Page images
PDF
EPUB

freiem Blick in die Gesetze und Mängel der philologischen Methode, mit durchdringendem Scharfsinn und dem Talent glücklicher Beobachtung, und mit einer dialektischen Strenge und Gewandtheit, welche die verborgenen Gebrechen über die Grenzen der gründlichsten Analyse hinaus verfolgte und eine konsequente, selbst einseitige Sophistik zum Schaden der rhetorisch-ästhetischen Betrachtung ausbildete. Sein Horaz, der die Tiefen eines allgewaltigen Genies im wunderbarsten Glanz entfaltete, deutet diejenige Epoche der Kritik und divinatorischen Forschung an, welcher die Fülle grammatischer Gelehrsamkeit als Elementarboden und eine blofse Voraussetzung dient, um nach der unwandelbaren Regel des Verstandes die litterarischen Produktionen als durchdachte Kunstschöpfungen zu beurtheilen, und in die besonderen Fälle hinein mit den Waffen geläuterter Wissenschaft zu durchmessen: wodurch nicht nur den Forderungen der Disziplin genügt, sondern auch ein neues Feld humaner Geistesentwicklung und Thätigkeit des Denkens eröffnet sein sollte. Ihn wollte ler. Markland (geb. 1692. gest. 1776.) nachahmen, doch ohne Bentleys sicheres Bewusstsein und die Leichtigkeit des kritischen Verfahrens zu besitzen, statt deren ihm die Kühnheit eines verwegenen Spieles in willkührlicher Anwendung von phantastischen Witzblicken gefiel; obgleich er an Klarheit und feiner Kenntnifs nicht geringer stand. Neben den Engländern und durch ihr Beispiel geweckt betraten die Deutschen den selbständigen Weg, und verbanden eine lebendige Gesammtanschauung des Alterthums mit der umfassenden und auf Grundsätze gebauten Behandlung der Autoren. Nicht bedeutend, obgleich von unverächtlichem Erfolge waren die Bemühungen des für Popularität des Wissens geschäftigen Chr. Cellarius und des belesenen Latinisten Chr. Gottl. Schwarz; desto dauernder wirkten die beiden gefeierten Lehrer Deutschlands ein, Io. M. Gesner und Io. Aug. Ernesti, jener der durch die Mannichfaltigkeit seiner Kenntnisse und die geistvolle Anmuth einer nirgend einseitigen Auffassung, doch nicht hinlänglich durch tiefe und beharrliche Genauigkeit unterstützt wurde, mehr zum Ausleger als Kritiker bestimmt; Ernesti hingegen der schon durch den weiteren Umfang seiner Vorträge der tüchtigen und geregelten Methode Verbreitung und sichere Geltung beilegen konnte, wie er durch den schönen Flufs eigener Komposition zu fruchtbaren Wahrnehmungen unmittelbarer führt wurde, brachte die Beständigkeit der Kritik mit den Reichthümern einer gediegenen Erklärungskunst in besseren Einklang, obgleich er weder erschöpft noch vom Mechanismus gebieterischer Observation abgeht. Nach diesen Vorgängern haben Heyne, Wolf und andere die Rück

ge

sicht auf das Ganze eines lebendigen Sprachkörpers und auf die besonderen Verhältnisse wohl organisirter und historisch überlieferter Formen der Darstellung nach ihren diplomatischen, materiellen und ästhetischen Richtungen hin, jeder durch den Trieb seiner Zeit und Persönlichkeit bedingt und aufser einer gleichmässigen Uebereinstimmung, zu ermitteln und in einer gewissen Reinheit und Vollkommenbeit herzustellen versucht. Ueber Ziel und Methodik kann ein wesentlicher Zweifel, den die Verschiedenheit etwaniger Schulen hervorriefe, nicht weiter obwalten; sollten auch Uebertreibungen in kritischer Einförmigkeit oder zwecklose Kompilationen den Schein eines Rückschrittes zeigen.

6. Geschichten der Römischen Litteratur. Die Geschichtwerke, welche die Schicksale dieser Litteratur und ihrer Autoren berichten, haben mit der bisherigen Behandlung der Lateinischen Studien ziemlich gleichen Schritt gehalten, und Biographieen sammt bibliographischen Erwähnungen, die äufserliche jedem zugängliche Substanz des Litterargebietes, statt einer innerlich zusammenhängenden Entwicklung in allen ihren Beziehungen geboten. Was die Römer selbst in dieser Hinsicht besafsen, sogar schon seit Attius Zeit, hatte für sie gröfstentheils einen praktischen Werth, vorzugsweise im Geschäft der öffentlichen Beredsamkeit (Cic., Quintil., Dial. de Oratt.), welche mindestens zur Erlernung und Erweiterung der rhetorischen Technik einer Uebersicht der berühmtesten Methoden und zugleich einer Beurtheilung der Meisterwerke bedurfte; den Erinnerungen an Dichter, dergleichen Varro und nächstfolgende Schriftsteller gaben,- kam nicht dasselbe Bedürfnifs zu; mit der Kaiserzeit mehrten sich die litterarischen Miszellaneen, zumal als Kommentare zu den Klassikern häufiger wurden, wie von Hyginus (der muthmafslichen Quelle des Hieronymus in der Eusebischen Chronik, deren Notizen für Römische Litteratur bis zur Mitte des ersten Jahrhunderts reichen), von Suetonius (in den ehemals vollständigeren Geschichtbüchern über Dichter, Grammatiker und Rhetoren) und von fleifsigen Sammlern, worunter Gellius; eine mittelbare Bedeutung eignen sich Cicero, beide Pli-nius, Seneca Vater und Sohn, Fronto, Ausonius, Symmachus, Sidonius als Gewährsmänner für das gleichzeitige Wirken in der Litteratur an.

Die neueren Darstellungen theilen sich sowohl in litterar-historische Nachweisungen über die herübergekommenen Monumente, als in linguistische Auseinandersetzungen der Lateinischen Sprache, von denen aber noch keine ihren Zweck in erträglichem Mafse erfüllt, da die Mehrzahl von beiden sich zur früheren Form hinneigt, die anderen auf, praktische Anwendungen bedacht sind.

[ocr errors]

Litterar-historische Darstellungen. Den Beginn derselben macht I. A. Fabricius (geb. 1668. gest. 1736.), Bibliotheca Latina, Hamb. 1697. 8. im bibliographischen Mechanismus; durch eine fünfte Ausgabe auf 3 Voll. gebracht, wonach die bequemere Anordung ed. Venet. 1728. II. 4. vervollständigt durch I. A. Ernesti, Lips, 1773. III. 8. Als Fortsetzung Fabricii Biblioth. Lat. mediae et infimae aetatis, Hamb. 1734-36. V. 8. vol. VI. ed. Chr. Schöttgen, ib. 1746. vervollständigt durch lo. Dom. Mansi, Patav. 1754. VI. 4. Als Ergänzungen für die Lateinische Patristik, theils auf Inhalt, theils auf äufsere Geschichte bezüglich: I. G. A. Oelrichs commentarii de scriptoribus ecclesiae Lat. priorum sex saec. Lips. 1791. 8. C. T. G. Schönemann bibliotheca historicolitteraria patrum Latt. a Tertulliano principe usque ad Gregorium M. et Isidorum, Lips. 1792, 94. II. 8. unvollendet. Ausführlich sind von lo. Nic. Funccius die Litteraturperioden mit ungleichem Sammelfleifs und in ungefügiger Zeitfolge behandelt, Marburg 1720-1750. als ein Ganzes treten zusammen de origine et pueritia L. L., de adolescentia bis auf Cicero, de virili aetate bis auf Augustus Tod, de imminenti L. L. senectute bis zum Hadrian, de vegeta L. L. senectute bis zum J. 410., de inerti et decrepita L. L. senectute bis auf Karls des Gr. Tod. Notizenbücher: G. Eph. Müller hist. krit. Einleitung zu nöthiger Kenntnifs und nützlichem Gebrauch der alten L. Schriftst. Dresd. 1747–1751. V. 8. In den ersten Theilen Gir. Tiraboschi storia della letteratura italiana, Modena 1771-1795. XIV. 4. und sonst; Auszug von C. I. Iagemann, die Geschichte der freien Künste u. Wiss. in Italien, Lpz. 1777-1780. III. 8. Des thätigen Bibliographen G. Chr. Harles introductio in historiam L. L. Brem. 1764. 8. ausgedehnt zur brevior notitia litteraturae Rom. L. 1789. mit zwei Supplementbden 1799. 1801. davon ein Auszug, L. 1803. mit Supplem. von Klügling, L. 1817. nicht fortgesetzt introductio in notitiam litter. Ro. Norib. 1781. In geringen Umlauf sind die Französische Darstellung von Fr. Schöll und die Englische von lo. Dunlop gekommen. Nach Gattungen klassifizirt das Handbuch von Chr. F. Bähr, Gesch. der Röm. Lit. Carlsruhe 1828. 8.

Von Grundrissen sind zu erwähnen des zu wenig beachteten Chr. Falster Quaestiones Romanae, Lips. 1718. 8. mit dem Anhang der Memoriae obscurae ib. 1719. erweitert 1722. F. A. Wolf Gesch. der R. Litt., ein Leitfaden für akad. Vorles. Halle 1787. wovon in der Vorrede; ausgeführter in demselben Plan Fr. Passow Grund

züge der Gr. und R. Litteratur- und Kunstgeschichte, 2. Aufl. Berl. 1829. 4.

Schilderungen sind über viele umfassendere Werke zur ästhetischen oder praktischen Nutzung mehrfach verstreut; früher in zwei Büchern von Iul. Caes. Scaligers Poetice; hier zu merken le Moine Betrachtungen über den Ursprung und Wachsthum der schönen Wiss. bei den R., aus dem Franz. übers. v. Stockhausen, Hannov. 1755. 8. I. H. Eberhardt von den Schicksalen der schön. Wiss. b. den R., aus dem Schwed. übers. Altona 1801. 8. Abhandl. in I. C. Manso vermischten Abh. und Aufsätzen, Breslau 1821. 8. (Anm. 15.)

Die Geschichte der Uebersetzungen von Römern noch dürftig: Degen Litterat. der Deutschen Uebersetz. der R. Altenb. 1794, 95. II. 8. mit 2 Suppl. Brüggemann view of the english editions, translations and illustrations of the ancient Greek and Latin authors, Stettin 1797. Ergänzungsband 1801. Paitoni biblioteca degli autori antichi gr. e lat. volgarizzati, Venez. 1766. 4. mehrere voll. Dazu die Verzeichnisse der Bipontinae und einiger grōfseren Ausgaben.

Die vorgeblichen Geschichten der Lateinischen Sprache sind gröfstentheils der gebührenden Vergessenheit anheim gefallen, und ihre grofse Anzahl scheint die Aufgabe wenig gefördert zu haben. So zuerst Melchior In chofer historia sacrae Latinitatis, 1638. *Chr. Daum de causis amissarum quarundam L. L. radicum, 1642. aufgenommen in I. G. Graevii Syntagma variarum dissertatt. Ultrai. 1701. 4. Chr. Cellarii diss. de fatis L. L. in seinen diss. acad. Lexikalisch in Polemik gegen Cellarius Ol. Borrichius cogitationes de variis L. L. aetatibus, Hafn. 1675. 4. dazu Analecta ad cogitatt. 1682. und Andr. Borr. de fatis et aetatibus variis L. L. Wundersame Abh. v. Iac. Facciolati de ortu, interitu et instauratione L. L. vereinigt mit dessen oratt. X. de optimis studiis, nachgedruckt Lips. 1725. 8. brauchbarer ist die Nomenklatur des Noltenius, Quattuor L. L. aetates angehängt dessen Lexicon L. L. antibarbarum. *I. Ge. Walch hist. critica L.L. Lips. 1716. ed. alt. 1729. tert. 1761. 8. Nahmmacher Einleitung zur krit. Kennt→ nifs der Lat. Spr. Lpz. 1768. 8. Einzelnes: Meiners Geschichte des Verfalls der Römer, K. 9. Krebs de L. L. ante et post Carolum M. corruptae exemplis et causis, Magdeb. 1682. 4. I. Oberlin de L. L. medii aevi mira barbaric, Argent. 1771. 4.

ERSTER ABSCHNITT.

Innere Geschichte der Römischen
Litteratur.

Die innere Litterargeschichte, die den Gang der litterarischen Kultur und Produktivität gleichsam in einer körperlichen Existenz durch die verschiedenen Zeitalter eines lebendigen Wirkens hin verfolgt und durchmisst, ist an natürliche Momente des Fortschreitens und charakteristische Differenzen von Epochen geknüpft. Solcher bieten sich für die Römische Litteratur drei wesentliche Abschnitte und Perioden dar, welche diesseits von einem vorbereitenden, jenseits von einem supplementarischen, gewissermassen nachträglichen Zeitraum eingefafst werden. Denn allen diesen Litterature pochen liegt die unentwickelte Folge von fünf Jahrhunderten vorauf, welche die blofsen Elemente künftiger Darstellung begreifen. Hiernach die erste Periode von Livius Andronicus bis auf Augustus Tod (514. U. C. bis 767. 240. a. C. 14. p. C.), worin die drei sichtbaren Ausdrücke der fortschreitenden republikanischen Litteratur, der schriftstellerische Archaismus, die Blüte der Ciceronianischen Zeit und die künstlerische Poesie, nirgend eine Absonderung gestatten, obgleich man die beiden letzten Abtheilungen als das goldene Zeitalter bezeichnet. Die zweite Periode von Tiberius bis zum Tode Marcus Aurelius des Philosophen (767-933. 14-180. p. C.), die monarchische, auch die silberne genannt. Die dritte findet ein angemessenes Ziel bei der völligen Vernichtung der lebendigen Schriftsprache durch die Festsetzung des vulgāren oder bäuerischen Lateins um die Gothische Zeit des Cassiodorus, gegen 500. p. C. hin. Daran reihen sich als Anhang diejenigen Hervorbringungen des Mittelalters, welche sich auf ein Studium der alten Latinität stützen und gleichsam den Faden andeuten, an dem die Fortpflanzung der Lateinischen Denkmäler bis auf Petrarcha herab in den Grundzügen erkannt wird.

« PreviousContinue »