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Insel bis zum Festlande von Neu-Guinea erstrecken. Im Sunde selbst ist ein grosser sicherer Ankerplatz für die grössten Schiffe; die Öffnung des Sundes an der Nordseite zwischen der Insel und dem Festlande führt über eine Sandbank. Der ,,Chevert" ankerte dicht an der Nordwestecke der Insel gegenüber der Wohnung des Italienischen Forschers D'Albertis, der sich vor einigen Monaten auf der Yule-Insel niedergelassen hat. Die Insel ist etwa 6 Meilen lang, malerisch und anscheinend gesund; der reiche Boden trägt zahlreiche Pflanzungen der Eingeborenen.

Dieser Theil von Neu-Guinea macht einen gänzlich anderen Eindruck, als das Land am Katau. Einige Meilen von der Küste einwärts finden sich auch hier dichte Mangrove - Sumpfwälder, durchbrochen von Salzwasser - Creeks, an denen sich die zahlreiche Bevölkerung am meisten concentrirt hat; aber hinter diesen erheben sich niedrige Höhenzüge mit einem guten offenen Waldbestande von Eucalypten und Erythrinen. Auf diese Hügelketten folgen, vielleicht 10 Meilen von der Küste entfernt, sehr bergige Landstriche, worauf das Ganze von einem mächtigen Gebirge abgeschlossen wird, das bei klarem Wetter deutlich sichtbar ist, vom herrlichen Pik des Mount Yule bis zum kraterähnlich aussehenden Gipfel des Mount Owen Stanley.

Aber nicht minder gross ist die Differenz im Charakter und der Erscheinung der hiesigen Eingeborenen und der am Katau wohnenden. Hier findet man eine hellfarbige Race von mittlerer Grösse und wohlgebaut welche den Eindruck eines thätigen Volkes macht; das nicht wollige Haar wird meist sehr lang getragen und hinten in einen Chignon zusammengeknüpft. Der Gebrauch des Tabaks ist hier unbekannt, dagegen das Betelkauen sehr beliebt. Ihre Waffen sind von unvollkommener Art; schlecht geformte Speere und einige Bogen und Pfeile schienen die einzigen Angriffswaffen zu sein; die Eingeborenen machten den Eindruck eines furchtsamen inoffensiven Volkes. Die Weiber scheinen zu herrschen und ungleich denen der schwarzen Stämme sehr frei in ihrem Verkehre mit den Fremden zu sein. Die Männer tragen einen sehr bescheidenen Gürtel und ein sehr kleines Stück Zeug als Feigenblatt; die Weiber umgürten die Lenden mit einem schönen und sorgsam gearbeiteten, ungefähr 6 Zoll langen Zeuge. Die letzteren schneiden meist ihr Haar kurz ab, mit Ausnahme eines Streifens, der quer über den Kopf von Ohr zu Ohr läuft. Alle haben Brust und Bauch auf das sorgfältigste tättowirt. Die in mancher Hinsicht den Salomons-Insulanern gleichenden Eingeborenen zeigen einen grossen Fortschritt in der Kultur gegenüber den Papuanen oder Australiern. Ihre Dörfer und Häuser sind reinlich; in jedem der ersteren findet sich ein Haus zur Aufnahme der Gäste. Die Einwohner scheinen in grossen Gemeinden ohne Ge

setze, Obrigkeiten, Richter auf die freundschaftlichste Weise zusammen zu leben; sie verwenden grosse Sorgfalt auf die Zubereitung ihrer Speisen, auch verfertigen sie Töpferwaaren, Kleider und Netze von hervorragender Güte. Macleay versuchte auch hier ins Innere vorzudringen; es gelang ihm, 10 oder 12 Meilen auf dem Ethel River zurückzulegen dann aber fand die Stromfahrt hier dasselbe Hinderniss wie auf dem Katau. Nachdem also auch dieser Versuch gescheitert war, kehrte die Expedition nach Somerset zurück.

Macleay resumirt seine Erfahrungen dahin, dass die Schwierigkeiten einer Erforschung des inneren Neu-Guinea weniger in dem mit Unrecht so sehr gefürchteten Charakter der Eingeborenen zu suchen seien, als vielmehr in dem Klima und der Natur des Landes: die endlosen Sümpfe, die sich über den grösseren Theil der Südküste Neu-Guinea's ausdehnen, sind sowohl im höchsten Grade ungesund, als auch, mit Ausnahme der Wasserwege, undurchdringlich. Nur ein Strom, der durch das ganze Gebiet dieses grossartigen Delta-Landes schiffbar sei, könne das Innere erschliessen.

Schliesslich theilt Macleay noch mit, dass drei Mitglieder der ,,Chevert"-Expedition, der Schiffsarzt, Herr Knight, einer der Pflanzensammler und Herr Petterd, nach Port Moresby zurückzukehren und womöglich den Owen Stanley zu besteigen beabsichtigen.

3. Die Fahrt des „Ellengowan"; Entdeckung des Mai-Kassa-Stroms durch Mac Farlane und Stone.

Seit jetzt ungefähr fünf Jahren hat die London Missionary Society das christliche Bekehrungswerk an den inneren Küstenlandschaften des Papuanischen Meerbusens unternommen. Bis 1870 wurden diese Küsten von den Schiffen der Europäer gemieden; nur einzelne Küstenstriche, einige Inseln und die Riffe der Torres-Strasse waren vorläufig aufgenommen, vom den Innern aber war so gut wie nichts bekannt geworden. Vor etwa fünf Jahren errichteten die Missionäre Murray und M'Farlane eine Station für eingeborene Missionäre auf den Inseln Tauan und Saibai; durch die Eingeborenen erfuhren sie von der Existenz eines Katau genannten Flusses auf dem Festlande. Die Missionäre suchten denselben auf und traten mit den dortigen Papuanen in freundschaftlichen Verkehr. Das war der Beginn ihres Verkehrs mit den Einwohnern des Festlandes; und seit jener Zeit sind besondere Stationen auf zehn der Küste von Neu-Guinea unmittelbar benachbarten Inseln errichtet, so auf Darnley, Murray, Bank's - Insel, Jervis, Prince of Wales-Insel u. a.

M'Farlane beabsichtigte, die Mission noch weiter nach Westen auszudehnen, und beschloss, auf der ungefähr 16 Meilen westlich von den Inseln Tauan und Saibai gelegenen

Insel Boigu eine Station zu errichten. Die Bewohner von Boigu nahmen ihn herzlich auf und erzählten ihm von einem 4 Meilen nördlich von ihrer Insel mündenden Strome des Festlandes. M'Farlane beauftragte daher die Lehrer, die er, nach Somerset fahrend, auf Boigu zurückliess, diesen Fluss aufzusuchen; sie fuhren auch 14 Meilen im Strome hinauf und ihre Berichte veranlassten M'Farlane bei seiner Rückkehr nach Boigu, selbst den neuen Fluss in Augenschein zu nehmen. Er bildete daher eine Expedition, an der sich ausser ihm und sechs oder sieben Eingeborenen noch die Engländer Stone, Runcie, der Kapitän des für die Fahrt bestimmten Missions-Dampfers ,,Ellengowan" und der Ingenieur Smithurst betheiligten.

Am 25. August 1875 verliess der „Ellengowan" Somerset; fünf Tage später langten die Reisenden zu Boigu an. So weit sie von hier die gegenüber liegende Küste von NeuGuinea übersehen konnten, erschien dieselbe nur als eine niedrige Linie von Mangrove-Waldungen, ohne die kleinste Bodenerhebung. Am 1. September brachten sie das Schiff nach einer anstrengenden Fahrt durch Riffe und Sandbänke in die Mündung des Stromes, der von den Eingeborenen Mai-Kassa genannt wird; M'Farlane legte ihm den Namen Baxter River bei. Die Mündung des Flusses liegt unter 9° 8' S. Br. und 142° 18' Ö. L. v. Gr.; seine Breite beträgt hier 1 Meile, seine Tiefe 9 bis 12 Faden. Das Uferland ist niedrig und sumpfig, von dichten MangroveWaldungen bedeckt. Die Bewohner der umliegenden Landschaften waren Boigu - Leute, vollkommen nackt und mit künstlich verlängerten Ohrläppchen. Einige trugen Perrücken, wie es auch Macleay bei einigen Eingeborenen am Katau traf. Die Boigu-, Saibai- und Dauan-Stämme sprechen sehr nahe verwandte Dialekte, die nur wenig von denen der meisten Torres - Insulaner abweichen; nur auf den Inseln Erub, Murray und Stephens wird eine vollständig verschiedene Sprache gesprochen. Sie sind allesammt kriegerisch und blutdürstig und machen oft Raubzüge in das ,,Grosse Land", Koi-lago, wie sie Neu-Guinea nennen. (Die benachbarten Festlands-Eingeborenen nennen es Daudé.) Der Kiefer gilt ihnen als die rühmlichste Trophäe dieser Razzias; je mehr Kieferknochen ein Mann erbeutet hat, desto grösser wird er in den Augen seiner Landsleute. Die Boiguanen erzählten von einem Stamme, der an einer etwa 6 Meilen entfernten Stelle des Festlandes wohnt, und dem sie einen abschreckenden Kannibalismus zuschreiben; dieselben sollen Jagden auf ihre Nachbarn anstellen, um Menschenfleisch zu erhalten, und dann ihre Gefangenen so lange als möglich am Leben erhalten, damit das Fleisch lange frisch bleibe, indem sie je nach Bedarf von ihnen abschneiden. Zahlreich scheinen in diesen Gegenden die Megopodii zu sein; die Reisenden fanden ein Nest eines

dieser Vögel, das 10 Fuss hoch war, bei einem Umfange von 90 Fuss. Auch erzählten die Eingeborenen ihnen viel von einem kolossalen Vogel, der einen Dujong aufheben und Schildkröten umdrehen könne.

Bei der Stromfahrt zeigte sich mitunter trockenes Land am Ufer, das jedoch nie eine Höhe von 20 Fuss überstieg; schon 10 Fuss hohes Land war sehr selten. Sechs Meilen von der Mündung entfernt fuhr der „Ellengowan" an einem mächtigen Strome vorüber, der nahezu eine halbe Meile breit war und sich in östlicher und dann nordöstlicher Richtung erstreckte; etwa 2 Meilen weiter stromauf begegnete man einem anderen halb so breiten Strome, auf dem entgegengesetzten westlichen Ufer, der nach Westen abfloss. Als die Expedition etwas über 10 Meilen zurückgelegt, zeigte sich ein aus dem Wasser aufragender Fels, der erste im Mai-Kassa. Am Abend warf man 15 Meilen oberhalb der Mündung Anker. Am folgenden Morgen kehrten einige. der Reisenden nach jener felsigen Uferstelle, die Stony Point benannt wurde, zurück; der aus Pfeifenthon bestehende Felsen erhebt sich 6 Fuss senkrecht über das Wasser. Die Breite des Flusses betrug hier ungefähr eine halbe Meile, die Tiefe 5 bis 9 Faden; das Wasser war noch vollkommen salzig.

Bei der Fortsetzung der Fahrt zeigte sich, dass der Strom 25 Meilen oberhalb seiner Mündung von der nördlichen in eine westliche Richtung übergeht, in welcher Richtung er dann während der nächsten 20 Meilen durch niedriges und sumpfiges Land läuft. Auf jeder Seite des Mai-Kassa sah man zahlreiche, theils beträchtliche Zuflüsse und Abzweigungen, deren Breite von 10 zu 150 Yards stieg, und die oft die Wahl erschwerten. Da sich dem ,,Ellengowan" keine Eingeborene zeigten, und dieser Theil des Landes entschieden ungesund ist, so nimmt Stone eine sehr dünne Vertheilung der Bevölkerung an. Man versicherte ihm, dass eine einzige am Ufer verbrachte Nacht sicher das Fieber nach sich ziehen würde; die Hitze erreichte des Mittags im Schatten 87° F. in den frühen Morgen- und Abendstunden 7° weniger, während das Thermometer in der Sonne auf 115° stieg; jedoch war diess in der kältesten Jahreszeit.

Öfters sahen die Reisenden auf den Ufern Rauch aufsteigen, aber nur einmal erblickten sie einen Eingeborenen, der jedoch in seinem Kahne schnell die Flucht ergriff. Als man die 45. Meile zurücklegte, stiess man auf die Einmündung eines mächtigen Flusses, die dem Hauptstrome hier eine Geschwindigkeit von 4 Meilen in einer Stunde gab; in der Nähe dieses Platzes, Meeting of the Waters getauft, warf der „Ellengowan" Anker. Die Tiefe betrug hier 7 Faden, die Breite des jetzt brackigen Flusses eine Meile. M'Farlane und Stone machten hier eine kleine Ex

kursion an das Land. Das Ufer erhob sich zu 30 Fuss Höhe und war dicht bedeckt mit einem langen, groben und das Gehen erschwerenden Grase. Zumeist traf man reichen, schwarzen Alluvial-Boden, nur unmittelbar am Ufer waren rother und gelber Thon häufig, so wie ein darin eingebettetes dem Eisenstein ähnliches Gestein. An demselben Tage setzten die Reisenden ihre Fahrt fort und entdeckten 50 Meilen von der Mündung die erste Hütte, aber keine weiteren Lebenszeichen. Die tiefe Ruhe der Landschaft war auffallend. Der Fluss nahm nun eine nördliche Richtung an; die Ufer wurden höher, obwohl 30 Fuss nie übersteigend, und die unendlichen Mangrove-Wälder durch 70 bis 80 Fuss hohe Waldbäume zurückgedrängt. Bis zur 63sten Meile kann ein Dampfer von 500 Tonnen mit vollkommenster Sicherheit den Strom befahren. Bei der 64sten Meile wurde wieder vor Anker gegangen, denn der Mai-Kassa theilt sich da in zwei Arme und verengt sich sehr beträchtlich. Die Tiefe beträgt noch 3 Faden. Die Reisenden waren Anfangs unentschieden, welchem der beiden Flüsse sie folgen sollten. Der tiefere und breitere war der von Nordosten kommende, dessen durchschnittliche Tiefe zur Ebbezeit 2 Faden betrug, bei einer Fluthhöhe von 6 Fuss; das Wasser war noch sehr brackig. Am linken Ufer trat üppiger Baumwuchs auf. Man fand auch hier, an der ,,Wood Bay", Spuren von Eingeborenen.

In der Frühe des 4. September machte der „Ellengowan" noch 3 Meilen auf dem nordöstlichen Flusse, aber in dieser Entfernung verengte derselbe sich auf 50 Yards, während seine Tiefe noch 1 bis 2 Faden betrug; an seiner Einmündung in den anderen Fluss ist er 200 Yards breit. M'Farlane, Stone und Runcie vertauschten nun den „Ellengowan" mit einem Boote und setzten darin die Fahrt fort. Der Fluss verengt sich dann sehr schnell und nimmt bald ausserordentlich scharfe Windungen an. Palmen wurden jetzt zahlreich, während die Mangrove nach und nach zurücktrat. Auch das Wasser des Mai-Kassa wird allmählich süsser, so dass, 16 Meilen oberhalb der Vereinigung der beiden Quellflüsse, das Oberflächenwasser vollkommen trinkbar gefunden wurde. Die Ufer wurden höher, und beim Landen bemerkte man an verschiedenen Stellen trockenes Land in grosser Ausdehnung. Fünfzehn Meilen oberhalb der Confluenz traf M'Farlane plötzlich eine Einzäunung, die etwa 6 Acker Land umfasste, das stellenweis mit Yams,

Zuckerrohr und Tabak bepflanzt war; zwei Rinden-Hütten, die er fand, standen jedoch unbewohnt; die Höhe und Breite dieser Hütten betrug etwa 6 Fuss, die Länge 14 Fuss. Bald darauf traf man in 82 Meilen Entfernung von der Mündung des Mai-Kassa einen kleinen Wasserfall eines Nebenflusses; daher wurde diese Stelle Cascade Point genannt. Hier verengt sich der Fluss auf 20 Yards, die Ufer werden steiler; die Tiefe beträgt hier 2 Faden in der Mitte, 1 bis 2 Faden an den Seiten des Flusses.

Das Boot kehrte an dieser Stelle um, jedoch fuhren am folgenden Morgen Stone und Smithurst noch weiter hinauf. Sie sahen einen grossen Vogel hoch in der Luft fliegen, der 14 oder 16 Fuss von einer Flügelspitze zur anderen gemessen haben soll, schwarz und weiss gefärbt; das Schlagen seiner Flügel erinnerte an den Ton, den der Dampf beim Entströmen aus einer Lokomotive verursacht. Der Fluss machte viele Windungen und verengte sich derart, dass in einer Distanz von 9 Meilen oberhalb Cascade Point (also 91 Meilen oberhalb der Mündung des Stromes) die Blätter der Palmen sich über dem Strome vereinigten und so einen natürlichen Bogengang bildeten. Grosse schwimmende und festgerannte Baumstämme versperrten endlich hier den Strom. Wie Macleay mussten daher auch Stone und Smithurst umkehren. An diesem weitesten erreichten Punkte hat der Mai-Kassa 10 Yards Breite und noch 2 Faden Tiefe. Selbst so tief im Innern machen sich die Gezeiten geltend; die Fluthhöhe beträgt 3 bis 4 Fuss, jedoch ist das Wasser ganz süss. Aus der trägen Bewegung und der anhaltenden Tiefe des Flusses schliesst Stone, dass derselbe vielleicht noch weitere 100 Meilen sich in's Innere hinein erstrecke.

Nahe dem Wasser bemerkte man Fussspuren eines grossen Thieres, ähnlich denen eines Büffels; jedoch hatten die Einwohner von Boigu erzählt, dass ein solches Thier dort nicht existire. Die fraglichen Spuren in dem weichen Schlamm hatten 5 Zoll Durchmesser und eben so viel Tiefe, obwohl eine Hufspur nicht zu erkennen war.

Bei der Rückkehr zum ,,Ellengowan" sahen die Reisenden mehrmals den Wiederschein grosser Feuer am Himmel, aber kein lebendes Wesen war zu sehen, keine Stimme zu hören.

Am Morgen des 7. September dampfte der ,,Ellengowan" den Strom wieder hinunter; am 12. erreichte er Somerset.

Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1876, Heft III.

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Bilder aus dem hohen Norden.

Von Karl Weyprecht.

5. Eispressungen 1).

(GEOGRAPHIE UND ERFORSCHUNG DER POLAR-REGIONEN, Nr. 116.)

Durch fast 14 Tage haben wir nun ziemlich Ruhe und beginnen aufzuathmen, in der Hoffnung, die eingetretene strenge Kälte werde allen weiteren Eispressungen ein Ende setzen. Aus der Ferne tönt zwar bald von dieser, bald von jener Seite das Geräusch des schiebenden Eises zu uns herüber; aber wir sind schon daran gewöhnt und denken nur an das, was in unserer nächsten Umgebung vor sich geht.

Am 16. November Abends wurden wir aber wieder aus unserer Ruhe gerissen. Der letzte Sprung, der schon mit 2 Fuss Eis überdeckt war, öffnet sich plötzlich, 2 Klafter vom Bug entfernt, erweitert sich schnell und bildet am folgenden Tage eine ziemlich breite Wacke, die sich so rasch mit jungem Eise überzieht, dass wir durch ein paar Stunden den lang entbehrten Genuss eines ebenen Spazierweges haben, auf dem man nicht fortwährend in Gefahr ist, Arme und Beine zu brechen. Die Schlittschuhe werden herausgezogen und bei prachtvollem Mondscheine erfreut sich Alles der lang entbehrten ungehinderten Bewegung.

Doch schon am nämlichen Abend rückt uns das jenseitige Feld wieder auf den Leib. Langsam krämpelt es das junge Eis, das schon einen halben Fuss dick geworden. ist, vor sich auf und schiebt den ganzen immer höher werdenden Haufen vor sich her gegen das Schiff. Dicht vor dem Steven trifft es auf das stärkere ältere Eis, bricht auch dieses auf und marschirt ruckweise gegen das Schiff heran. Wir haben einige Stunden Ruhe, dann kommt aber drehende Bewegung in das Feld, und eine hohe Kante schiebt sich langsam, Zoll für Zoll, über unser eigenes Feld hinüber, von Backbord auf das Schiff los. Hier kommt sie zum Stillstande, aber nur auf kurze Zeit. Der Berg aus Eisblöcken, den das Feld vor sich herdrückt, wird immer höher und höher und ist am nächsten Abend nur mehr wenige Fuss vom Bug des Schiffes entfernt. Er hat eine Höhe von 20 Fuss und auf seiner Spitze liegt ein 6 Fuss dicker, mächtiger Eisblock, der das Deck des Schiffes fast um das Doppelte überragt. Wenn die Bewegung sich noch kurze Zeit fortsetzt, so muss der Bug zertrümmert werden.

Um uns herum ist Alles durch leichte Sprünge zersplittert. Bei prachtvollem Mondschein, der unsere nähere Umgebung fast taghell beleuchtet, stehen wir draussen und

1) Die ersten 4 Abschnitte s. Geogr. Mitth. 1875, S. 346 ff., 403 ff.

warten der Dinge, die da kommen werden. Wir halten es für unmöglich, dass der Berg, der sich vor unseren Augen aufgethürmt hat, noch wächst, dass die Pressung noch stärker wird; aber unaufhaltsam, Zoll für Zoll, Linie für Linie steigt das jenseitige Feld immer höher über das unserige und drückt den Berg immer näher heran.

Machtlos und unthätig sehen wir zu, geduldig müssen wir unser Schicksal erwarten, denn was nützt die Händearbeit gegenüber solchen Kräften der Natur?!

Um Mitternacht kommt das Eis endlich zur Ruhe; durch ein paar Tage knistert und knackt es noch unheimlich in demselben; es mahnt uns beständig, auf der Huth zu sein, dann friert aber Alles solid zusammen, und der Berg vor uns sinkt langsam und unmerklich unter seiner eigenen Schwere ein. Am 25. November ist wieder Alles in Ruhe, und sorglos für den Augenblick lässt das Chor der Matrosen wieder die alten Seemannsweisen aus der vorderen Kajüte erschallen.

Ein weiter Spaziergang am 27. November belehrt uns, dass das Eis nicht bloss in unserer nächsten Umgebung derart gewirthschaftet hat. Eine ebene Schneedecke von 10 Fuss Ausdehnung ist etwas Seltenes; auf allen Seiten und nach allen Richtungen erheben sich Mauern und Aufthürmungen. Sogar scheinbar glatte Flächen bestehen aus Stücken, deren Zwischenräume mit Schnee ausgefüllt sind und die man erst bemerkt, wenn man bis zum halben Körper in dieselben eingesunken ist.

Bis Mitte Dezember haben wir eine ruhigere Periode. Nur in weiter Ferne hören wir das Eis schieben, und wiederum hegen wir die Hoffnung, die Eispressungen hätten ihr Ende erreicht. Bei anhaltender Windstille und intensiver Kälte schienen alle Sprünge in unserer Umgebung solid überfroren zu sein.

Am 20. Dezember, als wir eben darüber beriethen, wie wir das Kohlenhaus für die Weihnachtsfeier ausschmücken sollten, jagt uns ganz unerwartet das ominöse Krachen im Schiffe auf Deck und hinaus auf das Eis. Ein Sprung ist mitten durch das Kohlenhaus gegangen; wir müssen es ganz abbrechen und vertheilen die Kohlenstücke, die Bretter und das Holz, um nicht den ganzen Haufen auf einmal auf das Spiel zu setzen, in verschiedene Partien in der Nähe zu beiden Seiten des Schiffes.

Bis Ende des Monats öffnet und schliesst sich der Sprung

abwechselnd; es arbeitet fast ununterbrochen bald stärker, bald schwächer in demselben; für kurze Zeit überfroren, öffnet er sich immer wieder. Trotzdem feierten wir recht vergnügte Weihnachten und eben so Sylvester-Abend, obwohl sich kurz vor Jahresschluss, um 11 Uhr, neue Sprünge gebildet hatten und das Schiff theilweis blosslegten.

In den nächsten Tagen zeigen sich immer neue Risse, das Schiff ächzt und seufzt fortwährend. Am 3. Januar ,,begann das ganze Eis in unserer Umgebung zu knistern, um 9 Uhr sprangen die meisten der schon überfrorenen Sprünge auf und neue bildeten sich dazu, so dass jetzt das Eis im vollsten Sinne des Wortes zersplittert ist. Vor dem Aufspringen ertönten heftige Schläge im Schiffe; ohne dass man von einer Pressung etwas bemerkte, schien das Schiff stark gedrückt zu werden, so dass sich die Deckel der grossen Lucke bewegten. Wahrscheinlich ist das massenhafte Eis unter dem Schiffe in Folge der bedeutenden Eisaufwürfe im Südost nicht weit von uns in Bewegung gerathen".

4. Januar.,,Waren wieder die ganze vergangene Nacht auf den Füssen, da das Schiff fortwährend jammerte. Im Südosten, in der Nähe unseres früheren Hauses, wirthschaftet es arg."

Acht Tage vergehen unter anhaltender leichter Bewegung im Eise.,,Es knistert und kracht ununterbrochen in demselben; wir kommen nur auf kurze Stunden zur Ruhe. Das Geräusch und die leichten Sprünge sind zwar an und für sich ohne Bedeutung, aber man weiss nie, was folgt, sobald einmal Bewegung im Eise ist. Von einem Augenblicke zum anderen kann aus einem scheinbar harmlosen Sprunge eine Eismauer in die Höhe steigen, die Alles begräbt, was in ihrer Nähe ist. Die Boote und das Material, das auf dem Eise für alle Eventualitäten bereit liegt, sind zu kostbar, als dass man sie leichtsinnig dem Verschütten preisgeben dürfte; von ersteren hängt unsere Existenz ab, wenn das Schiff durch das Eis vernichtet wird. Bildet sich ein Riss dort, wo sie stehen, so müssen sie wegtransportirt werden."

Dazu kommt, dass schon seit Wochen mit kurzen Ausnahmen Alles in absolute Dunkelheit gehüllt ist, da die fast anhaltende Bewölkung jede Spur von Licht abhält.

,,Am 7. Januar ist es bei schönem Mondschein zum ersten Mal seit mehreren Wochen wieder möglich, zu unterscheiden, wohin man den Fuss setzt. Das Gehen in der letzten Zeit war ganz das des Blinden, ein blosses Tasten."

Die „Eisteufel", wie wir unsere Feinde im Eise getauft haben, sind ununterbrochen los; sie wollen nicht zur Ruhe kommen; es wird immer ärger. Am 22., als wir gerade beim Frühstück sitzen, wird plötzlich das ganze Schiff von sehr heftigen Stössen erschüttert. Wir stürzen auf Deck

und sehen eine hohe Eismauer uns entgegenstarren dicht beim Steuer, die das Deck weit überragt und deren Umrisse sich undeutlich gegen den dunklen Wolkenhimmel abheben. Drei Klafter näher und das Achtertheil des Schiffes ist verschüttet.

Das ganze Eis ist in Bewegung; die stockfinstere Nacht verbirgt uns, was nicht dicht in unserer Nähe vor sich geht; nur das Krachen und Bersten des Eises verräth uns die Punkte der grössten Gefahr. Im ersten Augenblicke wissen wir nicht, sind die Boote zertrümmert oder nicht. Wie wir hinausstürzen, bewegt sich das Eis unter unseren Füssen; Keiner weiss, ob die Stelle sicher ist, auf der er momentan steht; jeden Augenblick bricht man in eine Spalte, aber es ist Alles so zusammengepresst, dass vom Versinken nicht die Rede sein kann. Die Boote sind zum Glücke intact geblieben; wir spannen uns vor und schleppen sie mit möglichster Eile nach vorne, wo das Eis weniger gebrochen ist.

„Die Sprünge, die sich am 21. Dezember gebildet und uns seit einem Monat fortwährend beunruhigt haben, sind unter gewaltigen Pressungen zusammengegangen. In wenigen Minuten ist eine Eismauer von wenigstens 30 Fuss Höhe emporgedrückt worden. Das eine Kohlenlager ist verschüttet, wir konnten nur noch die dort liegenden Bretter, das Brennholz und einige Kohlenziegel retten, während sich das Eis unter unseren Füssen aufthürmte; ein zweites Kohlenlager ist mit der ganzen Flarde, auf der es lag, 12 Fuss in die Höhe gehoben worden, und das Zelt, welches ich erst vor drei Tagen für die magnetischen Beobachtungen wieder aufstellen liess, ist ganz verschwunden. Ich glaube es in der Dunkelheit noch gesehen zu haben, als ich vom Deck auf das Eis sprang, dann war es spurlos fort. Wahrscheinlich ist es mit seiner ganzen Umgebung untergedrückt worden. Es ist ein hässlicher Anblick, dieses Aufthürmen des Eises so dicht beim Schiffe, bei stockfinsterem Tage, wo man im Schnee nicht unterscheiden kann, wohin man tritt, und jeden Augenblick bis zum halben Körper in eine Spalte stürzt. Da das Schiff wegen der Mächtigkeit der aufgetriebenen Eismauer in Gefahr ist, sobald uns dieselbe noch näher kommt, liess ich sogleich die am schwersten wiegenden Kisten mit Lebensmitteln, die auf Deck liegen, auf das Eis schaffen; es ist aber um unsere ganze Umgebung derart zerrissen, dass es schwer ist, einen Platz zu finden, wo man dieselben mit einiger Sicherheit deponiren kann. Man darf nicht Alles, was wir draussen haben, auf Einer Stelle deponiren; es dauert dann im Falle der Noth zu lange, bis man Alles weggeschafft hat. Unter das Schiff hat sich so viel Eis geschoben, dass die beiden Wasserlöcher dicht bei demselben verstopft sind. Mit einem 14 Fuss langen Meissel kommen wir nicht durch."

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