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Thon, zur Lehre von den in factum actiones.

tigen Klagen das bloße Anführen des Rechtsanspruches für genügend erachten, oder mag man, dem Geiste des deutschen Processes wohl entsprechender, die Geschichtserzählung und das Anführen des faktischen Klaggrundes als wesentlichen Bestandtheil jeder Klage ansehen: die römischen Theorieen über die möglichen Vertheidigungen des Beklagten gegen die zwei verschiedenen Klagarten, die in jus und in factum concipirten Formeln, sind nicht bloß von historischem Werthe und müssen überall gelten, wo die eine oder die andere Voraussetzung vorliegt. Daher sind aber auch unsere heutigen wahren Einreden keine Geburt des deutschen Processes, sondern, in ihrer reinen Gestalt, mit den exceptiones der Römer identisch; und wir sind vollkommen berechtigt, unseren heutigen Einwand der Zahlung, zum Beispeil, in ächt römischem Geiste exceptio solutionis zu benennen.

Ueber die Revocatio in duplum.

Von

Herrn Dr. Alexander Meyer in Berlin.

Verschiedene Stellen1) der vorjustinianeischen Rechtsquellen erwähnen unter dem Namen der revocatio in duplum eines Rechtsinstitutes, welches zur Anfechtung ergangener Erkenntnisse dient. Von dem Wesen und den Vorausseßungen desselben wird uns nichts gesagt, sondern wir werden nur mit einigen nebensächlichen Bestimmungen bekannt gemacht, wonach bei confessio in iure, bei Contumacialerkenntnissen und nach Ablauf einer gewissen Verjährungsfrist die revocatio in duplum ausgeschlossen bleibt. Im corpus juris findet sich dieses Institut nicht erwähnt, dagegen hat sich bei Cicero) eine kurze Andeutung erhalten in den Worten:

decrevit, ut si iudicatum negaret in duplum iret. Diese lettere Stelle wirft das erste Licht auf unsere Materie. Sie zeigt, daß die revocatio in duplum in einem gewissen Zusammenhange steht mit dem Sage, daß ex causa iudicati lis contra infitiantem crescit in duplum. Bethmann-Hollweg3) bestreitet dies zwar. Er setzt ohne weiteres voraus, daß im Codex Gregorianus und bei Paullus von einem Rechtsmittel im eigentlichen Sinne des Worts, welches also der appellatio oder suppli

1) Codex Gregorian. X. 1. 1. Paulli rec. sent. V. tit. 5. §§. 5-8. tit. 5. b. §. 17.

") Pro Flacco. Cap. 21.

*) Handbuch des Civilprocesses. Erster Band. 1834. §. 35.

catio mehr oder weniger ähnlich gewesen sein muß, die Rede sei, und da in der Ciceronischen Stelle offenbar von der Litiscrescenz bei behaupteter Nichtigkeit der Erkenntnisse gehandelt wird, so folgert er hieraus, daß in der Rede pro Flacco eine ganz andere Materie angedeutet wird, als in den übrigen vorerwähnten Rechtsquellen. Seine Voraussetzung ist aber nicht allein beweislos hingestellt, sondern völlig unerweislich, und lassen wir dieselbe fallen, so versteht es sich ganz von selbst, daß die Ausdrücke crescere in duplum, revocare in duplum und in duplum ire auf dasselbe Verhältniß gehen, daß daher auch die Stelle bei Cicero und die Fragmente der juristischen Schriftsteller sich auf denselben Gegenstand beziehen und daher durch einander erklärt werden dürfen. Mit Ausnahme Bethmann-Hollwegs sind alle übrigen Schriftsteller1), die dieses Thema behandelt haben, von derselben Voraussetzung ausgegangen.

Dieselben haben folgende Ansicht aufgestellt. Wer mit der actio iudicati belangt wird, kann läugnen, daß eine sententia ge= fällt ist. Er kann dies, wenn gar keine Veranlassung zu der Annahme vorliegt, daß ein Urtheil ergangen sei, wenn also gar kein Verfahren in iure stattgefunden hat; er kann es aber auch, wenn dem oberflächlichen Anscheine nach allerdings ein Urtheil vorliegt, dasselbe sich aber bei näherer Betrachtung als nichtig erweist, sei es, weil es etwas unmögliches verordnet, sei es wegen begangener Formfehler oder aus einem anderen Grunde. Dieses Läugnen ist aber mit dem periculum dupli verknüpft. Es kann nun aber demjenigen, gegen welchen anscheinend ein Urtheil ergangen ist, daran liegen, die Anstellung einer actio iudicati nicht abzuwarten, sondern seinerseits offensiv aufzutreten, und den Nachweis zu führen, daß jene anscheinend gefällte sententia mit einem wesentlichen Mangel behaftet, darum pro nulla zu erachten sei und ein Anspruch ex causa iudicati somit nicht existire. Bei einem der

4) Cornelius von Bynkershoek. Observationes iuris Romani Tom. II. lib. 6. cap. 10. G. F. Puchta. Cursus der Institutionen. §. 181. Carl Sell. Von den causis, ex quibus infitiatione lis crescit in duplum. In den Jahrbüchern für historische und dogmatische Bearbeitung des Römischen Rechts. Zweiter Band. Nr. I und V. Rudorff. Ueber die Litiscrescenz. In der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. Bd. XIV. pag. 287 sqq. Die wenigen und unbedeutenden Differenzen, in denen diese Schriftsteller unter sich stehen, können hier außer Betracht bleiben.

artigen Auftreten habe er für den Fall des Unterliegens natürlich denselben Nachtheil tragen müssen, als wenn er freventlich die actio iudicati geläugnet habe, nämlich die poena dupli. Diesem periculum habe er sich in einer Form, die jetzt nicht mehr genau festzustellen sei, vielleicht durch Pönalsponsion, unterwerfen müssen und hiervon habe das zur Durchführung seines Vertrages dienende Institut den Namen revocatio in duplum erhalten.

Diese Auffassung zu widerlegen, stellen wir folgende Betrachtungen an:

1) Wir bestreiten entschieden, daß ein derartiges Institut in den Bedürfnissen des Römischen Rechtslebens begründet und mit dem Geiste desselben vereinbar gewesen sei. Den Römern fehlte völlig der Begriff eines nichtigen" Rechtsgeschäftes. Die beiden Wendungen: „Ein Urtheil ist nicht gefällt worden“ und „das gefällte Urtheil ist nichtig" würden bei der Uebersetzung in das Lateinische völlig gleich lauten. Bei uns hat ein nichtiges Geschäft immer eine gewisse Realität, nämlich die, daß es zuvörderst aus der Welt geschafft werden muß, um den natürlichen Rechtszustand wiederherzustellen.

Eine Ehe, die mit einem impedimentum dirimens behaftet, aber vor dem Priester geschlossen ist, ein Urtheil, das von einem Gerichtshofe, wenngleich unter Verlegung aller und jeder Form gefällt ist, muß mittelst der Nullitätsflage ausdrücklich aufgehoben werden, um ganz ohne Folgen zu bleiben. Selbst ein nichtiger Vertrag muß unter Umständen erst vom Richter für unverbindlich erklärt werden. Ganz anders bei den Römern. Ein Vertrag, eine Ehe, ein Urtheil ist erst vorhanden, wenn alle wesentlichen Bedingungen dafür erfüllt sind. Was nicht ist, oder nichtig ist, erhält für das Rechtsleben erst dadurch eine Bedeutung, daß es fälschlich als seiend behauptet wird. In diesem Falle, der bei jeder unbe= gründeten Klage vorliegt, ist der Behauptung die Verneinung entgegenzusetzen. Aber etwas zu verneinen, was weder ist, noch als seiend behauptet wird, läuft gegen den römischen Rechtsverstand.

Sezen wir den Fall, es stürbe Jemand unter Hinterlassung eines Testaments; der Intestaterbe seße sich nichtsdestoweniger in den Besitz der Erbschaft, weil er den Testator für wahnsinnig hält. Nach unseren Begriffen hat der Intestaterbe trotz seines Besitzes das wesentlichste Interesse, gegen den eingeseßten Erben auf Anerkennung der Nichtigkeit des Testamentes zu klagen. Gleichwohl ist

es unzweifelhaft, daß ihm dies bei den Römern nicht frei stand. Hier mußte er ohne Zweifel abwarten, bis etwa der Testamentserbe die Gültigkeit des Testamentes behaupten würde, und alsdann dieselbe bestreiten. Verhielt sich dies bei Testamenten also, von denen doch so zahlreiche und wichtige Rechtsverhältnisse, libertates und sacra abhingen, warum sollte es bei Urtheilen anders ge= wesen sein?

Die Unhaltbarkeit der gemeinen Meinung zeigt sich alsbald, wenn man versucht, jene vermeintliche revocatio dem römischen Klagsystem einzuverleiben. Soll es eine actio in rem sein? Es wird ja weder eine Sache noch ein Recht, welches der Gegner besigt, gefordert. Oder eine actio in personam? Und wiederum, ist diese auf ein dare gerichtet? Aber der Gegner hat aus dem Judicate nichts empfangen, kann also aus demselben nichts zurückgeben. Oder auf ein Leisten? Etwa auf Acceptilation der iudicati obligatio? Aber eine nichtige Obligation ist der Lösung weder fähig noch bedürftig. Man sieht, jene revocatio will zu keiner uns bekannten römischen Form passen.

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2) Wir gingen davon aus, die Nothwendigkeit eines solchen Institutes, wie man es bisher behauptete, zu läugnen. Versuchen wir jetzt den umgekehrten Weg; sehen wir, ob wir Fälle auffinden, in denen ein Bedürfniß obwaltet, die Anfechtung eines Urtheils gesetzlich zu ordnen, ohne daß diesem Bedürfnisse durch die uns bekannten Mittel Genüge geleistet würde. Wir stoßen hier auf folgenden Fall: Agerius hat von Numerius eine Sache vindicirt und sie nach obsieglichem Urtheil übergeben erhalten. Nunmehr fällt es dem Numerius ein, die Gültigkeit des ergangenen Urtheils5) zu bemängeln. Wie kommt er zum Ziele? Er stellt gegen den Agerius die rei vindicatio an, deren beide Erfordernisse, eigenes Eigenthum und Besitz des Beklagten, er behauptet. Den Besit giebt Agerius ohne weiteres zu; das Eigenthum des Numerius bestreitet er und setzt die exceptio rei iudicatae entgegen. Numerius läugnet, daß res iudicata vorliege, indem er die Mängel des stattgehabten Verfahrens auseinanderseßt. Gelingt es ihm,

*) Unter Urtheil verstehe ich hier sowohl die pronuntiatio, wenn ihr Folge geleistet wird, als die eigentliche condemnatio. Vgl. Keller. Römischer Civilproceß. §. 72.

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