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I. Die Behörden, zu deren Amtsbefugniß die Libertinenangelegenheiten gehören, sind: in Rom der praefectus urbi und in den Provinzen die Präsides 52). Es hat auf den ersten Blick etwas Auffallendes, daß diese Behörden, die erst in der späteren Zeit des römischen Rechts bedeutender hervortreten [wenngleich der praef. urbi auch schon in alter Zeit vorkommt 53)], mit den Patronatsangelegenheiten betraut erscheinen. Die Erklärung dieses Umstandes kann erst aus dem weiteren Verlauf meiner Darstellung hervorgehen.

II. Der römische Grundgedanke des ganzen Instituts ist (vgl. Ziff. 61.): dem Freigelassenen liegt die

libertinus: Böcking Pand. I. (2. Aufl.). §. 35. Anm. 1.

52) Fr. 1. §. 10. de off. praef. urbi 1. 12. (Ulp.): praefectus urbi adiri solet et pro modo querellae corrigere eum; fr. 25. de in ius voc. 2. 4. (Mod.): ex querella patroni . . a praefecto urbi castigatur; fr. 2. de susp. tut. 26. 10. (Ulp.): libertus quoque si fraudulenter gessisse tutelam filiorum patroni probetur, ad praefectum urbi remittetur (vgl. im Gegenfat fr. 1. §. 3. eod.); fr. 1. h. t.: patronorum querellas adversus libertos praesides audire [die Stelle ist aus Ulpian: de off. procons.] et non translaticie exsequi debent; fr. 7. §. 1. h. t. (Mod.): mandatis imperatorum cavetur, ut etiam in provinciis praesides de querellis patronorum ius dicentes secundum delictum admissum libertis poenas irrogent; 1. 9. C. de cond. c. d. 4. 6.: aditus rector provinciae. Auch für das obsequium des Kindes gegen mater und pater ist der praef. urbi competent, fr. 1. §. 2. de obseq. 37. 15. (Ulp.): praefectus urbis delictum ad publicam pietatem pertinens pro modo eius vindicat. 53) Gai. ad XII tab. fr. (Huschke J. A. p. 386.).

Dankbarkeit als Rechtspflicht ob für die Wohlthat der ertheilten Freiheit. Um genau die römische Anschauungsweise zu vergegenwärtigen, muß in Verbindung mit dieser allgemeinen Frage sogleich auf einige ganz specielle Punkte eingegangen werden.

A. Das Freisein ist nach der Auffassung des Alterthums,,die erste Bedingung persönlichen irdischen Glücklich; feins" (Civ. Stud. IV. S. 68.). Die Ertheilung der Freiheit ist, als freiwillig gewährte Gabe, das höchstdenkbare Beneficium, das dem Sklaven ertheilt werden kann. Alle Argumentation über die Stellung des Patrons zum Freigelassenen geht von diesem Grundgedanken aus; vgl. Vat. Fr. §. 225.: beneficium datae libertatis; fr. 1. pr. de bon. lib.: tam grande beneficium, quod in libertos contulit, cum ex servitute ad civitatem Romanam perducuntur; fr. 85. pr. de her. inst. 28. 5. is liber esse iussus non magnum videtur beneficium a defuncto consequi, immo nihil commodi sensisse, sed magis debitam sibi accepisse libertatem; §. 1. eod: seposito beneficio; fr. 50. de rit. nupt. 23. 2.: magis enim debitam libertatem praestitit quam ullum beneficium in mulierem contulit; fr. 6. pr. de serv. export. 18. 7.: de effectu beneficii cogitatum; fr. 33. de poenis 48. 19.: beneficium libertatis; Cic. Verr. II. 1. §. 124.: a quo summum beneficium acceperat [Bd. I. dies. Ser. S. 474.]; 3iff. 127. Anm. 61.

Für dieses Beneficium ist der Freigelassene rechtlich verpflichtet, gratus zu sein 54). Der zur Freiheit

54) Diese Dankbarkeit ist eine Beziehung der lebenden

Personen untereinander (ius patroni adversus personam liberti). Hievon ist im Folgenden zunächst allein

Gelangte hat dem Patron Obsequium zu prästiren. Er hat ihn zu ehren (honor patronorum, fr. 2. pr. de obseq.; honor praestandus, Gai. I. 172.). Jhm (wie dem Kinde des Freigelassenen) muß die Person des Patrons immer honesta et sancta erscheinen, fr. 2. de obseq. [f. unten Ziff. 120. ff. das Genauere]. Gleichartig bestand auch in Athen die,,Verehrungspflicht“, und bei Verlegungen der Pietät die Klage àлooτaoíov, f. ob. Ziff. 62. Anm. 85. Hat der Libertus das Obsequium nicht prästirt, so ist er ingratus; fr. 19. h. t.: ingratus libertus est, qui patrono obsequium non praestat. Ingratus ist gleichbedeutend mit inofficiosus. Hat der Freigelassene sich als ingratus oder inofficiosus erwiesen, so darf der Präfectus Urbi oder Präses dies nicht ungestraft lassen; fr. 1. h. t.: si ingratus libertus sit, non impune ferre eum oporteat. sed si quidem inofficiosus patrono patronae liberisve

die Rede. Dagegen das legitime Erbrecht (das ius in bonis liberti) motiviren, wie oben bereits dargestellt worden (Ziff. 66. Nr. p.), die Römer in ganz davon geschiedener Weise. In dem allgemeinen Beneficium der Freiheitsertheilung liegt auch das beneficium bonorum quaerendorum. Die jest eigenen Güter dieser stirps libertina würden im Herrnvermögen stecken, wäre dieser Sklav nicht freigelassen worden. Sie fallen nach legitimem Recht zurück (redeunt), wenn die libertinische stirps (libertus, bezw. liberi liberti) aufhört. Hier also giebt nicht die subjective Dankbarkeit das Motiv des Nückfalls ab, sondern der ganz objective Gesichtspunkt, daß die libertinische Stirps zur herrschaftlichen Familie gehört, also auch die bona liberti im weiteren Sinn dem Patron, seiner Stirps und Gens, gehören, also auch beim Wegfall der Libertinenfamilie rückfallen.

eorum sit. . castigari eum oportet. Das Anklages recht hierauf (die ingrati accusatio) hat nicht bloß der Patron (Patrona) selbst, sondern auch die, als Träger des Patronatrechts anerkannten, erbenden Kinder (vgl. 3iff. 67. Nr. A. 1. a.); fr. 3. de obseq.: filius et heres manumissoris ut ingratum accusare possit.

B. Dies die Grundgedanken. Aber man fühlt das bei sogleich das Bedürfniß feinerer Prüfung. Die Freis laffung soll das Beneficium ertheilen. Nun aber hat der Sklav einen Vermögenswerth, und die Freilassung ist ein äußerer Act, der an sich gar nicht erkennbar macht, ob der Freilassende damit zugleich den Vermögenswerth aufgab (also gleichsam dem Sklaven deffen Werth schenkte) oder nicht. Ferner: die Freilassung als äußerer Act kann dem Manumittenten schon in Folge eines anderweit constituirten Rechtsverhältnisses als Pflicht obgelegen haben; dann ist es mit der Beneficiumsertheilung nicht weit her. Von diesen beiden Gesichtspunk ten soll hier zunächst nur der erstere geprüft werden. Nennen wir die Freilassung, bei der der Freilassende den Werth des Sklaven (was in verschiedener Gestalt denk bar ist),,de suo impendit": die substantielle Freilassung; diejenige dagegen, wo dies nicht der Fall ist, die nichtsubstantielle.

1) Substantielle Freilassung. Die 1. 1. C. h. t. Sever. et Ant.) sagt, wenn der Freigelassene a domino suo, data pecunia, mereatur libertatem, so retinire der Patron omnia iura patronatus 55). Ein Sklav hat in sich eine Vermögensmacht von möglicherweise hohen Werth. Er fann operae leisten, er kann mit diesen operae Geld erwerben; er kann die operae oder

55) Vgl. Zimmern R. G. I. 2. S. 792. Anm. 27.

das erarbeitete Geld einem Dritten leisten; er kann seine Dienste direct dem Herrn prästiren oder das im Einzelnen erworbene Geld dem Herrn auszahlen 56); er kann sich erst ein größeres Peculium sammeln und das von seinem Herrn eine Gesammtsumme zahlen. Immer ist Alles dies Vermögensmacht des Herrn. Hat der Sklav einem Dritten operae oder erarbeitetes Geld prästirt, so ist es des Herrn geleisteter Vermögenswerth; hat er dem Herrn operae, Geldlohn für Dienste, Geldsummen aus dem Peculium geleistet, so hat er dem Herrn prästirt, was diesem schon gehört. Ist ihm für diese Leistungen, an Dritte oder an den Herrn selbst, die Freilassung zu Theil geworden, so hat der Herr den Werth,,de suo impendit". Es ist dann also eine sub stantielle Freilassung.

a) Leistungen des Sklaven an Dritte als Preis der Freilassung. In dieser Hinsicht haben sich positive Rechtssäße gewohnheitsrechtlich bei den Römern festgestellt. a) Wenn dem Sklaven die Freiheit zugesagt worden ist unter der Bedingung: si pecuniam ex peculio suo det extraneo, so ist es anerkannten Rechtens ge= worden: „dictum est" 57), admitti eum ad liberta

56) Vgl. auch fr. 1. §. 32. depos. 16. 3.: der Sklav deponirt bei mir Geld: ita ut domino pro libertate eius dem; gebe ich es im Namen des Deponenten, so werde ich liberirt; gebe ich es in meinem Namen, so hafte ich.

57) Ueber den Ausdruck „dictum est" vgl. oben Ziff. 32.

Nr. a. und unten Ziff. 86. Anm. 74.; Ziff. 92. Anm. 11.;
Ziff. 99. Anm. 57.; Ziff. 102. bei Anm. 38.; Ziff. 107.
Nr. aa. aa.; Ziff. 126. Anm. 59.; Ziff. 174. Anm. 32.;
Ziff. 184. Anm. 82.; Ziff. 190. Anm. 34.; Ziff. 162.
Anm. 54. u. Glück - Leist Commentar II. S. 197. A. 15.;

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