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über die Configuration selbst der nächstliegenden Theile des Landes aufzuklären. Bis zum Frühjahr 1874 blieb deshalb das vor ihnen liegende Land, mit Ausnahme der Südseite der Wilczek-Insel, noch ein räthselvolles Geheimniss.

Am 22. November trat das durch Refraktion gehobene Bild der Sonne als halbe Scheibe zum letzten Mal über den Horizont; schon die letzten drei Wochen des November brachten ununterbrochene Finsterniss. Der Winter verlief ohne die Schrecken und Gefahren des vorangegangenen; zu wiederholten Malen wurde der Wilczek - Insel ein Besuch abgestattet. Dicht gedrängt lagen ringsum die Schollen, und bei der eingetretenen Stetigkeit im Eise war die Hoffnung erlaubt, dass die Scholle des ,,Tegetthoff" auch fernerhin in der bisherigen Position verharren werde.

Am 24. Februar erschien die Sonne wieder am Horizont. Es wurde beschlossen, einige Schlitten-Expeditionen in's Innere des neu entdeckten Ländergebietes zu unternehmen und nach deren Beendigung das Schiff preiszugeben und die Rückkehr nach Europa mit Booten und Schlitten zu versuchen. Denn der ,,Tegetthoff" lag ja unbefreibar im Eise, während der Proviant nicht mehr für ein weiteres Jahr ausreichte; namentlich aber war zu befürchten, dass die Gesundheitsverhältnisse der Gesellschaft sich in einem dritten Winter noch mehr verschlimmern würden.

Erste Schlittenreise zur Erforschung des Franz JosefLandes. Mit der ersten Schlittenreise bezweckten die Reisenden eine vorläufige Orientirung in dem ihnen ja noch unbekannten Lande, so wie die Rekognoscirung einer Route zur Erforschung seiner Ausdehnung nach Norden hin. Am. 10. März verliess Payer mit einigen Leuten das Schiff; nach einer mühseligen Wanderung längs der felsigen Südwestküsten der Wilczek - Insel bot sich seinen Augen ein erster Blick auf das nördliche Inselgebiet; jenseit einer freien Eisebene hob sich die schroffe Bergfront der HallInsel, im Nordwesten zeigten sich die langen Gletschermauern der Insel Mac Clintock. Am dritten Tage erreichte er das schroff abfallende südliche Plateau der Hall - Insel, dem er den Namen seines Schiffes beilegte; eine vergleichende Barometer - Beobachtung ergab für das Kap Tegetthoff eine Höhe von 2600 Fuss.

Am 13. März setzte Payer zeitig den Marsch fort (bei einer Temperatur von fast -35° R.), um das Kap Berghaus zu erreichen, von dessen Gipfel aus ein Überblick über die Landvertheilung unter dem 80° zu erwarten war. Eine breite Einfahrt, das Nordenskjöld - Fjord, hatte sich zur Linken geöffnet, im Hintergrund abgeschlossen durch einen grossen Gletscher. Um diesen zu besuchen, wandte sich Payer westlich, zumal die den Gletscher umgebenden Gipfel das Kap Berghaus für seinen Zweck vollkommen zu ersetzen schienen; die Höhe des dort liegenden Kap Littrow

wurde mit dem Aneroïd zu 2500 Fuss bestimmt.

Hier, auf dem Sonklar-Gletscher, wurde auch die stärkste Kälte notirt, die während der Expedition überhaupt beobachtet worden ist, nämlich - 40°,5 R., am Morgen des 14. März. Am folgenden Tage wurde in der Frühe aufgebrochen, um den Rückweg zum Schiffe, 20 Meilen, ohne ein nochmaliges Nachtlager im Schnee zurückzulegen.

Die zweite Schlittenreise, 26. März bis 23. April 1874. Die zweite Schlittenfahrt sollte die Reisenden so weit als möglich nach Norden hin mit dem neu entdeckten Lande bekannt machen; indess durfte auch dieser Expedition keine zu grosse Dauer gegeben werden, denn das Wetter war seit einigen Tagen wieder schlechter geworden und sein zunehmend stürmischer Charakter steigerte die Besorgniss, dass das Eis aufbrechen und den „Tegetthoff" mit seiner Eisscholle wegtreiben könnte.

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Am 25. März waren alle Vorbereitungen zu dieser grösseren Nordfahrt beendet; die Reisegesellschaft bestand ausser ihrem Leiter Payer aus Schiffsfähnrich Orel, den Jägern Haller und Klotz und drei Matrosen. Der Aufbruch geschah am Morgen des 26. März; anfänglich hatten die Reisenden mit starkem Schneetreiben und heftigem conträren Winde zu kämpfen, erst am 28. trat Windstille ein. Die Bahn, welche die Expedition auf dieser Reise verfolgte, bestand etwa zur Hälfte aus einjährigem Bai-Eis, zum anderen Theile aus älteren Schollen, die mit diesem zu einer geschlossenen Decke verbunden waren. Da und dort erhob sie sich zu meilenbreiten Barrièren von Eishöckern.

Nachdem Payer die Südwestspitze der Salm - Insel passirt, waren die bisher nur selten und in äusserster Ferne erblickten Wüllerstorf - Berge das nächste Ziel. Auf dem Marsche dahin wurde im Interesse der Aufnahme die felsige Koldewey-Insel bestiegen, deren Gestein aus Dolerit bestand, überlagert von dichten Gespinnsten von Flechten (Cetraria nivalis), in den Felsfugen fand sich Silene acaulis. In 80° 16' N. Br. kam Payer in eine breite Barrière gethürmten Eises; auf dieses folgte älteres Eis, dessen wogenförmige Oberfläche viele Eisberge und hohe, schwarze Basaltklippen unterbrachen. Die Orientirung hinsichtlich des weiterhin nach Norden einzuschlagenden Weges war zu Ende. Zwar öffnete sich das Land vor den Reisenden zwischen Kap Frankfurt und den Wüllerstorf-Bergen; doch nur dann durfte ein Eindringen in diese Einfahrt gewagt werden, wenn diese Landestrennung sich als eine nordgerichtete Durchfahrt erwies. Im entgegengesetzten Falle war es rathsam, die wenngleich weithin nach Osten streichende Küste von Wilczek-Land zu verfolgen und nur im zwingendsten Falle über Gletscher zu wandern. Daher verliessen Payer und Haller den Schlitten und eilten in angestrengtem Marsch auf Kap Frankfurt zu, um von dessen

Höhe aus die Entscheidung über den ferneren Weg zu treffen; Orel aber und die übrige Mannschaft zogen mit dem Schlitten unter grossen Anstrengungen zwischen Eisbergen und Hummocks hindurch weiter nach Nordosten. Kap Frankfurt ist eine 2000 F. hohe, gletscherumringte Ecke der grossen Hall-Insel. Der geringe Niveau-Wechsel des Meereises am Fusse ihrer Wände deutete auf eine sehr geringe Fluthhöhe. Zu ihrer grossen Freude erblickten die Reisenden von, dort aus eine breite Einfahrt unter sich, die weithin und gerade nach Norden zu verlaufen versprach; sie war mit Eisbergen bedeckt und liess sich bis zu den unbestimmten Umrissen eines fernen Vorgebirges (Kap Tirol) verfolgen. Das Erreichen des 81° auf der Ebene des eisbedeckten Meeres schien damit gesichert. Mit grosser Anstrengung stiegen Payer und Haller die schroffen Eishalden herab, zwischen Wänden hindurch, und eilten bei tiefer Dämmerung 6 Meilen weit über das höckerige Eis dahin, um den Schlitten wieder zu erreichen, den sie auch noch vor Mitternacht einholten.

Am 1. April drang man beim Kap Hansa in die neu gefundene, mit schwerem Eis bedeckte Durchfahrt ein, welcher der Name Austria-Sund beigelegt wurde. Das Land zur Rechten (Wilczek - Land) war ein monotones Gewirre von Mulden und Terrassen paralleler Stranderhebungen und nicht völlig mit Schnee bedeckt; längs seines Verlaufes zog die kleine Karawane von Eisberg zu Eisberg nach Norden. Am folgenden Tage verliess Payer den Schlitten, um den Strand eine Strecke weit zu untersuchen. Derselbe war zum grossen Theile von Schnee entblösst und zeigte die Einlagerung eines Braunkohlensandsteins in den Mulden des Dolerit. Neben spärlichen Treibholzresten fiel ein Kreis grosser Steine auf, welche in ihrer Aufstellung jenen glichen, die Payer in Ost-Grönland bei verlassenen Eskimo-Dörfern beobachtet hatte. Doch weil sich keine bestimmten Spuren einstiger Ansiedelungen entdecken liessen, mag wohl auch der Steinkreis nur als etwas Zufälliges gelten. Immer mehr klärte sich die Vorstellung von der Grösse des Franz JosefLandes, als sich der breite Markham-Sund nach Westen hin öffnete und die hohen Berge seiner fjordenreichen Küsten sichtbar wurden, die sich in malerischen Höhenzügen bis zum Kap Tirol erstreckten. Überall waren Gletscher zu sehen; auch das Wilczek - Land verschwand unter einem Eisstrom, und nur der Insel Wiener Neustadt gegenüber trat es noch in einzelnen Felshöhen Kap Heller und Kap Schmarda daraus hervor.

Am 5. April wurde der 81. Breitengrad überschritten; den folgenden Tag gingen die Reisenden auf die BeckerInsel zu; allein die Atmosphäre war so undurchsichtig, dass die Existenz dieser Insel je nach der wechselnden Beleuchtung bald behauptet und bald bestritten werden konnte.

Dann ging es über den eisbedeckten Rücken der Insel. Nach Norden hin breitete sich eine trostlose Einöde vor dem spähenden Auge aus; schneebedeckte Inseln lagen darin; die sich dazwischen ausdehnende Eisdecke des Meeres artete in grösserer Entfernung in ein Chaos von Trümmerhügeln und Eisbergen aus. Viele Anzeichen der letzten Tage deuteten darauf hin, dass in der Nähe im Norden offenes Wasser sein müsse: so die grosse Feuchtigkeit und hohe Temperatur der Luft, die dunkle Farbe des nördlichen Himmels und die häufigen Züge von Alken, Tauchern, Teisten, grauen und weissen Möven, die von Nord nach Süd oder umgekehrt flogen. Am 7. April hielten die Reisenden sich nahe der Erzherzog Rainer-Insel gegen Norden, Mittags wurde das Kap Beurmann erreicht. Erst um diese Tageszeit klärte sich der nördliche Horizont völlig auf und entrollte dem Blicke die schroffen Felszüge der CoburgInseln, hinter welchen jetzt erst hohe Schneegebirge in matten Umrissen auftauchten: das Kronprinz Rudolf-Land.

Es hatte in dieser Breite den Anschein, als höre das Wilczek-Land plötzlich auf; doch als die Sonne die treibenden Nebel verzehrte, leuchtete die glänzende Hochfläche seiner ungeheueren Gletscher (Dove-Gletscher) in einem fast. ununterbrochenen Weiss herüber. Nach Nordost hin liess sich das Land nur bis Kap Budapest in nebelgrauer Ferne verfolgen. Da es schien, als ob das Kronprinz Rudolfund das Karl Alexander-Land im Zusammenhange ständen, so verliess Payer den Austria-Sund, bog in den RawlinsonSund ein und nahm die Richtung auf Kap Rath. Die Bahn lief nun bald zwischen unzähligen Eishöckern dahin, deren Höhe bis 40 F. erreichte; hohe Eisberge überragten das einförmige, je mehr wir in den Rawlinson-Sund vorrückten, sich immer wilder gestaltende Chaos. Das Eis glich jenem der Umgebung des Tegetthoff während des ersten Winters und deutete auf periodisches, vielleicht sogar alljährliches Aufbrechen; nichts berechtigte jedoch, daraus fallein die Folgerung der Fahrbarkeit des Sundes im Sommer abzuleiten. Im Übrigen theilt der Austria-Sund in Bezug auf die Schifffahrt mit manchen Durchfahrten im Norden Amerika's den Nachtheil, dass er nicht hinreichend breit ist; für Schlittenreisen hingegen ist er sehr zu empfehlen, wenn auch gerade jetzt unsere Reisenden nur mit grosser Anstrengung den Schlitten vorwärts brachten; da und dort musste eine Gasse gegraben werden, und oft lief man Gefahr, ihn zu zerbrechen. Beständig bewegte man sich im Zickzack und in Irrgängen, woran die verworrene Lage des Eises und die geringere Verlässlichkeit des Kompasses in hohen Breiten gleiche Schuld trugen; nur durch sehr sorgfältige Einstellungen der Nadel konnten die gewöhnlichen Ablesungsfehler von mehr als 5 Grad im Azimuth vermieden werden. Im Übrigen schien es, als] hätte die Deklination der Magnet

nadel seit dem Verlassen des Schiffes beträchtlich abgenommen. Der Charakter des Eises nahm im Rawlinson - Sund schliesslich eine Wildheit an, dass Payer von einer KompassEinstellung zur anderen bis zu 45° irre ging, beständig das Anlangen an offenen Spalten erwartete und sich nicht verhehlen durfte, wie leicht der lose Zusammenhang des Eises durch einen Sturm aufgebrochen und so der Rückweg gefährdet werden konnte.

Am 9. April schleppte sich die Karawane noch bis Mittag durch die Eishöcker fort; als Payer jedoch einen Eisberg erstiegen und die Beobachtung gemacht hatte, dass sich die Eishügel des Rawlinson-Sundes anscheinend endlos fortzogen, änderte er den Kurs nach Nordwest, um dem Kronprinz Rudolf - Lande näher zu kommen, an dessen Küstensaume man ebeneres Eis erwartete. Aber die Beschaffenheit des Eises blieb dieselbe, und so sah man sich genöthigt, den Sund nach Westen zur Hohenlohe-Insel hin zu durchkreuzen, auf die weithin sichtbare Fels-Pyramide. des Kap Schrötter zu. Am Abend wurde dasselbe reicht.

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Der Anblick, den der sofort erstiegene Felsgipfel des Kap Schrötter gewährte, sprach entschieden dafür, nunmehr die Gesellschaft zu trennen. Die Gebirge des Kronprinz Rudolf- Landes, durch einen mit ebenem Eise bedeckten Meeresarm von den Reisenden getrennt, waren so hoch (etwa 3000 F.), dass man nur mit dem kleinen Schlitten darüber hinwegkommen konnte. Der Austria - Sund schien zwar noch weiterhin nach Norden zu verlaufen, aber seine Westküsten bogen nach links ab.

Am 10. April brachen Payer und Orel mit zwei Begleitern nach Norden auf, während die drei anderen mit dem grossen Schlitten am Kap Schrötter zurückblieben. Als die Fortziehenden sich den südlichen Vorbergen des Kronprinz Rudolf-Landes näherten, geriethen sie unter zahllose Eisberge von 100 bis 200 Fuss Höhe, in deren Leibern es bei Sonnenschein unaufhörlich knisterte und knackte. Tiefe Schneelager und aufgebrochene Meeresspalten erfüllten die Zwischenräume. Mit einer ungeheueren Mauer zog der Middendorff - Gletscher unübersehbar hin gegen Norden.

Am 11. April wandten die Reisenden sich zur Westküste des Kronprinz Rudolf- Landes; als sie Kap Brorok erreichten, gewann der Tag eine wunderbare Klarheit und das warme Sonnenlicht lag auf dem zerrissenen Eis-Diademe der Dolerit - Berge. Ihre schroffen Felskronen, vor einem Monate noch mit fussdicken Eisrinden belegt, waren inzwischen völlig schneefrei geworden. Dicht unter Land zog die kleine Entdeckerschaar über wellenförmiges Glatteis nach Norden. Dann kam wieder Schnee, das Eis selbst wurde immer dünner, Spalten durchzogen es, und als man das

imposante Alken-Kap erreichte, begann es in Lagen emporgepresster Barrièren.

Ein befremdlicher Wechsel gab sich in der Natur ringsum kund; dunkler Wasserhimmel erhob sich im Norden, und seine finstere Dunsthülle wälzte sich heran bis zu den schroffen Vorgebirgen des Karl Alexander-Landes. Unter der Sonne sammelten sich trübgelbe Dünste, die Temperatur stieg bis auf 10° unter Null, während sie am Schiffe gleichzeitig nur -23° erreichte; die Bahn erweichte; geräuschvoll brachen die Schneewehen unter den Reisenden zusammen, und war schon vordem der Flug der Vögel aus Norden her aufgefallen, so fand man jetzt alle Felswände des Kronprinz Rudolf-Landes mit Tausenden von Alken, Tauchern und Teisten besetzt. Überall zeigten sich Bärenspuren, zahllos und besonders deutlich auch Fuchsspuren; Seehunde lagen auf dem Eise. Der Weg war jetzt völlig unsicher; nur die Eisberge schienen das Eis der Baien noch in diesen festzuhalten. Ein starker Ostwind musste es aufbrechen und den Rückweg, wenigstens mit dem Schlit ten, abschneiden. Es gab keine winterliche Schollendecke mehr, sondern nur noch Jungeis, salzbedeckt, zolldick, bedenklich biegsam und überlagert von Trümmerwällen jüngerer Pressungen. Seehundslöcher durchbrachen es an vielen Stellen. Nach dem Alken-Kap, welches Payer mit einem ,,riesig bevölkerten Vogelbauer" vergleicht, erreichte man die Teplitzer Bai, in die sich ein Gletscherstrom, in mächtigen Stufen aus den hohen Gebirgen des Inlands herabsteigend, ergoss; Eisberge lagen eingeschlossen längs der Absturzwand seines hohen Strandes. Von dem Gipfel eines dieser Kolosse sah man weit hinaus nach Westen hin das offene Meer; nur am äussersten Horizont begann abermals Eis.

Am Abend des 11. April wurden die zwei einsamen Felsthürme des Säulenkaps erreicht. Hier begann das offene Wasser. Nahe unter dem Kap betraten die Reisenden den abfallenden Gletschersaum des Landes. Der 12. April war der letzte Tag ihres Vordringens nach Norden. Noch vor Mittag erreichten sie den 1200 F. hohen Felsenvorsprung Kap Germania; dem Küstenverlauf nach Nordost folgend durchzogen sie dann das Firngebiet eines Gletschers, dessen Neigung und Zerklüftung zum Zurücklassen des Schlittens nöthigte. Die zunehmende Unsicherheit des spaltenumringten Weges, Proviantmangel, häufiges Einbrechen und die Gewissheit, seit Mittag durch einen fünfstündigen Marsch die Breite von 82° 5' erreicht zu haben, setzte der Reise hier endlich ein Ziel. Nur mit einem Boote würde es möglich gewesen sein, noch einige Seemeilen längs der Küste weiter zu reisen.

Dem nördlichsten erreichten Punkte, einem etwa 1000 F. hohen Vorgebirge, wurde der Name Kap Fligely beigelegt.

Das Kronprinz Rudolf-Land zog sich in nordöstlicher Rich- | tung nach Kap Sherard-Osborne fort; sein fernerer Verlauf oder Zusammenhang war nicht zu bestimmen. Das offene Wasser zu den Füssen der Reisenden erschien als eine rings von älterem Eise umsäumte Polynja (offene Meeresstelle), innerhalb welcher jüngere Eismassen in anscheinend mässiger Dichtigkeit ausgebreitet lagen. Ihre Entstehung war den Ostnordost - Winden zuzuschreiben, welche die vergangene Jahreszeit beherrscht hatten.,,Sah man selbst von dem nur augenblicklichen Hemmnisse des Jungeises ab, welches die Sprünge des Eises zur Zeit verband, so liess sich mit Sicherheit nur behaupten, dass ein Schiff, an die Nordküste von Zichy-Land versetzt, einige Meilen nach Norden oder Nordwesten hätte vordringen können, so weit etwa, als die Durchfahrten im Treibeise von unserem hohen Standpunkte aus erkennbar waren. Da ich nur das wirklich Beobachtete berichten will, so enthalte ich mich jeder Combination über die Fahrbarkeit und Beschaffenheit derjenigen Nordmeere, wie über die Ausdehnung derjenigen Länder, die noch Niemand gesehen hat, und begnüge mich mit der Angabe, dass das faktisch Beobachtete, hier vom Kap Fligely aus, eben so wohl gegen die Theorie eines offenen, wie gegen jene eines völlig geschlossenen Polarmeeres spricht."

Die in weiter Ferne im Norden und Nordwesten auftauchenden Länder wurden König Oskar- und PetermannLand genannt, das bergige Westende des letzteren, das am 83. Breitengrade liegt, Kap Wien genannt. Den einzigen kargen Pflanzenschmuck des nördlichsten erreichten Punktes bildeten Umbilicaria arctica, Cetraria nivalis und Rhyzocarpon geographicum.

Am 12. April traten die Reisenden die Rückkehr an, am Abend des 13. erreichten sie die bei Kap Schrötter Zurückgebliebenen. Den folgenden Tag schlugen sie die Route nach den nur selten sichtbaren Coburg - Inseln ein, bei denen sie am Abend anlangten. Erst am 15. verliessen sie nach einem angestrengten Marsche die bisherige Region der Eishöcker. Längs der Andree-Insel ging es nach Süden und dann über das flache Eisgewölbe der Rainer-Insel. Von dieser Höhe aus erblickten sie noch einmal den fernen Silberstreif der Schneegebirge von Kronprinz Rudolf-Land, das gleich darauf im Ocean des Nebels verschwand. Als sie wieder auf die Eisfläche herabstiegen, brachen sie überall tief in schneeüberdeckte Meerwassertümpel ein.

Am 17. April zog Orel mit dem grossen Schlitten gerade nach Süd, während Payer mit dem Hundeschlitten voraus ging, um Kap Hellwald zu besteigen; nachdem am Fusse des Kaps der Schlitten zurückgelassen, wurden mit grosser Anstrengung die schroffen Wände des 2200 Fuss hohen Vorgebirges erstiegen. Der Gipfel bestand aus zer

rissenen Basaltkuppen, auf deren Säulenköpfen Taucher und Teiste in grosser Zahl nisteten, welche den fremden Eindringling ohne Scheu umflatterten und sich dicht zu ihm in den Schnee gesellten. Der hohe Standpunkt ermöglichte einen befriedigenden Überblick über das Bergland im Nordwesten und zeigte die Inselform des betretenen Landes.

Am folgenden Tage erreichte man die ungeheueren Felsenkegel der Insel Wiener Neustadt, deren imposantes Kap Tirol, fast 3000 F. hoch, von Payer ebenfalls bestiegen wurde; er passirte bei dieser Gelegenheit auf der Rückkehr einen mit dichten Gespinnsten von Usnea melaxantha bedeckten Trümmerhang und mattgrüne Berghalden, deren Gräser bereits zu grünen begannen; auch die sparsamen Blüthenpflanzen des Landes standen hier in dichteren Gruppen als sonst versammelt.

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Am 19. April stiess die Schlitten karawane auf offenes Meer ohne Fahrzeug, fast ohne Proviant, 55 Meilen vom Schiffe entfernt! Jetzt blieb nur Eine Rettung, der Ausweg über Land, und weil sich das offene Wasser noch über die nackten Riffe der Hayes-Inseln hinaus nach Nordwesten verfolgen liess und schwere Dünste über dem Markham-Sund darauf hinzudeuten schienen, dass auch dieser bereits aufgebrochen sei, so entschied sich Payer für den Ausweg über die Gletscher des Wilczek - Landes. hing davon ab, dass das Eis im Süden des Austria-Sundes noch geschlossen lag; trennte das offene Wasser oder ein breiter Sprung die Reisenden auch beim Kap Frankfurt vom Schiffe, so waren sie rettungslos verloren.

Alles

Unter furchtbarem Schneesturm begann der Landmarsch. Aber das offene Wasser erreichte zum Glück ein Ende und konnte so in einem grossen, südlich gerichteten Bogen umgangen werden. Am 22. April wurde die Schönau-Insel erreicht. 25 Meilen trennten jetzt noch vom Schiffe. Diese Strecke beschloss Payer mit dem Hundeschlitten vorauszugehen, um zuerst zu erfahren, ob es noch auf der verlassenen Stelle sei, während Orel mit dem grossen Schlitten nachfolgen solite. Von der Höhe des Orgel-Kaps aus erblickte er am 23. April das Schiff die Expedition war gerettet.

Die dritte Schlittenreise, 29. April bis 3. Mai 1874. Das Ziel der dritten Schlittenreise war der Westen des Franz Josef-Landes; jedoch konnten für dieselbe wegen der nahe bevorstehenden Rückkehr nach Europa leider nur mehr wenige Tage verwandt werden. Am 29. April verliessen Payer, der Schiffs - Lieutenant Brosch und Haller das Schiff mit einem mit einwöchentlicher Ausrüstung belasteten Hundeschlitten. Die Schneebahn war noch immer fest, so dass die Hunde nur geringer Hülfe bedurften, um das Gepäck fortzuschaffen. Am 2. Mai wurde die den Um

kreis beherrschende Pyramide Kap Brünn bestiegen; zwei Stunden wanderten die Reisenden, an's Seil gebunden, über den Simony-Gletscher bergan, dann im Zickzack die schroffe Pyramide des Kaps hinauf; nach fünfstündigem Marsche war der Gipfel erreicht, eine Aneroïd - Beobachtung ergab 2500 F. Höhe.

Fast die Hälfte des Horizontes bestand aus Klippen, schimmernden Schneehöhen und grauen Felsenkesseln. Das System der Kegelberge herrschte auch hier vor; fast nur die Richthofen-Spitze, der vielleicht 5000 F. hohe Kulminations-Punkt des bekannten Franz Josef-Landes, erhob sich als schlanke, weisse Pyramide. Das Land war überall von Fjorden zerrissen und von Gletschern bedeckt; seine Grenzen gegen Spitzbergen oder Gillis-Land liessen sich nicht bestimmen, weil noch in einer Entfernung von etwa 15 bis 20 Deutschen Meilen sich deutlich Gebirgszüge erkennen liessen. Es scheint demnach, dass die Landmassen in dieser Richtung sich mindestens noch bis zum 50., vielleicht sogar bis zum 48° Ö. L. v. Gr. erstrecken. Zum ersten Mal bemerkte Payer jetzt, dass die Landmassen im Süden des Markham-Sundes durch einen Fjord, Negri-Sund, getrennt seien. Dieser Fjord war bereits offen, und da auch im Markham - Sunde einige dunklere Stellen auf Sprünge im Eise deuteten, so scheint es, dass Schlittenreisen im Franz Josef-Lande nur im Anfang des Frühjahrs ohne Gefahr des Abgeschnitten werdens unternommen werden können.

Nach Süden hin dehnte sich eine ungeheuere Eisfläche aus, ein entmuthigender Anblick für die der nahen Heimkehr entgegensehenden Reisenden. Nur ein einziger Wasserfaden zog sich schlangenförmig und gelbglänzend unter der Sonne hin nach Südost, das noch festliegende Landeis von Idem Reiche der Schollen scheidend und fast mit einem kleinen Bassin vom Küstenwasser im Süden der Insel Mac Clintock in Verbindung stehend. Doch war es nur zu gewiss, dass schon der nächste Hauch aus Süden ihn wieder schliessen würde. Sonst war alles eine völlig geschlossene Eisdecke; der unruhige Wechsel von Licht und Schatten darauf liess keinen Zweifel, dass sie nicht aus einer Ebene, sondern aus zahllosen Theilen gethürmten Eises bestand, zwischen denen da und dort dunklere Stellen sichtbar waren, Wasserplätze geringsten Umfangs. In der Nacht des 2. Mai wurde der Rückweg angetreten, am Abend des 3. Mai der ,,Tegetthoff" erreicht. Die Schlittenreisen nahmen damit ihren Abschluss, nachdem Payer im Ganzen etwa 450 Meilen zurückgelegt hatte.

Beschreibung des Franz Josef - Landes. Der obigen nach dem Payer'schen Reise werke in ihren Hauptzügen, wiedergegebenen Geschichte der Entdeckung des Franz JosefLandes möge hier des Entdeckers Schilderung desselben im Auszuge angereiht werden. (Payer: Die Österreichisch-Unga

rische Nordpol - Expedition in den Jahren 1872 — 1874, S. 264-281 und S. 372-376.)

Das Land, in der nunmehr bekannten Ausdehnung fast mit Spitzbergen von gleicher Grösse, besteht aus mehreren grossen Complexen. Wilczek-Land ist das östliche, ZichyLand das westliche Hauptmassiv; beide sind von zahlreichen Fjorden durchschnitten und von vielen Inseln umlagert. Eine breite Durchfahrt, der Austria-Sund, trennt diese Massen in ihrer Längenmitte, zieht vom Kap Frankfurt an gegen Nord und zweigt in 81° 40' N. Br. unter Kronprinz Rudolf-Land einen breiten nordöstlich gerichteten Arm ab, den Rawlinson}- Sund, welcher bis Kap Budapest verfolgt werden konnte. Eine geschlossene Eisfläche breitete sich von Land zu Land aus; sie war zur Zeit der Payer'schen Reisen zum grossen Theil nicht älter als ein Jahr, an vielen Stellen von Sprüngen und breiten Barrièren aufgeworfenen Eises durchzogen und mit zahllosen Eisbergen übersäet.

Payer's Karte des Landes ist mit Benutzung von 15 Breitenbestimmungen, Kompass-Peilungen, Zeichnungen und einer Triangulirung entworfen; die Berghöhen wurden mittelst des Aneroïds bestimmt. Durch die Schiffs-Lieutenants Weyprecht und Brosch wurde eine Basis von 2170,8 Meter in der Nähe des Schiffes gemessen und mit den nächsten Landvorsprüngen trigonometrisch verbunden. Diese Arbeit bildete die Grundlage der Payer'schen Aufnahmen.

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Im Gegensatz zu den minder arktisch strengen Spitzbergen und Nowaja Semlja zeigt Franz Josef - Land den vollen Ernst der hocharktischen Natur; besonders im Anfang des Frühjahrs schien es allen Lebens entblösst zu sein. Überall starrten ungeheuere Gletscher von den höheren Einöden des Gebirges herab, dessen Massen sich in schroffen Kegelbergen kühn erhoben. Alles war in blendendes Weiss gehüllt, selbst die steilsten Felswände von Eis überzogen. Diese hierdurch angedeutete Luftfeuchtigkeit eines Landes, dessen Jahresmittel der Temperatur etwa - 13° R. beträgt, scheint auf seinen Insel-Charakter hinzuweisen, denn sowohl Grönland als Sibirien zeichnen sich im Winter durch trockene Kälte aus, und es war auffallend, dass selbst nördliche Winde eine Verminderung derselben brachten. Infolge ihrer ungeheueren Vergletscherung und der sich häufig wiederholenden Plateau-Form erinnern die neuen Länder lebhaft an West-Grönland, durch das tiefe Herabreichen der Firngrenze aber noch mehr an das Victoria - Land am Südpol. Isolirte Gruppen von Kegel- und Tafelbergen, wie solche dem Basalt eigenthümlich sind, bilden die Bergsysteme des Kaiser Franz Josef-Landes; nirgends waren Kettengebirge zu erblicken. Fast alle gleich hoch ragen die Berge der einzelnen Gebiete empor, im Mittel bis zu 2- bis 3000 F., im Südwesten bis etwa 5000 Fuss.

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