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Lib. XXXVII. Tit. IX.

De ventre in possessionem mittendo et curatore eius.

1.

S. 1617.

Besizeinweisung der Schwangeren.

In den beiden Titeln 9. und 10. des 37. Buchs enthalten die Digesten zwei Lehren, die diese ihre Stellung dem Umstande verdanken, daß sie ebenso wie der Stoff der vorhergehenden Titel wesentlich als Nebenlehren der c. t. b. p. erscheinen. Sie sind aber nicht streng innerhalb der Vorausseßungen der c. t. gehalten worden.

Unter sich haben beide Lehren, sowohl in ihren dogmatischen Erfordernissen wie in ihrer geschichtlichen Entwicklung, mancherlei Gemeinsames. Ich spreche zunächst von der missio ventris nomine 1).

1) Bachofen Pfandrecht I. (1847.) S. 328–334; Meine Bon. Poss. II. (1848.) 1. S. 91–98; 2. S. 341, 342; Sintenis Civilrecht III. (2. Aufl. 1861.) S. 576. 577; Dernburg Pfandrecht I. (1860.) S. 405. 406; Windscheid P. III. (4. Aufl. 1878.) S. 618. Insbesondere über die postumi und die constitutio de incertis personis: Glück Mühlenbruch Comm. XXXIX. (1837.) S. 362 ff.; Heumann in der Zeitschr. f. Civ. u. Pr. XIX. (1844.)

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I. Voraussetzungen. Wenn beim Tode des Erblassers eine Frau mit einem Kinde schwanger geht, welches vorausseßlich demnächst als geborenes erbberechtigt sein wird, so kann möglicherweise zum Schuße des Ungeborenen die Frau in den Erbschaftsbesig eingewiesen werden 2).

A. Die Schwangere. 1) Die Frau muß wirklich schwanger sein; fr. 1. §. 1. h. t.: praegnatem esse mulierem oportet omnimodo nec dicere se praegnatem sufficit. Ist sie zur Todeszeit des Erblaffers und zur Zeit des Nachsuchens der Immission nicht schwanger, so gilt die dennoch vielleicht ergangene

G. 289-354; Heimbach Zeitschr. f. Civ. u. Pr.
N. F. V. (1848.) S. 1-103 [Heimbach hat die (gute)
Heumann'sche Abhandlung ganz unberücksichtigt ge=
Lassen].

2) Fr. 1 pr. h. t. (Ulp.): Sicut liberorum eorum, qui
iam in rebus humanis sunt, curam praetor habuit,
ita etiam eos, qui nondum nati sint, propter spem
nascendi non neglexit. nam [Mommsen fügt ein: et
alias eorum curam egit] et hac parte edicti eos
tuitus est, dum ventrem mittit in possessionem vice
contra tabulas bonorum possessionis. Also die Jm-
mission des Venter ist ein Schußmittel zu Gunsten der
Ungeborenen (eos tuitus est), oder wie Bachofen ganz
passend sagt (S. 282), der Prätor ertheilt sie „dem
zukünftigen noch ungeborenen Erben in der Person
der schwangeren Mutter." Mit Unrecht hat ihm
dies Dernburg S. 405 fg. ausgelegt, als „erhalte (nach
Bachofens Ansicht] der zukünftige noch ungeborene Erbe
durch unsere Mission vorläufigen Erbschaftsbesit;"
,,doch wie soll der Embryo bereits factischen Besitz
ausüben!" Vgl. auch fr. 2 §. 11 ad SC. Tertull.
38. 17: si quis ex liberis, dum est in utero, in pos-

sessione missus sit.

Besizeinweisungsverfügung als nicht ertheilt. Es kommt zunächst in Betracht eine Frau, die vom Erblasser schwanger ist. Aber absichtlich bezeichnet sie das prätorische Edict nicht als Ehefrau, denn es ist möglich, daß fie zur Zeit des Todes des Erblaffers nicht mehr dessen Ehefrau sei und doch von ihm ehelich schwanger gehe, fr. 1. §. 10. h. t. Es können auch zwei Schwangere nebeneinander eingewiesen werden, wenn der Erblasser sich von seiner Frau geschieden hat, und dann gleich nach dem Heirathen und Schwängern einer zweiten ge storben ist, fr. 1. §. 16. h. t. Ferner kann auch möge licher Weise die schwangere Frau eines Anderen (z. B. des in feindliche Gefangenschaft gerathenen Sohnes des Erblassers) immittirt werden, fr. 1. §. 8. h. t.

2) Giebt die Frau sich für schwanger, bezw. spez ciell für schwanger von einem Bestimmten, aus, so kann über diese Frage eine eidliche Feststellung stattfinden, und zwar in doppelter Gestalt. a) Sie, die das Jmmittirtwerden nachsucht, kann, wenn ihr das Schwangersein bestritten wird, (auf Delation des Gegners) schwören, daß sie schwanger sei. Dann nüßt ihr dieser Eid (iuriurando standum) dahin, daß ihr auf Grund deffen die Immission ertheilt werden, und sie den daraus hervorgehenden rechtlichen Schuß in Anspruch nehmen fann (neve vim patiatur in possessione), fowie daß die Frage wegen calumniosen Immissionsgesuches nicht aufgeworfen werden darf (ne conveniatur quasi calumniae causa ventris nomine fuerit in possessionem). Hat sie dann aber geboren, so ist die Frage, ob das Kind von dem Bestimmten herrühre, wieder eine offene (quia iusiurandum alteri neque prodest neque nocet). Es muß also dann die Wahrheit ermit telt werden (veritatem esse quaerendam), und der

von der Frau geschworene Eid nügt dem Kinde nicht. b) Umgekehrt kann (auf Delation der Frau) der Geg ner schwören, daß sie nicht schwanger sei. Dann ist ihr die Immission verschlossen (non ibit, quamvis vere praegnas fuerit); aber dieser Eid schadet hinwiederum, nach Geburt des Kindes, diesem nicht (nec nocebit, si mater detulerit et iuretur ex eo praegnas non esse), fr. 3. §. 3. de iureiur. 12. 2; fr. 1. pr. si mulier ventr. nom. 25. 6.

3) Wenn die Frau sich bewußt und absichtlich fälschlich für schwanger ausgiebt, so macht sie sich der Calumnia schuldig 3). Wird solche Calumnia vom Geg ner behauptet (si uxor negetur vel nurus vel esse vel fuisse, vel ex eo praegnas non esse contendatur oder: si status mulieri controversia fiat), so stellt (nach Rescript des Hadrian) gleich der Prätor eine summarische Untersuchung der Sache an (summatim de re cognosceret), und erläßt ein dem Carbonianischen nachgebildetes Decret (decretum interponit praetor ad exemplum Carboniani edicti, fr. 1. §. 14. h. t). Hat sich aus der causae cognitio die manifesta calumnia der Frau ergeben, so wird in dem De cret das Immissionsgesuch abgeschlagen (nihil novi decerneret). Ist aber die Sache auch nur zweifelhaft,

3) Fr. 1 §. 2. si mulier ventr. nom. 25. 6. (Ulp.): Per calumniam autem in possessione fuisse videtur, quae sciens prudensque se praegnatem non esse voluit in possessionem venire; fr. 1. §. 28. h. t.: Et si sciens prudensque se praegnatem non esse consumpserit, de suo eam id consumpsisse Labeo ait; fr. 18. de his qui not. inf. 3. 2: Ea quae falsa existimatione decepta est, non potest videri per calumniam in possessione fuisse. Paul. sent. I. 5.

so soll der Prätor zu Gunsten des Ungeborenen (operam daret ne praeiudicium fiat ei quod in utero est) die Frau in den Besiß einweisen (decreto tuenda est), fr. 1. §. 14. h. t.)1).

4) Der Prätor kann die Besißeinweisung verfügt haben, und dann kann später zu Tage treten, daß sie calumniatorisch erlangt war. Für solchen Fall hat der Prätor eine eigene Klage zur Bestrafung der Frau ges geben (tit. D. 25. 6); fr. 1. §. 1. si mulier 25. 6: debet praetor, quemadmodum facilis est circa bonorum possessionem dandam mulieri ventris nomine, ita calumniam eius impunitam non relinquere. Die Klage ist pönal, für einen annus utilis gegeben (fr. 1. §. 3. 1. c.); sie steht dem zu, in des= sen Interesse das Nichtimmittirtsein der Frau lag (Miterbe, Substitut, Intestaterbe fr. 1. §. 6. l. c.); fie geht auf das volle Interesse fr. 1. §. 4. 7. sq. l. c. Belangt wird damit die Frau, bezw. der Vater, der fie in der Gewalt hat, fr. 1. §. 5. 1. c. [vgl. aber

4) Fr. 3. §. 3. ne vis fiat 43. 4. (Ulp.): Si mulier dicatur calumniae causa in possessione venisse [also auch wenn nach Ertheilung des Immissionsdecrets von einem Gegner die calumnia behauptet wird], quod non sit praegnas vel non ex eo praegnas, vel si de statu mulieris aliquid dicatur: ex epistula divi Hadriani ad exemplum praesumptionis Carboniani edicti ventri praetor pollicetur possessionem. Hadrian hat auch verfügt, daß die Ehebruchsfrage aufgeschoben werden solle; fr. 8. h. t. (Paul.): Si ventris nomine mulier missa sit in possessionem, divus Hadrianus Calpurnio Flacco [jene andere Bestimmung ist an Claudius Proculus rescribirt] differendam accusationem adulterii rescripsit, ne quod praeiudicium fieret nato.

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