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Erster Abschnitt.

Grundlegung.

Erftes Capitel.

Unterscheidung der hauptsächlichsten Classen der Werthschätzung.
Die ethischen Erkenntnissbegriffe.

§. 14.

Die Aufgabe der allgemeinen praktischen Philosophie ist die Aufstellung dessen, was absolut gefällt und absolut missfällt, in den einfachsten Ausdrücken. Damit aber hierbei die Gedanken nicht planlos hin und her fahren oder einem unfruchtbaren Grübeln der Zugang eröffnet wird, haben wir nicht allein das Ziel des Strebens fest ins Auge zu fassen, sondern auch auf die Spuren zu achten, welche zu diesem Ziele führen. Dass dieselben in der vorläufigen Vorstellung des Gesuchten nicht enthalten sein können, liegt auf der Hand. Es muss vielmehr eine Vergleichung des beziehungsweise Gegebenen mit dem Gesuchten angestellt werden, um jene Spuren zu gewinnen. Was ist nun aber das für unseren Zweck bereits Gegebene und Bekannte und welche Weisungen bietet es dar, mit Anschluss an dasselbe jenes noch Unbekannte und Gesuchte zu finden? Das ist die nächste Frage.

§. 15.

Bekannt ist, dass es eine Menge Arten des Vorziehens und Verwerfens, des Beifalls oder Missfallens giebt, zu deren Bezeich

nung die Sprache einen grossen Reichthum von Ausdrücken, als Prädicate für irgend welche Subjecte, darbietet. Diese Urtheile sind bisweilen schwankend und unklar, bisweilen aber auch sehr bestimmt und klar. Einige sind mit gewissen Gefühlen verbunden und gleichsam der Ausdruck derselben, andere wieder nicht. Manche bezeichnen keinen absoluten Gegensatz des Werthvollen und Verwerflichen, sondern nur gewisse Gradunterschiede, andere dagegen stehen in absolutem Gegensatze zu einander. Manche schreiben Etwas einen Werth oder einen Unwerth bei mit Beziehung auf ein Anderes; manche wieder nicht, sondern wollen einen Werth ausdrücken, der dem Beurtheilten an und für sich zukommt. Bei einigen findet der besondere Umstand statt, dass sich eine Stimme des innern Vorwurfs erhebt, wenn ihnen zuwider gehandelt wird, bei andern wieder nicht. Einige bestimmen den persönlichen Werth 'eines Menschen, andere üben keinen Einfluss auf diese Werthbestimmung aus. Ueber einige lässt sich leicht hinweg gehen, andere dagegen bleiben gleichsam tief in unserem Gemüthe haften. Beispiele hierzu lassen sich leicht auffinden. Damit aber ist uns noch nicht genug gethan. Wir verlangen vielmehr zuvörderst eine vollständige Uebersicht über die verschiedenen Arten von Werthschätzung; sodann eine klare Einsicht in das, was denn eigentlich dabei werthgeschätzt oder verworfen wird. Hier erhebt sich die Frage, ob es in der That gewisse an sich werthvolle Objecte giebt, oder ob nicht vielmehr die Beurtheilenden selbst es sind, die den so oder anders bezeichneten Gegenständen einen Werth beilegen, der ihnen ursprünglich und eigentlich nicht zukommt. Unbekannt ist ferner noch dabei, welche Bewandtniss es wohl mit der Auctorität des Gewissens haben und wie es zugehen mag, dass es auch ein irrendes Gewissen giebt. Gesetzt aber auch, man habe sich davon überzeugt, dass es Objecte einer absoluten Werthschätzung giebt, so ist die weitere Frage wieder die, welches denn die eigentlichen Subjecte für solche unvermeidlichen Prädicate sind und wie man denselben wissenschaftlich, d. h. durch begriffliche Auffassung beizukommen hat.

§. 16.

Wozu aber solche Weitläufigkeiten, hören wir von gewisser Seite sagen. Man hebe unmittelbar mit dem Gewissen an, welches die unmittelbarste sittliche Ueberzeugung des Menschen ausdrückt und begegne den Erscheinungen eines schwankenden oder irrenden Gewissens dadurch, dass man den wahren Beziehungspunkt des Gewissens sich verdeutlicht. Dieser aber ist kein anderer, als Gott selbst. Das Gewissen ist das unmittelbarste Bewusstsein des Menschen von Gott oder von seinem Verhältnisse zu Gott, dem Urgrunde alles Seins und Sollens und bildet den tiefsten Ausdruck des menschlichen Selbstbewusstseins. Der Mensch vertiefe sich also nur recht eigentlich in sich selbst, suche ahnend das Urbild seiner Selbsterinnerung zu erfassen, und das, was sein soll, wird ihm dann in seiner Wahrheit als die Manifestationen des Urseins oder des Urwillens oder auch des ewig sich selbst gebärenden Urgrundes oder des absoluten Werdens, des Allgemeinen und wie sonst noch die Reden gehen mögen, entgegentreten. Sollen wir auf das Unwissenschaftliche derartiger Phantasien erst noch besonders aufmerksam machen? Wer sich von ihnen imponiren lässt, erregt wenig Hoffnung, streng wissenschaftlichen Ueberlegungen zugänglich zu sein. Nicht viel besser ist die Meinung Anderer, welche zwar weniger zu jenen mystischen Selbstvertiefungen, mehr aber zum blossen Wortemachen aufgelegt sind. Da das Gewissen eine Seite des religiösen Bewusstseins ist, dieses aber auf einem angeborenen Gottesbewusstsein (sensus numinis) beruhet, so ist vor allen Dingen der Begriff Gottes zu verdeutlichen, um daraus das für das Gewissen absolut Gewisse abzuleiten. Zu diesem Behuf befriedigt man sich aber nicht damit, den heiligen Willen Gottes zu verdeutlichen, sondern gefällt sich darin die Persönlichkeit Gottes zu construiren, macht dessen Willen als solchen zum Gesetz und leitet aus der Macht das Recht und aus dem Streben nach Selbstbefriedigung die Güte ab.

Wird auf diese und ähnliche Weise die Lehre vom Gewissen in die Paroxismen einer am Spinozismus kranken theologischen

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