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fielen. Die Schiffs-Assekuranzen stellten immer schwerere Bedingungen und erhöhten von Jahr zu Jahr ihre Prämien, als sie mehr und mehr gewahr wurden, wie häufig die Schiffe leichtsinnig und auf blosse Spekulation dem Eise überlassen wurden. Den grössten Stoss gab aber dieser scheinbar unversiegbaren Einnahmequelle jener so armen Länder das böse Eisjahr 1872, als bei Spitzbergen und Nowaja Semlja im Laufe weniger Wochen ein grosser Theil der Jagdflotte mit vielen Menschenleben den trostlosen Eisverhältnissen jenes traurigen Jahres zum Opfer fiel.

Die Jagd wird zwar noch immer betrieben; allein die Zahl der Schiffe, die alljährlich ausziehen, hat sich bedeutend vermindert. Die Glanzperiode ist vorüber, wo ganz Finnmarken mit Spannung auf die Heimkehr der ,,Eismeerfahrer" wartete, und wo jedes Kind längs der Küste den Namen des glücklichen Jägers wusste, dem die meisten Bären und Walrosse als Beute zugefallen waren.

Die Jagd gilt Allem, was da lebt und webt im arktischen Eise, denn Alles ist nutzbar, die Hülfsmittel sind aber anders, je nach dem Betriebe.!

Die Einen verlegen sich auf den Fang des arktischen Haies, der sich in 3- bis 400 Meter Tiefe auf dem Grunde umhertreibt. Von dem vor einem langen Taue in hoher See verankerten Schiffe sind ununterbrochen vier bis sechs Angeln ausgeworfen jede Leine ist auf einem Haspel an der Bordwand aufgerollt und zeigt durch ihr Ablaufen, dass ein Fisch hängt. Rasch wird er heraufgewunden, die Leber entrissen, der Rest über Bord geworfen und die Angel frisch ausgelegt.

Die Anderen umstellen mit ausgedehnten starken Netzen die eisfreien Buchten von Spitzbergen und Nowaja Semlja. und erlegen mit Harpune und Gewehr den Weisswal, der sich in die Falle hat treiben lassen. Speck, Leber und Haut gehen hinab in den Raum und verschwinden in den Fässern, die dort ihrer Füllung harren. Wehe dem Jäger, der sich verlocken liess, für 400 Species an Bord eines solchen Schiffes die Jagdzeit mitzumachen! Vom ersehnten Bären sieht und hört er nichts dafür trägt er aber sein ganzes Leben lang ein Andenken an die verfehlte Jagd in seiner Nase mit sich.

Und wieder ein Anderer jagt den Finnwal, der nirgends gefangen wird, als an der arktischen Küste von Norwegen. Zu wild und beweglich, um mit der Harpune erlegt werden zu können, wird er mit der Explosions - Kugel aus einem Geschütze erschossen und muss, da er im Gegensatze zum eigentlichen Wal rasch nach dem Tode sinkt, sogleich, nachdem er getroffen ist, mit der Harpune an die Leine gelegt werden. Mit dieser wird er dann emporgewunden.

Keiner von diesen wagt sich aber in das Eis, ihr Bereich bleibt das offene Wasser bis zur Eiskante.

Der wahre Mann des Eises ist der Walross-Jäger. Was ihm vor die Büchse oder vor die Harpune kommt, das nimmt er mit. Er erlegt den Weisswal, wenn er ihn trifft, und verschmäht auch den Haifisch nicht; er schiesst das Renthier auf dem Lande und füllt den leeren Raum mit Vogeleiern, die ihm zu Tausenden zu Gebote stehen; er sammelt Eiderdunen, wenn er nichts Besseres zu thun hat, und salzt die erlegten Gänse und Enten als Reserve für den Winter in der Heimath. Seine eigentliche Beute aber, die er immer im Auge hat, die er verfolgt, so lange er kann, und der zuliebe er sein Leben auf das Spiel zu setzen jeder Zeit bereit ist, sind das Walross, der Seehund und der Bär. Ihnen spürt er ununterbrochen nach; sobald er das Eis in Sicht bekommen hat, sind sie für drei bis vier Monate das Ziel seines Daseins geworden, für das er Alles wagt der Traum, dem er Tag und Nacht nachjagt. Die Jagd erfordert kleine, bewegliche und stark gebaute Schiffe vom Tonnengehalte unserer Küstenfahrer, die jede Lücke im Eise, jeden offenen Kanal benutzen können, um vorwärts zu kommen. Je nachdem sie ein oder zwei Fangboote führen, sind sie mit acht oder zwölf Mann und einem oder zwei Harpunieren,,,Fangmännern", wie sie dort heissen, bemannt.

Ist das Eis einmal erreicht, so ist der Ort gleichgültig, auf dem sich das Schiff befindet. Das Reiseziel ist das Walross, wo immer es zu treffen ist. Nur die Art des Grundes ist von Bedeutung, da das Walross auf dem Boden seine Nahrung sucht und über gewisse Tiefen nicht. hinausgeht. Hierdurch ist die Jagd in hoher See, fern vom Lande, ausgeschlossen, wo nur der Bär und der Seehund vorkommen, denn diese sind nicht ausgiebig genug.

Der Cours des Schiffes ist der Instinkt des Führers. Stösst er auf gute Jagdplätze, so verräth er Niemandem ein Wort und kehrt im kommenden Jahre dahin zurück. Trifft er keine Beute im Meere von Nowaja Semlja, so geht er längs der Eiskante nach Spitzbergen hinüber und schiesst auf dem Wege die Seehunde, die ihm unterkommen; findet er dort kein Wild im Storfjorde, so zieht er hinauf nach der Nordküste und umsegelt wo möglich ganz Spitzbergen in steter Erwartung dessen, was sich ihm darbieten wird. Wo immer sich eine Öffnung im Eise zeigt, da dringen die Schiffe ein, und da ihre Zahl eine grosse ist und eines oder das andere alljährlich die günstigsten Chancen benutzen kann, so haben sie geographische Aufgaben gelöst und Resultate erzielt, an welchen eigens ausgerüstete wissenschaftliche Expeditionen zu wiederholten Malen scheiterten.

In stetem Kampfe mit dem Eise, an das sie gebunden. sind, liegen die Schiffe oft Wochen lang im Eise eingeklemmt, ohne sich von der Stelle rühren zu können. Setzt der Wind um, und die Verhältnisse werden günstiger,

so geht es weiter; überrascht sie der Herbst in böser Lage, so wird das Schiff dem Eise überlassen, und die Bemannung sucht mühselig mit den Booten in den Buchten und Fjorden nach einem anderen Fahrzeuge, das sie in die Heimath zurückführt. Oft sind alle Fässer schon voll mit Speck und Thran, und der übrig bleibende Raum bis unter die Deckbalken verstaut mit Fellen es hat schon Jeder die Rechnung gemacht, was ihm an Fangpercenten gebührt, da fasst das neidische Eis am Ende der Jahreszeit das Schiff in seiner unlösbaren Umarmung, und die Bemannung muss ruhig den mühseligen Erwerb des ganzen Sommers im Stiche lassen und froh sein, das nackte Leben retten zu können.

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Es ist ein eigenthümliches Volk, das mit diesen Schiffen alljährlich im Frühjahr hinauszieht in das Eis. Mehr Jäger und Fischer als Matrosen, sind diese hochnordischen Norweger gänzlich verschieden von ihrem Landsmanne im Süden des Polarkreises, einem der besten Seemänner der Erde. Sie sind ein Typus, der seine guten und seine schlechten Eigenschaften hat, den man aber achten und ehren lernt, wenn man, wie wir, Monate lang im intimsten Verkehr mit ihm gelebt hat. Man kann ihm Manches vorwerfen und über seine Schwächen lächeln, aber man muss ihm gut sein, wenn er auch in mancher Beziehung den Ansprüchen nicht entspricht, die matrosen stellt.

man an ihn als Eis

Es sind zwei verschiedene Nationalitäten, welche die Leute zu diesem Gewerbe stellen: der blonde, intelligentere Norweger und der dunkelhaarige Quäne, der Abkömmling eingewanderter Russischer Finnen. Sie gehen schiffweise. Auf ein Quänenschiff wird sich nicht gern ein Norweger verlieren, eher ein Quäne zu Letzteren. Die gleiche Beschäftigung hat aber Beiden den gleichen Charakter aufgedrückt, der nur in untergeordneteren Eigenschaften eine Verschiedenheit aufweist.

Der

Beide leben sie im Elende, in der Abhängigkeit vom Norwegischen Kaufmanne, aus dessen Schuldbuch sie so leicht nicht mehr herauskommen, sobald sie der Leichtsinn oder das Elend einmal in seine Hände gebracht hat. Dorsch, den sie zur Winterszeit im Kampfe mit den Elementen beim Nordkap und bei den Lofoten fangen, wird zum ziemlich willkürlichen Preise von der langen Schuld abgestrichen die Ausrüstung für die Fahrt in das Eis erfordert im Frühjahre Vorschüsse, welche sie wieder erhöhen. Statt Geld bekommt der weisse Sklave in den meisten Fällen Waare; er arbeitet vergeblich und kommt so leicht nicht vorwärts.

Von der Schiffsführung verstehen nur die Norwegischen Eiskapitaine, die in neuerer Zeit auch ein Examen ablegen müssen, mehr, als dass man das Eis erreicht, wenn man

lange genug gegen Norden fährt, und dass die Magnetnadel die merkwürdige Eigenschaft besitzt, stets nach dieser Richtung zu zeigen. Wenn man dem stolzeren Norweger glauben will, so giebt es aber Quänen, die in der NavigationsKunde noch nicht so weit gekommen sind, und die es vorziehen, aus den Haaren, dem unerschöpflichen Stalle, ein Individuum hervorzuholen und dann mit dem Schiffe die Richtung einzuschlagen, welche dasselbe im Laufe über die ihm vorgelegte Karte anzugeben beliebt.

Im Allgemeinen fahren diese Leute, sobald ihnen die heimathliche Küste ausser Sicht gerathen, so lange in ungefährer nördlicher Richtung, bis sie auf das Eis stossen. Dann sind sie sicher, dass sie, die Eiskante verfolgend, die Berge von Spitzbergen endlich in Sicht bekommen. Haben sie aber diese einmal, so sind sie auf ihrem Jagdgrunde, den sie besser kennen, als irgend ein Lootse der Welt.

Tritt jedoch durch längere Zeit stürmisches Wetter ein, so ist es leicht möglich, dass ihnen jede Orientirung verloren geht. Nach vergeblichem Suchen müssen sie dann nach Finnmarken zurückkehren und die Reise neuerdings von Anfang an beginnen. Es sind aber schon Fälle vorgekommen, dass der Verirrte bei einer solchen Gelegenheit statt in Hammerfest oder Vardö nach langer Irrfahrt endlich bei den Faröern oder auf den Shetland-Inseln ankam. Diess ist jedoch durchaus kein Grund für den Betreffenden, im nächsten Jahre nicht wiederum vertrauensvoll sein Glück zu versuchen.

Im Storfjorde trafen wir 1871 mit einem Walross-Jäger zusammen, der mit voller Ladung heimkehrte und uns mittheilte, unter Stans Foreland lägen 14 Fahrzeuge, vom Eise besetzt. Gesprächsweise erzählte er, dass Keiner von ihnen mehr wisse, wie viel Uhr es sei. Wenn der Eine frühstückte, legte sich der Andere schlafen, und der Dritte ass zu Mittag, wenn beim Vierten das Nachtessen aufgetragen wurde. Sobald die Sonne nicht mehr verschwindet, kümmert sich Jeder gerade nur noch so viel um die Zeit, dass er nach vier Stunden von der Wache abgelöst wird, und hierfür genügt die Sanduhr. Die alte Uhr unter dem Skeilicht ist seit der Abreise von Hause nicht gerichtet worden sie zeigt 12, ergo ist es 12 Uhr. Eine Peilung der Sonne im Süden würde genügen aber zu was? Das Walross bindet sich auch an keine Stunde.

Erst in neuerer Zeit haben einige der intelligenteren Norwegischen Kapitaine begonnen, Werth auf die geographischen Entdeckungen zu legen, die ihnen die eigene Kühnheit und eine günstige Laune des Eises häufig in den Schooss warf. Seit Petermann und Mohn die grossen Verdienste dieser Leute um die Geographie jener Meere in das richtige Licht gesetzt haben, heisst es als Ausdruck der anerkennenden Bewunderung: ,,han har vaeret i bögerne"

(er ist schon in den Büchern gestanden). Seiner Zeit fuhren Carlsen und Mattilas an Gillis-Land, dessen Erreichung so oft vergeblich angestrebt wurde, ohne zu landen, ruhig vorüber, denn es war kein Fang in Sicht. Es war eher das Bestreben vorhanden, die neuen Jagdgründe zu verheimlichen, die im Laufe der Reise entdeckt wurden.

Die Ausrüstung an Proviant ist namentlich auf den Quänenschiffen eine höchst primitive. Nur Eines darf niemals bei der Abreise fehlen, nämlich ein Fässchen Rum, das aber hohl klingt, schon lange ehe das Eis in Sicht gekommen ist. Hat der letzte Tropfen seinen Weg aus dem Spundloche gefunden und sind die letzten Reste zum zehnten Mal mit Wasser ausgespült, so geht es an die Schiffsapotheke. Zuerst erreicht die Hofmann'schen Tropfen ihr Schicksal, denen die in Wasser gelösten Aloë-Pillen folgen, und trifft man nach einiger Zeit im Eise mit einer der immer trockener gewordenen Kehlen zusammen, so kann man das schönste Bärenfell um eine Flasche,,Starken" haben. Unser alter Carlsen, die gute treue Seele, das Muster des Ishavsfarer, litt gar häufig an hartnäckigen Magenschmerzen, die aber die Eigenthümlichkeit besassen, rasch vorüberzugehen, sobald ihm der Arzt ein Glas Rum verschrieb. Nachdem wir schon ein Jahr vom Eise eingeschlossen waren, sah er die Nutzlosigkeit ein, zoologische Sammlungen nach Hause mitzuschleppen, und bereitete sich resignirt mit dem Spiritus, der ihm für solche aus der Heimath mitgegeben war, hie und da ein heiteres Stündchen.

Merk

Weit genügsamer sind diese Leute im Essen, wenigstens was die Qualität betrifft. Brod, Schmalz, getrockneter und gesalzener Fisch und Salzfleisch als Leckerbissen, bilden mit Hülsenfrüchten durch Monate die einzige Nahrung. würdigerweise ist das gesunde und wohlschmeckende Bärenfleisch eine nicht sehr beliebte Speise. Der Seehundsspeck, welcher in frischem Zustande entschieden wohlschmeckender ist als das ranzige Schmalz, wird gar nicht gegessen. Beliebt sind vom Wilde nur die leckeren Alken und Eidergänse. Dagegen wird Kaffee, allerdings in der allernordischesten Verdünnung, in unglaublichen Quantitäten genossen. Ein einziger Mann trinkt nach der Wache zu seinem Butterbrode einen grossen Kessel voll gefärbten Wassers zum Imbisse leer.

Wie die meisten Menschen von geringerer Bildung, welche viel mit Gefahren zu kämpfen haben und ein verhältnissmässig einsames Naturleben führen, sind die WalrossJäger ohne Ausnahme zum Aberglauben geneigt. Sogar der Norweger Kjelsen, ein mehr als die Anderen seines Gewerbes gebildeter Schiffsführer, warnte uns, als der alte Quäne Mattilas seinen Besuch an Bord ansagte, weil er die Gewehre zu verhexen verstehe, und ward erst ruhig, als dieser gnädig die Zusicherung gab, dass er nichts Der

artiges beabsichtige. Um der ungläubigen Mannschaft zu beweisen, dass er den Bären zu bannen verstehe, geht Carlsen in festem Vertrauen auf seine Macht, mit dem Gewehre über der Schulter, bis auf fünf Schritt an diesen heran, nimmt die Mütze ab, wünscht ihm höflich guten Morgen" und schiesst dann das ganz verblüffte Thier, das in seinem Leben noch keinen Menschen gesehen hat, ruhig

zusammen.

Als wir am ersten Sonntag im Eise den ersten Seehund erlegten, war Carlsen, obwohl er im Jagdeifer selbst mitgeschossen hatte, höchst ungehalten, weil die Sonntagsbeute Unglück bringt, und meinte später gar manchesmal, es wäre Alles besser gegangen, wenn jene leichtsinnigen Schüsse nicht gefallen wären. Als gutes Beispiel führte er immer den alten Robbenschläger Foyn an, der am Sonntag keine Jagd gemacht haben würde, wenn auch die Seehunde zu Tausenden um ihn herum gelegen hätten. Als dieser einst nach mehrtägiger Abfahrt von Hause bemerkte, dass er den alten Jagdflaus vergessen hatte, der ihn schon seit 20 Jahren im Eise vor der Kälte beschützte, kehrte er ruhig heim, um ihn abzuholen, obwohl ihn der günstige Wind schon eine schöne Anzahl Meilen seinem Ziele entgegengeführt hatte.

Hand in Hand mit diesem Aberglauben geht aber ein tiefes religiöses Gefühl. Sonntag Vormittags wird bei jedem. Wetter gemeinsam die Bibel gelesen, und jeder Tag im Journale beginnt mit ,,Gud med os", „Gott sei mit uns!"

Obwohl Allen eine natürliche kaufmännische Schlauheit nicht abgeht, die sich schon darin zeigt, dass wohl nicht leicht Einer vergisst, seine wenigen Kleider zu gutem Preise vor der Abfahrt zu assecuriren, in der Hoffnung, einen Profit zu machen, im Falle das Schiff verlassen wird, so besitzen sie doch im gewöhnlichen Verkehre eine Ehrlichkeit, welche in besuchteren und bevölkerteren Gegenden schon lange nur mehr zu den Traditionen gehört. Das von Graf Wilczek bei den drei Särgen auf Nowaja Semlja angelegte Proviant-Dépôt wird Jahre lang ruhig liegen; ein Norwegischer Walross-Jäger rührt es sicher nur dann an, wenn er sich in Noth befindet. Die Gutmüthigkeit spricht aus den ehrlichen Gesichtern, und eine Rauferei kommt selbst im Rausche kaum vor. Mord und Todtschlag wären an der Tagesordnung, wenn im Süden der starke Gebrauch der Spirituosen mit dem Tragen der Jagdmesser vereinigt wäre wie im hohen Norden.

Ein Charakterzug bei Allen ist leider eine grosse Trägheit, die sich beim Quänen bis zur Apathie steigert. Stunden lang vermag Letzterer auf dem gleichen Platze zu liegen und nach dem gleichen Flecke zu stieren, ohne eine Miene zu verziehen, die verrathen würde, dass sich sein Geist mit irgend etwas beschäftigt. Beim Überschiffen

eines Fasses Brod an Bord des ,,Isbjörn" zerquetschte sich ein Quäne das erste Glied eines Fingers, worauf ihm sein Schiffsführer den zerquetschten Fetzen mit dem Speckmesser abschnitt. Auf die Frage, ob ihm die Operation wehe gethan, sagte er ruhig: „Nein!"

Wenn auch nicht in so hohem Maasse wie der Quäne, besitzt doch auch der Norweger eine gute Portion Faulheit. Wird ein Schiff vom Eise besetzt, so legt Alles ruhig die Hände in den Schooss, und es fällt Niemandem bei, es durch eigene Anstrengung frei zu arbeiten. Es herrscht dann eine Zeit der Ferien, des dolcissimo far niente, der schrankenlosesten Faulheit, die Jeder ausnützt, so gut er nur kann. „Es wird schon gehen", ist der allgemeine Wahlspruch, und dabei denkt man an den gütigen Wind, der mit der Zeit wohl umsetzen und das Eis öffnen wird. Ändern sich aber Wind- und Eisverhältnisse nicht und es rückt der Herbst heran, so verlässt man mit dem nämlichen Gleichmuthe das Schiff und spannt sich vor die Boote.

Diese Faulheit macht den arktischen Norweger entschieden untauglich zu längerem Aufenthalte im Bereiche der intensiven Kälte, zur mehrjährigen Überwinterung. Diese Faulheit trägt auch die Schuld an dem Tode der 19 Norwegischen Matrosen, die im Winter 1872/73 im HornSunde inmitten des Überflusses an Lebensmitteln in einer guten Hütte den Folgen des Klima's erlagen. Trägheit in jenen Gegenden ist der Tod, denn der Mangel an Bewegung ist eine der Hauptursachen des Skorbuts. Es ist möglich, dass ein energischer und thatkräftiger Führer eine solche Mannschaft aus ihrer Trägheit aufzurütteln vermag; aber sicherlich gehören hierzu eine grosse Ausdauer und eine ununterbrochene Überwachung.

Schon die zolldicke Wollschicht, die Jeder am Körper trägt, macht diese Leute unbeweglich und faul. Für die Sommer-Temperaturen ist eine solche Kleidung ganz unnöthig und nur hinderlich; die geringste anhaltende Bewegung genügt, um in ihr reichlichen Schweiss hervorzurufen.

In den ohnehin engen Kajüten steht bei der Mannschaft die Küche mit dem ewig brodelnden Kaffeetopfe, beim Kapitain der stets geheizte Ofen. In den engen Räumen herrschen eine Temperatur und ein Dunst, die einen Menschen von schwachen Nerven ohnmächtig zu Boden fällen können.

In der ersten Nacht, nachdem wir den Russischen Schooner getroffen hatten, zwang mich unser Retter Boronin, den Ehrenplatz auf seinem Schiffe einzunehmen, das heisst sein eigenes Bett dicht bei einem Lehmofen von kolossalen Dimensionen. Alles Sträuben half nichts; es schien fast, als fürchte er, zu Hause zur Verantwortung gezogen zu werden, wenn er den Chef der Expedition nicht kurz, ich musste hinein. Nach

in sein Bett nehme

96tägigem Aufenthalte im Freien, von den scharfen hölzernen Rippen des Bootes auf und unter Eiderdunen neben einen glühenden Ofen zu kommen, ist ein zu rascher Übergang. Fünf Minuten hielt ich es ehrenhalber aus, dann floh ich aber, dem Ersticken nahe, und stürzte hinaus in das Freie.

Die Trägheit giebt sich schon in der Art und Weise kund, wie die Schiffe im Eise manövrirt werden. Statt zu versuchen, den vorliegenden Hindernissen auszuweichen und sie nach Möglichkeit zu umgehen, wird einfach auf dieselben losgefahren, um sie durch rohe Gewalt bei Seite zu schieben. Die Fahrt im Treibeise besteht in fortwährendem Anrennen ein tüchtiger Stoss mit voller Fahrt, so dass wo möglich Alles auf die Nase fällt, ruft die allgemeine Heiterkeit hervor. Det gjörer ham godt" (das thut ihm gut) heisst es dann. Ein tüchtiger Seemann wird versuchen, sich durchzuwinden, und wird seine ganze seemännische Geschicklichkeit aufbieten, um sein Schiff zu schonen, so viel er nur kann. Er wird einen Stoss nicht vermeiden, wenn er nöthig ist was ja häufig vorkommt aber das Zittern und Krachen des Schiffes in allen Fugen wird ihm einen Stich in das Herz geben, wenn er sich gestehen muss, dass es zu vermeiden möglich gewesen wäre. Eine solche Behandlung des Schiffes im Eise erfordert jedoch ununterbrochene Aufmerksamkeit und ein fortwährendes Handhaben der Raaen und Segel. Das verursacht aber zu grosse Arbeit; es ist weit einfacher, auf das loszurennen, was gerade im Wege liegt. Geht es nicht mehr weiter gut, so werden die Eisanker ausgebracht. Alles geht zur Koje und wartet, bis der liebe Wind aus der häufig selbst geschaffenen Klemme wieder heraushilft.

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Das Ziel dieser Eismatrosen ist eben die Jagd und nicht die Schifffahrt, die ihnen immer nur als das Mittel zum Zwecke erscheint. Sie sind Jäger im Grunde ihres Herzens und Matrosen nur gezwungen. Für sie ist das Schiff nur der Behälter für die Fangboote, und in diesen concentrirt sich das ganze Interesse.

Wie umgewandelt sind diese nämlichen Leute, sobald sie den Matrosen abgelegt und den Jäger angezogen haben. ,,Ein Walross in Sicht!" tönt es vom Krähenneste herab, und mit Einem Schlage ist aus dem trägen Matrosen ein kühner Jäger, ein kaltblütiger Schütze, ein ausdauernder Verfolger geworden. Die Bootsbemannung stürzt zu dem Fangboote, das stets in musterhafter Ordnung gehalten wird. Im Augenblicke ist es im Wasser, und mit wuchtigen Ruderschlägen geht es dem schwarzen Punkte entgegen, der in der Ferne die Beute anzeigt. Liegt dichtes Eis im Wege, so springt Alles heraus, das Boot wird hinaufgezogen, über die Flarde hinübergeschleppt und im nächsten Kanale wieder eingesetzt.

Alles geht so rasch, dass man andere Menschen vor sich zu haben wähnt. Und doch herrscht keine Übereilung dabei, Jeder vollbringt seine Aufgabe mit Ruhe und ohne Überstürzung. Oft gehen die Boote viele Meilen weit und bleiben Tage lang vom Schiffe entfernt; häufig trennt sie der Nebel und sie finden sich erst nach langem Suchen wieder. An Bord bleiben dann nur der Kapitain, der Koch und der Junge; wie sie das Schiff manoeuvriren, ist ihre Sache, daran denkt Niemand, sobald Fang in Aussicht ist.

Liegt das Walross schlafend auf dem Eise, so wird ihm fast unhörbar das Boot im Wasser so nahe gebracht, dass der Harpunier auf das Eis springen und sein Wild, das ausserhalb des Wassers ganz widerstandslos ist, mit der langen Lanze ruhig niederstechen kann. Sind mehrere Thiere beisammen und es gelingt, die dem Wasser zunächst liegenden so rasch abzuthun, dass die übrigen dasselbe nicht mehr zu erreichen vermögen, so ist gewonnenes Spiel. Die Leiber der geschlachteten bilden dann für die auf dem Eise unbehülflichen Thiere einen Wall, und die ganze Heerde ist machtlos der Lanze verfallen. Ein solcher Glücksfall ist das Ziel aller Wünsche des Walross-Jägers.

Ganz anders gestaltet sich aber die Jagd, wenn die Thiere rechtzeitig das Wasser erreichen. Neugierig gehen sie dann auf den unbekannten Gegenstand los und umschwimmen drohend das Boot. Vorne im Buge steht der Harpunier eine Harpune hat er in der Rechten, bereit zum Stosse, fünf andere sind klar, um mit raschem Griffe erfasst werden zu können. Neben ihm liegen eine Lanze mit wuchtigem Holzschafte und Hand breiter, Fuss langer doppelter Schneide und die Büchse. Jeder Mann an den Rudern hat links von sich ein Handbeil, rechts ein langes, roh gearbeitetes Speckmesser.

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Das vorderste Thier ist nahe genug mit voller Gewalt bohrt ihm der Jäger die Harpune in den Körper, zieht rasch die lange, dünne Stange derselben zurück und legt das Ende der Harpunenleine an einem starken Blocke fest. Brüllend taucht das ungeschlachte blutende Thier unter, allein die nur 10 bis 12 Meter lange Leine erlaubt ihm nur kurzen Spielraum. Es taucht wieder empor und schleppt das Boot hinter sich nach. Auf das Gebrüll des getroffenen Kameraden stürzt wuthent brannt die ganze Heerde zum Angriffe auf das schwache Boot und seine Insassen los. Bald da, bald dort taucht in nächster Nähe ein kolossaler struppiger Kopf mit wüthend rollenden Augen auf und zeigt die Fuss langen Hauer. In blindem Grimme peitschen die mächtigen Leiber dicht bei dem Boote das Wasser. Kaltblütig steht der Harpunier auf seinem Posten und sucht sich sein zweites Opfer aus ein kräftiger

Stoss und ein anderes Thier liegt an der Leine. Mit verPetermann's Geogr. Mittheilungen. 1876, Heft XI.

doppelter Fahrt schiesst das Boot nach vorwärts, einen breiten blutigen Streifen im Kielwasser lassend, die tobende Meute hinter ihm her. Oft kommt es zum Handgemenge; mit Ausnahme dessen, der das Boot inmitten der aufregenden Scene steuert, und von dessen Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit das Leben Aller abhängt, lässt Jeder seine Ruder laufen und greift nach Messer und Beil, mit denen er sich und das schwache Fahrzeug gegen die wüthenden Köpfe vertheidigt, die, immer wiederkehrend, das Boot über dem Dollbord zu fassen versuchen. Keinem der Thiere fällt es ein, einen direkten Stoss gegen die dünnen Holzplanken zu richten; jedes trachtet, mit den stark nach rückwärts gebogenen Hauern, mit welchen es sich auf das Eis hinaufzuziehen gewohnt ist, von oben die Bordwand zu erfassen. Gelingt ihm diess, so ist das Boot mit Einem Schlage vernichtet.

Trotz des Kampfes ist der Harpunier noch immer auf neue Beute bedacht; so lange er noch eine freie Harpune besitzt, legt er auch noch ein neues Thier an einer neuen Leine fest. Es kommt der Fall vor, dass sechs solcher Ungeheuer zu gleicher Zeit am Boote ziehen und zerren und es in die Tiefe zu reissen versuchen. Nur die bewundernswerthe Geschicklichkeit und das kalte Blut des Steuernden, der inmitten der aufregenden Scene nicht Eine Bewegung des dirigirenden Harpuniers verlieren darf, vermögen es vor dem Umkippen zu bewahren.

Schnaubend und brüllend vor Wuth umziehen die zurückgeschlagenen Thiere in immer weiteren Kreisen das Boot. Erst dann greift der Harpunier zu der Lanze. Er holt eines der durch den Blutverlust schon abgematteten Thiere an der Leine näher heran und schlägt ihm mit dem Schafte auf den Kopf. Sobald es sich gegen das Boot umwendet, bohrt er ihm die Lanze tief in die Brust und giebt ihm den Todesstoss. Eines nach dem anderen verendet auf diese Art.

Solche Kämpfe kommen aber jetzt nur noch ausnahmsweise vor, denn die Zahl der Thiere ist gewaltig gelichtet. Es ist noch nicht gar lange her, als es ihrer noch so viele gab, dass, wenn das Schiff mit Speck gefüllt war, man nur um des Elfenbeines der Zähne halber weiter schlug und die todten Körper den Bären und Vögeln als gute Beute überliess. Aber noch heute kann ein glücklicher Jäger 150 bis 200 Walrosse im Sommer erlegen. Je mehr ihrer beisammen sind, desto willkommener sind sie dem Norwegischen Jäger; nach Kampf und Gefahr fragt er niemals.

An solche Scenen gewöhnt, betrachtet der Walross-Jäger die Jagd auf den Bären wie eine Spielerei, denn er braucht ja nur auf ihn zu schiessen, und er fällt. Trifft er ihn gar im Wasser, so macht er sich den Spass und treibt ihn wie ein zahmes Thier vor dem Boote dem Schiffe

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