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ausser ihr stammeln die Leute nur Deutsch. Drüben im Österreicher Land spricht Alles die beiden Sprachen; die Wälschen im glorreichen regno d'Italia, das nicht einmal die an ihm verschwendeten vorzüglichen Strassen der Austriaci zu erhalten vermag, sind meist zu stolz und zu faul, Deutsch zu lernen. Bis jetzt! Nur so bis jetzt!,,Denn seit 1866 und 1870/71", sagte mir mein junger Innicher,,,hat sich auch da unten ein anderer Wind erhoben! Sie schauen auch uns schon ganz anders an".

Von St. Stefano (zu Fuss in 2, zu Wagen in 12 St.) ging's hinauf, ONO., nach St. Bladen! Auf ursprünglich vorzüglicher, jetzt aber manchmal etwas schadhafter Strasse, durch wahrhaft wunderbare Gebirgsengen hinauf in das vergessene, verlassene, einsam den Kampf um seine Nationalität kämpfende Deutsche Thal.

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Jetzt sitze ich oben in dem vortrefflichen Wirthshause der Frau Ceconi (in Patois,,Tschigung" gesprochen), habe den Schreibtisch am offenen Fenster stehen und blicke zeitweis auf all' die hehre Pracht, die vor meinen Augen ausgebreitet liegt. Die Bauern dengeln ihre Sensen, die Schwalben jagen sich zwitschernd in der Luft,. der „Spitz" und der „Joh" und die „Öfnerspitz" (ein kleines MatterHorn) erglänzen im Abendsonnenschein, schroff starren ihre Zinnen und Gipfel in den blauen Äther hinein immer denke ich,Reden denn nicht die Bergeshäupter mit einander, wie unser einer mit seinen Nachbarn? Warum hört man's denn nicht?" Und dann erzählt mir die Wirthin von der Noth und dem tapferen Ankämpfen der Deutschen Sprache gegen Wälsche Unterdrückung!,,Ja, mein Mann is a Wälscher! Aber er mengt sich nix in's Gema! Und mein Söhn sin noch schärfer! Die son in der Lehr. Un da isch d'r Ältst zurückgekomme! Un, sagt er, Mutter, wenn der Papa mich wieder will thun auf a Wälsche Schul, ich hab kei Passiun mehr. Ich hab ihm müssen zureden, wenn's nicht skandalisarit soll werden. Er hat halt nichts Anders im Sinn, als auf a Deutsche Schul! Und unser Pfarrer ist ein Wälscher und sein Cooperator auch. Die verstehen kein Wort Deutsch und wir nicht Wälsch! So geht Niemand zur Kirch und zur Beicht! Und die Kinder sitzen in der Schul und verstehen kein Wort von der Lehr! Desch Bescht wär, wir würden alli proteschtantisch, dann wär uns bald geholfen! Nein, oben im Ausserbladen (CimaSappada) da hat's ein Deutschen Geistlichen, der ist aus Sauris, das ist auch ein Deutscher Ort, noch weiter hinab nach Venezia, noch 6, 7 Stunden nach Mittag. O die reden ein ganz tolles Deutsch, denn die sind viel älter als wir, als unsere Gemeinde; die sind uralt." Während die Wirthin fortplauderte, ging die Sonne unter. Der letzte Strahl nahm Abschied von der Spitze des ,,Spitz". Ein Wälscher warf unter dem Fenster Kegel und schwätzte

eifrig wie ein Staar und renommirend mit der Landessprache in unendlichem Wortschwalle. Dazwischen tönte das tiefe „Guate Nacht" der Deutschen Bauern. Und nun flammten im rosenrothen Abendleuchten alle die, das schöne Hochgebirgsthal einschliessenden Firste auf! Weit war die Sonne nach Westen gerückt, unsichtbar sandte sie ihren letzten Gruss im edelsten Himmelslicht zu uns. Der Anblick des Alpenglühens der Dolomiten ist in dem einsamen Berglande so ergreifend, die Berge sehen so verklärt, so lebend aus, dass unwillkürlich dem geniessenden Auge der gleich edle Sinn des Ohres sich fragend zugesellt: „Erklingen sie nicht, die Dolomitenrecken? Hörst Du nicht die leise, ewige Melodie der dem Schöpfer dankenden Natur?" Es ist ein Unglück gewesen, dass Österreich nicht die benachbarten Deutschen Orte Timau (Tischleinsweiler) und Zahre (Sauris) seiner Zeit vom Lombardisch-Venetianischen Königreich abgetrennt und zu Kärnthen geschlagen hat. Wäre das geschehen, so liesse sich jetzt das Todtmachen der Deutschen Sprache in diesen alten ,,Lombarden-Gemeinden" oder der tägliche Kampf um ihre Sprache vermeiden! Denn wenn auch die Sage geht, dass Bladen seinen Ursprung circa 1150 den vor den Unterdrückungen ihrer Görzer Grafen fliehenden Deutschen des Villgratner Thales im Tiroler Drau - Thale und später zuziehenden Bergleuten verdankt, so ist doch als bestimmt anzunehmen, dass ein grosser Theil der Zuzüglinge aus den damals noch bestehenden Alt- Deutschen Gemeinden Friauls seinen Ursprung genommen hat. Urkunden giebt es über den Ort oder das ganze Thal keine mehr; 1666 verbrannten die Tauf- und Sterberegister.

Das ganze Thal mit all' seinen 13 Weilern, bis zum äussersten nach ONO. „Cretta" oder Zupaden (Ausserbladen) vom,,grossen Dorf" an, zählt fast 1400 Einwohner. Und nun geben die Wälschen, die in Trient den Leuten aus den benachbarten Deutschen Dörfern San Sebastian oder aus dem Vierhöfner Thale, unweit Trient, nicht erlauben, ihren Todten auf dem städtischen Kirchhofe ein Deutsches Grabdenkmal zu setzen, diesen Deutschen Gemeinden nicht einmal Deutsche Geistliche ! Durch Vermittelung der „,Deutschen Schulgesellschaft" in Innsbruck, durch freundnachbarliche Anfrage bei der Regierung von Kärnthen, oder Görz, oder Steiermark müssten sich doch diesem Übelstande leicht abhelfen lassen.

Ehe ich schliesse, um über das noch merkwürdigere Sauris berichten zu können, von dem in der Aussenwelt, so viel ich weiss, noch nie ein Berichterstatter aus dem Deutschen Reiche erzählt hat, möchte ich nochmals auf die unübertrefflich schöne Gebirgslage des Thales, auf die nette, saubere Art der Leute, auf die zuvorkommende Wirthschaft und auf die äusserst wohlthätige frische Alpen-Luft

aufmerksam machen. Wahrlich, dieser abgeschiedene Winkel ist ein wahres refugium für abgearbeitete, ruhebedürftige Deutsche Gelehrte und Künstler und für jeden Freund der Natur und unserer Volksreste im Auslande. Wenn aber einer unserer Volksgenossen diese billigen und so friedlichen und schönen Thäler von Bladen aufsuchen und sie zur längeren oder kürzeren Sommerfrische benutzen will, so nehme er doch ein paar Deutsche Zeitungen mit für das Wirthshaus, oder ein paar billige Wandbilder (Steindruck) für das Schulhaus und die einzelnen Bauernhöfe. Und vor Allem bringe er ein paar Bücher nationalen, nützlichen und geschichtlichen Inhaltes mit und übergebe sie dem Deutschen Pfarrer von Cretta oder Cima Sappada (zu Deutsch Ausserbladen) zur Einreihung in die Deutsche Bauernbibliothek. Will er aber für die Schulen in Grossbladen und Ausserbladen ein paar Deutsche Volksliederbücher heraufnehmen: das Maass seines Verdienstes um die gedrückten braven Blutsgenossen würde voll werden!

Bladen nährt sich vom Hausiren, von Ökonomie und Holzhandel; Einführung von Industrie wäre bei der Anstelligkeit der Leute ein wahrer Segen! An einer der Berglehnen ist vor Jahren ein Marmorbruch gefunden worden, so schön und so weiss wie der Stein von Carrara; leider ist er noch nicht verwandt zur Bildnerei. Wer aber einen treuen Dienstboten will, der nehme sich ein Kind dieser Deutschen Berge aus Italien mit heim in's Reich; es sind ihrer übergenug vorhanden.

Von hier fort nimmt man am besten den Weg hinab an der Piave und durch's Ampezzo di cortinos - Thal nach dem Norden zu; oder man geht (oder fährt) über Forni, Rigolato und Tolmezzo (oder wie die Leute es immer noch heissen,,Schönfeld") an die Pontaferl- (Wälsch: Ponteba-) Bahn und über das schön gelegene Weiden (Udine) und Triest heim.

2. Sauris.

Welcher Unterschied zwischen den Venetianischen Bergen und der Venetianischen Hauptstadt. Da oben Deutsche Unbehülflichkeit, hier Wälsche Glätte! Da oben elender Boden und Noth, hier Pracht und Glanz von vielen, vielen Jahrhunderten! Kein Wunder, dass die thätige reiche Handels-Republik mit ihrem ausgesprochen Wälschen Wesen das Deutsche Element, das noch ringsum im Norden lebte, nach und nach aufsaugte bis auf wenige Tropfen. Das Deutsche Godego bei Conegliano, im Besitz des Bisthums Freising, verwälschte, Venzone, das einst Peisselsdorf hiess, verwälschte, die Gothischen (Longobardischen) Dörfer in den Monti Berici, westlich von Padua, die noch bis in's 15. Jahrhundert hinein als Theodisci nur Deutsche Geistliche aus dem Norden herbeiriefen, verwälschten

von

all' dem blieb als Rest nur die Deutsche Thalschaft Sauris oder, wie sie sich selbst nennen,,,die Zahre" übrig.

,,Die sind nicht von uns, die in der Zahre; die sind schon vor uns dagewesen", beschieden mich die Bladner Deutschen,,,woher sie gekommen sind, wissen wir nicht; man sagt gar manchmal auch von ihnen, sie seien als Bergleute dahin gekommen, aber das ist nicht wahr; es giebt keine Bergleute dort und dann haben sie eine ganz andere, uralte Sprache als wir", und mein Führer und Packträger der alte Thomele, der Organist und Dirigent der Kirchenmusik zu Bladen, frug mich voll Triumph: „Haben Sie's verstanden, was die Jungfer Hausnerin gesagt hat?" als wir am Widdum Einlass und gastliche Aufnahme begehrten. ,,Sie sagte, der Pfarrherr habe sich eben niedergeworfen! Ja, so reden sie, lauter ganz verkehrte Ausdrücke haben sie, ganz anders als alle anderen Deutschen."

,,Niedergeworfen statt niedergelegt! Na, ich war schon hundert Mal in der Zahre, ich verstehe die Leute! Aber Sie werden sich hart thun heute und morgen mit den Zahrern!" Und der Pfarrherr, der mich später bei meinem gastfreundlichen Bauern aufsuchte, berichtete mir, „es würde freilich mitunter behauptet, auch die Zahre sei aus Deutschen Bergleuten entstanden; allein das sei nicht wahr, denn die allgemein, seit ewigen Zeiten in den Orten der Zahre bestehende Sage gebe an: dass die ersten und ältesten Hütten der hier wohnenden Deutschen Jäger oben auf einem der sich von dem Malais- und Rinderberge herab nach Unter-Sauris ziehenden Hügel gestanden hätten; damals seien ihre Vorfahren noch alle Jäger gewesen und das sei lange her, denn bevor Petsch (Ampezzo di Carnia) gebaut worden sei, habe lange schon Sauris bestanden. Und wenn auch später alle Urkunden (die älteste, die der Erzähler las, stammte doch noch aus 1344 und enthielt einen päpstlichen Ablassbrief für Sauris) verbrannten und zu Grunde gingen, so steht doch so viel fest, dass man einst Schriften gehabt über unsere Gemeinde, die 1000 Jahre alt waren." Der Pfarrherr hat Recht; besteht diese Deutsche Gemeinde schon seit 1000 Jahren, so ist es unmöglich, dass sie von eingewanderten Deutschen Bergleuten, die vom Norden kamen, gegründet wurde. Dann ist hiermit der Beweis geliefert, dass sie aus der Zeit der Italienischen Besiedelung Nord-Italiens durch unsere untergegangenen Stämme herrührt!

Doch lassen wir nun vorderhand die Frage, ob die Zahrener Deutschen vom Gothischen, oder Longobardischen, oder Allemannischen (die nach der Schlacht von Zülpich zu Theodorich auswanderten und noch von Procop, als in jenen Gegenden hausend, angegeben werden), oder auch von dem Mischmasch seien, das man damals Carnia nannte, denken wir lieber an den wunderlieblichen Morgen, den wir noch in dem freundlichen Gasthause der Frau Ceconi zu St. Bladen und besonders in unserem hoch gelegenen Zimmer gegen NO. verlebten. Es dämmerte erst ganz leise, als wir uns erhoben; dann fielen die ersten Strahlen der Morgensonne hinab auf den Eulenkofel und Engenkofel (eng); als ich hinabstieg zum Führer und zum Frühstück, waren die Strahlen schon auf den Spitz vorgerückt, und als ich zurückblickte aus dem flinken Gefährte, hatten sie auch schon den Joh erreicht! Die Rechnung war mehr als gering gewesen; mir fiel der Abschied von den guten

Wirthsleuten und dem schönen Deutschen Thale im Wälschen Lande ganz schwer.

Vom Bladner Thale nach Zahre führen verschiedene Gebirgspfade; auf jedem muss man zwei Gebirgsjoche ersteigen; die, welche unten in der Ecke vom Krummbach und eben so am Spitz vorüber durch unbenutztes steiniges Gebirge führen, sind steil, mühsam und selbst so ungenügend, dass man nicht einmal auf ihnen reiten kann, sondern öfters sich an den Schrofen anhalten muss. Um die beiden, 6- bis 8000 Fuss hohen ,,stigeln" (steilen) Gebirgskämme zu vermeiden, wählte der alte Tobele den bequemsten (kammotsten) Weg von all' den ihm bekannten, der erst unten im Kampolung (Campolango) das Thal der Piave (Arm: Sesis) verlässt und dort in dem Seitentheil eines nur mit Wälschem Namen benannten Nebenflüsschens nach SSW. abführt. Um Zeit zu gewinnen, hatte ich einen Einspänner genommen, und so rollten wir, während die Sonne noch nicht die Sohle der Mulde von Bladen erreicht hatte, durch die verschiedenen borgata's (Weiler) hinab: „Ei Tobele, du fahrst fort", rief eine alte Frau dem gravitätisch im Ecke liegenden Begleiter zu.

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,,Wo willst' denn hin, Tobele?" rief eine Zweite an einem anderen Hause. „Ei, ich bleibe nimmer bei Euch; ich mag nimmer; ich geh' mit dem Herrn nach Berlin", beschied der Musikdirektor die, anfangs verwundert Schauenden, hernach aber lustig Lachenden! Die Fahrt durch die Sesis-Schlucht nach Kampolung auf der spiegelglatten Strasse war wiederum, wie ein paar Tage vorher aufwärts, ein reicher landschaftlicher Genuss! Wie schade, dass unsere Volksgenossen da oben so selten besucht und gestärkt werden; wie schade, dass so wenige von uns das Thal kennen und sich dort Erholung und Freude an der grossartigen Natur verschaffen! Als das Gefährte heimkehrte, hub das Steigen an; erst mählig und noch im Schatten der hohen Seitenberge die Cima Marendera 1) hinan, begleitet wurden wir Anfangs von einem Wälschen Bauern und seinen beiden Buben; flugs nahm Einer derselben, auf des Vaters Geheiss, den ziemlich schweren (Bücher und Steinproben) Ranzen ab und trug ihn; dann löste ihn der Andere ab; es waren gefällige Leute, die jungen mit gelbem Haare und blauen Augen! Dann überschritten wir eine mässige Hochfläche im Walde und begannen den Aufstieg auf den Ratzberg (Monte Ratzo); auf ihm liegt die grosse Gambenalp (Gambo) mit ihrer vortrefflichen Sennerei; sie gehört schon nach Cadore. ,,Ich war eben in dem letzten Kriege in Zahre und half die neue Orgel bauen in der Kirche, als es hiess, die Deutschen kämen über Timau (auch ein Deutscher Ort im Wälschland an der alten berühmten Julischen Alpenstrasse der Römer) herab und als Alles von den Wälschen in grossen Schrecken gerieth; wir Bladner haben uns nit gefürcht; aber die Zahrer sagten: sie liessen die Deutschen nicht herein in ihre Dörfer und versteckten ihr Vieh und Alles, was sie wegbringen konnten; die dummen Leute! s' sind doch auch Deutsche, die Zahrer! Und was haben die Österreichischen Deutschen gethan? Da, die Käserei oben auf der Ratzalpe, die dem Wälschen gehört, die wir nachher oben finden werden, haben sie abgebrannt!

1) Östlich der Terzagrande 8000 Fuss und westlich der grandiose Monte Cornon.

Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1876, Heft IX.

das war das Ganze" erzählte Thomele. Nicht lange dauerte es, so befanden wir uns mitten in der unzähligen, weidenden Heerde! Lauter schönes, graues Vieh. Jenseit der Grenze, ,,im Deutschen" hat man nur rothgeschecktes Vieh. Vom vielstimmigen Glockengeläute begleitet, erklommen wir auf Viehpfaden die Höhe und sahen hinein in die weiten Räume der Sennerei. Jenseit derselben liegt auf der Hochfläche ein kleiner See, sein Wasser war früh 10 Uhr 16° R. Nachfolgende Touristen seien eigens auf die Möglichkeit, hoch da oben (zu beiden Seiten hatten wir an den Flächen des Ratzberges in gleicher Höhe tiefen Schnee) sich den Genuss eines erfrischenden Bades zu verschaffen, aufmerksam gemacht! Dann ging's hinab auf der südöstlichen Abdachung des Berges schon in das Flussgebiet des Tagliamento hinab. Vorher aber genoss ich noch die herrliche Rundschau! Was war das für ein Gewimmel von Thälern und Höhen und Bergriesen! Und über einen beträchtlichen Bergrücken hinweg sah man in der Ferne die Felder des Gebirgsdorfes Sauris in der Sonne erglänzen! Es war noch ein schön Stück Marsch dahin. Schier hatte ich im Beginn den Kräften des 64jährigen Trägers und Führers misstraut, doch mit jeder Stunde schien seine Kraft zu wachsen. „O, hätte ich nichts zu tragen, ich flög dahin wie ein Vogel", meinte Thomele. Er hatte merkwürdige Schicksale gehabt; er erzählte mir viel aus seinem Kloster- und Wanderleben. „Ja, und jetzt bin ich Gemeindeorganist mit 64 Francs (Lire) Gehalt; kaum genug, um mir manchmal ein Schnäpschen zu kaufen; ich muss halt sehen, wie ich durchkomme! Morgen muss ich daheim sein, heute noch muss ich zurückkehren, sonst kann morgen kein Kirchengesang Statt finden! Ja wohl, ich spiel fast alle Instrumente; Violine aber ist mein Liebstes, das ist mein Leben. Schicken Sie nur Lieder für die Jugend und allerhand Sachen, es thut Noth und wird uns gut thun! Ich will schon den Kindern die Melodien und die Lieder einlehren!" Es war ein prächtiger Kerl, der Alte, ein ächter zäher Deutscher. Und welcher Kenner des Gebirges! Welcher Kenner der Quellen!,,Das ist eine Schwefelquelle, und die da hält Eisen! Das sehen Sie schon an der Farbe! Probiren Sie nur. Er hatte immer Recht. Bald wusste er einen Marmorbruch, bald einen ganzen Gypsberg zu zeigen. Das Beste aber war, dass er stets die besten, reinsten Trinkwässer anzugeben wusste. In der Hitze, bei steilem Auf- und Absteigen verdürstet man sonst fast. Von Ratzberg hinab hat ein Peroroller Kaufmann einen leidlichen Fahrweg bauen lassen, um die ungeheueren Wälder, die er den Gemeinden abgekauft, ausnützen zu können. Unten in der Tiefe an dem grossen Stalle, den er für die Zugthiere errichten liess, wird auch das Gebirgswasser zum Flössen benutzt, „der Mitterbach"; er fliesst in den Lumiei, der wieder ein Nebenfluss des Tagliamento ist. Der Lumiei erhält sein Gewässer aus dem Taubenthal, dem Gofthal und dem Mitterthal; auch die Bäche, die bei Wasserreichthum von den Zahrerdörfern herabfallen, eilen in den Lumiei. Von dem Stalle an kletterten wir die letzte Höhe hinan, auf „den Rücken." Auf ihm, dem Rücken, schritten wir noch ein paar Minuten scharf zu, dann sahen wir die ersten Höfe von Ober-Zahre vor uns liegen. Ächtes Deutsches Gebirgsdorf, überall die Spuren von unendlichem Fleisse; der

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reichste Bauer der ganzen Thalschaft (der Nederer) wohnte in dem stattlichsten Hause. All' die Kinder Urgermanen, weisshaarig, azuräugig, treu und neugierig guckend. OberZahre hat 40 Höfe. An einem derselben hielt ich an und befahl der „Diern", die eben in der Thüre stand, gekleidet wie eine ihres Gleichen in Deutschland auch, Grüsse an ihren Bauern von seinem Sohne, dem Pfarrer in Ausserbladen. Ob sie mich verstanden, wusste ich nicht, ich glaubte es aber. Am andern Abend bezweifelte ich es, als ich mich daran erinnerte; während dem hatte ich erst erfahren, wie schwer ein Hochdeutscher verstanden wird.

In Ober-Zahre ist ein Curatus expositus, untergeben dem Pfarrer in Unter-Zahre; ersterer spricht nicht Deutsch; Alles verkehrt er mit seinen Beichtkindern im Wälschen Idiom. Nach alter Germanensitte liegen die Höfe weit auseinander; der Anbau ist äusserst mühsam. Unweit des Stalles waren wir an den ersten Zahrer Arbeitern vorübergekommen; kaum sich umschauend riefen sie, rastlos im Heuwenden fortfahrend, Thomele zu: „,Na sind 'r aach do?" Das klang ganz gut Hessisch; aber nachher kam's schlimmer, kam's undeutlicher. Das nächste Mal, als ich Zahrer reden hörte, ging's auch noch gut; ein Hund fiel uns an:,,er thut nix", rief der in der Nähe ebenfalls Heu machende Bauer. Als wir durch den jetzt nur noch drei Häuser zählenden Weiler,,im Feld" durch waren und auf den Pfarrhof (Wiedem, Widdum) zuschritten, hörte mein Verständniss des Longobardischen auf.

Nur einzelne Worte verstand ich noch: ,,Ischt er a Walischer?" oder ,,Der Pfohrharr is in's Biaden" das Andere, was die alte brave Pfarrjungfer hervorsprudelte, um ihren Bruder mit dem fremden Besuche zu verschonen, verstand ich nimmer. Der Pfarrer Georg Platzer (auf Wälsch Don Georgio Platzero) besuchte mich später und holte mich herauf in den Widdum zu einem gastlichen Trunke; er verstand mich nicht durchweg (obwohl er alle Sonntage Deutsch predigt) und ich ihn auch nicht vollständig; auffallend war mir das Anhängen des ,,e" an Adjectiva mit Consonantauslaut, z. B.,,schöne" statt,,schön" und es ist leichte" statt leicht." Doch hierüber soll an anderen Orten berichtet werden. Unter-Zahre mit der Hauptkirche zählt ebenfalls 40 Höfe; Latteis, ein Filialdorf in südöstlicher Richtung, nur 20 Höfe; ausserdem liegen noch einzelne Höfe ganz abseits; der sämmtlichen Höfe zusammen, bewohnt von Deutschen, sind es 120 mit ohngefähr 800 Einwohnern.

,,Nein, wir wollen nach wie vor unserer Sprache treu bleiben; aber schwer wird es jetzt erst recht halten; wir sind halt sehr allein, wir sind sehr arm und vermögen nichts zu thun, unsere jungen Leute auf Deutsche Schulen zu senden; Geistliche und Lehrer, die aus uns hervorgehen, werden nur auf Wälschen Schulen gebildet. An Hülfsmitteln zur Volksbildung fehlt es auch gänzlich" erfuhr ich von Bauern und Lehrern; der Unterricht wird nach Wälschen Büchern, Karten &c. ertheilt; Deutsche dergleichen fehlen. Da wäre es freilich ein patriotisch Werk, wenn an die Deutsche Schule (Lehrer Benjamin Treuer zu Sauris bei Ampezzo di Carnia, Ober-Italien) von Freunden unseres Volkes Wandkarten, instruktive Lithographien, Volksliederbücher &c. gesandt würden; auch wäre es gut, wenn eben diesem Lehrer ein Abonnement auf die Garten

laube eröffnet oder geschenkt würde; er liest leidlich Deutschen Druck; eben so wäre es ein rühmlich Werk, wenn dem jungen Schulmanne von der Deutschen Schulgesellschaft in Innsbruck oder sonst einem Deutschgesinnten Vereine der unentgeltliche Aufenthalt an einem Deutschen Seminare ermöglicht würde. Würde aber gar ein germanistischer Fachmann oder sonst ein wohlgesinnter Mann unseren Spuren folgen und diese landschaftlich herrlichen und ethnographisch so lehrreichen Dörfchen in den Wälschen Alpen besuchen, es wäre wahrlich ein gutes Werk! Ihm sei dann als Herberge mein Wirth Balthasar Schneider, ein Bauer mit kurzem Fusse, empfohlen. Das Wort Balthasar wird natürlich abgekürzt, und zwar ähnlich wie in Mittel-Deutschland, in ein zweisylbig Wort, nicht aber in Balser, sondern, da die „,f" und die b" meist in „w" abgeschliffen werden, in ,,Wolfer"; man riaft" nicht vier", sondern ,,wir".

Des Pfarrherrn Neffe studirt eben in dem Wälschen Udine; wäre es den Deutschen Männern in Innsbruck nicht möglich, den vortrefflichen jungen Mann auf kürzere oder längere Zeit in's Deutsche Seminar zu Innsbruck zu nehmen, damit er sich in seiner Muttersprache wirklich ausbilden könne?

Der Karte nach hatte ich gedacht, dass man von Sauris aus dem Bette des Lumiei entlang hinab nach Petsch (Ampezzo) wandern könne; allein ich hatte mich geirrt Das kann man nur mit Steigeisen und mit Lebensgefahr thun, in den Felsenengpässen", erwiderte mir der schlanke und doch brustkranke Beppo. Ich war bald als Arzt entlarvt und von da an bis zu meinem Auszuge von Morgens bis Nachts konsultirt worden. „Der Walische Doktor unten in Petsch verlangt 1 Napoleon für einen Besuch und das ist ein Deutscher wie wir." Ich fand auffallend viel Gicht mit Herzaffektionen und eben so auffallend viel Tuberkulose (oder chronische Lungenentzündung); das Doktoriren brachte mich schnell den Leuten näher; wir wurden bald Freunde, man verstand mich besser und ich verstand die, sich nun mehr Mühe gebenden Leute besser. Es war also nicht möglich, das Lumiei-Thal hinabzumarschiren, der Mittagskofel, wie die Zahrener den langen Bergriesen nennen, der sich zwischen Lumiei und Tagliamento erhebt, musste erstiegen sein; es geschah auf einem Maulthier; wie stolz war wieder der Zahrener Deutsche, der Herr des Thieres, als er mich und ich ihn verstand, ,,Beppo, er verstiat uns ja ganz guat", sagt der Muli-Herr zu dem Lungenkranken, der rüstig den kolossalen Rücken mit erkletterte, um alle möglichen Arzneien zu holen in der Stadt.

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Der Bergpass ist ein unbeschreibliches Hinderniss für die Gemeinde, freilich auch gut für die Erhaltung der Sprache. Er ist noch unser aller Tod", seufzte zuletzt doch Joseph. Oben wuchsen Alpenrosen, zu beiden Seiten gleich hoch grosse Schneemassen (der Pass im Jahre bloss 3 Monate schneefrei) und scharfer Wind. Aber ein paar Schritte weiter unten hinter schützenden Felsen, welch' wunderbare Aussicht! Das ganze Gebirgssystem bis zu den Deutschen Bergen in NO. und O. bei Flitsch in der Österreichischen Grafschaft Görz lag aufgerollt. Und welch' herrliche Vordergrundsbilder! Lange konnte ich mich nicht trennen. Nach zweistündigem Abstieg stand ich im Albergo

der Signora Susana unten in Petsch und las ihr aus der Sammlung Italienischer Redensarten vor, was ich wollte. Später half Joseph, der Zahrener, nach. Wiederum fiel mir die Seltenheit des Wälschen Typus unten in Petsch auf; riefen sich die Kinder, so antworteten sie nie,,si", sondern immer,ja ja." Und eben so bejahte andern Tages der Inhaber des grossen Post-Omnibus von Tolmezzo stets

„ja”. Schon vom Omnibus war mir die völlig Deutsche Art der Burgruinen zu Venzone (einst Peisseldorf) aufgefallen; als ich mit der Bahn von Gemona aus nach Venedig hinabeilte, fielen mir erst recht die, ganz Deutschen Charakter tragenden, zahlreichen Burgen um Cividale herum auf den Höfen auf. In Cividale liegt ja auch Gisulf, der edle Longobarden-Herzog, begraben.

Geographische Literatur.

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Herzegovine, Carte de l'

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Kriegsschauplatz, Karte vom Türkischen

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a. Reisebericht. b. Verzeichniss der um Achty, auf dem Schalbus Dagh, Magi Dagh und Basardjusi wachsenden Pflanzen. c. Nachtrag zu dem im Bulletin 2 1873 enthaltenen Verzeichniss der bei Baku wachsenden Pflanzen. d. Schmetterlinge und Käfer.

Blau, Dr. O.: Über Volksthum und Sprache der Kumanen. (Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 29, Heft III u. IV, S. 556-587.)

Butler - Johnstone, H. A. M.: A trip up the Volga to the fair of Nijni Novgorod. 8°, 158 pp. with a map and 12 illustr. London, Parker, 1875.

5 s.

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