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Oester

reich,

11. März

1861.

die Wiederanknüpfung an den früheren Rechtszustand von dem Boden No. 30. der von ihr nicht als definitiv betrachteten Verfassung von 1860 aus und durch Vermittlung der Stände von 1860 bewirkt werden sollte. Erst jetzt spricht sie uns die Ueberzeugung aus, dass eine abermalige Berufung der Kammern von 1860 nicht mehr zum Ziele der endlichen Beilegung des leidigen Streites führen könne. Als einen möglichen Ausweg empfiehlt sie daher jetzt, die kurfürstliche Regierung selbst möge sich von neuem an die deutsche Bundesversammlung wenden, um die ausdrückliche Ermächtigung für sich zu beantragen, einen andern Weg, nämlich den der Epuration der Verfassung von 1831 einzuschlagen. Gerne wird nun von uns anerkannt, dass ein solcher Antrag der kurfürstlichen Regierung die Stellung der Bundesversammlung zur Sache wesentlich ändern würde. Wir können Freiherrn v. Schleinitz unbedenklich darin beipflichten, dass sich in diesem Falle wohl leicht das Mittel finden lassen würde, die formalen Schwierigkeiten zu ebnen, die sich aus dem Wortlaut des Beschlusses von 1852 ergeben. Nur müssen wir uns fragen, ob denn der deutsche Bund, welchem man so laut eine Ueberschreitung seiner Befugnisse vorgeworfen hat, es jetzt von neuem auf sich nehmen könne, die Frage, mit welcher der Landesvertretungen, ob mit jener von 1831 oder 1849 oder von 1860 die Regierung die Epuration der Urkunde von 1831 vorzunehmen habe, von sich aus zu entscheiden? Und eben so wenig wird der Bund die Antwort auf diese Frage in bianco lassen können. ¶ Wir werden daher der kurfürstlichen Regierung, wenn sie die Sache wieder an den Bund bringen zu müssen glaubt, zwar diesen Schritt nicht widerrathen, aber wir wünschen weder irgend eine Verantwortlichkeit für die Wahl dieses Verfahrens zu übernehmen, noch möchten wir, wie die Sachlage sich uns darstellt, die Eventualität einer im Innern des Kurstaates ohne neue Bundeseinmischung herbeizuführenden Lösung bereits als ausgeschlossen betrachten. Ueber das endliche Ziel herrscht ohnehin notorischerweise ein fast allgemein getheiltes Einverständniss. Es soll künftig im Kurstaate ein zwar das Zweikammer-System beibehaltendes, im Uebrigen aber den nichtbundeswidrigen Inhalt der Verfassung von 1831 wiederherstellendes Staatsgrundgesetz bestehen. Wenn nun die kurfürstliche Regierung dem Lande keinen Zweifel daran lässt, dass sie die Kammern von 1860 zu dem einzigen Zweke einberufe, um an dieses Ziel zu gelangen, dabei aber den Grundsatz der RechtsKontinuität auch von ihrem Standpunkte aus zu wahren, so lässt sich von der Besonnenheit der Bevölkerung vielleicht noch immer erwarten, dass die Regierung das richtige Verständniss für ihre Absicht finden werde. Wir würden dann selbst Nichts dagegen einzuwenden finden, wenn die Kammern von 1860 ihrerseits darauf antrügen, dass zur Beseitigung aller Zweifel an dem Rechtsbestande des künftigen Definitivums die neue Urkunde einer ad hoc nach dem Wahlgesetze von 1831 einzuberufenden Ständeversammlung vorgelegt, und dadurch die Bedenken Derjenigen, welche die Kammern von 1860 nicht für legitimirt zur Vertretung des Landes erachten, ein- für allemal gehoben würden. Die Forderung der Anknüpfung an das ältere Recht des Landes wäre dann ohne Erschütterung und doch im vollsten Maasse

reich,

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No. 30. erfüllt. Und selbst in dem ungünstigen Falle, wenn die Wählerschaften Oester des Landes auch auf diesen Weg der Versöhnung nicht eingingen, wenn 11. Marz sie, auf einem Widerspruche beharrend, der alsdann kaum mehr in anderem Lichte als in dem einer unfruchtbaren Konsequenzmacherei erscheinen könnte, die Wahlen nach dem Gesetze von 1860 diesmal ganz verweigerten, bliebe der kurfürstlichen Regierung noch immer ein nicht direkt gegen den Bundesbeschluss von 1852 verstossendes Mittel übrig. Sie könnte sich in diesem äussersten Falle selbst mit Umgehung der Kammern von 1860 unmittelbar zur Ausschreibung von Wahlen nach dem Gesetze von 1831 entschliessen und den neuen Verfassungsentwurf der auf dieser Grundlage gewählten Kammer vorlegen. Wir lassen dahingestellt, ob nicht selbst dieser Ausgang der Sache einer immerhin in mancher Hinsicht schwierigen und weit aussehenden Verhandlung am Bunde über Epuration der Verfas sung von 1831 vorzuziehen wäre. Ew. H. wollen dem Freiherrn v. Schleinitz den gegenwärtigen Erlass vertraulich mittheilen, mit dem Bemerken, dass die obigen Andeutungen der Sprache unseres Geschäftsträgers in Kassel zur Richtschnur dienen werden. Ich darf hoffen, dass die k. Regierung in dieser unserer Rückäusserung hinreichende Anhaltspunkte für ein gemeinsames Vorgehen der beiderseitigen Vertreter am kurfürstlichen Hofe, jeden. falls aber neue Beweise für unsern aufrichtigen Wunsch, diese ganz retrospective Streitfrage endlich abgeschlossen zu sehen, erkennen werde. Empfangen etc. etc.

Sr. E. dem Grafen Karolyi in Berlin.

Rechberg.

No. 31.

No. 31.

1861.

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PREUSSEN. Min. d. Ausw. an die Gesandtschaft in Wien. Die kurhessische Verfassungsfrage betr.

Berlin, 22. März 1861.

Ew. Erlaucht empfangen anliegend Abschrift desjenigen Erlasses, Preussen, welchen der kaiserliche Herr Minister, in Erwiderung unserer Mitthei 22. März lung vom 4. d. M. in Betreff der kurhessischen Verfassungs-Angelegenheit an den Herrn Grafen von Karolyi unter dem 11. d. M. gerichtet und welchen letzterer mir vertraulich mitgetheilt hat. Ich ersuche Ew. etc. dem Herrn Grafen von Rechberg meinen aufrichtigsten Dank für diese Mittheilung zu sagen, und es ihm auszusprechen, mit wie lebhafter Freude wir eine Uebereinstimmung in den Ansichten über das praktische Ziel begrüssen, welche so wesentlicher Art ist, dass sich darauf die Hoffnung einer günsti gen Wendung in Kassel gründen lässt. Die Bemerkungen, welche der kaiserliche Herr Minister der Darlegung seiner eigenen praktischen Auffassung voranschickt, bedürfen wohl keines näheren Eingehens meinerseits. Je uneigennütziger unsere eigene ganze Stellung zu dieser Angelegenheit ist, um so mehr können wir uns nur freuen, wenn die kaiserliche Regierung ihre Mitwirkung in derselben der Rücksicht auf den Wunsch Preussens zuschreibt. In Bezug auf die zweite Bemerkung aber, welche die Stellung Oesterreichs zu der kurhessischen Frage betrifft, darf ich von dem kaiser

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liehen Herrn Minister wohl das Vertrauen in Anspruch nehmen, dass unsere No. 31. Aeusserungen nicht in einem Sinne aufzufassen seien, welcher das kaiser- Preussen, hehe Kabinet nöthigen sollte, sie abzulehnen. Es liegt mir nun zunächst daran, mein völliges Einverständniss mit der Ansicht des Herrn Grafen v. Rechberg zu konstatiren, dass eine Berufung der kurfürstlichen Regierung an den Bund an und für sich nicht erforderlich, und dass die Eventualität einer im Innern des Kurstaats ohne neue Bundeseinmischung herbeizuführenden Lösung keineswegs als ausgeschlossen zu betrachten sei. Wir hatten jene Berufung an den Bund nur für den Fall als einen möglichen Ausweg in Aussicht genommen, dass die kurfürstliche Regierung, und mit ihr das kaiserliche Kabinet, sich durch die vorliegenden Bundesbeschlüsse an derjenigen Lösung auf dem neuen Gebiet, welche der Herr Graf jetzt selbst andeutet, gehindert glaubten. Dass wir in diesen Bundesbeschlüssen, nach unserer Auslegung derselben, kein solches Hinderniss erblicken, haben wir oft genug ausgesprochen; und wir freuen uns aufrichtig, dass das kaiserliche Kabinet auch bei seiner Auslegung praktisch zu demselben Ergebniss kommt. Wir können auch nicht zweifeln, dass diese Auffassung des wiener Kabinets in Kassel von hinreichendem Einflusse sein werde, um dort etwaige Bedenken beseitigen zu helfen. Ich glaube also die Frage um eine neue Berufung der kurfürstlichen Regierung an den Bund vorläufig ganz ausser Acht lassen zu dürfen und mein Augenmerk ganz auf die Lösung auf dem innern Boden des Kurstaates richten zu sollen. Hier tritt mir in der Darstellung des Herrn Grafen v. Rechberg als das Wesentliche entgegen, dass „die Forderung der Anknüpfung an das ältere Recht des Landes ohne Erschütterung und doch in vollem Maasse erfüllt werde". Nur dadurch wird das Vertrauen hergestellt, und ein fester Boden für die Zukunft gewonnen. Wir sind ganz damit einverstanden, dass dieser Forderung wirklich genügt werde, wenn das Ergebniss einer Berathung mit Kammern nach dem Wahlgesetz von 1860 einer Versammlung nach dem Wahlgesetz der früheren Verfassung vorgelegt wird. Hätte die kurfürstliche Regierung eine solche Absicht den im vorigen Jahre zusammengetretenen Kammern dargelegt, so kann ich nicht zweifeln, dass diese in die Berathung eingetreten wären. Ich glaube auch jetzt mit dem Herrn Grafen v. Rechberg, dass, wenn die. kurfürstliche Regierung bei ihrem jetzt bevorstehenden Wahlausschreiben eine solche Absicht klar und unzweideutig ausspricht, und vielleicht in der Wahl ihrer Rathgeber dem Lande eine vermehrte Bürgschaft für die Ausführung giebt, das letztere die so von der Regierung dargebotene Hand nicht abweisen und die Wahlen nach dem Gesetze von 1860 auch jetzt so wenig wie im vorigen Jahre verweigern werde. ¶ Sollte übrigens die kurfürstliche Regierung die letztere Eventualität ernstlich befürchten, so würde, scheint es mir, sie sich in ihrem eigenen Interesse die Frage vorzulegen haben, ob es denn nicht besser wäre, sich derselben gar nicht auszusetzen, sondern lieber sofort aus eigenem freiem Entschlusse zu demjenigen Mittel zu schreiten, welches der Herr Graf von Rechberg für eben diese Eventualität als das Letzte andeutet, nämlich zu einer direkten Ausschreibung von Wahlen nach dem älteren Verfassungsgesetz, ohne erst das Zusammentreten

No. 31. der Kammer von 1860 noch einmal zu versuchen. Der Eindruck, den ein Preussen, solcher freier Entschluss im Lande hervorbringen würde, müsste ein für die

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Regierung ungleich vortheilhafterer sein, als wenn sie erst durch das Misslingen eines neuen Versuchs dazu gedrängt würde. Hierfür aber glauben wir die Erwägung und Entscheidung ganz der kurfürstlichen Regierung überlassen zu müssen, da es uns nur auf den Rechtspunkt, nämlich die formale Anknüpfung an das alte Recht ankommt, welchen wir in beiden Fällen mit dem Herrn Grafen v. Rechberg für hinreichend gewahrt erachten. Noch in einem anderen Punkte glauben wir der Erwägung und Beschlussfassung der kurfürstlichen Regierung nicht vorgreifen zu dürfen. Ich habe im Obigen absichtlich nur den Ausdruck „das Wahlgesetz der älteren Verfassung" gebraucht. Der kaiserliche Minister spricht nur von dem Wahlgesetz von 1831 und scheint das von 1849 als durch den Bundesbeschluss von 1852 in seinem wesentlichen Inhalt reprobirt, auszuschliessen. Es ist nothwendig, unsere Stellung hierzu offen zu bezeichnen. Es ist für uns keinem Zweifel unterworfen, dass das Wahlgesetz der Verfassung von 1831, seinem Inhalt und Charakter nach, bei Weitem vorzuziehen sei; wir glauben auch, dass materiell diese Ueberzeugung von dem grössten Theile der Bevölkerung von Hessen getheilt werde. Hierin allerdings kann die Entscheidung nicht gesucht werden. Wenn aber die kurfürstliche Regierung offen erklärt: da die Bundesmässigkeit des Gesetzes von 1849 einmal so bestimmt angefochten und*) von der Majorität der Bundes-Versammlung behauptet worden sei, so halte sie es für angemessen, auf das ältere, ganz unbestrittene Recht zurückzugehen, und die unruhigen Zeiten der Jahre 1848 und 1849 ebensowohl, wie die späteren Versuche bei Seite lassend, mit den Ständen von 1831 die Grundlagen einer neuen Gestaltung zu ver einbaren so würden wir nicht allein von unserm Standpunkt kein Bedenken dagegen haben, sondern auch glauben, dass das Land darin eine genügende Anknüpfung an das alte Recht erblicken könne und werde. Sollte auf der andern Seite die kurfürstliche Regierung im Hinblick auf die Stimmung des Landes und in dem Wunsche, das Vertrauen desselben vollständig herzustellen und jeden Zweifel zu beseitigen, sich zu einer Berufung der Stände nach dem Wahlgesetz von 1849 entschliessen, so würden wir glauben, dass auch die Bundesversammlung durch jene im Jahre 1852 ausgesprochene Missbilligung dieses Gesetzes nicht veranlasst sein würde, Einspruch dagegen zu erheben, da diese Berufung ausdrücklich zu dem Zweck stattfinden würde, den bundeswidrigen Charakter jenes Gesetzes abzuändern. Wir wünschten daher die Wahl zwischen den Wahlgesetzen von 1831 und 1849 unsererseits als eine offene Frage zu behandeln und sie der Entscheidung der kurfürstlichen Regierung zu überlassen. Ich brauche nicht erst hinzuzufügen, dass wir auch alle anderen über die Bundeswidrigkeit hinausgehenden und nur auf Gründen der Zweckmässigkeit beruhenden Aenderungen der Verfassung von 1831 als solche offene Fragen behandeln und lediglich der Verhandlung zwischen der Regierung und den Ständen überlassen müssen. Dazu gehört auch die Frage nach der definitiven Einrichtung zweier Kammern. Dass wir im Allgemeinen dem Zweikammer*) dies

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system den Vorzug geben, wird Niemand bezweifeln; über seine Anwend. No. 31. barkeit und Anwendung auf die hessischen Verhältnisse haben nicht wir Preussen. zu entscheiden. In diesem Sinne dürfen wir wohl erwarten, uns auf gleichem Boden mit dem kaiserlichen Kabinet zu befinden. ¶ Unsere Uebereinstimmung mit dem letzteren liegt also wesentlich in dem Haupt- und Kardinalpunkt der ganzen Frage: nämlich darin, dass wir beide wünschen, das Vertrauen und den festen Boden für die Zukunft im Lande dadurch hergestellt zu sehen, dass der Kurfürst das den nicht bundeswidrigen Inhalt der Verfassung von 1831 wiederherstellende Staatsgrundgesetz, nebst den von ihm gewünschten und zu proponirenden Abänderungen, sei es nach vorheriger Berathung mit den neuen Kammern, sei es event. auch ohne eine solche, einer nach dem älteren anerkannten Verfassungsrecht zusammenberufenen Ständeversammlung zur Vereinbarung vorlege. ¶ Es kommt darauf an, dass der Kurfürst diese Absicht klar, offen, unzweideutig und bindend ausspricht. Dies ist der Punkt, auf den, meines Erachtens, alle Bemühungen in Kassel zu richten sind, und gegen welchen alle oben angedeuteten, vielleicht noch vorhandenen Differenzen der Ansicht im Einzelnen zurücktreten müssen. In diesem Sinne habe ich den königl. Gesandten in Kassel bereits instruirt zu sprechen; wir glauben, dass er auf diesem Felde mit dem Vertreter der kaiserl. Regierung zusammentreffen wird, und wir müssen hoffen, dass der Eindruck solcher übereinstimmenden Rathschläge seine Wirkung nicht verfehlen werde. Da mir sehr daran gelegen sein muss, dass das kaiserl. Kabinet über unsere Stellung zu den oben angeführten einzelnen Punkten nicht im Unklaren sei, so ersuche ich Ew. etc. ergebenst, dem Herrn Grafen v. Rechberg von gegenwärtigem Erlass nicht nur vollständige Mittheilung zu machen, sondern ihm auch Abschrift von demselben zu lassen.

Sr. Erlaucht d. Hrn. Grafen v. Solms zu Wien.

Schleinitz.

No. 32.

OESTERREICH. Min. d. Ausw. an die k. k. Gesandtschaft in Berlin. kurhessische Verfassungsfrage betr.

Wien, 31. März 1861.

Die

Oester

1861.

Der königlich preussische Geschäftsträger Graf v. Solms hat uns die No. 32. abschriftlich anliegende Rückäusserung seines Kabinets auf unseren Erlass reich. an Ew. H. vom 11. d. M., betreffend die kurhessische Verfassungs- Ange- 31. Marz legenheit, mitgetheilt. Dieser Eröffnung zufolge hat die Anerkennung der königlichen Regierung der Bereitwilligkeit nicht gefehlt, womit wir von neuem zu einer übereinstimmenden Einwirkung der beiden Kabinete auf die bevorstehenden Entschliessungen der kurfürstlich hessischen Regierung die Hand geboten haben. Es gereicht uns zu lebhafter Befriedigung, dass den von uns in dieser Richtung gegebenen Andeutungen die volle Billigung des Freiherrn v. Schleinitz entgegengekommen ist. Um das vorhandene Einverständniss vollends ins Klare zu bringen, glauben wir noch einmal die beiderseits angenommenen Punkte in genauerer Fassung kurz zusammen. stellen zu sollen. ¶ Die beiden Kabinete sind darin einig, der kurfürstlichen

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