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ist einer der kolossalsten Bäume des Araguaya und wird zuweilen 300 palmos hoch; das ungeheuer mächtige Astwerk entwickelt sich erst in beträchtlicher Höhe vom Boden; sein Stamm ist dick, gerade und liefert sehr gute Bretter. Mit grosser Mühe erlegte ich zwei Guaribas durch zahlreiche Schüsse, da sie sehr hoch oben sassen und bekanntlich ein sehr zähes Leben haben; doch brauchten wir frisches Fleisch, weil uns das getrocknete, welches wir mitführten, und das beständige Fischfleisch anwiderte. Der zuletzt getödtete Affe wickelte seinen Schwanz um den Zweig, auf dem er sass, und blieb hängen, so dass ein Soldat vermittelst einer Schlingpflanze, welche von einem nahen Baume herabhing, hinaufsteigen und trotz der grossen Höhe mit Hülfe einer langen Taquara-Ruthe das Thier herabhäkeln musste, welches sogleich in die Montaria wanderte.

Diese Thiere zeichnen sich durch grosse Klugheit aus. Sobald wir unter den Baum kamen, auf welchem wir sie bemerkt hatten, sahen wir trotz allen Spähens und Beobachtens der Zweige, welche man sämmtlich deutlich durchmustern konnte, nichts. An der Mitte eines laublosen Astes sah ich einen runden, schwarzen, unbeweglichen Klumpen, wie ein Termiten - Nest, für welches es auch unsere Gefährten hielten 1). Wir machten allerlei Lärm, ich schoss blind, aber der Gegenstand war und blieb unbeweglich; da sagte einer der Soldaten, welcher mit der List des Thieres bekannt war, er wolle es gleich zum Aufspringen bringen. Als er, hinter einem Gebüsch verborgen, das Bellen eines Hundes nachahmte, sprangen plötzlich nicht nur dieses, sondern eine Anzahl anderer scheinbarer Termiten - Nester zu unserer grossen Überraschung den Baum hinauf. Eines der Thiere, welches ich durch einen Schuss verwundet hatte, begann Blätter zu sammeln, welche es kaute und auf die Wunde legte. Als ich diess sah, was man mir schon oft erzählt und ich für eine Fabel gehalten hatte, überkam mich ein tiefes Mitleid, ich hörte auf zu schiessen und liess viele andere schussgerechte entkommen. Um 5 Uhr machten wir an einem hohen Uferrande, einer beträchtlichen, schönen Insel, welche ich Ilha do Doutor Couto nannte, gegenüber, Halt.

Schon auf der Herreise hatte ich die Uppigkeit des Waldes dieser Gegend auffällig gefunden und schon damals beschlossen, sie auf ihre Tauglichkeit zur Anlage eines Ortes zu untersuchen. Als ich nun vollends die elende Lage von Salinas, so wie von Estiva kennen gelernt hatte, beschloss ich, am Ufer des Flusses einen Ort zur Aufnahme jener Einwohner von Salinas und der Chavantes und Carajás zu gründen. Der Araguaya besitzt bis jetzt keine einzige Ort

1) Solche Termiten-Nester, cupims genannt, finden sich sehr häufig, oft sehr hoch an starken Bäumen.

Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1876, Heft VI.

schaft mit Ausnahme der Militär-Stationen Leopoldina, MonteAlegre und Santa Maria, und es wäre vom grössten Nutzen, die Einwohner von Salinas, Estiva, Crixas, Pilar &c. an dessen Ufern zu concentriren. Die Schifffahrer werden dann hier Bootsleute, und da der Boden sehr fruchtbar ist, Lebensmittel erhalten können, werden leicht Absatz für ihre Waaren finden und alle Vortheile eines so einträglichen Handels, wie der von Pará ist, auf dem leichten Wege des Araguaya geniessen. Die allergrösste Schwierigkeit, an den Ufern des Araguaya ein passendes Terrain für eine Niederlassung zu finden, besteht darin, eine hinreichend hohe Lage oberhalb des Flusses zu ermitteln, welche zur Hochwasserzeit vor Überschwemmung gesichert ist; ferner im Beschaffen von gutem Trinkwasser und passenden Bauhölzern, welche man gewöhnlich erst in einer Entfernung von 4 Legoas antrifft. Hier findet sich dieses Alles vor. Ich liess deshalb hier einige Bäume umhauen und bestimmte diesen Ort für die Gründung von São José.

Wir schlugen unsere Zelte unter dem riesenhaften Dache von Jequitibás auf. Hier wurden wir zum ersten Mal von den Mosquitos geplagt. Trotzdem, dass ich wegen des drohenden Regenwetters das Zelt nur ungern entbehrte, sah ich mich, gleich meinen Gefährten, genöthigt, das Feld zu räumen und selbst die Hunde hielten nicht Stand. Von den vier bekanntesten Arten ist die Polvara-mindo 1), oder Pium genannte die unbequemste, weil sie unter die Decken, Kleider und Strümpfe eindringt. Doch sah ich gerade diese hier am Araguaya nicht, erinnere mich ihrer aber noch sehr wohl von Minas her, wo ich an der Mündung des Paraopeba in den San Franzisco durch sie gezwungen wurde, mich einen Theil der Nacht einem fürchterlichen Unwetter auszusetzen. Nach dem Verlassen der Zelte liessen uns die Mosquitos Ruhe, aber wir sollten dennoch diese Nacht wenig schlafen: die Kaimans umkreisten uns beständig und machten die Hunde wild, so dass wir theils durch deren Gebell, theils durch die Stimmen der Soldaten, welche jene angriffen, munter erhalten wurden.

Den 17. Oktober. Um 9 Uhr landeten wir links an einem hohen, mit dichtem Urwald bedeckten Abhang, wo wir im Schatten riesiger Bäume das Frühstück zubereiten liessen. Es prangten um das Feuer an grossen, in den Boden gesteckten Bratspiessen die Guaribas und Leguane, welche unserem Lager ein barbarisches Aussehen gaben um welches uns Canoeiros und Carajás hätten beneiden können. Nach dem Frühstück bestieg ich mit zwei Soldaten die Montaria, um zu probiren, wie sich der Araguaya mit Hülfe der Segel befahren liesse. Einige Ellen Baumwollenzeuges, welche ich dazu mitgenommen, waren rasch

') d. h. feines Pulver.

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unter meiner Anweisung zu einem kleinen lateinischen Segel zusammengeflickt und an dem Fahrzeug befestigt, welches bei günstigem Winde zum grossen Erstaunen des Gefolges, von denen nur wenige das Meer gesehen hatten, wie ein Pfeil über das Wasser hinflog. Der gute Erfolg machte mich kühn; ich landete, hisste statt des lateinischen ein viereckiges, drei Mal grösseres Segel am Maste auf, wobei wir uns verweilten und hinter den Anderen zurückblieben. Anfangs ging es, aber plötzlich lösten sich die den Mast haltenden Taue und wir schlugen um. Das unfreiwillige Bad war für uns nicht so unangenehm als das Auffischen der umherschwimmenden Hüte, Ruder und das Aufsuchen der untergesunkenen Messer, Flinten &c., welche nur durch Tauchen zu erlangen waren. Da wir Alle gut schwammen, gelang es uns, Alles bis auf einen grossen Nagel wiederzubekommen, ein allerdings empfindlicher Verlust, da jener zur Befestigung des Mastes kaum zu entbehren war. Die Lektion war gut: Wir segelten von hier ab nur mit dem lateinischen Segel. Bei der vergeblichen Verfolgung junger Taucher in einer Bucht gelangten wir in eine kleine Lagune des linken Flussufers. Wie gewöhnlich trafen wir Kaimans am Eingange derselben, welche sich aber in respektvoller Entfernung hielten. Wir sahen einen riesigen Leguan, welcher sich, chevaleresk auf einen alten Baumast hingestreckt, sonnte. Er war so nahe, dass ich ihn nicht schiessen, sondern mittelst eines Stockes tödten wollte, aber er entfloh doch noch zeitig und rettete sich in seine Höhle. An der Stelle der Lagunen-Mündung macht der Fluss einen grossen Winkel; die Lagune ist unbedeutend und hat aufgeschwemmte, mit dichtem Gras bedeckte Ufer. Drinnen. sahen wir nichts Merkwürdiges ausser einem Pirarucú, welcher einen furchtbaren Satz in die Luft that, als er unser Boot über seinen Rücken hinstreifen fühlte. Erst 6 Uhr Abends erreichten wir das Schiff und legten mit dem Schwinden des Tages an einer hohen Praya linker Hand an, welche in der Gestalt einer durch den Fluss einerseits und eine kleine Lagune andererseits gebildeten Halbinsel vorspringt und aus ganz feinem Sande besteht. Trotz unseres Unfalles überholten wir das Schiff noch, und als unsere Gefährten landeten, fanden sie schon ein tüchtiges Feuer, was wir angezündet hatten. Bei unserer Ankunft sah ich auf der Praya einen kleinen Baum mit, einer Menge ganz kleiner brauner Vögelchen bedeckt, welche hübsch sangen, aber fortflogen, als ich sie näher betrachten wollte.

18. Oktober. Verschiedene Heerden Aras 1) flogen über uns weg, und bei dieser Gelegenheit erzählte man mir, dass die Indianer in der Gegend dos Araés den Glauben haben,

1) Ara ist eigentlich eine Verstümmelung des richtigeren Arára, wie der Vogel von den Brasilianern genannt wird.

die Araras würden sie durch Fliegen und Schreien über ihnen benachrichtigen, wenn ihre Dörfer von unseren Leuten angegriffen werden sollten. Unterwegs waren die Gefährten gelandet und hatten ausser anderen Thieren einen Tamanduá-bandeira getödtet. Mit diesem Namen bezeichnet man den bekannten Ameisenbär (Myrmecophaga jubata). Die Vorderfüsse sind den menschlichen sehr ähnlich, so dass ihre Fährten oft mit menschlichen verwechselt werden. Das Fell hat dichte, rauhe, lange Haare, braun am Bauche, schwarz auf dem Rücken gefärbt, mit einem. helleren Streifen von der Schulter zum Bauche. Es legt sich auf den Rücken und öffnet die Arme, wenn es sich vertheidigen will. Ein Opfer, welches in seine Arme geräth, ist gewöhnlich dem Tode verfallen. Die Indianer und NordBrasilianer halten das Fleisch für eines der besten Wildprete.

19. Oktober. Um 10 Uhr legten wir an der Barre des Rio de Peixe an. Derselbe ist bei seinem Eintritt in den Araguaya circa 60 braças breit und wenige braças oberhalb der Barre findet sich eine Art mit dichtem Walde eingefasster Lagune mit sehr reinem Grunde. Ich tödtete hier zwei Kaimans von 7 und 9 palmos Länge nebst zahlreichem Vogelwild, welches wir hier trafen. Das rechte Ufer des Rio de Peixe ist hoch, aber vielleicht nicht ganz vor Überschwemmung geschützt, das linke entschieden. Schwemmland. Um 4 Uhr Nachmittags machten wir Halt an der Lagoa de Sandade, welche ich noch einmal aufsuchte.

Den 20. Oktober. Wir fuhren früh ab und ich benutzte die Ruhe des Morgens, Notizen zu machen, allein bald zeigte sich so häufig Wild, dass ich jeden Augenblick durch die Stimmen meiner Gefährten zerstreut wurde, welche bald eine Heerde Capivaras, Jacús &c. sahen. Da legte ich die Feder hin und machte einen Angriff auf einen kolossalen Kaiman, welcher wenige Schritte von uns am Strande lag und mit offenem Rachen schlief. Durch einen Schuss mit grobem Schrote verwundet, stürzte er sich auf die Hunde, welche sich bei dem Knalle des Gewehres auf ihn geworfen hatten, und musste deshalb mit dem Messer abgefertigt werden. Diess that ein Soldat mit grosser Geschicklichkeit, verlor aber doch fast ein Bein dabei durch den Biss des Thiers und entging nur durch ein halbes Wunder. Wenig weiter lag auf einem Felsen im Wasser ein anderes im Schlafe, welchem ich aus einer Entfernung von 1 braça mit zwei Kugeln den Kopf zerschmetterte, so dass es sich nicht mehr von der Stelle rührte. Der Ort war sehr schön : die Ufer des Flusses hoch und mit Wald bedeckt, unten grosse Felsen, welche durch über ihnen sich ausbreitende Bäume, die das Durchdringen der nach einem Regen am Araguaya sehr heissen Sonnenstrahlen hindern, vortreffliche Ruheplätze boten. Hier liessen wir uns das Frühstück

zurecht machen und ich erklomm unterdess den Abhang,

um mich umzusehen. Das dicht bewaldete Terrain senkt sich dicht hinter dem Abhang, so ein trockenes dem Flusse parallel laufendes Flussbett bildend, um sich jenseit dieser Senkung wieder zu erheben. Ich drang / Legoa tief ein. Auf dem Rückwege tödtete ich am Flussufer drei Leguane, deren Fleisch von den Anwohnern des Araguaya und überhaupt der nördlichen Flüsse dieser Provinz sehr geschätzt wird. Die Familie der Eidechsen war an diesem ganzen Tage übel weggekommen, wir tödteten viele Kaimans und Leguane.

Das Camaleão 1) ist ein dem Tiú oder Lagarto 2) mehr oder weniger ähnliches Reptil, vom Kopf bis zum Schwanz 5 bis 9 palmos lang. Die Färbung ist ein je nach dem. Alter und der Jahreszeit mehr oder weniger dunkles Blattgrün, am lebhaftesten nach der vom September bis November Statt findenden Häutung. Auf dem Rücken hat das Camaleão einen Kamm mit fischbeinähnlichen, 1 Zoll langen Zähnen, unter dem Kopfe einen herabhängenden, dem Hahnenkamme ähnlichen Hautlappen (Kropf nennen ihn die Sertanejos 3)); es wohnt in Uferhöhlungen und lebt von Kräutern (?) und Insekten. Nach Füllung ihres Magens steigen sie auf Bäume, klettern in die höchsten Zweige, legen sich mit der lässigen Eleganz eines Hidalgo in irgend eine Astgabel und geniessen die frische Luft über dem Wasser. Die Jagd auf Chamäleons ist nicht leicht, da sie bei ihrer grünen Färbung leicht mit dem Blattwerk verwechselt werden und eine grosse Übung dazu gehört, sie nur zu entdecken, und weil sie wie alle Lagartos ein sehr zähes Leben haben und angeschossen in das Wasser springen, untertauchen und verschwinden. Wir waren aber im Besitz von Mitteln, diese Vertheidigung zu vereiteln und machten so energische Angriffe auf sie, so dass wir fast immer einen tüchtigen Vorrath von ihnen hatten. Unser alterfahrner Steuermann entdeckte sie im dichtesten Blattwerk und wenn sie sich noch so sehr versteckt hatten; sofort zeigte er sie uns; wir schossen und sobald das Thier sich in das Wasser stürzte, sprang ein Soldat aus dem Boote, verschwand im Wasser und trug regelmässig bei dem Emportauchen das Thier, welches nicht einmal auf dem Grunde des Araguaya vor unserer Verfolgung Schutz fand, in der Hand. Um dem Leser einen Begriff davon zu geben, wie sehr das gemeine Volk das Fleisch des Leguans schätzt, erwähne ich bloss, dass wir von einer hübschen Anzahl Hühner, welche wir in Salinas gekauft hatten,

1) Chamäleon nennt der Reisende den Leguan.

2) Lagarto ist Podinema Teguixin; in San Paulo äusserst häufig und vielfach genossen.

3) d. h. Bewohner des Sertão, des unwirthlichen uncivilisirten Innern.

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bloss eines assen, die anderen kamen frisch und lebendig in Leopoldina an, da sie so wie das Rindfleisch bei dem Genuss der Leguane und anderen Wildpretes verachtet wurden. So verfloss die Zeit unserer Reise und wir rückten um so schneller vorwärts, je mehr Zerstreuungen uns während des Tages aufstiessen, weil die Soldaten an ereignissreichen Tagen besser ruderten und stets rasch die versäumte Zeit einholten. Gegen Abend kamen wir bei regnerischem Wetter und kaltem Winde an die Lagune das Canguinhas, welche rechts von uns an einer steilen Felswand, über welcher sich dichter Wald mit vielen IndaiáPalmen erhebt, in den Araguaya einmündet. Die Felsen sind voll Höhlen und Ausbuchtungen, zwischen denen der Fluss gurgelnd durchfliesst; die Mineiros nennen solche Höhlen Kessel. Die Felsen schieben sich weiter in den Fluss hinein, und wir stiessen bei unserer Einfahrt, wobei wir uns mehr rechts hielten, zwei Mal auf den Felsgrund, aber ohne Schaden zu erleiden, aber sie lassen immerhin einen Raum von 100 braças frei. Wir benutzten den Rest des Tages, die Lagune und die Praya zu untersuchen, welche in der Mitte eine tiefe, runde und von hohen Sandufern umschlossene Lagune hat. Die Lagune das Canguinhas hat die Gestalt eines Halbzirkels, dessen Sehne der Fluss bildet, so dass die praya, auf welcher wir sind, eine Art Insel ist. Als sich gegen Abend das Wetter aufklärte, bot unser Lagerplatz einen interessanten Anblick: hier stiegen einige unter dem Gesange hiesiger Volkslieder in Canôas, um zu fischen, dort drangen andere in die Wälder, um Mutúns zu jagen, welche sich um diese Zeit locken und dadurch den Jägern verrathen; noch Andere belustigten sich auf der Praya damit, Zweige von Burití-Palmen in die Luft zu werfen und danach zu schiessen.

21. Oktober. Erlegen einiger Inhumas, welche auf dem Strande sassen. Über diesen Vogel ist eine Unmenge von abergläubischen Vorurtheilen selbst bei sogenannten gebildeten Leuten im Schwange. Wir erlegten einen, als wir am Porto da Piedade ankamen; fast wäre darum ein ernster Streit unter der gesammten Bemannung ausgebrochen, da Jeder einen Knochen von dem Vogel haben wollte, dieser eine Art Sporen, welche sie auf dem Kopfe haben, jener eine Klaue, ein dritter den linken Oberschenkelknochen; es erhielt jeder sein Theil. Ich erfuhr auf Befragen, dass die Theile nach jener Ansicht Schutzmittel gegen böse Dünste, böse Augen, den Biss giftiger Thiere und andere solche Dinge waren, und einer erzählte mir damals, dass besonders im nördlichen Theile von Goyaz dieser Aberglaube sehr verbreitet ist. Man hängt die durchbohrten und angefädelten Knochen den Kindern um den Hals und glaubt ihnen dadurch einen vor fast allen Übeln schützenden Talisman zu geben. Diese und viele andere grobe

Arten von Aberglauben benutzen fremde Reisende, um in Novellen und Romanen uns als eine halb barbarische und dumme Nation zu schildern, was ihnen nicht möglich wäre, wenn unser Clerus mehr Sorgfalt auf die Erziehung seiner Lämmer verwendete, als es heut zu Tage geschieht 1). Die Nacht war recht hässlich wegen eines kalten Sturmes, welcher uns das Zelt zwei Mal über den Haufen warf. Um einige Stunden ruhig schlafen zu können, musste ich die Hängematte verlassen und auf einem auf den Sand gebreiteten Unzen felle schlafen, weil Tücher wegen öfterer kleiner, aber kalter Regenschauer nicht zu verwenden waren. Um 5 Uhr Morgens erhoben wir uns, um den Dumbágrande zu untersuchen. Es hielt schwer, meine Leute dazu zu bringen wegen der Gefahr, welche das Unternehmen begleiten sollte. Einige erzählten, dass am hinteren Ende der Lagune ein grosser Quilombo 2) von Negern sei, deren Trommeln man höre, sobald man an eine Felsenpartie in der Mitte der Lagune komme; andere sagten, hier lägen Dörfer der Chavantes, welche uns gewiss angreifen würden, wenn wir die Verwegenheit begingen, bis an das Ende zu fahren. Unglücklicherweise erhob sich während dieser Reden eine Rauchsäule in der Richtung des Endwinkels der Lagune, gleichsam als Commentar jener ängstlichen Ansichten. Wir brachen deshalb unter Beobachtung der grössten Vorsichtsmaassregeln auf, Kugeln in den Gewehren &c., und sahen in der ersten Legoa nichts Besonderes, als die Kaimans und eine Menge Wasservögel, auf welche wir nicht feuern wollten, um den angeblichen Feind nicht aufmerksam zu machen. Ich erinnere mich nicht, welches Thier ich schiessen wollte und deshalb meine Flinte lud und zielte, als ein Soldat vor mich mit so einer verzweifelten Stimme hintrat und sagte: „Herr Doctor, um Gotteswillen schiessen Sie nicht." Und weshalb?" Er zögerte, ich wurde ungeduldig und sagte, er solle weggehen. Da senkte er die Stimme und erwiderte mir höchst ernst: „Ich will meinen Abschied nehmen, suche schon lange einen Stellvertreter und finde keinen." „,,Und was hat das mit meinem Schiessen zu thun?",,Der Schuss erschreckt die Neger des Quilombo und ich will einen Calunga fangen, um an ihm einen Stellvertreter zu finden." Diese geistreiche Antwort und die Art, auf welche sie vorgebracht wurde, erheiterte mich so, dass ich den Hahn in Ruhe setzte. Nach einer Fahrt von / Legoa wandten wir uns links, fuhren in einen Kanal und kamen in ein mächtiges Becken, dessen hohe Uferabhänge auf beiden Seiten mit dichtem Walde bedeckt waren. Wir hielten ein wenig still, um die pracht

1) Wie beschämend für uns und die hochgebildetsten Nationen Europa's, wo die mannigfachsten Arten Aberglauben noch in üppigster Blüthe stehen!

2) Dorf von entlaufenen oder Busch-Negern.

volle Aussicht auf diese scheinbar unermessliche Bai zu geniessen, auf welcher, wie auf dem Meere, sich während der Nacht die Wasserdämpfe verdichtet hatten und nun bei den ersten Strahlen der Sonne in leichte Wölkchen auflösten. Unsere Betrachtungen wurden durch die Erscheinung einer Anta unterbrochen, welche sich in das Wasser stürzte, um an das andere Ufer zu schwimmen. Trotz aller Anstrengung konnten wir sie nicht erreichen, sahen sie aber lange schwimmen, während eine lange Furche des glatten Wasserspiegels ihren Weg bezeichnete. 1 Legoa von der Mündung kamen wir zu den Felsen, jenseit deren, wie der Soldat sagte,,,die Calungas" uns das Befahren des See's nicht gestatten würden. Von hier aus sollte man das Trommeln und Schiessen hören und aus grosser Gnade sollten sie sich vielleicht damit begnügen, uns nur einige Steine an den Kopf zu werfen, bloss zum Spass. Trotzdem schien im Allgemeinen durch meine und des Lieutenants Gleichgültigkeit die Furcht etwas nachgelassen zu haben. Die Felsen durchstreichen die Lagune von einer Seite zur anderen; einige sind niedrig, höhlenreich und ragen in grosser Ausdehnung 3 bis 4 palmos über den Wasserspiegel hervor, andere erheben sich zu enormen runden und kahlen thurmähnlichen Massen. Ich wollte ein Stück von dem Gestein abbrechen, um es zu untersuchen, konnte es aber nicht wegen der grossen Härte, doch sah ich deutlich, dass es Granit war.

Wir fuhren dann ohne Hinderniss weiter; zuweilen schien die Lagune zu Ende zu sein, wenn wir aber hinkamen, dehnten sich neue Strecken aus. Sie hat viele mit Wald bedeckte Inseln und einige kleinere waren ausgezeichnet schön, kaum über den Wasserspiegel vorragend, elliptischer Gestalt, mit grünem Moose bedeckt und voll weisser Blümchen. In der Mitte dieser Inselchen wuchsen einige einzelne nicht hohe, aber sehr dichte Bäume mit Nestern von Guachos 1). Auf dem Strande dieser Inseln sah ich zahlreiche Perlmuscheln liegen, von denen ich einige sammeln konnte. Um von den Guachos zu reden, kann ich nicht umhin, hier eine Beobachtung unseres Steuermannes beizufügen, welcher sich mir als gründlicher Kenner der Fische und anderer Thiere und ihrer Lebensweise offenbarte. Er theilte mir mit, dass die Guachos ihre Nester bloss auf Bäumen bauen, wo es Maribondos 2) giebt, weil sich diesen kein Raubthier nähert und die Alten, wenn die Jungen Hunger haben, nicht weit zu fliegen, sondern nur diese Insekten zu fangen brauchen, mit denen sie die Brut gross ziehen. Später suchte ich mich dieser Ansicht zu vergewissern und fand in der That immer beide Thiere in dichter Nähe angesiedelt. Die Logik

1) Cassicus haemorrhous. 2) wilde Bienen oder Wespen.

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des Guacho, welchem der Maribondo zugleich Vertheidiger und Ernährer ist, ist nicht übel. Mehr drinnen war das rechte Ufer mit Serradois) begrenzt, was die Nähe der Campos anzeigt. Ich sah in der Lagune den grössten Kaiman unserer ganzen Reise; als wir in ein grosses Becken einfuhren, schoss das mehr als 25 palmos lange Unthier direkt auf die Canôa los. Als ich es aus einer Entfernung von 5 braças mit einer Kugel begrüssen wollte, schwankte die canôa, ich verlor das Gleichgewicht und in dem Augenblick tauchte das Thier auf Nimmerwiedersehen unter. Solche grosse Jacarés nennt man hier Arurá. Nach einer Fahrt von 3 Legoas verengte sich die Lagune zur Breite eines Flüsschens. Hier sahen wir rechts von uns eine Art Karrenstrasse oder Fahrgeleise, welche nun sogleich der Weg nach dem Quilombo oder den Indianer - Dörfern sein sollte; als wir uns aber näherten, erkannten wir sogleich darin einen Weg wilder Thiere zur Tränke. Weiterhin wurde der Kanal an einzelnen Stellen so flach, dass das Rudern unmöglich wurde und wir die canôa ziehen mussten, was wegen der Arraias immerhin gefährlich ist, da deren Wunden sehr heftig schmerzen und schwer heilen, besonders hier, wo keine Hülfe und Abwartung möglich ist. Wir wollten deshalb zu Fusse weiter und drangen in den Wald ein, standen aber von unserem Beginnen wegen der zahlreichen Schlinggewächse und Dornen nach einer Tour von 1⁄2 Legoa ab. Ich liess einen Mann auf einen hohen Baum steigen und ausschauen: der Wald, welcher die Lagune umgiebt, dehnt sich nach allen Richtungen hin ungefähr 1 Legoa aus; nördlich sieht man, so weit das Auge reicht, reine offene Campos, im Westen eine Serra (Serra Azul), südlich in einer Entfernung von 5 Legoas, mehr oder weniger, läuft ein Waldstreifen von Ost nach West bis zur Serra. Hierauf kehrten wir um und langten Mittag auf unserer Praya an, halbtodt vor Hunger und Erschöpfung, und Kleider und Haut an vielen Stellen von den Dornen zerfetzt. Ich war von dem Ausgange des Unternehmens ganz befriedigt, weniger die, welche Wunder zu sehen hofften, am wenigsten wohl der Soldat, welcher den „,Calunga" zu fangen und als gerechte und gute Kriegsbeute in seinem Interesse verwenden zu können hoffte.

Nach Tisch fuhren wir noch 5 bis 6 Legoas weiter, während ich in der Hängematte schlief. In dieser Zeit sahen die Gefährten einen Sucurý, welcher einige Enten fangen wollte, den mächtigen schwarzen Kopf aus dem Wasser strecken und dann zurückziehen; als die Enten flohen, näherte er sich ihnen von Neuem; dabei verloren sie ihn aus den Augen und schossen ihn nicht, um mich nicht aufzuwecken, was mir leid that. Wir lagerten uns

1) wellige Hügel.

rechts auf einer sehr grossen Praya, wo der Fluss einen grossen stumpfen Winkel bildet, fast in der Form eines Z. Ich ging einen grossen Theil der Nacht bei angezündeten Feuern am Strande spazieren. Ich machte viele Versuche, eine Schildkröte zu fangen, um sie lebend mit nach Goyaz zu nehmen; schliesslich nahm ich ein Fell, legte mich darauf und schlief endlich ermüdet ein. Glücklicherweise wachte einer der mich begleitenden Soldaten beständig; plötzlich schreckt mich ein Schrei desselben aus dem Schlafe, zur höchsten Zeit; 2 braças von mir stand ein Kaiman, dem wir nun einige Schüsse gaben, aber wohl fehlten, denn er rührte sich nicht vom Platze, weshalb ich vorzog, mich in einige Entfernung zu postiren. Um 2 Uhr Nachts weckte mich ein Soldat und theilte mir mit, dass der Strom das Boot mit dem Lieutenant und einem Soldaten, welche darin schliefen, fortgetrieben hatte. Sie waren plötzlich erwacht und hatten sich mitten im Fluss gesehen, ohne zu wissen, was zu thun, da zwei Leute das Boot nicht stromaufwärts treiben konnten und die Ruder zudem auf dem Strande geblieben waren. Die mit genügender Mannschaft zu Hülfe abgesendete Montaria erreichte das Boot nach einer Fahrt von 1 Legoa.

23. Oktober. Wir sahen eine Anta. Ein Soldat schoss sie aus sehr grosser Entfernung, als sie eben aus dem Wasser stieg, aber so sicher, dass sie todt zusammenbrach. Wir nahmen sie in die montaria und weideten sie zufällig an derselben Stelle aus, wo wir die andere bei der Hinfahrt erlegt hatten, deren Schädel wir noch vorfanden. Wir schlugen einen Pfahl in die praya, setzten beide Köpfe darauf und tauften jene Praya das Antas 1). Abends brieten rings um das Feuer grosse Stücke des Thieres, des besten Wildpretes des Araguaya, an Bratspiessen. Tief in der Nacht hörten wir einen Sucurý brüllen; die Töne kamen aus einer kleinen Lagune, deren Mündung wir an der anderen Seite des Flusses bemerkten, mitten in dichtem hohen, schwarzen Walde. Das Gebrüll dieser Schlange klingt in der That mitten in dieser Einöde furchterregend, besonders in dieser Stunde der Nacht. Es giebt hier am Araguaya noch eine sehr grosse Schlange, vor der sich die Reisenden noch mehr fürchten als vor dem Sucurý, aber deren Existenz man nicht ohne rigoröse Untersuchungen annehmen darf, trotzdem mir Viele versicherten, dass sie dieselbe gesehen hätten. Man nennt sie cobra dormideira 2), weil sie sich durch geräuschvolles Athmen während des Schlafes auszeichnet, was man, wie sie sagen, sehr weit hören soll. Nach der Erzählung ist die Schlange ganz schwarz und hat einen hundeartigen, aber viel grösseren Kopf als diese Thiere. Man sagt, sie sei grösser als der Sucurý, aber

1) Tapirstrand.

2) Schlafschlange oder schläfrige Schlange.

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