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Festversammlung am 16. Januar 1913

im großen Saale des Militärwissenschaftlichen und Kasinovereines.

Auf der Tagesordnung stand ein Vortrag Sr. k. Hoheit des Prinzen Sixtus von Bourbon von Parma über seine mit Prof. Musil unternommene Forschungsreise nach Nordostarabien und Südmesopotamien.

Die Versammlung bot ein überaus glänzendes Bild. Von Mitgliedern des Allerhöchsten Kaiserhauses waren erschienen die Erzherzoge und Erzherzoginnen Karl Franz Josef und Zita, Maria Theresia, Maria Annunziata, Maria Josefa, Maximilian, Leopold Salvator, Blanka, Maria Dolores, Maria Immaculata, Margareta, Marie Valerie, Hedwig; von dem Hause Bourbon-Parma Herzogin Maria Antonia, die Prinzessinnen Franziska Josefa und Maria Antonia, die Prinzen Elias und Xavier, Graf und Gräfin Lucchesi; von dem Hause Braganza Herzog Miguel und Herzogin Therese sowie die Gräfin von Bardi; ferner Herzog Philipp von Coburg. Von Mitgliedern des diplomatischen Korps sah man den deutschen Botschafter von Tschirschky und Bögendorff mit Gemahlin, den bayrischen Gesandten Freiherrn v. Tucher, den schwedischen Gesandten Baron Beck-Friis; ferner den Minister des Äußern Grafen Berchtold, den Minister für Landesverteidigung Freiherrn v. Georgi, den Präsidenten der kais. Akademie der Wissenschaften v. Böhm-Bawerk und in Vertretung des Unterrichtsministers Sektionschef Cwiklinski. Die Armee war vertreten durch den Chef der Militärkanzlei Sr. Majestät G. d. I. Freiherrn v. Bolfras, die Armeeinspektoren Liborius v. Frank und v. Brudermann sowie zahlreiche Generale, darunter der Präsident des Kasinovereines FML. Madlé v. Lenzbrugg.

Der Vorsitzende Prof. Oberhummer eröffnete die Versammlung mit folgender Ansprache:

Kaiserliche und königliche Hoheiten! Hochansehnliche Versammlung! Zum dritten Male innerhalb Jahresfrist öffnet uns der Militärwissenschaftliche und Kasinoverein seine glänzenden Räume zu einer außerordentlichen Festversammlung. Als wir uns zuerst in diesem Saale vereinigten, im April v. J., stand auf der Rednertribüne ein regierender Herr, Fürst Albert I. von Monaco, um über seine Forschungen auf einem Gebiete zu berichten, auf dem er in der ganzen Welt als Autorität ersten

Ranges anerkannt ist. Zwei Jahre früher hat ein deutscher Fürst, Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg, uns von seiner ergebnisreichen Reise im innersten Afrika erzählt, welcher seither eine zweite, an Erfolgen nicht minder reiche Expedition dorthin gefolgt ist. Mit hoher Genugtuung konnten wir in beiden Fällen der Förderung gedenken, welche die geographische Wissenschaft durch fürstliche Personen erfahren hat.

Auch heute sind wir in der erfreulichen Lage, Zeugen einer solchen Förderung von hoher Stelle aus zu sein. Ein Mitglied des unserem Allerhöchsten Kaiserhause nahestehenden herzoglichen Hauses Parma hat gemeinsam mit unserem Ehrenmitglied und bewährten Arabienforscher Prof. Musil eine Expedition in ein Gebiet unternommen, das, so nahe es auch den Grenzen der Zivilisation zu liegen scheint, von Schwierigkeiten und Gefahren voll ist, sobald jene Grenzen überschritten sind. Noch sind erst in dürftigen Umrissen die Ergebnisse dieser Expedition bekannt. Es ist heute zum ersten Male, daß vor einem weiteren Kreise darüber berichtet wird. Daß Se. k. Hoheit Prinz Sixtus von Parma sich hat bereit finden lassen, selbst den Verlauf der von ihm angeregten Expedition hier zu schildern, dafür gebührt ihm der wärmste Dank dieser Versammlung wie der ganzen Geographischen Gesellschaft!

Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, als Vorsitzender der Gesellschaft die in so großer Zahl erschienenen Mitglieder des Allerhöchsten Kaiserhauses sowie der herzoglichen Häuser von Parma, Braganza und Coburg auf das ehrerbietigste zu begrüßen, ebenso die hohen Vertreter der diplomatischen Korps, der obersten Leitung unserer Monarchie und ihrer Wehrmacht sowie der k. k. Staatsregierung.

Indem ich zum Schlusse noch dem Präsidium des Militärwissenschaftlichen und Kasinovereines für Überlassung dieser prachtvollen Räume namens der Gesellschaft herzlichst danke, richte ich an Se. k. Hoheit Prinz Sixtus die ehrfurchtsvolle Bitte, seinen Vortrag beginnen zu wollen.

Hierauf betrat Prinz Sixtus von Parma die Rednertribüne und führte ungefähr folgendes aus:

"Seit jeher hat auf mich der arabische Orient einen besonderen Zauber ausgeübt. Die Palmenhaine des verlorenen Paradieses, die Überreste des einst in die Wolken ragenden Turmes von Babylon, die Trauerweiden des Euphrat, die von Xenophon beschrie

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bene medische Mauer, der geheimnisvolle Fluß Tartar, das Vorbild des klassischen „Tartarus", die Paläste der Wüstenkönigin Zenobia, die in Tausendundeiner Nacht" so oft geschilderte Kalifenstadt Bagdad, die auf schlanken Reitkamelen dahinjagenden Beduinen all das schwebte, vom hellen Licht umflossen, vor meinem geistigen Auge.

Südmesopotamien, die Landschaft zwischen dem mittleren Euphrat und Tigris bis zum 36. Grad nördlicher Breite, und das Gebiet westlich von Al-Kufa, welche bisher von Reisenden nur auf touristischen Exkursionen gestreift, von Chesneys Expedition. nur im Flußlauf des Euphrat erforscht wurden, sollten unter der Leitung des allbekannten und unermüdlichen Arabienforschers Prof. Dr. Alois Musil ganz erschlossen werden, und so die Ergänzung zu den Forschungen Prof. Dr. Musils vom Jahre 1908/09 in der Palmyrene und am Euphrat bilden.

Die geologische Formation Südmesopotamiens, das geographisch zu Arabien gehört, bilden Kalk- und Sandstein mit Alabastergips und reinem Alabaster. Während das rechte Ufer des 50-70 m tiefer als die Tafellandschaft liegenden Euphrat steil abfällt, sinkt das linke Ufer terrassenförmig ab. Südlich von Hit verflachen die steilen Ufer und beiderseits dehnt sich eine unübersehbare Alluvialebene mit unzähligen Wasserlachen und Sümpfen aus. Zwischen Euphrat, Tigris und Habur erstreckt sich eine von Nord nach Süd sanft abfallende tallose Ebene mit unzähligen seichten Quellenbrunnen. Zwischen Euphrat, Habur und Belich sind die Bodenwellen viel breiter und höher, die Brunnen sehr tief und einzelne erloschene Vulkane geben der Landschaft ihr Gepräge. Große Flächen, 70 km lang und bis 10 km breit, sind mit blendend weißem, reinem und schmackhaftem Salz bis 15 m hoch bedeckt. Naphtha und Asphalt kommen bei Hit und Braunkohle im Bisrigebirge vor, während sich im nordöstlichen Arabien mächtige Kupferlager vorfinden.

Während die ganze Palmyrene anbaufähig ist, eignet sich der steinige Boden Südmesopotamiens, nur unregelmäßig vom Regen benetzt, für den Ackerbau nicht. Dagegen wären bei mehrmonatlicher künstlicher Bewässerung die zwischen den Steilufern des Euphrat, Tigris und Habur gelegene Inundationsebene und die babylonische Alluvialebene äußerst fruchtbar. Denn hier, in der Nähe der aufblühenden Stadt Rumadi, ist die Gegend des alten biblischen Paradieses, dessen vier Flüsse im Euphrat und in drei

seiner teils natürlichen und teils künstlichen Arme wiederzuerkennen sind. Der biblische Turm von Babel ist der Tempelturm der uralten Hauptstadt aller babylonisch-semitischen Stämme, der Stadt Babel, die jetzt von der Deutschen Orientgesellschaft ausgegraben wird.

In diesem alten Kulturland hatten sich die Weltreiche der Babylonier und Assyrier, der Perser und Griechen, Römer, Parther und Byzantiner abgelöst. Das Vordringen der mohammedanischen Araber hat diesen Ländern eine viele Jahrhunderte währende Blütezeit der Kultur gebracht und sie mit ihren Märchen im Westen populär gemacht. Nur die als niedrige Hügel aus der Alluvialebene sich abhebenden, mit Sandschichten bedeckten Backsteinruinen künden die Stätten alter Kultur an. Selbst die einstige medische Mauer, das Bollwerk der ansässigen Bevölkerung gegen die Raubzüge der Nomaden, bildet heute nur einen 15 m breiten und 6 m hohen Wall, der sich in einer Länge von 80 m von einem Euphratkanal bis zum Tigris hinzieht. Gegenüber Ross, der die wirkliche medische Mauer gar nicht gesehen hat, konnte ihr Verlauf von der Expedition sicher festgestellt und in der ganzen Länge verfolgt werden. Die zahlreichen alten Berichte über Mesopotamien und die historischen Ereignisse daselbst gewinnen neues Leben, wenn man ihre Spuren wieder findet. So wurden unter anderem von der Expedition konstatiert: Die von Strabo beschriebene Karawanenstraße und westlich vom Euphrat ein zweiter, schon dem Ptolemäus bekannter Handelsweg, der. vom Persischen Golf nach Resafa und Palmyra führte; in der Palmyrene alle jene römischen Straßen der Tabula Peutingeriana, wichtige Anhaltspunkte des von Xenophon in seiner „Anabasis" beschriebenen Zuges des jüngeren Kyros, sowie der von Isidor Characenus verzeichneten Stathmoi parthikoi und der von Ammianus Marcellinus geschilderten Expedition des Kaisers Justinianus. Es gelang die Festlegung einer großen Zahl der in der byzantinischen, syrischen und assyrischen Literatur verzeichneten historischen Orte. Am reichsten an Überresten christlicher Kultur ist die altchristliche Stadt Sergiopolis Resafa, das Musterbeispiel einer von mohammedanischer Kultur und Architektur unberührt gebliebenen mesopotamisch-christlichen Stadt.

Schuldtragend an dem tiefen Verfall dieses einst so blühenden Gebietes ist die schlechte türkische Verwaltung. Sie lastet namentlich durch die Mißwirtschaft der Steuerverpachtung wie ein Blei

gewicht auf dem seẞhaften, ackerbau- und viehzuchttreibenden Halbbeduinen oder Halbfellachen, während sich der ihm stammverwandte, kamelzüchtende, nomadisierende Wüstenbeduine frei von jeder Fremdherrschaft erhalten hat. Der Bauer züchtet außer Schafen und Ziegen auch Kühe, Büffel und Esel und baut Weizen und Gerste an. Die Bewässerung der Saat besorgt teils der Fluß selbst, teils bestehen künstliche Bewässerungsanlagen mit unseren Mühlen sehr ähnlichen Hebewerken. 30% des gesamten anbaufähigen Bodens gehören dem Staate, 30% der herrschenden Dynastie, 20% den frommen Stiftungen und 20% endlich sind Privatbesitz meist der reichen Städter. Der Bauer plagt sich auf fremden Grundstücken und zahlt gewöhnlich die Hälfte des Reinertrages dem Grundbesitzer und ein Zehntel an Steuern. Doch die Steuereinnehmer, meist auch Steuerpächter, wollen recht viel herausschlagen, so daß der Bauer die Hälfte der ihm gebliebenen Hälfte hergeben muß. Und außerdem zahlt er für die Schulen, die nie gegründet, für Straßen, die nie gebaut werden; er zahlt für hohe Beamte, für Kriegsschiffe, für heilige Kriege er zahlt für alles, was den verschiedenen Parteileitern einfällt, und will oder kann er nicht zahlen, dann wird er geprügelt, eingesperrt, vertrieben. So fehlt der Grundstock, das gesunde Element des Staates. An diesen kettet die Bevölkerung, soweit sie sunitisch ist, nur die Dynastie und der Kalif. Daher sind gerade in dieser Hinsicht die Ereignisse der letzten Jahre in Konstantinopel nicht ohne Folgen geblieben, wie dies Fragen, wie etwa die folgenden, scharf illustrieren: Ob es wahr sei, daß der Sohn eines Arabers, nicht aber eines Türken wie jetzt Nachfolger des Propheten, Kalif sein könne? Ob es erlaubt sei, daß die Gläubigen den Nachfolger des Propheten absetzen? Das wollten Leute aus dem Volke von den Expeditionsteilnehmern wissen.

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Neue Zukunft blüht der alten Kalifenstadt Bagdad, wenn die Bahnverbindung zwischen Indien und Europa über Kleinasien und Syrien durchgeführt sein wird.

Halb als Beduinen, halb als türkische Offiziere gekleidet, unterhielten die Mitglieder der Expedition regen Verkehr mit der Bevölkerung, um Einblicke in ihre Verhältnisse und Anschauungen zu gewinnen. Zur Hintanhaltung alles Mißtrauens wurden die europäischen Ausrüstungsgegenstände durch orientalische ersetzt. An europäischen Begleitern wurde nur der wissenschaftliche Hilfsarbeiter k. u. k. Feldwebel Thomasberger, der sich bei Prof.

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