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primeln aus der Gruppe der Primula farinosa, und wenn es auch keineswegs an den charakteristischen PelobatesKäfern fehlte, so waren sie doch noch selten und träge, denn es war empfindlich kalt und aus SO. trieben immer neue Schneewolken an. Nicht anders verhielt es sich mit dem kräftigeren Carabus cribratus, welcher in der alpinen und basalalpinen Zone des Armenischen Hochlandes (6- bis 10.000 F.) entschieden die gemeinste Art seines Genus ist. Der Empfang in den glücklich aufgefundenen Kurden-Zelten war zuerst sehr wenig einladend. Augenscheinlich hatten wir es mit armen Leuten, die so eben erst angelangt waren, zu thun. Man schlug uns Alles rundweg ab und während wir versuchten, eine freundlichere Stimmung der Kurden zu erwirken und kleine Geldgeschenke machten, hatten wir noch den unausbleiblichen Kampf mit einer ganzen Meute langzottiger, wüthender Hunde zu bestehen. Bei dieser Gelegenheit will ich doch erwähnen, dass die Hunde sämmtlicher Nomadenvölker, die ich bis jetzt im grossen Russischen Reiche kennen lernte, sehr bösartiger Natur sind, dass sie zweien Raçen angehören, von denen die schöne, Mongolische, schwarze, glatt- und langhaarige, gelbe Augenund Kniebeugenflecke besitzt, die andere, welche ich die Tatarische nennen möchte, durchweg hellgrau ist. Die Hunde der Nomaden sind SO an ihre alltägliche Umgebung und namentlich menschliche Gesellschaft gewöhnt, dass sie, selbst in den Fällen täuschend übereinstimmenden Costüms der Ankommenden, deren Physiognomien unterscheiden und die fremden Stammesgenossen ihrer Herrschaft ganz anders behandeln, als andere Leute. Für den Europäer werden diese Hunde sehr oft lebensgefährlich und nur die Rufe und Drohungen ihrer Herren retten vor dem blutigen Überfall. Einmal vom Pferde gestiegen und der Gastfreundschaft der Nomaden theilhaftig geworden, hat der Fremdling dann nichts mehr zu fürchten. Das widerwärtige Geschrei unseres Kurden-Wirthes hatte sich gelegt und er gab, freilich wie man sah, ungern ein Paar mitgebrachte Holzspähne und trockenen Mist her zum Abkochen von Schaffleisch, offerirte vortreffliche Sahne und saure Milch, erhielt unseren Dank und die rechtschaffene Bezahlung und blieb, nach unserem etwa einstündigen Besuche, wieder allein zwischen den weiten winterlichen Schneeflecken auf den hochalpinen Frühlingstriften. Wir hielten die Richtung jetzt wieder SO. ein, stiegen über breitrückige Halden und blieben immer auf dem bedeutend hohen linken Uferrande jener tiefen Schneewasserschlucht, die ich vorhin erwähnte und welche zum westlichen Gösöl-dara-Bache gehört. Sie zieht sich gegen Süden hin bis zum Hauptmassiv des Alagös und wir mussten, als wir in dieser Richtung genugsam vorgerückt waren, uns sehr steil bergab bemühen, um in dieses enge Thälchen zu treten. Herrlich prangte

hier die Frühsommer-Flora unten. Sie war auch hier jungfräulich unberührt. Ganze Flächen an den Steilabhängen erschienen blendend weiss von den grossen Blumen des Cerastium purpurascens, ab und zu tauchten schon Mohnblumen auf, dann wieder die dichtgestellten Gruppen von Pedicularis sulfurea und von zarten, niederliegenden Veronica-Arten. So weit ich auf den ersten Blick an Ort und Stelle entscheiden konnte, so schien es mir, dass alle diese Arten zu den schon oft gesammelten, der höheren Zone der basalalpinen Flora angehörten, und absolut Neues für mich gab es hier nicht. Nahe am Vereinigungspunkte eines westlich kommenden, stärkeren, hintosenden Giessbaches und eines direkt von Süden herabstürzenden, machten wir Halt. Die hier in die Erde gebauten Hütten standen jetzt noch leer. Wir beschlossen nun, die vor uns liegende Südsteilung des Gebirges, die sich allem Anscheine nach, falls nicht abermals tiefe Steilschluchten trennend einsetzten, unmittelbar an den Fuss der Nordwestzinke des Alagös lehnen musste, zu erklimmen. Man kann das, wenn gute Pferde zur Disposition stehen und die Zickzacklinie eingehalten wird, reitend thun und kommt zuletzt auf flache Halde, die sich gegen NNO. langsam absenkt, einen unbedeutenden Sattel besitzt, jenseit welchem das schwarze Nordwest-Massiv des Alagös senkrecht emporwächst. In den Schründen und an den wenigen Haftflächen lag hier überall frischer Schnee. Gegen Norden aber senkt sich ganz allmählich die alpine Ebene ab und legt sich als breiter Plateau-Rücken, aus dem nur hie und da in der oberen Drittheilpartie die nackten, vulkanischen Felsen anstehen, zwischen den westlichen und mittleren Gösöl - dara - Bach. Wir hatten die Höhe von mindestens 12.000 F. erreicht. Will man von hier den nordwestlichen Fuss der AlagösSpitze umgehen, so bieten sich keine nennenswerthen Schwierigkeiten. Dagegen dürfte die Erklimmung der Spitze selbst von dieser Seite, wenn nicht unmöglich, so doch sehr schwierig sein. Die Südseite des Alagös eignet sich dazu viel besser und wie Dr. Sievers, der den Rand des eingestürzten Kraters von dorther (vergl. „Geogr. Mitth." 1872, S. 177 ff.) am 16. Juli 1871 erstieg, während ich im Basaltheile auf einer Schneeschramme krank liegen blieb, erwähnte, so besitzt der Alagös dort, wie hier an seiner Nordseite, ebenfalls zwei spitze, pikartige, extreme Gipfelhöhen, so dass sich zwischen diesen vier eminenten, bis über 13.000 F. anstrebenden Zahnungen der schroff eingebettete, zum Theil jetzt vergletscherte Kratereinsturz befindet. Dieser öffnet sich gegen ONO. und entsendet den wasserreichen DadalüBach, welcher durch den grösseren Ambarlü aufgenommen, bereits dem Abaran tributär ist.

Von der erstrebten Höhe schritten wir einige hundert Schritt gegen Norden vor und gewannen nun auch einen

Überblick über die gesammte Nordfront des Alagös, die in ihrem Central-Theile ausserordentlich zerrissen und wild erscheint. Nur zeitweis lag dieses ernste, todte Bild ganz klar vor unseren Augen; es ballten sich um dasselbe immer auf's Neue die Schneewolkenschleier und in Hinsicht auf diesen Umstand und die vorgeschrittene Tageszeit hielten wir es für gerathen, den Rückweg anzutreten. Langsamen Schrittes ging es gegen Norden auf der geneigten Ebene vorwärts. Dieselbe trug im oberen Theile kaum die ersten Frühlingsspuren. Eine nur zollhohe, grossblumige DrabaArt, aus den Ritzen eines mächtigen Lava-Blockes genommen, war die beste botanische Ausbeute, die wir hier machten. Von Insekten wurde äusserst wenig gefunden. Keine Lerche sang, es herrschte eine fast erdrückende Stille hier oben. Das Wetter wurde schlechter, bereits umstiebte uns die Schneewehe. Wir gingen mit dem Winde und erreichten den steilen Westrand des Karan bich-Thales, als das Hochwetter mit voller Wucht einsetzte. Jeder verhüllte sich, so gut es ging, schweigend stiegen wir im Gänsemarsch die unbequemen Steilwände des Thales abwärts. Der Hagel fiel dicht, vom Winde gepeitscht, schmerzlich schrammte er seitwärts anprallend die Wangen, ihm folgte tiefer im Thale Platzregen. Wir trieften vom Wasser, überschritten. den schäumenden Bach und hoben uns allmählich an seinem linken Ufer heran zur sogenannten Kiptschach-Jaila. veränderter Richtung gegen NW. traten wir dann bald ein in die Kulturzone der nordischen Cerealien. Der Regen liess nach und wir erreichten gegen Abend das gastfreundliche Kloster wieder. Am frühen Morgen des nächsten Tages (27. Juni alten Styls) erschienen die Jesiden - Kurden und boten nachträglich ihre Dienste an, von denen wir keinen Gebrauch mehr machen konnten. Die Rückreise nach Alexandropol wurde sofort in Angriff genommen und wir erreichten die Stadt Nachmittags.

Mit

Nachdem Herr Consul Brüning sich entschlossen hatte, von hier die Rückreise über Duchoborien, Chertwis, Achalzich und Azkur nach Borshom allein zurückzulegen, setzten die übrigen Mitglieder der Gesellschaft die Reise am 29. Juni von Alexandropol in einem grossen Planwagen fort und steckten sich als nächstes Ziel das in der Araxes - Ebene gelegene Dorf Sardar-abad. Am 29. früh brachen wir auf. Auch diessmal nahm der Weg die Richtung gegen SSO. in der Ebene von Alexandropol zu dem Dorfe Ilchiab, dann gegen Süden, Angesichts der nördlichen Abflachungen des Alagös zum Dorfe Käftarlü. Hatten wir bis dahin einigermaassen gute Wege, so wurden dieselben mit dem Eintritt in's unmittelbare Alagös-Gebiet wieder bedenklich schlecht und nur langsam schleppte das Viergespann den Wagen durch die erweichte, leimige Schwarzerde, bis wir gegen Abend in geringer Entfernung vom Dorfe Bogos - Kjäsan

ganz stecken blieben und einige Stunden Zeit hatten, die uns umgebenden Brach- und Ackerfelder abzusammeln, bevor die Hülfe aus dem Dorfe anlangte. Dasselbe wurde

denn noch glücklich vor Sonnenuntergang erreicht und wir placirten uns im Freien unter den Weidenbäumen, welche die Ränder eines schmalen Bewässerungskanals bestanden. Vor uns lagen theils zum Heuschlage geschonte Wiesenpartien, theils Gerstenfelder von geringer Ausdehnung. Immerhin stand dieses Dorf schon 900 Fuss höher als Alexandropol, denn wir ermittelten hier 6000 F. Meereshöhe. Bald loderten die Kochfeuer und bei zugleich einsetzender Dämmerung und Kälte that ein kräftiger Punsch ausserordentliche Dienste. Das Dorf Bogos - Kjäsan liegt hart am Nordostrande eines steil ansteigenden, breiten und flachrandigen Tuffmassives, welches hier, weit gegen NW. vorspringend und fast das linke, obere Arpa - tschai - Ufer erreichend, dem eigentlichen Fusse des Alagös vorgelagert ist. Der gesammte Nordostrand dieses, in seinen Gipfelhöhen wohl bis 8000 F. ansteigenden Massivs, fällt mit seinen Fronten steil ab und noch mächtiger und unzugänglicher erscheint seine Südseite, die man bei dem grossen Dorfe Mastara erstrebt, von wo der bessere Weg in der Senkung zwischen dem südlichen grossen Bugutlu - Kegel und dem Alagös zur geräumigen Araxes-Ebene führt. Seit dem Jahre 1837 nennt man diese Strasse den Zaren-Weg, weil Kaiser Nicolai, von Achalzich aus über Alexandropol nach Eriwan reisend, sie betrat und sie natürlich für diese Allerhöchste Frequenz eigens hergestellt und verbessert wurde. Gegenwärtig ist die Strecke Achalzich-Achalkalaki über Chertwis in der That schon durch einen Postweg verbunden und es liegt auf der Hand, dass so nahe der Türkischen Grenze eine gegen Süden gut durchgeführte Kunststrasse von höchster Bedeutung wäre; um so mehr noch, als auf ihr auch ein grosser Theil der Salzausbeute von Kulpi bequemer, als es jetzt geschieht, gegen Norden abgeführt werden könnte. Leider aber liegt dieser Weg gegenwärtig in Wirklichkeit in erbärmlichster Beschaffenheit, stellenweis sogar mit gefahrvollsten Passagen, da. Die Hauptschwierigkeiten finden sich auf der Strecke BogosKjäsan-Mastara. In kurzer Entfernung vom Dorfe mussten wir am 30. Juni Halt machen und Büffel requiriren. Diese freilich schleppten im gemessenen Schritte das Fuhrwerk weiter, zunächst über die Steilungen der Nordostfronte und dann im Gebiete guter Weideländer bis zum Südrande. Wir legten den grössten Theil dieser Strecke und auch den steilen Südabhang zu Fusse zurück, exkursirten, langten gegen Mittag in Mastara an und beschlossen, dort zu bleiben, weil, wenn auch das Wetter trübe und windig war, wir doch auf ergiebige Exkursion rechnen durften, weil endlich mit dem Eintritt in's Araxes-Gebiet der gesammte Wechsel

in der Natur sich schon in diesen Höhen (6100 Fuss beträgt die Höhe von Mastara über dem Meere) mannigfach bekundete. Die Steilungen des Gebirges, zum grossen Theil durch verwitterte Tuffe gebildet, boten in der That noch eine gute Anzahl von Frühlingsformen der Araxes-Ebene, namentlich von Tentyrien-, Penthicus- und Pimelia-Arten; wogegen die botanische Ausbeute erst tiefer im Gebirge einigermaassen da lohnend wurde, wo entweder abgelegene Plätze zum Heumachen reservirt, oder doch die Heerden nur selten zur Weide getrieben wurden.

Unsere Erwartungen auf besseres Wetter wurden abermals getäuscht, denn schon in der Nacht zum 1. (13.) Juli setzte Regen ein, und obschon mit Sonnenaufgang die Nebel sich ein wenig lüfteten, so entschied sich später das Wetter doch wieder ganz zu unserem Nachtheile. Bis Nachmittag goss ein wahrhaft sindfluthlicher Regen fast ohne Unterbrechung hernieder, so dass selbst das nahe gelegene, imponirende Bugutlu-Gebirge, obgleich wir hart an seinem Ostfusse passirten, nur selten und undeutlich vor uns auftauchte. Unter solchen Umständen war von ergiebigen Sammlungen keine Rede und es bedurfte der besten Vorsätze bei den Mitgliedern der Gesellschaft, nur überhaupt guten Muthes zu bleiben und all' das bis jetzt erlebte Missgeschick in einigermaassen guter Stimmung zu ertragen. Sobald die Bugutlu - Gruppe passirt war und wir in die breite Ebene des Silawi-Mastara-Baches eintraten, hatte sich Bodenbeschaffenheit und Vegetation geändert. Die Charaktere der Araxes-Ebene traten hier schon an vielen Stellen in voller Klarheit auf. Bereits im Süden vom Dorfe Klein-Talin oder Talün, wenn man an den äussersten Westverflachungen des Alagös vorüberfährt, treten Halophyten, Absynthien, so wie Peganum und Alhagi massig auf und dem hellgrauen Lehmboden esfloresciren oftmals Salze. Angesichts der Ruinen von Karaburun machten wir trotz Nebel und zeitweisem Regen zum Abfuttern und Exkursiren Halt und untersuchten namentlich die vulkanischen Felsenklippen, welche in der Ebene anstehen. Der schöne Satyrus Bischoffii flog hier, ermattet vom schlechten Wetter, träge; Alles triefte vom Regenwasser und über diesen, im Sommer so höllenheissen, kahlen Gebieten lagerte jetzt eine fast unangenehme Kühle. Die Weiterreise brachte uns noch eine gefährliche Passage, bevor wir an den äussersten Südumrandungen der vorlagernden Gebirgshöhen des Alagös mehr gegen Osten wendend, endlich in die Ebene des oberen Araxes kamen und uns somit in der Meereshöhe von etwas unter 3000 F. befanden. In Folge der anhaltenden Regen tosten nämlich die lehmbraunen Wasser fast in allen jenen schmalen, steilwandigen Spalten und Rissen, die das Gestein hier vielfach durchsetzen und welche im Frühling den Schneewassern zum Abfluss dienen. Auch diese ersten Anfänge aus

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gewaschener, beiderseits steilwandiger Thalbildungen besitzen ganz den Charakter aller in der exklusiv vulkanischen Partie des Armenischen Hochlandes tief eingeschnittenen grösseren Flüsse. Wo die Kunst nicht eine Strasse abwärts in die oft über 100 F. hohen Steilwände zum Flusse brach, da ist es unmöglich, den letzteren zu überschreiten und auf weiten Umwegen kann erst das gegenüberliegende Ufer solcher, oft nur unbedeutender Bäche erstrebt werden. In dem uns vorliegenden Falle ritten wir einzeln durch den Bach und liessen den Wagen auf gut Glück an einer acceptablen Stelle das wilde Gewässer passiren. In der Ebene von Sardar-abad konnte gegen Abend noch eine Exkursion gemacht werden, die uns sofort mit einigen der eigenthümlichen Wüstenformen bekannt machte. Spirrig stand jetzt die verdorrte Frühlings - Vegetation da, namentlich das auf grossen Strecken hingedehnte Lepidium vesicarium, während die echten Salzpflanzen jetzt erst recht. im Safte strotzten und mit ihren braunen, schmutzig violetten und röthlichen Farben zwischen den geraden aromatischen Absynthien weite Strecken hin kennzeichneten. Zwar lag auch hier eigentlich die gesammte Thierwelt fast regungslos darnieder, wovon eben so wohl die Tageszeit, als namentlich die ausnahmsweis waltenden Witterungsverhältnisse die Ursache waren; doch aber gehörte das Wenige, was wir fanden, einer bis dahin auf unserer Reise nicht bemerkten Fauna an. Ab und zu huschte eine hübsche kleine Phrynocephalus-Art quer durch die vergilbten Lepidium-Stauden, und die Freude Morawitzen's an edlen, kleinen Wüsten - Halictus - Species, so wie die der anderen Herren an diversen Tentyrien, Blaps und Skorpionen, war keine geringe, weil durch diese ersten Erfolge unsere gesunkenen Hoffnungen neu belebt wurden.

Es war ein stiller, abgekühlter und für die AraxesEbene in dieser Jahreszeit geradezu frischer Abend, den wir im grossen Dorfe Sardar-abad verlebten. Dasselbe ist von hohen Lehmmauern zum Theil auch jetzt noch eingeschlossen, welche freilich seit der Persischen Herrschaft (1827) an vielen Stellen in Verfall geriethen. Nur zeitweis und theilweis entschleierte sich das majestätische Bild des Grossen Ararat. Fest lag auch heute, selbst während der günstigsten Momente, eine nach oben und unten hin geradlinige, breite, graue Dunstschicht auf der unteren Gletscherzone des Noah-Berges. Von SO. her ballten sich fast beständig neue, mächtige Cumuli - Massen um seinen Gipfel und bei Sonnenuntergang sah man nur die Basis des Gebirges deutlich aus der Araxes - Ebene ansteigen im mattgrünen Weidetone. Wir bezogen die obere Etage des einzigen, sogenannten zweistöckigen Hauses in Sardar-abad und sollten hier in der Nacht den ersten kräftigen Vorgeschmack von den sommerlichen Plagen dieser Gegend bekommen.

Ausser dem gewöhnlichen Hausungeziefer, dessen Vermehrung vom März bis Oktober keine Grenzen kennt, wüthet ein Heer maliciösester Mikrodiptera überall im sogenannten Wüsten-Terrain, wo dasselbe nahe den natürlichen Wasserläufen gelegen, oder von ungünstigen Bewässerungs-Kanälen durchschnitten, zur ergiebigen Kultur - Oase umgestaltet wurde. Ich bettete mich vorsichtigerweise auf dem flachen Erddache des unteren Stockes unserer Wohnung nahe am Rauchfange; aber auch hier wurde es erst nach Mitternacht möglich, die Augen zu schliessen. 'Als am nächsten Morgen die Gesellschaft, nach ruheloser Nacht, abgespannt ihr Asyl verliess, bezeugten die geschwollenen Hände und Füsse mit ihren hohen Pusteln genugsam die Wuth und Macht der unscheinbaren Moskitos, welche über sie hergefallen waren. Nicht Jedermann wird von diesen Insekten in gleich hohem Grade gequält. Es giebt Individuen, die davon ganz verschont bleiben und instinktiv mögen die winzigen Fliegen am Ende die Wahrheit wohl erkannt haben, dass gesundes Blut ,,ein ganz besonderer Saft" sei. Auf dem Wege nach Etschmiadsin machten wir noch einen kurzen Halt. An einem Hügel, dessen Südseite mehrere kalte Quellen entspringen, die zu den Wassern der oberen Kara'su oder Karassu gehören, wurde exkursirt. Die Sonne that einige wohlthuende Blicke auf die Landschaft, obwohl der Ararat verschleiert blieb. Hohe Alhagi-Stauden lieferten eine brillante, grüne Sphenoptera-Art und einige Cryptocephalen. Früh Nachmittags trafen wir in Etschmiadsin ein und liessen uns in einem der Säle des Kreisregierungs-Gebäudes (gegenwärtig lebten die Verwaltungs-Beamten während der Sommerhitze auf den südlichen Vorbergen des Alagös) nieder. Den 2. und 3. Juli verwendeten wir auf Etschmiadsin und seine nächsten Umgegenden. Schon früh am 3., als die Morgendämmerung begann, lag das unvergleichliche Ararat-Bild in seiner ganzen Schöne, zuerst im Gipfeltheile des Gebirges von den brillanten Tönen der herannahenden Sonne glutherfüllt, vor uns. Später trug der sonnenklare Tag eine bedeutende Beute den Mitgliedern der Expedition ein. Zumal sammelte Dr. Morawitz in den Echium- (altissimum) Beständen auf alter Brache vorzügliche Species und die vielen schlanken Pyramiden-Pappel-Stämme lieferten an ihren Sonnenseiten so manche schöne Capnodis-, Melanophila-, Ancylochira- und Chrysobotrys-Art. Natürlich nahmen wir auch diessmal das Kloster mit seinen wirthschaftlichen Nebengebäuden, der Armenischen Druckerei und der Kathedrale in speziellen Augenschein; jedoch blieb, wie stets,- die Bibliothek unseren profanen Augen unter Vorgabe der nichtigsten Gründe und Lügen verschlossen. Die hohe Armenische Geistlichkeit hält diese Schätze sorgsamst verborgen und umgiebt dadurch den, übrigens den Spezialisten wohlbekannten Werth der Bibliothek mit einer un

verdienten Glorie. Abgesehen davon, dass es jeden Reisenden im hohen Grade interessiren muss, das Hauptwerk der Armenischen Kirche, den Armenischen Papstsitz zu sehen, dessen Anfang hier aus dem 4. Jahrhundert datirt, so wird er gewiss ausserdem eine hohe Verehrung und Bewunderung dem drittletzten Patriarchen zollen müssen, wenn er dessen weltliche Werke anschaut. Unmittelbar im Süden des Klosters liegen sie, ein Zeugniss von dem verständigen und unermüdlichen Fleisse dieses Kirchenfürsten beibringend. Ich meine nämlich das grosse und tiefe Wasserbassin und die ausgedehnten Gartenanlagen, welche der Patriarch Nercess (gest. 1858) geschaffen hat. Diese regelmässigen, weit gedehnten Gartenanlagen haben der unmittelbaren prosaischen Umgegend von Etschmiadsin einen hohen, landschaftlichen Reiz verliehen und bekunden offenbar den heilsamen Einfluss auf die Oasen - Kultur, welche hier unter dem Schutze und nach der Initiative der höchsten Armenischen Geistlichkeit im Verlaufe der letzten Decennien sich entwickelte.

Eriwan hielt uns gegen unseren Willen durch einiges Malheur des Fuhrmanns bis zum 5. gefangen. Die in normalen Jahren um diese Zeit so erhitzte Stadt erfreute sich jetzt ausnahmsweis einer erfrischenden Kühle und es prangten die weit gedehnten Gärten, welche sie im Sanga-Thale und gegen Norden hin umgeben, im frischesten Grün. Auch überkam uns, als wir am 7. weiter fuhren, ein wirklich sehr intensives Gefühl der Dankbarkeit, weil die Strasse, welche zum Goktschai jetzt führt, vollendet ist und als vorzügliche Chaussee endlich allen jenen früheren Qualen ein Ende gemacht hat, welche der Reisende ertragen musste, wenn er über die schroffen Lava - Klippen der Südabhänge im flüchtigen Dreigespann hingeschleudert wurde. Wir beeilten uns diessmal nicht. Zwei Glaphyrus - Arten (bis dahin von uns im Kaukasus noch nicht gesammelt) bildeten für die Herren Coleopteren-Sammler die Haupterrungenschaft. Sie wühlen sich tief ein in die aufgeblühten OnopordonDisteln, so dass man sie zu dreien und vieren von dort mit der Pincette und mit einer ziemlichen Kraftanstrengung heraus heben kann. Auf dem weiteren Wege zum GoktschaiSee, unweit von der Station S'uchoi fontan (Trockene Quelle) begann wieder trübes Wetter und Alles sprach dafür, dass in diesen, sonst so trockenen Gegenden häufige und anhaltende Regen gefallen seien. So waren z. B. an den Knoten der Stengel jetzt abgetrockneter, hoher Umbelliferen, die umfasst werden von den verbreiterten Stengelbasen, fast überall kleine Anthaxien in dem Wasser ertrunken, welches sich dort ansammeln konnte. Von der seltenen Saperda (Mallosia) Soviczi fanden wir hier nur Flügeldecken.

Am Sonntag den 6. Juli machten wir im grossen Molokaner Dorfe Helenowka am Goktschai-See Halt, exkursirten

bis Mittag und brachen dann auf, so dass das Nachtlager schon jenseit der über 7000 F. hohen Passage des nörd lichen Goktschai - Randgebirges genommen werden konnte. Mit dem Eintritt aber in das Akstafa-Thal und dem Verfolge der Reise nach Tiflis kann ich hier diesen Bericht abschliessen, da schon früher in den ,,Geogr. Mittheil." über diese Strecke im Allgemeinen genügend gesprochen wurde und alle Spezial-Beobachtungen dem grösseren Werke über Hoch-Armenien einverleibt werden sollen.

Ich bin aber dem Publikum, welches die ,,Geogr. Mittheilungen" liest und mir dadurch auf meinen Expeditionen gefolgt ist, zwei „Vorläufige Berichte" schuldig geblieben, nämlich den einen vom Jahre 1871, meine, in Gemeinschaft mit Dr. Sievers ausgeführte Besteigung beider Ararate und den zweiten vom Jahre 1874, unseren Aufenthalt an den Quellen des Frat und Aras im hohen Bin-göl-dagh betreffend.

Die Materialien, welche diese Reisen geliefert und welche vornehmlich die hochalpine Flora (von 9000 bis 14.500 F.!! über dem Meere) angehen, sind in Bezug auf genaueste systematische Bestimmung bereits verarbeitet, wie denn auch die sonstigen botanischen und zoologischen Sammlungen, die im Laufe der Zeit herbeigeschafft wurden, durch freund

liche Mitwirkung vieler in- und ausländischer SpezialGelehrter, zum grossen Theil wenigstens, determinirt wur

den.

Es wird demnach für die nördliche Randzone des Armenischen Hochlandes bei der Gruppirung der ermittelten Facta in meinem grösseren Werke sich mancher geographische Gesichtspunkt eröffnen lassen und wenn es mir gelingt, die Ergebnisse für Vertikal - Verbreitungen vom Ararat, Bin-göl-dagh, Kapudshich und Alagös vergleichend denen vom Elbrus und Kasbek ermittelten zur Seite zu stellen, so dürfte sich gewiss manches Interessante, die physikalischen Charakterzüge des Isthmus im Allgemeinen Angehende, ergeben. Ich werde also an Stelle jener beiden ,,vorläufigen Berichte", sobald es thunlich, die Bin-göl- und Ararat-Besteigung in extenso geben und die dort eingehaltenen Marschrouten dem Ganzen verflechten, dort am Bingöl-dagh von den Arbeiten Tschichatscheff's und Strecker's profitiren, hier am Ararat die Arbeiten Parrot's, Abich's und Chodsko's zu Grunde legen endlich aber, was die Geographie der Pflanzen anbelangt, Boissier's neueste Forschungen benutzen und Grisebach's vorzüglicher Leitung folgen.

Tiflis, 27. Dezember 1875.

Schwedische, Russische und Deutsche Reisen nach West-Sibirien.

Nordenskiöld's vorjährige Reise von Tromsö zum Jenissei hat viel von sich reden gemacht, und da das betreffende Gebiet per Dampf, Eisenbahn und Post leicht zu erreichen ist, wird es auch in diesem Jahre von verschiedentlichen reiselustigen Leuten besucht werden, voran wieder von Nordenskiöld.

Die Pointe der vorjährigen Fahrt lag darin, dass durch sie, gegenüber den früheren irrthümlichen Ansichten, der Weg durch das nördliche Eismeer und das Karische Meer selbst für kleine schwache Segelfahrzeuge von Neuem als leicht ausführbar nachgewiesen war, woraus wiederum als unmittelbare Folge die Idee entsprang, die reichen Produkte der weiten Nord- und Mittel - Asiatischen Gebiete durch regelmässige Schifffahrt dem Weltverkehr näher zu bringen, als auf dem bisherigen langwierigen und kostspieligen Landwege. Dieser Punkt wurde durch unsere damalige Karte 1) auf einen Blick klar gestellt.

Alte eingenistete Vorurtheile auszurotten, geht jedoch in der Regel nicht so leicht und schnell, und in richtiger Würdigung dieses Umstandes beabsichtigt Nordenskiöld eine Wiederholung seiner vorjährigen Fahrt, diessmal aber mit

1) Tafel 24 Geogr. Mitth. 1875.

einem Dampfer und in einer Weise, dass sie als eine richtige Handelsfahrt zu betrachten ist. Russische Blätter bringen u. a. folgende, einem an einen Russischen Kaufmann gerichteten Briefe Nordenskiöld's entnommene Mittheilung: ,,Im Sommer dieses Jahres fahre ich auf einem Dampfer, der im Stande ist, eine Fracht bis zu 10.000 Pud zu laden, in die Mündung des Jenissei, und denselben aufwärts bis zum Dorfe Dudinsk (wo eine Anfahrt der Jenissei-Dampfer ist). Am 25. Juni Ihres Styls reise ich von Gothenburg ab. Ich bitte Sie, für mein Schiff eine Fracht von 2- bis 3000 Pud Ihres Graphits vorzubereiten. Richten Sie es so ein, dass die Jenissei'schen Kaufleute verschiedene Frachten bis 7000 Pud zur Absendung nach Schweden bereit halten. Wir werden einen billigen Frachtsatz nehmen, da diese Fahrt die erste Handelsfahrt sein und zur Befestigung meiner Voraussetzung dienen wird, dass eine SchifffahrtsVerbindung zwischen Sibirien und Europa und umgekehrt möglich ist. Auf der Rückkehr fahre ich über Sibirien bei Ihnen in St. Petersburg an".

Nordenskiöld hatte in seinen vorjährigen Berichten u. a. ausgesprochen: „Binnen Kurzem wird ein grosser Handelsweg von Sibirien über die Mündung des Jenissei und das Eismeer eröffnet werden." Es ist verdienstlich von ihm,

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