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als eine Verdeutlichung des betreffenden Verhältnisses im beurtheilenden Subjecte. Um die eigenthümliche Schönheit des Wohlwollens in's richtige Licht zu setzen, bedarf es des tiefen Schattens nicht, welchen das Uebelwollen neben ihm bildet. Sie leuchtet ein ohne allen Beweis.

Viertes Capitel.

Die Idee des Rechts.

§. 101.

Angenommen, es sei Jemand beseelt von der reinsten Güte, so ist dabei noch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass er mit den Willensbestrebungen anderer Personen in ein Verhältniss geräth, über welches sich ein entschiedenes Missfallen erhebt. Es kann nämlich geschehen, dass er bei Verfolgung einer ganz unschuldigen Absicht mit dem Willen einer andern Person, welche für sich dasselbe begehrt, in Conflict kommt. Nach der Weisung des Wohlwollens wird er zwar für sich resigniren und dem Andern das Begehrte gönnen; doch bedarf es nicht erst des Zurückgehens auf die Idee des Wohlwollens, um bei Wahrnehmung eines solchen Verhältnisses das Missfällige desselben zu vernehmen, mehr erregt schon der, wenn auch unabsichtlich herbeigeführte Widerstreit der Willen zweier Personen gegen einander ein eigenthümliches Missfallen. In der Absicht nun, des Missfallens am Streite halber ein solches Verhältniss zu beseitigen oder ihm vorzubeugen, beruhet die eigentliche sittliche Bedeutung des Rechts.

viel

Der Fortschritt in der Reihe der Willensverhältnisse ist der, dass wir jetzt von einer unmittelbaren Richtung des Willens einer Person auf den einer andern absehen und nur die Fälle einer mittelbaren Richtung des einen auf den andern, durch irgend eine

Sache, ins Auge fassen. Das Wollen ist dabei nicht mehr, wie es beim Wohlwollen der Fall sein kann, als Gesinnung im Innern der Person eingeschlossen, sondern wirklich zur That herausgetreten und greift vermittelst des Gegenstandes, welcher das Ziel seines Strebens ist, in das Wollen einer andern Person ein. Geschieht nun ein solcher Eingriff eines Willens in den andern unabsichtlich und zufällig, indem zwei Personen, ohne vorher von ihrer beiderseitigen Absicht zu wissen, an dem gemeinsamen Gegenstande ihres Wollens mit einander in Conflict gerathen, so führt dies auf die der Idee des Rechts zu Grunde liegenden Willensverhältnisse. Wirkt dagegen der Wille der einen Person absichtlich, entweder hemmend oder fördernd, durch irgend welches Mittel auf den Willen der andern Person ein, so bieten sich dadurch die der Idee der Vergeltung zu Grunde liegenden Willensverhältnisse dar. Beide Ideen haben das Gemeinsame, dass sie nicht auf einem ursprünglichen Beifall, sondern auf einem ursprünglichen Missfallen an gewissen Verhältnissen beruhen, und auf deren Abänderung hinweisen.

§. 102.

Denken wir uns nun zwei Personen, welche von ihrem beiderseitigen wirklichen Wollen noch nichts wissen, sondern erst dadurch Kunde davon bekommen, dass sie in dem gemeinsamen Objecte ihrer Begehrung zusammentreffen, so könnte dies Zusammentreffen der Art sein, dass beide Willen in Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks einander förderten. In diesem Falle träte nichts ein, wodurch eine Weisung nach der Idee des Rechts provocirt würde. Der eine Wille geht in den Zweck des andern ein, und wie angenehm dies auch erscheinen mag, so bietet ein solches zufällige Zusammentreffen noch kein ästhetisches Willensverhältniss dar. Ebenso wenig erzeugt der Umstand ein ästhetisches Gefallen oder Missfallen, wenn das gemeinsame Object beiderseitiger Willensbestrebungen der Art ist, dass jeder der beiden Willen darüber zur eigenen Genüge disponiren kann, ohne dadurch die Befriedigung des Andern irgendwie zu schmälern, wie

etwa beim Zusammentreffen zweier durstleidenden Menschen an einem Brunnen, welcher mehreren Personen zugleich zugänglich ist, oder beim Zusammentreffen zweier Personen auf einem Berggipfel, um die reine Bergluft und die weite Aussicht zu geniessen. Ist aber der Gegenstand des beiderseitigen Wollens der Art, dass der eine Wille darüber für sich nicht verfügen kann, ohne dabei dem andern Willen zuwider zu sein, muss er ihm die Erreichung des Gegenstandes seiner Begehrung soweit versagen, als er diesen selbst zum Ziel seines Strebens gemacht hat, so befinden sich beide Willensbestrebungen in Streit mit einander. Der Streit aber, als gegenseitige Negirung zweier Willen, missfällt absolut; er ist ein dissonirendes Willensverhältniss, bei welchem mit der Zeit nicht auszuhalten ist. Daher das Bedürfniss nach einer Beseitigung der Dissonanz durch bestimmte Dispositionen der in Streit gerathenen Willen über den Gegenstand ihres Streites, sofern nämlich der eine Wille nicht von selbst zurücktritt und das von ihm Begehrte dem Andern überlässt.

§. 103.

Um das eigentliche Missfallen am Streite klar und deutlich zu vernehmen, darf man bei der Vorstellung gegeneinander streitender Willensbestrebungen nicht solche Betrachtungen einfliessen lassen, wonach entweder das Missfällige desselben auf etwas Anderes bezogen wird, als auf das, worin es zu setzen ist, oder wonach sogar, statt des Missfallens, Urtheile des Beifalls sich erheben. Letzteres ist z. B. der Fall, wenn beim Streite auf die dabei zum Vorschein kommende Kraft oder Geschicklichkeit der Streitenden reflectirt wird; ersteres, wenn man blos auf den unangenehmen Eindruck achtet, welchen Jemand empfindet, wenn sein Wollen durch ein demselben entgegengesetztes einer anderen Person gehemmt wird. Ausserdem giebt es mancherlei Arten des Streites, welche mit beiderseitiger Uebereinstimmung der Streitenden, als Mittel für gemeinsame Zwecke, eingegangen werden, z. B. zur Messung und Stärkung der Kraft oder zur Förderung der Wahrheit. Das eben dabei sich noch regende Missfallen am Streite erfährt

dadurch eine besondere Dämpfung, wenn besondere Regeln, wonach der Streit zu führen ist, beobachtet und sogar mit einer gewissen Eleganz befolgt werden. Das Missfallen stellt sich aber augenblicklich ein, wenn der eine oder der andere der Streitenden von den vorgeschriebenen Regeln abgeht und wenn es klar wird, dass er seinen Willen um jeden Preis durchsetzen will, oder wenn überhaupt der Verdacht entsteht, Jemand suche den Streit um zu streiten, und verweigere es, sich derjenigen Entscheidung zu fügen, welche herbeizuführen der Streit eingegangen ist. So tritt z. B. bei wissenschaftlichen Streitigkeiten der Streit in seinem ganzen hässlichen Charakter auf, wenn er in Zänkerei ausartet; ganz abgesehen noch davon, wenn Jemand durch eine Art Faustrecht der Zunge oder durch dialektische Stärke seine Meinung dem Andern gegenüber geltend zu machen sucht, oder sich überhaupt in den Verdacht setzt, etwas als wahr ansehen lassen zu wollen, deshalb, weil er es gerade so will, während doch die endgültige Entscheidung über wahr und unwahr völlig unabhängig ist von dem Willen derer, die für oder gegen etwas streiten. - Wenn Christus sagt: ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert, so soll dadurch Kampf und Krieg nicht etwa heilig gesprochen werden, sondern es hat nur den Sinn, dass um der höchsten Güter willen ein Kampf mit dem Bösen und Verkehrten nicht gescheuet werden soll. Von jeher aber ist Gewalt und List als der Gegensatz von Recht aufgefasst, und von dem inneren Zwange, welcher durch Ueberredung oder noch besser durch Ueberzeugung ausgeübt wird, wohl unterschieden worden. Denn bei der Ueberredung will man seine Absicht oder seine Ueberzeugung dem Andern nicht als etwas ihm Fremdes, welchem er sich unbedingt fügen solle, aufdrängen, sondern man will ihm vielmehr nur die Gesichtspunkte darbieten, oder die Umstände verdeutlichen, vermöge deren er sich, nach seiner eigenen Einsicht oder Absicht, in gleicher Weise für oder gegen Etwas entscheiden muss.

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