzen: ,,Singula quaeque locum teneant sortita decentem. . . Primo ne medium, medio ne discrepet imum." Horat., Ep. ad Pis. 92. 152. cf. 42-44. 143; durch logische Aneinanderreihung (collocatio) der Gründe und Beweise, auf welchen sich die Rede aufbaut: „Talis . . . est ordo. . adhibens, ut . . omnia sint apta inter se et convenientia. . ." De offic. 1, 40, 143. cf. De or. 2, 76, 307. Brut. 37, 139; durch harmonische Verbindung aller einzelnen Redetheile: tantum series juncturaque pollet." Horat., Ep. ad Pis. 242. cf. Cic., De or. 1, 31, 142. 2, 19, 279; sowie durch eine unzweideutige, sprachrichtige Ausdrucksweise:,,Sermo purus erit . . . dilucide planeque dicetur. . . Orator. 23, 279.

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locutionem emen

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latine loquendi

cf. Ibid. 1, 32, 144.

datam et latinam . . ." Brut. 74, 258. planeque dicendi. . ." De or. 3, 14, 52. 3, 10, 37. Will man klar und leichtverständlich reden, so muss man nicht bloss mit hinlänglich starker Stimme sprechen, sondern auch correct und bestimmt; man muss sich einer deutlichen, reinen Aussprache befleissen und einerseits zweideutige, unsichere Wörter gänzlich fernhalten, andererseits sich nur solcher bedienen, welche theils allgemein bekannt und gebräuchlich sind, theils Das genau bezeichnen, was zu erklären oder zu beweisen ist: quibus rebus assequi possimus, ut ea, quae dicamus, intelligantur: latine scilicet

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mone

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dicendo, verbis usitatis ac proprie demonstrantibus ea, quae significari ac declarari volemus, sine ambiguo verbo aut serDe or. 3, 13, 48-49. cf. 3, 14, 52. Aus dem gleichen Grunde muss man darauf achten, die Perioden nicht zu lang zu machen, die sinnbildlichen Vergleiche nicht zu sehr auszudehnen, die Gedanken nicht zu zersplittern und den Zusammenhang nicht zu zerreissen: non nimis ordine."

De or. 3, 13, 49.

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Im Interesse der Klarheit und Verständlichkeit liegt ferner die Vermeidung von zu grosser Kürze, durch welche die rasche, sichere Auffassung beeinträchtigt wird: . . . . . Brevis esse laboro, obscurus fio .." "Horat., Ep. ad Pis. 25-26.,, . . . bresaepe obest, . . quod obscuritatem affert

vitas

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De or. 2, 80, 326. „,Brevitas autem laus est interdum in aliqua parte dicendi, in universa eloquentia laudem non habet“ Brut. 13, 50. compressione rerum breves (erant) et ob eam ipsam causam interdum subobscuri" Brut. 7, 29; die Vermeidung von unnöthiger Abschweifung (digressio, Brut. 85, 292. De or. 3, 53, 203. 3, 54, 207), durch welche die Einheit des Ganzen gestört und etwas nicht zur Sache Gehöriges hereingezogen wird: sit quidvis simplex dumtaxat et unum“ Horat., Ep. ad Pis. 23. cum ceteris tuis laudibus hanc esse vel maximam, quod non solum, quod opus esset, diceres sed etiam, quod non opus esset, non diceres." De or. 2, 73, 296; die Vermeidung von zu grosser Ausdehnung (amplitudo) der Rede, indem man zu lang bei Nebensächlichem und Unwichtigem verweilt oder zu Vieles auf einmal vorbringt: „Quidquid praecipies, esto brevis, ut cito dicta percipiant animi dociles teneantque fideles. Omne supervacuum pleno de pectore manat." Horat., Ep. ad Pis. 335-337; und die Vermeidung von verwirrender Zusammenmischung oder ermüdender Weitläufigkeit, indem man die einzelnen Theile nicht auseinander hält und

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