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I. Elemente der Römischen Litteratur.

1. Die Ursprünge der Lateinischen Sprache sind als die Grundlage der ferneren litterarischen Bildung zuerst einer Betrachtung zu unterwerfen. Zwar hängt diese Untersuchung mit der verwickelten Frage über die Völkerzüge zusammen, aber da wenige dieser Völker sich erweislich dauernder Wohnsitze in Mittelitalien bemächtigten, und vielmehr die meisten der hieher gezogenen Namen entweder auf flüchtige Wanderungen (wie der Iberier) zurückgehen, oder ihren Bestand einzig in unhistorischen Hypothesen (wie in der Keltischen 95)) haben, so läfst sich die Geschichte der Sprache innerhalb engerer Grenzen begreifen. Als dieje nigen Nationen nun, welche sich entscheidenden Einfluss auf die Bildung des Lateins erwarben oder irgend in Berüh rungen damit traten, können nur die Pelasger, die Etrusker, die Osker und die Griechen in Unteritalien angesehen werden.

2. Keins unter allen diesen Völkern eignet sich einen so hohen Grad von Sicherheit und Wichtigkeit für Latiums ältesten Kulturzustand an als die vielbesprochenen Pelasger. Eine bedeutende, fast anerkannte Fabelsage, die Tradition von Buchstabenschrift und von Griechischen und fremdartigen Religionsweisen, die ungeheuren Mauerwerke und Substruktionen in kyklopischer Baukunst dürfen als vorzügliche Gewähr ihrer uralten Italischen Ansiedelungen gelten. Doch sind hier allein die Tyrrhenischen Pelasger, die Thurmund Städtebauer gemeint, welche nach aller Wahrscheinlichkeit von der Landseite durch Epirus und Illyrien eingedrungen theils namhafte Küstenstädte (Spina) an beiden Meeren anlegten, theils im Inneren des Landes sich festsetzten, und im Lauf der Zeit von späteren Ankömmlingen, wie von Etruskern überwältigt wurden; nicht aber die sogenannten Arkadischen Pelasger oder Oenotrer in Süditalien, deren Existenz vermuthlich nur auf den genealogischen Kombinationen der Alexandrinischen Chronologen beruht,

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93) Weitläuftig sind die konjekturreichen Versuche von Pezron, Pelloutier, Fortia d'Urban und mehreren Französischen Akademikern, und auch Leibnitz berührt zuweilen diese Meinung, wie in den Gedanken wegen Verbesserung der Teutschen Sprache §. 43. und weiln Welschland seine ältesten Einwohner nicht zur See, sondern zu Lande, nemlich von den Teutschen und Celtischen Völkern über die Alpen herbekommen, so folget dafs die Lateinische Sprache denen uralten. Teutschen ein Grofses schuldig, wie sichs auch in der That befindet." gessen hat man schon I. L. Prasche de origine Germanica L. L. Ratisbon. 1686. 4. Allgemeiner Schöpflin Vindiciae Celticae, Argentor. 1754. 4.

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und die nirgend in geschichtliche oder litterarische Denkmäler eingreifen 94). Die Richtung, welche jene Pelasger durch das nördliche Italien hin verfolgten, deutet auch die unverwerfliche Sage an, welche ihnen als frühere Heimat Thessalien anwies 95); ihre Wanderung würde jedoch in einem klareren Zusammenhang erscheinen, wenn die Berührungen der Epirotischen Graeci (Graii), von denen die Rōmer Anlass nahmen sämmtliche Griechen zu benennen, in weniger oberflächlichen und fragmentarischen Angaben enthalten wären. Nun fanden sich die Pelasger in festen Wohnsitzen von Latium, wie es scheint, als Gründer von Städten und Vesten vor, bald aber vermischten sie sich mit unsteten Völkerschaften, deren Lebensart Krieg und Jagd gebildet haben sollen "), für die ältere Zeit Aborigines oder Casci geheifsen, dann nach Fortdrängung der Sikeler und kleinerer Stämme unter den Namen der Latini befafst, deren Sprachidiom und Nationalsagen mit den Pelasgischen zur unauflöslichen Einheit verwüchsen. Einen Beweis geben die Mythen von Euander und Carmenta, welche gleichsam als ein Arkadisch - Pelasgischer Bestandtheil individualisirt

94) Als die erste Autorität gilt hier der Genealog Pherecydes, dessen Worte bei Dionys. Α. R. I, 13. (καὶ Οίνωτρος, ἀφ ̓ οὗ Οι νωτροι καλέονται οἱ ἐν Ἰταλίῃ οἰκέοντες· καὶ Πευκέτιος, ἀφ ̓ οὗ Πευκέτιοι καλέονται οἱ ἐν τῷ Ἰονίῳ κόλπῳ) in einer solchen Ueberlieferung eben den gewohnten Gang Griechischer Nomenklatur gehen. Da nun aber diese vermeinten Pelasger im südlichen Italien erst mit den Namen des Diomedes und seiner Zeitgenossen einen geschichtlichen Bestand gewinnen, so bedarf es auch der Auskunft nicht, die Niebuhr Römische Gesch. 2. Ausg. I. S. 48. 49. gewählt hat, um durch das Mittelglied der Sikelier die Pelasgischen Tyrrhener und Oenotrer zu einem Stamme zu vereinigen.

95) So bei Strabo und anderen, früher bei Hellanicus (Dionys. A. R. I, 28.), der nur dadurch zum Widerspruch Anlafs geben konnte, dafs er aus Unkunde historischer Kritik das Gemisch verschiedener Sagen gleichgültig zum schlichten Ganzen verschmolz.

96) Die anziehende Beobachtung Niebuhrs (a. a. O. S. 82.), dass die Wörter, welche Ackerbau und sanftere Lebensart bezeichnen, im Griechischen und Lateinischen übereinstimmen, die Gegenstände des Krieges und der Jagd hingegen durchaus ungriechisches Gepräge haben, verdient fernere Untersuchung und Entwicklung. Aber die kleine Zahl von Wörtern, die aus den Siciliern Sophron und Epicharmus angeführt werden und hei der gegenwärtigen Dunkelheit des Dorischen Dialekts auf Sicilien und in Unteritalien nur im Latein anzutreffen sind, wird man nicht wagen mit Müller (die Etrusker I. S. 12. 13.) auf die verschollenen Sikelier, die von Latium bis in jene Gegenden herabgedrängt wurden, unmittelbar zurückzuführen; schon aus dem Grunde nicht, weil sie Bezeichnungen von lauter künstlichen (wie uoitov mutuum, næráva patina) oder fremdartigen Begriffen geben, welche doch wol erst die Römer von den gebildeten Griechen empfingen.

und mit künstlicher Absonderung in die altlatinische Fabel verflochten sind, aber auf ihren reinen Gehalt zurückgeführt nur die gemeinsame Bedeutung des Aboriginischen Faunus und verwandter Naturgottheiten bestätigen und zur ächten Hier tritt Latinischen Abstammung sich zurück wenden.

folglich die erste Scheidung in der Redeform ein. Die Pelasger nemlich, die frühesten Bewohner Griechenlands, welche das rohe halbbarbarische Urgriechisch sprachen und daher mit den nächst folgenden Hellenen in Nationalität und Sprache vollständig verschmelzen konnten, brachten nach Latium mit überwiegender Geltung diejenige Masse von Wurzelwörtern und charakteristischen Formationen, welche den wesentlichen Grund des Griechischen, Lateinischen, Germanischen und überhaupt der sogenannten Sanskritsprachen bilden, oder sie führten (nach Römischer Benennung) den Aeolischen Dialekt 97) mit sich; eine mässige Wörterzahl verdankte man den Mittheilungen Italischer Völker, und auch diese wurde langsam im Lauf von Jahrhunderten und in ungleicher Schätzung erworben.

3. Als den wesentlichen Bestand der Lateinischen Spra→ che bewährt sich also nach allen Seiten hin das Urgriechische (das Achäische Idiom), dem der Mangel einer gebildeten Litteratur während langer Zeiträume, die Kindheit des grammatischen Unterrichts und der wissenschaftlichen Lehre, und die geringe Berührung mit den Griechen eine höhere Reinheit und Einfalt sicherten. Den ersten Beweis leistet die Buchstabenschrift, welche Euander und Carmenta von Arkadien hergebracht haben sollten, in Zeichen und äusserem Umfang wie in innerem Gehalt wenig über das ursprüngliche Kadmeische Alphabet hinausgeführt. Sogleich der Name 97) Dionys. Α. R. I, 90. Ρωμαῖοι δὲ φωνὴν μὲν οὔτ ̓ ἄκραν βάρβα ρον, οὐδ ̓ ἀπηρτισμένως Ελλάδα φθέγγονται, μικτὴν δέ τινα ἐξ ἀμε φοῖν, ἧς ἐστιν ἡ πλείων Αιολίς· τοῦτο μόνον ἀπολαύσαντες ἐκ τῶν πολλῶν ἐπιμίξεων, τὸ μὴ πᾶσι τοῖς φθόγγοις ὀρθοεπεῖν. Quintil. I, 6, 31. sive illa ex Graecis orta tractemus, quae sunt plurima, praecipueque Aeolica ratione, cui est sermo noster simillimus, declinata. So nach Cato und Varro Io. Lydus de magistr. Rom. Der Ausdruck Aeo1, 5. II, 18. cf. Terentian. Maur. 649.

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lica ratio stützte sich wie der andere vom Digamma gebrauchte, Aeolica littera, sicher nur auf die Vergleichung mit dem damals vorhandenen Aeolischen Dialekt, wie vollends in der Beurtheilung Aeolischer Sitten Athen. X. p. 425. A. (καὶ παρὰ Ρωμαίοις δὲ οἱ εὐγενέστατοι τῶν παίδων τὴν λειτουργίαν ταύτην ἐκτελοῦσιν ἐν ταῖς δημοτελέσι τῶν θυσιῶν, πάντα τοὺς Αιολεῖς μιμούμενοι, ὡς καὶ κατὰ τοὺς τόνους τῆς φωνῆς) darthut; weshalb die Erneuerung desselben Namens auch für neuere umfassende Forschung, wie wenn Hemsterhuis geahnt haben soll, totam fere Latinam Den Rö linguam ab Aeolica fluxisse, nicht statthaft scheint.

mern selbst schwebte hierüber keine feste Tradition vor, und ihre Untersuchungen (wie des Cloatius Verus Werk verborum a Graecis tractorum bei Gell. XVI, 12.) waren kleinlich.

litterae und das später vom Inbegriff der Schriftzüge gebrauchte litteratura deutet nicht auf das Eingraben in Stein, sondern auf das Material der libri lintei, die hier vor Alters am meisten gangbar waren 98). Dieser Sitte schlofs sich die Gestalt der Buchstaben an, welche nicht geradlinige Formen wie für den Meifsel, sondern runde und dem Auge minder gefällige Umrisse darbot; die Pelasgisch-Lateinischen Züge hielten die Mitte zwischen den Etruskischen, welche mit orientalischen Archaismen stark versetzt waren, und den Hellenischen, worin das Recht Europäischer Bildungsweise beim steigenden Gefühle für sinnliche Schönheit vorherrschte 99). Das Alter des Lateinischen Alphabets bezeugt nun zuerst die Stellung, welche seine Buchstaben ziemlich treu der Phönizischen Ueberlieferung einnehmen (sichtbar an C, F, Q, auch ist H nur durch jüngere Aenderungen umgeworfen), dann das Gepräge derselben, das mit alten Griechischen Monumenten in vielfacher Uebereinstimmung steht (namentlich von B, G oder C, D, F, H, L, R, Q, S, V, X bekannt oder erweisbar), endlich der Werth der Charaktere. Darin aber weichen die Lateiner wenig von den Aeoliern ab, sowohl in Hinsicht auf Aussprache 1 als in positiver Behandlung der Laute. Hierher gehört unter anderem die Anwendung des F oder des Digamma, und des trüben Lautes o, der zu u und ou herüber schwankte, die Beseitigung der Diphthongen ai und oi (wie bei den Böo

98) Cf. Voss. Aristarch. I, 38.

99) Die grammatischen Fragen und Parallelen mit Griechischen Buchstaben, die Quintil. I, 4. behandelt, deuten neben der aufserlichen Empirie eine geringe Bekanntschaft an mit den Urformen und ihrer tieferen Geltung und Nothwendigkeit. Um so weniger wird man verwundert sein über den einsylbigen Beweis bei Plin. VII, 58. Veteres Graecas fuisse easdem paene, quae nunc sunt Latinae, indicio erit Delphica tabula antiqui aeris, quae est hodie in Palatio, dono principum Minervae dicata in bibliotheca, cum inscriptione tali, Ναυσικράτης Τισαμενοῦ ̓Αθηναῖος ἀνέθηκεν. Von der Säule des Servius Tullius Dionys. A. R. IV, 26. roaμμάτων ἔχουσα χαρακτήρας Ἑλληνικῶν, οἷς τὸ παλαιὸν ἡ Ἑλλὰς ἐχρῶτο. Aber es mufs auffallen, dafs Schneider der wahren Behauptung des Marius Victorinus, die Lateinische Schrift habe mit der Griechischen ehemals 16 Buchstaben gemeinschaftlich gehabt, keinen Glauben beimifst und sie als unfruchtbar beseitigt, während doch gerade auf dieser Annahme die folgerechte und wissenschaftliche Behandlung dieses Punktes beruht. Nur darin fehlt Victorinus oder sein Gewährsmann, dass er K statt des Ferwähnt. Hingegen fällt in beiden Alphabeten alles, was auf T folgt, einer späteren Schriftbildung zu, denn Ventstand durch die Entwicklung des Fund O, X aber, das wirklich für die Aussprache (Oilížŋs, Uluxe) alt genug war, tritt auf Lateinischen Denkmälern erst in jüngerer Zeit auf, als die Griechen es längst in Umlauf gesetzt hatten.

100) G. F. Thryllitsch pronunciationem Latinam ex Aeolica repetendam esse explicandamque, Viteb. 1709. 4.

tern), die nur in der Orthographie zum Vorschein kamen, der Hang zur gelinden Aspiration, bis das Eindringen des sermo rusticus zum gehäuften h führte, ferner der längere Gebrauch einfacher Konsonanten statt der Verdoppelung 101), welcher die flüchtige Verskunst der Komiker begünstigte und gerade die Lateinische Rechtschreibung mit vielem Schwanken erfüllt hat. Noch bedeutsamer ist die Analogie der Flexion, in Deklinationen (besonders in der Gestalt der dritten, in rauhen Endungen und in der Kasusbildung, im Ausfall des Dualis 102), in der Identität der Deklinationen selbst) und den Pronomina wie in den Verben, deren Formation auf ein einfaches Konjugations-System ohne Mannichfaltigkeit der Tempora und Modi zurückgeht 103); wobei das ächtitalischer eine ganz individuelle Vermittlung abgab, indem es in die Bildung der Kasus und einen grofsen Theil der Verbal-Flexion (zuweilen mit s wechselnd) einging; nächst ihm auch das dem Digamma verwandte u.

4. Es läfst sich nicht bezweifeln, dafs der Griechische Fundamental-Gehalt der Lateinischen Sprache durch ein ungriechisches Element in beträchtlichem Masse gefärbt sei; doch wie die Auflösung desselben durch die mangelhafte und dunkle Ueberlieferung der Nachrichten und etwanigen Denkmäler gänzlich vereitelt wird, so vermag man selbst die Grundzüge gewisser Einwirkungen eher zu ahnen als in einem sicheren Bestande von Thatsachen zusammenzufassen. Mittelitalische Völkerschaften waren deutlich mit den Römern durch sprachliche Mittheilungen verbunden, aber die politische Vernichtung, die von Sulla und Augustus vollendet wurde, versetzte die bestehenden Sagen und Monumente, welche sich auf öffentliche Verhandlungen und religiöse Sitte bezogen, in den entschiedensten Zustand der Unscheinbarkeit. Die nahen Sabiner, deren Dialekt durch einen weitläuftigen Landstrich sich erstreckte, besafsen keine Litteratur, und die gelehrten Römer wussten nur von

101) Festus v. solitaurilia: antiqua consuetudine per unum I enunciari non est mirum, quia nulla tunc geminabatur littera in scribendo, quam consuetudinem Ennius mutavisse fertur, utpote Graecus Graeco more usus, quod illi aeque scribentes ac legentes duplicabant mutas et semi (vocales et liquidas).

102) Aufser anderen Choeroboscus p. 1184. idoù yàọ oi Alokeïs οὐκ ἔχουσι δυϊκά, ὅθεν οὐδὲ οἱ Ρωμαῖοι, ἄποικοι ὄντες τῶν Αἰολέων, κέχρηνται τῷ δυϊκῷ ἀριθμῷ.

103) Eine seltsame Erscheinung ist die Form des Lateinischen Subjunktivs, der, sowenig auch das Verbum dieser Sprache von der Flexion besitzt, sichtbar das Gepräge des Griechischen Optativs hat, durch am, em, im in abgeschliffenenen Endungen ausgeführt; man betrachte neben anderem edim, sponsis, vindicit, faxim, amassim, zugleich mit der völlig optativen Bedeutung gewisser Formen, die schon bei Gell. XVIII, 2. als Problem behandelt ist.

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