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natorischer Wahnsinn der Trinker konnte nicht angenommen werden; einmal machte schon wie beim Trinkerdelirium die Autoanamnese diese Diagnose unwahrscheinlich. Dann aber waren in unserm Falle die Halluzinationen zu vielgestaltig; sämtliche Sinnessphären waren ergriffen, während meistens bei der Trinkerhalluzinose nur Gehör und höchstens Gesicht betroffen sind, entscheidend aber war der Verlust der Orientierung für Ort und Zeit; zum Wesen der klassischen Alkohol-Halluzinose gehört es dagegen, dass sie mit völliger Erhaltung der Orientiertheit verläuft. Sehr nahe lag es, an eine epileptische Geistesstörung, etwa ein Delirium zu denken. Der Kranke gab selbst an, er habe noch einige Tage vor Aufnahme in die Anstalt einen Anfall gehabt und gewisse Einzelheiten, wie zum Beispiel die indentifizierenden Erinnerungstäuschungen wiesen auf einen epileptischen Ursprung hin. Doch bestand, nachdem der Kranke sein Delirium überwunden hatte, keine Spur von Amnesie, es waren sogar viele, selbst belanglosen Einzelheiten im Gedächtnis des Kranken haften geblieben. Dann war sein ganzes Wesen durchaus verschieden von dem Verhalten der deliranten Epileptiker, seine Aufmerksamkeit war nicht wesentlich gestört, seine Antworten erfolgten prompt; schliesslich sei noch an das Vorhandensein der körperlichen Erscheinungen, an das Zittern und die Schweissausbrüche erinnert.

Es blieb also übrig, ein der Skopolaminwirkung eigentümliches Delirium anzunehmen. Schon das Entstehen kurzer Verwirrtheitszustände nach einmaliger Aufnahme des Giftes macht das Auftreten von Delirien bei chronischem Missbrauch höchst wahrscheinlich, für den vorliegenden Fall ist aber der Vergleich mit den Delirien, die nach anderen Alkaloiden, besonders nach dem Cocain auftraten, von Bedeutung. Sommer nennt diese Geistesstörung der Cocainisten geradezu ein paranoisches Delirium, wie auch das Bezeichnende unseres Falles ein während der ganzen Krankheitsdauer festgehaltenes Wahnsystem ist. Doch unterschied sich das hier beobachtete Hyoscin-Delirium in einem wesentlichen Punkte, der besonders für die Prognose von Wichtigkeit ist, von ähnlichen Psychosen der Cocainisten und Morphinisten. Der Kranke hatte nach Abklingen der delirösen Erscheinungen durchaus keinen Hunger nach Hyoscin, und es hat sich nach seinen eigenen Angaben und den Berichten seiner Ehefrau bis jetzt etwas derartiges auch nicht mehr gezeigt. Er wurde unterdessen noch einmal in der hiesigen Anstalt behandelt, bot aber nur die gewöhnlichen Anzeichen des Alkoholismus und der Epilepsie dar.

Dieses waren die Gründe, die mich veranlassten, den HyoscinMissbrauch als die Ursache des hier beschriebenen Deliriums anzusehen.

Gleichwohl soll keineswegs verschwiegen werden, dass die Eigenart des Falles grosse Vorsicht erfordert. Wenn auch die Alkoholätiologie, auf welche Kraepelin bei den Delirien der Morphinisten und Cocainisten hinweist, hier ausgeschlossen erscheint, so fällt die bestehende Epilepsie dafür desto mehr ins Gewicht. Und unter diesem Gesichtspunkte bedarf eins der Symptome, die sich bei unserem Kranken zeigten, vielleicht noch eines näheren Eingehens, ich meine das massenhafte Auftreten der identifizierenden Erinnerungstäuschung. Es hat den Anschein, als ob diese Erscheinung nicht der Hyoscinvergiftung eigen, sondern epileptischen Ursprungs sei und nur, wie etwa die Krampfanfälle bei epileptischen Alkoholdeliranten, durch das Hyoscin angeregt und verstärkt, besonders heftig aufgetreten sei. Wenigstens erzählte der Kranke später, dass sich auch früher, allerdings sehr selten, etwas ähnliches bei ihm eingestellt habe. Doch werden diese und ähnliche Fragen sich mit Sicherheit erst entscheiden lassen, wenn andere Fälle zur Beobachtung gelangen, die weniger verwickelt und besonders nicht mit Epilepsie verknüpft sind. Trotzdem ruft die vorliegende Erfahrung den Rat Conrad's wieder ins Gedächtnis, dass man das Hyoscin bei akuten, heilbaren Psychosen möglichst meiden solle.

Ueber den Begriff der „,Anregung" bezw. „Perseveration der kortikalen Vorgänge".

Von Dr. Ragnar Vogt, Kristiania.

In den „experimentellen Beiträgen zur Lehre vom Gedächtnis" von G. E. Müller und A. Pilzecker werden die Perseverationstendenzen der Vorstellungen sehr eingehend geschildert. Besonders interessiert uns jedoch die experimentell dargelegte Tatsache, dass eben eingeprägte Silbenverbindungen, wie zum Beispiel les tup, noch einige Minuten nachher unterbewusst haften bleiben, weswegen auch jetzt die Reproduktion der unbetonten Silbe beim Vorzeigen der betonten verhältnismässig sehr rasch und sicher gelingt. Bei grösseren Versuchsreihen begegnet man deswegen einer hohen Zahl von richtigen Reproduktionen und einer kurzen Reproduktionszeit in den ersten (5—10) Minuten nach der Einprägung solcher Silbenverbindungen.

les

tup

--

Gewöhnlich geschieht die Einprägung durch 4-, 6-, 12 maliges Ablesen von 12 stelligen Silbenreihen in trochäischem Rhythmus: les tup nor gel rav sif . . . .; dabei rotieren die auf Trommeln aufgeklebten

Silbenreihen mit gleichmässiger Geschwindigkeit an den Augen der Versuchspersonen vorbei. Zu verschiedenen Zeiten nach der Einprägung werden dann die betonten, auf Pappetäfelchen gedruckten Silben in wechselnder Reihenfolge vorgezeigt, wobei die Zeit bis zum eventuellen Auftauchen der assozierten Silben genau gemessen wird. In dieser Weise wird die Zahl der richtigen, falschen, „0“Treffer und Teiltreffer, sowie die Trefferzeit bestimmt.

Die besonders hohe Trefferzahl und kurze Trefferzeit gleich nach der Einprägung werden so gedeutet, dass die bei der Einprägung sich abspielenden kortikalen Vorgänge noch einige Minuten nachher fortdauern, jedoch in so abgeschwächter Weise, dass die Silben nicht ins Bewusstseinsfeld emportauchen. Die Silben sind nur „eingestellt"; sie bleiben in Bereitschaft" stehen. Auch wird von verschiedenen Graden der „Bereitschaft" gesprochen. „Perseveration der kortikalen Vorgänge" wird das Phänomen auch genannt.

In höchst eleganter Weise wird demnach bewiesen, wie diese nachklingenden Erregungsvorgänge zur Schaffung eines assoziativen Zusammenhanges zwischen den eingeprägten Silben beitragen. Durch sofortige Einschaltung einer neuen Arbeit gleich nach der Einprägung von Silbenpaaren (les tup ...) wird nämlich das Zustandekommen von Erinnerungen in hohem Grade geschädigt, und aus vielen Gründen lässt sich schliessen, dass diese Schädigung durch das Aufhören der Perseverationsvorgänge verursacht wird.

Diese Ergebnisse mögen in folgenden Sätzen zusammengefasst werden. 1. Nach der Einprägung perseverieren die bei der Einprägung stattfindenden Gehirnvorgänge noch eine kurze Zeit.

2. Diese perseverierenden Gehirnvorgänge tragen zum Merken des Gelernten wesentlich bei.

3. Wird gleich nach der Einprägung geistig weiter gearbeitet, so hören die perseverierenden Vorgänge und damit auch der nachträgliche Merkvorgang auf.

Ein Bild wird das alles vielleicht besser veranschaulichen: in den Schulpausen werden die Resultate der eben beendeten Schulstunden befestigt, sofern an nichts gedacht wird, dagegen nicht mehr, wenn der Schüler sich für die folgenden Stunden Vorbereitet.

Die vielen sich daran anknüpfenden Betrachtungen Müller's und Pilzecker's will ich hier übergehen. Nur auf die sehr verschiedene Stärke dieses Perseverationsvermögens bei verschiedenen Individuen möchte ich noch hinweisen. Es gibt Leute, bei denen aufgetauchte Vor

stellungen ungemein lange in Bereitschaft stehen bleiben. Ueberhaupt hört wohl vorzugsweise bei den ganz einfachen und kurzdauernden Arbeiten die Perseveration der Vorstellungen nach einigen Minuten auf.

In den psychologischen Arbeiten Kraepelin's begegnen wir sehr häufig dem Begriffe der „Anregung", d. h. einer vorübergehenden Erleichterung der Arbeit während der Arbeit selbst. Nach den dortigen Schilderungen bin ich aber fest überzeugt, dass es sich dabei um die gleichen kortikalen Perseverationsvorgänge handelt. So heisst es bei Amberg, 1) da wo von der „Anregung" gesprochen wird: „Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass es sich hier um eine gewisse Erregung der körperlichen Träger unseres Seelenlebens handelt. . " „Ebenso ist es zweifellos, dass beim tatsächlichen Aufhören unseres Versuches unser psycho-physischen Mechanismus noch eine kurze Zeit auf die betreffende Arbeitsleistung eingestellt bleibt. . . ." ,,Ganz besonders stark pflegen sich derartige Neigungen bei Assoziationsversuchen geltend zu machen. Hier lässt sich mit Leichtigkeit zeigen, dass die ganze Richtung der Vorstellungsverbindungen durch die vorausgegangenen besonderen Versuche noch eine Zeitlang beeinflusst wird

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Wie die Perservation der eben eingeprägten (Müller'schen) Silbenreihen hört auch die Anregung bei den einfachen „,fortlaufenden Arbeiten" (Kraepelin) nach 5-10 Minuten auf.

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Weiter scheint es, dass die nach einer eben beendeten Arbeit zurückgebliebene Anregung ebenso wie die Perseveration der Vorstellungen durch eine neue Arbeit aufgehoben werden kann. So finde ich bei Bettmann 2) folgende Beobachtung: „Die motorische Erregung" (nach der körperlichen Arbeit -) verschwand rascher wieder als die geistige Lähmung; ihr Abklingen konnte durch eine eingeschobene geistige Arbeit wesentlich beschleunigt werden." Von ähnlicher Bedeutung ist wahrscheinlich auch die von Gross3) gemachte Beobachtung, dass die während des Schreibens gesteigerte Erregung mit dem Beginne des Rechnens energisch herabgedrückt“ wurde.

Die Tendenz zu „,Iterativerscheinungen" bezw. zum Wiederauftauchen von eben eingeprägten Silben an falscher Stelle wird von Müller auf die Perseveration, von Kraepelin auf die Anregung zurückgeführt.

Betrachten wir die Vorgänge der Anregung und der Perseveration als eines und dasselbe, wie es auch von Kraepelin angedeutet worden

1) Emil Amberg. Psychol. Arbeiten Kraepelin's. I. S. 374, 375.
S. Bettmann. Psychol. Arb. Kraepelin's. I. S. 202.

3) A. Gross. Psychol. Arb. Kraepelin's. II. S. 510.

ist, so werden auch einige, bei den fortlaufenden Arbeiten Kraepelin's schwer erklärliche, Vorkommnisse besser verständlich. So war es mir bei ,,Störungsarbeiten" 1) immer sehr auffällig, wie lange Zeit die „Einstellung" auf diese verwickelte Arbeit in Anspruch nahm. Während ich bei einfachen Additionsarbeiten gleich in den ersten fünf Minuten durch energische Willensanspannung die maximale Leistungsfähigkeit erreichte, war die Leistung der ersten fünf Minuten bei solchen Störungsarbeiten, bei denen ein hoher Grad von Gewöhnung noch nicht erreicht war, gewöhnlich eine sehr geringe. Erst nach 20-25 Minuten wurde dann die maximale Leistungsfähigkeit erreicht. Besonders war dieses Verhältnis sehr ausgesprochen bei dem ausserordentlich schwierigen ,,Zahlenlernen mit Störung". Sowohl den objektiven Tatsachen (Psych. Arbeiten III. S. 92-95; S. 121-122) wie dem subjektiven Eindrucke nach gewinne ich aber die Ueberzeugung, dass es sich bei diesen Störungsarbeiten um eine langsame Einstellung auf eine bequeme Arbeitsweise handelte. Und nach den Müller'schen Untersuchungen glaube ich auch zu verstehen, weswegen es so sein muss.

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Bei der einfachen, fortlaufenden Addition ist nämlich die Zahl der möglichen Arbeitskombinationen eine sehr geringe (11, 1+2, 1 +3.. − 1 + 9; 2 + 2, 2 +3...2+9; 3+3 ... 3+9; 99 zusammen 45 Möglichkeiten). Die etwas komplizierteren Fälle wie z. B. 459-sind ja, als Additionsarbeit, ganz mit den einfacheren Fällen 59 zu vergleichen. zu vergleichen. Da ich nun aber während einer Minute 30-120 Additionen vollziehen konnte, so waren nach dieser kurzen Zeit die meisten möglichen Additionen schon einmal vorgekommen. Deswegen standen sie aber auch alle in Bereitschaft bei den gleich folgenden Wiederholungen derselben Additionen. Bei energischer Willensanspannung und gutem Perseverationsvermögen konnten allso sämtliche Additionen sehr schnell angeregt werden, d. h. ein hoher Grad von Arbeitseinstellung liess sich schnell erreichen.

Ganz anders waren die Verhältnisse, wenn gleichzeitig mit der Addition auf Metronomschläge durch Hinschreiben von Punkten reagiert werden musste. Bald fielen dann die Metronomschläge an den Anfang oder das Ende einer Addition, bald mitten in die Additionsleistung hinein. Je nach der Schwierigkeit der verschiedenen Additionen war aber die Additionszeit von recht verschiedener Länge, und dadurch ergab sich weiter die Möglichkeit, dass der Metronomschlag verschieden lange Zeit vor dem Fertigsein einer Addition eintreffen konnte. Dabei hing das geistige Verhalten beim gleichzeitigen Addieren und Reagieren auf

1) R. Vogt. Psych. Arb. Kraepelin's. III. S. 92, 95, S. 121–122.

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