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die Prosa, wenngleich nicht vielseitiger gestaltet, doch mit gediegener Selbständigkeit und Klarheit ausgestattet, in zwei Hauptgattungen einen Reichthum der Kunst und formalen Trefflichkeit, der das Gepräge klassischer Bedeutsamkeit mit den Forderungen nationaler Eigenthümlichkeit verband; ähnlich gelang es auf dem Felde der systematischen Anordnung eines positiven Stoffes; nur diejenigen praktischen Disziplinen, welche durchaus in wissenschaftlicher Berechnung und Erforschung, im spekulativen Talente der Erfindung vurzeln, überschritten niemals die Stufe der Mittelmässigkeit.

I. Geschichte der Römischen Poesie.

Allgemeiner Ueberblick.

Hülfsmittel: Lilius Greg. Gyraldus historia poetarum tam Graecorum quam Latinorum, Basil. 1545. Opp. T. II. LB. 1696. f. Petrus Crinitus de poetis Latinis, Florent, 1505. Opusc. ed. LB. 1561. 12. G. I. Vossius de vett. poetarum temporibus, Amst. 1654. 4. Opp. T. III. Olaus Borrichius de poetis, Hafn. 1676. 4. Crusius lives of the Roman poets, Lond. 1726. II. Deutsch von Schmid, Halle 1777. (Iacobs) Abrifs der Gesch. d. Röm. Poesie, in den Nachtr. zu Sulzers Theorie Th. I.

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Fragmenta vett. poetarum Latinorum collecta a R. et H. Stephanis, Par. 1564. 8. Corpus omnium vett, poett. Latt. Genev. 1611. II. 4. Opera et fragmenta vett, poett. Latt., profanorum et ecclesiasticorum, Lond. 1713. II. f. Collectio Pisaurensis omnium poett. 1766. VI. 4. und ähnliche Sammlungen ohne kritische Vorzüge.

Die Römische Poesie war bis zum zweiten Punischen Kriege (s. Porcius Licinius in Anm. 136.) mittelst des Saturnischen Versmafses der regellose Ausdruck heiliger Festgesänge, begeisterter Natursänger (ähnlich dem Cn. Marcius und den heimischen Sibyllen, vgl. Anm. 115.) und scherzhafter Spottreden in Fescennischer Weise. Nicht

quenter tamen apud Asinium etiam et caeteros, qui sunt proximi, vidimus Ennii, Attii, Pacuvii, Lucilii, Terentii, Caecilii et aliorum inseri versus, summa non eruditionis modo gratia, sed etiam iucunditatis; cum poeticis voluptatibus aures a forensi asperitate respirent. Quibus accedit non mediocris utilitas, cum sententiis corum velut quibusdam testimoniis quae proposuere confirment. Wie merkwürdig ist auch diese Abweichung von den Griechen, den begeisterten Zöglingen der Poesie, bei denen ein solches Zusammenfliefsen von rednerischer und dichterischer Kunst erst Lykurgus und Aeschines, nicht eben zum Gewinn ihrer Form, hervorbrachten.

wunderbar ist es also, dafs eine solche Dichtung, welcher ein rhythmisches Element und das Bewusstsein erhabener Lebensweisheit mangelte, selbst der bezeichnenden Namen, vergleichbar den Griechischen лоiv und nоinois, entbehrte, und neben den fremden Wörtern nichts als die alterthümlichen Ueberbleibsel vates und carmen besafs 265). Ennius, der zuerst der Poesie bei den Römern eine populäre Geltung verschaffte, machte sie vertraut mit der Vorstellung, dafs den Dichtern eine göttliche Weihe und Begünstigung beiwohne, wozu die verjährte Meinung vom furor divinus beitrug; doch ohne die Tiefe der geistigen Wechselwirkung hervorzubringen 266). Selbst die volksthümlichen Dramatiker, deren Erzeugnisse durch den Reiz des Objektes und die scenische Kunst um Ciceros Zeit ein empfängliches Publikum fesselten (Anm. 47.), konnten auf Beherrschung und Erhebung des zeitmässigen Geschmacks keinen Anspruch ma

265) Carmen als Andeutung jeder liturgischen Formel oder einer kurzen gnomischen Lehre gefafst (wie wenn unter anderen Seneca Ep. 98. als carmen fortius ac iustius das schlichte dii melius hingiebt) verräth wie kein Griechisches Wort die dürftigen Anklänge von rhythmischen Versuchen. Den Sinn der fremdtönenden Bezeichnungen poema und poesis trug den Römera nächst Lucilius am einfachsten Varro vor ap. Non. v. poema: Poema est léžis ěvovýμos, id est, verba plura modice in quandam coniecta formam. Itaque etiam δίστιχον ἐπιγραμμάτιον vocant poerna. Poesis est perpetuum argumentum ex rhythmis, ut Ilias Homeri et Annales Enni. Wie späterhin vates beurtheilt wurde, zeigt Dial. de Oratt. 9. egregium poetam, vel si hoc honorificentius est, praeclarissimum valem. Welchen Rang im sechsten Jahrhunderte die Dichter einnahmen, dies bestimmt sich mit hoher Anschaulichkeit theils aus Festus v. scribas: scr. proprio nomine antiqui et librarios et poctas vocabant. Itaque cum Livius Andronicus bello Punico secundo scripsisset carmen, quod a virginibus est cantatum, publice attributa est in Aventino aedis Minervae, in qua liceret scribis histrionibusque consistere, ac dona ponere in honorem Livii, quia is et scribebat fabulas et agebat. Dann aus den Aeufserungen Catos. Or. ap. Gell. XI, 2. poeticae artis honos non erat; si qui in ea re studebat, aut sese ad convivia applicabat, grassator vocabatur. Cic. Tusc. I, 2. honorem tamen huic generi non fuisse, declarat oratio Catonis, in qua obiecit ut probrum M. Nobiliori, quod is in provinciam poetas duxisset. Der gehässige Plural, gebraucht wie in Hor. Serm. I, 4,33. läfst für die ursprüngliche Geltung des poeta einen tieferen Sinn ahnen, der im ehrenrührigen Schmähwort desselben Cato (ap. Fest. v. spatiatorem), spatiatorem atque Fescenninum, durchschimmert. Vgl. Anm. 113. 266) Cic. p. Arch. 8. Atqui sic a summis hominibus eruditissimisque accepimus, caeterarum rerum studiu et doctrina et praeceptis et arte constare, poetam natura ipsa valere et mentis viribus excitari, et quasi divino quodam spirita inflari. Quare suo iure noster ille Ennius sanctos appellat poetas, quod quasi deorum aliquo dono atque munere commendati nobis esse videantur. Vom Glauben an einen natürlichen Enthusiasmus der Dichter s. Dav. ad Cic. Divin. I, 87. Tusc. I, 33.

chen 267), schon weil sie nur an einer sehr bedingten Meisterschaft Antheil hatten. So lässt sich begreifen, wie die vier poetischen Gattungen der Römischen Republik, worin die politische Denkweise und Geselligkeit einer gedrungenen Aristokratie dargelegt wurde, die Tragödie, die Komödie, das historische Epos und das polemische Gelegenheitstgedicht in den Gestalten des Epigramms und der Satire, zwar von Seiten ihrer Wahrheit und Lebensfülle wirksam und reichhaltig sein konnten, aber in der Form, der Komposition des Verses und Ausdrucks, und im Vermögen für ideale Schönheit und Objektivität vernachlässigt und planlos vom Ziele sich entfernten. Die materialistische Behandlung der Poesie, welche hier statt der Naturdichtung sich festsetzte, war durch den augenblicklichen Eindruck befriedigt; Gesetze des Numerus und des bildlichen Vortrags ruhten auf keiner nationalen Tradition; erst die Römer betrachteten das poetische Gewand als ein unwesentliches - Werkzeug, dem man die Tendenz eines rhetorischen Uebungsmittels aufdringen könne, worin auch der Staatsmann ohne Beruf sich versuchte, und bei welchem der Urheber seine Person vom eigenen Kunstprodukte gänzlich abschied 268); der Dichter, welchem die Griechische Gesinnung Befugnifs gab nach Gefallen seinen Schöpfungen bis zum Greisenalter zu leben und in geistiger Ausbildung gemächlich auszudauern, hätte mitten im geschäftigen Römischen Staate nicht ohne Hemmungen und Unehre zur harmlosen Stille der Einsamkeit und thatenleeren Beschauung entweichen gekonnt 259). Diesen einseitigen Gang hob die 267) Klage des Attius Pragmaticis ap. Non. v. perperos: Et eo plectuntur poetae quam suo vitio saepius, ductabilitate nimia vestra aut perperitudine.

Tiefer geht auf den Ungeschmack der Autoren Horaz Epp.
II, 1. ein, wo das Resultat ausgesprochen ist v. 177.
Quem tulit ad scenam ventoso gloria curru,
exanimat lentus spectator, sedulus inflat.

268) Die charakteristische Trennung des Dichters von seinem Wer-
ke spricht Catull. 16. gegen Tadler aus:
qui me ex versiculis meis putastis,
quod sunt molliculi, parum pudicum.
Nam castum esse decet pium poetam
ipsum, versiculos nihil necesse est.

Gleichmässig Cic. in Pis. 29. In quo reprehendat eum licet, si qui volet; modo leviter, non ut impurum, non ut improbum, non ut audacem, sed ut Graeculum, ut assentatorem, ut poetam. Aus diesem bequemen Abstand und dem Mangel einer ästhetischen Kritik erklärt sich unmittelbar die wunderliche Versmacherei, woran Cicero, Cäsar und noch Augustus samt Mäcenas sich ergötzten, weniger durch Eitelkeit als den unschuldigen Hang bewogen, auf Kosten der Poesie sich in der Redefertigkeit zu

üben.

269) Dial. de Oratt. 9. Nam carmina et versus ... neque dignitatem ullam auctoribus suis conciliant, neque utilitates alunt; voluptatem L

gelehrte Kunstschule unter dem Prinzipat des Augustus auf, aus der die klassischen Dichter der Römer hervorgingen; welche nicht nur eine freisinnigere Methode verbreiteten, indem sie die Poesie zum letzten Zweck der Studien erhoben, sondern auch eine seltene formale Trefflichkeit entwickelten. Ihnen verdankte man das Kunstepos in seinen mannichfaltigen Verzweigungen und die lyrisch - epische Dichtung, in welchen Gattungen die Reichthumer der Sprache mit systematischer Kritik verarbeitet, und die reinsten Ahnungen einer gezügelten Phantasie glänzend verwirklicht wurden. Allein die Dichter des Augusteischen Zeitalters standen in schwachen Beziehungen zur Gegenwart; sie suchten sich der politischen Gesinnung wie der nationalen Erinnerung und Sage zu entäufsern; sie waren nur den Gemüthern verständlich und geniessbar, welche mit gleicher Geisteskraft und Bildung auf den Trümmern der öffentlichen Thätigkeit ein ideales Dasein aufzuführen wufsten; da nun die Poesie in die Blütezeit der Deklamation und Rezitation überging, deren Gehalt in übertriebener Fiktion ohne praktischen Scharfblick und warme Begeisterung sich erschöpfte, wurden die Dichter rhetorische Versmacher, welche den überlieferten Vorrath von Formeln und Bildern verschwendeten, und nachahmende Fabrikate mit gesuchter Eleganz zu Tage förderten. Den Ton bezeichnete die verführerische Technik Ovids 270); Episoden und bunte Phantasiestücke vertraten die hochherzige Denkart und künstlerische Planmäfsigkeit des früheren Epos; die neue Gattung der sarkastischen Satire besafs nicht mehr von inneret Tiefe als die lyrischen Dichtwerke 27'); bald erlangten die

autem brevem, laudem inanem et fructuosam consequuntur.
Aduce quod poetis, si modo dignum aliquid elaborare et efficere ve
lint, relinquenda conversatio amicorum et iucunditas urbis, desc-
renda caetera officia, utque ipsi dicunt, in nemora et lucos,
id est, in solitudinem secedendum est. Schwächer und mehr sub-
jektiv klingt die Entgegnung c. 12. 13. Ein Wettstreit wie der
dort geführte zwischen öffentlicher Beredsamkeit und Poesie
mag niemals unter Griechen gehört sein; denn die Polemik in der
Antiope vom Euripides wich sowohl in Form als in Resultaten
gänzlich ab. Uebrigens konnte wol nur in Horazens Zeit das
Extrem von Dichtern hervortreten, das er schildert A. P. 297.
bona pars non ungues ponere curat,

non barbam: secreta pelit loca, balnea vitat.

270) Ovids Manier fand bis zur Zeit des Martialis neben der Virgilischen Eingang; wofür der Tragiker Seneca die deutlichste Gewähr leistet; und dafs auch der Philosoph in seinen Gedichten, wie leicht zu erwarten, Ovidische Künstlichkeit ausprägte, deutet an Prisc. VII. Seneca Ovidium sequens, Gausapa si sumpsit, gausapa sumpta proba,

271) Wie das Spielzeug der epigrammatisch - sentimentalen Versifikation gemifsbraucht wurde, lehrt Plinius anschaulich Epp. V, 3. Facio nonnunquam versiculos, severos parum, facio co

versifizirten Spiele für die momentanen Verhältnisse und der epische Panegyrikus ein bedeutendes Uebergewicht, wodurch mindestens eine gewisse Tradition in Korrektheit und Leichtigkeit des Ausdrucks, vielleicht mehr als in der verfallenden Poesie der späteren Gräcität gesichert wurde. Vorzüglich stieg der poetische Stil in dem Mafse, in welchem die Prosa verdarb und dem Untergange sich näherte; die poetische Kunst hatte den Werth einer feierlichen und durch altes Vorrecht geheiligten Rede, bei der weniger Schwung und Erfindung als ein angelerntes Ebenmass der metrischen Mittel in Anwendung kam; die Poesie rundete sich zur äusseren Völligkeit und symmetrischen Tüchtigkeit ab, jedoch nur im Range eines statarischen Pracht- und Schaustücks.

A. Geschichte der dramatischen Poesie.

Historische Uebersicht.

Sammlungen und Hülfsmittel. Fragmentensammlung der Stephani, s. oben. Fragmenta veterum poetarum ed. Theod. Ians. ab Almeloveen, Amst. 1686. 8. Poetae scenici Latt. e rec. F. L. Bothe, Halberst. 1823. V. 8. Lévée théatre complet des Latins, Par. 1822. ff. Attii didascalica. Varro de poetis; de scenicis originibus. Donatus de tragoedia et comoedia, nebst Euanthius vor des Terentius edd. Westerhov. et Zeune. Io. Lydus de magistr. Reip. Rom. I, 40. Iul. Caes. Scaliger de Comoedia et Tragoedia in Gronov. Thes. A. Gr. T. VIII. Casp. Sagittarius de vita et scriptis Livii Andronicí, Naevii, Ennii, Caecilii Statii, Pacuvii, Attii, Attilii etc., Altenb. 1672. 8. Abhandlungen von Köler, Böttiger, Köpke. Vergl. Meierotto über Sitten und Lebensart d. R. I. p. 112. ff. A. W. Schlegel Vorles, über dramat. Litt. und Kunst, Th. 1. 2. Reuvens collectanea litteraria, LB. 1815. 8. Fr. Osann Analecta critica, Berol. 1816. 8.

1. Den litterarischen Anfängen des Römischen Dramas gingen natürliche Versuche wie bei den Griechen voran, moedias et audio, et specto mimos, et lyricos lego, et Sotadicos intelligo; aliquando praeterea rideo, iocor, ludo: utque omnia innoxiae remissionis genera breviter amplectar, homo sum, VII, 9. Fas est et carmine remitti, non dico continuo et longo (id enim perfici nisi in olio non potest), sed hoc arguto et brevi, quod apte quantaslibet occupationes curasque distinguit. Lusus vocantur, sed hi lusus non minorem interdum gloriam quam seria consequuntur. IX, 22, Si elegos eius in manum sumpseris, leges opus tersum, molle, iucundum, et plane in Propertii domo scriptum. Nuper ad lyrica deflexit, in quibus ita Horatium, ut in illis illum alterum effingit. Magna varietas, magna mobilitas. Amat ut qui veris sime, dolet ut qui impatientissime, laudat ut qui benignissime, ludit ut qui facetissime: omnia denique tanquam singula absolvit. Nicht unähnlich ist die Bewunderung des Sidonius Epp. V, 8. VIII, 11.

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