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§ 9. Der Senat.

A. Formale Bestimmungen.

1. Dem König steht zur Seite einerseits als Vertretung der Namen. Geschlechter, andrerseits als Beirat eine Körperschaft der Ältesten unter dem Namen patres oder senatus. Während diese Einrichtung selbst in ähnlicher Weise in den andern italischen Städten wiederkehrt, scheinen die Namen dafür Rom eigentümlich zu sein1), ohne dafs sie jedoch etwas enthielten, was nicht aller Orten mit der Sache selbst sich gegeben hätte; denn dieser Rat war überall ursprünglich aus wirklich älteren Männern zusammengesetzt, und sie Väter zu nennen lag nahe in einem Staate, in dem eine strenge Familienverfassung mit grofser Auktorität des Familienvaters bestand.")

2. Der Senat kennzeichnet sich vom Beginn des Staats an Zahl. als eine stehende politische Körperschaft durch die feste Zahl seiner Mitglieder. Diese Zahl wird zunächst angegeben als hundert für die einzelne Stammtribus 3) und wäre damit gleich der,

1) Die einzelnen Gemeinderäte der italischen Städte heifsen in geschichtlicher Zeit decuriones, die ganze Behörde ordo decurionum oder centumviri. Der Name decurio, der nur den Führer oder Vertreter einer Dekurie bedeuten kann, weist auf eine Zeit der Anfänge des Staats hin, bei denen man im Normalschema die Gens als eine Dekurie von zehn Familien ansetzte, vgl. auch Digest. 50, 16, 239, 5: decuriones dictos aiunt ex eo, quod initio cum coloniae deducerentur, decima pars eorum, qui ducerentur, consilii publici gratia conscribi solita sit, also auf 10 Kolonisten d. h. Familien ein Mitglied des Gemeinderats.

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2) Festus p. 339: senatores a senectute dici satis constat; quos initio Romulus elegit centum, quorum consilio remp. administraret; itaque etiam patres appellati sunt. Cic. de rep. 2, 14: appellati sunt propter caritatem patres. Liv. 1, 8, 7: (Romulus) centum creat senatores patres ab honore, patriciique progenies eorum appellati. Neuere erklären den Ausdruck patres anders, indem sie ihn ursprünglich gleich Patricier überhaupt nehmen und im Gegensatz gegen die Plebs entstanden sein lassen, sofern jene allein Hausväter in rechtlichem Sinn seien. Niebuhr 1, 365. Becker 1, 1, 138. Schwegler 1, 634; vgl. dagegen Mommsen r. Forsch., 228 A. 16. unt. S. 90. A. 2. Die Formeln res ad patres redit und patrum auctoritas gehören jedenfalls der ältesten Staatsordnung an. Der Ausdruck kommt nur im Plural vor, im Singular ist einheitlicher substantivischer Ausdruck nur senator. Senator, senatus, senaculum kommen wohl her von senare 'alt sein' in prägnantem Sinn die Stellung oder Würde eines Alten haben, die Rolle desselben spielen, senator einer der diese Stellung hat.

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3) So also im romulischen Staat. Festus p. 339. Liv. 1, 8, 7 (s. vorherg. A.) Dionys. 2, 12 u. a., mit verschiedener Begründung der Zahl.

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welche später im italischen Stadtschema als die Normalzahl erscheint. Der römische Senat soll beim Interregnum in Dekurien eingeteilt gewesen sein, und dies ist um so bemerkenswerter, da in historischer Zeit keine Spur davon mehr zu finden ist, diese Notiz also nicht blofs auf einem Rückschlufs beruhen kann.') Es ist möglich, dafs diese Einteilung am Interregnum haftete und den Zweck hatte, dem fungierenden Interrex ein kleineres Kollegium zur Seite zu stellen, das eben wegen der kleineren Zahl fähiger war, ein Regierungskollegium zu sein; mehr läfst sich daraus jedenfalls nicht entnehmen, da die weitere Entwicklung in Rom die Spuren des ursprünglichen Verhältnisses verwischt hat und aus den Rathäusern der andern Städte Latiums uns überhaupt keine Kunde zugekommen ist. Mit dem römischen Staat der drei Tribus wird die längere Zeit normale Zahl von dreihundert in Verbindung gebracht, aber dieselbe wird auch erst auf die Reform des Tarquinius Priscus zurückgeführt; es gab darüber eben kein wirkliches Wissen.2) Aus den Zahlenverhältnissen an sich kann man einen Zusammenhang zwischen den dreihundert Senatoren und den im Schema der Bevölkerungseinteilung angegebenen dreihundert Geschlechtern erkennen, und die darin ausgesprochene Annahme, dafs je ein Senator auf ein Geschlecht kam, entspricht wie dem Namen decurio für Ratsherr bei den Latinern so auch den ursprünglichen Verhältnissen, zumal da sie auch in der Weise auftritt, dafs die Aufnahme einzelner neuer Geschlechter in den Patriciat mit der Einführung eines Vertreters in den Senat verbunden gedacht wird.) Da jedoch die Verhältnisse der Geschlechter sich der Zahl und Bedeutung nach veränderten, während die Zahl der

1) Liv. 1, 17, 5: ita rem inter se centum patres decem decuriis factis singulisque in singulas centurias creatis, qui summae rerum praeessent, consociant. decem imperitabant, unus cum insignibus imperii et lictoribus erat. Dionys. 2, 57.

2) Dionys. 2, 70 kommen mit den Tities 100 neue Senatoren herein, vgl. Plut. Rom. 20 init.; aber das dritte Hundert kommt Dionys. 3, 67 nicht von den Luceres, sondern durch Tarq. Prisc. aus der Plebs. Andre haben den Fortschritt von 100 zu 150, dann Verdopplung durch Tarq. Plut. Numa 2. Cic. de rep. 2, 35: (Tarq.) duplicavit illum pristinum patrum numerum et antiquos patres maiorum gentium appellavit quos priores sententiam rogabat, a se adscitos minorum.

3) Dionys. 3, 39. 67. 5, 13. Liv. 1, 30 (die Albaner). 1, 35, 6. 2, 16, 5: his (der claudischen Gens) civitas data agerque patres lectus.

Liv.

Appius inter

Senatsmitglieder dieselbe blieb, so konnte letztere der Zahl der Geschlechter bald nicht mehr entsprechen, vollends nicht, wenn Tarquinius Priscus seine minderen Geschlechter eingeführt hatte, ohne die schon vorher normale Zahl der dreihundert Senatoren zu verändern. Hand in Hand damit mufste die Bedeutung der königlichen Berufung in den Rat wachsen: im allgemeinen werden die Ratsmitglieder vom König bestellt1), war aber als an das Prinzip der Vertretung der Geschlechter gebunden die Initiative des Königs ursprünglich vielleicht nur formell, so wurde sie weiterhin ein volles Recht der Auswahl.)

Würde der
Senatoren.

3. Unter den Senatoren selbst machte sich nur éin Unter- Stellung und schied geltend, der der Zugehörigkeit zu den älteren und darum höheren Geschlechtern oder zu den jüngeren des Tarquinius, die im Rang und der Stimmordnung, nicht aber im Stimmrecht hinter den ersteren kamen.3) Die Aufnahme in den Senat war zunächst auf Lebenszeit gemeint; für die Entscheidung darüber, ob der König willkürlich Senatoren wieder aus dem Rat entfernen und durch andre ersetzen konnte, fehlen direkte Anhaltspunkte; eine solche Freiheit des Herrschers widerspräche einer ursprünglichen Vertretung der Geschlechter; dagegen liegt sie in den Konsequenzen der späteren Ansicht über die Geschichte der Senatsbestellung. Es kann ein der Änderung in der Bestellung analoges Verhältnis auch hier stattgefunden haben und würde

1) Fest. p. 246: quod et reges sibi legebant sublegebantque, quos in consilio publico haberent.

2) Vgl. Liv. 1, 35, 6: (die von Tarq. Prisc. aufgenommenen) factio haud dubia regis, cuius beneficio in curiam venerant.

3) Cic. de rep. 2, 35, s. S. 84 A. 2.

Niebuhr sagt 1, 377:,,Der Staat war in Dekurien getheilt; jede entsprach einer Kurie"; damit wäre dann auch wohl eine regelmäfsige Folge der Kurien gegeben gewesen; auch Mommsen r. Forsch. 1, 260 läfst den Senat nach Kurien geordnet sein, indem er in dem Artikel des Festus p. 246 über das um die Mitte der Republik für den Senat gegebene Gesetz liest: ut censores ex omni ordine optimum quemque curiatim in senatum (curiati in senatu überl.) legerent, und damit die Hereinziehung der Kurien bei der Konstituierung des Senats bei Dionys. 2, 12. Lyd. de mag. 1, 16 kombiniert; allein bei Festus kann nicht anders gelesen werden als iurati, und ohne diesen Halt sind die zwei andern Stellen nur Kombinationen ohne Auktorität. Mercklin, Koopt. p. 26 f. hat, um auch hier eine Stütze für die Kooptation zu bekommen, der Stelle Dionys. 2, 12 zu viel Gewicht beigelegt. Tacitus ann. 11, 25 führt den Unterschied zwischen den patres maiorum und minorum gentium auf Brutus zurück, verwechselt ihn also mit dem der patres und conscripti.

Das Interregnum als Recht des

dann der Umschlag der zweiten Periode der Königszeit angehören. Von äufseren Abzeichen der Ratsmitglieder wird später als spezifisch patricisch und damit als uralt der rote Schuh hervorgehoben mit eigentümlicher Schnürung; von andern Abzeichen aber kann erst unter der Republik gesprochen werden.') Dass die Würde der Senatsmitglieder von der des Königs, der selbst ein Geschlechtshaupt war, nur relativ verschieden gewesen, wäre eine Konsequenz unsrer Auffassung von dem nur lebenslänglichen, nicht erblichen Königtum.

B. Die Kompetenz des Senats.

Die Funktionen des Senats sind zweifacher Art, je nachdem er Vertreter der Geschlechterrechte und Hüter des aus dem vorstaatlichen Zustand Überkommenen oder Glied in dem Organismus der königlichen Regierung ist. Auf die erstere Seite fallen die schon erwähnten Rechte der Bildung des Interregnum und der Erteilung der auctoritas patrum; nach der zweiten ist er königlicher Rat, consilium regium.

1. Die patres als selbständige Körperschaft.

a) Vom Interregnum ist nach dem obigen (s. S. 53 ff.) noch Senats. weniges mehr formale zu sagen: Der Anlafs zum Zusammentreten ist gegeben durch die blofse Thatsache des Todes oder Abtretens eines Königs, indem dann von selbst res ad patres redit. Demgemäfs versammelt sich der Rat thunlichst bald, um sich als Regierungsbehörde zu konstituieren und aus sich die einzelnen Interreges hervorgehen zu lassen. So lange die Einteilung der Senatoren in Dekurien, die abwechslungsweise fungierten, bestand, liefs sich dadurch der kollegiale Charakter der Zwischenregierung neben dem jeweilig hervortretenden einzelnen leicht zur Geltung bringen. Wenn man annehmen darf, dafs die Bildung der Dekurien und der Turnus innerhalb derselben durchs Los bestimmt wurde), so bleibt nur noch zweifelhaft,

1) Zonar. 7, 9: (Die pleb. Senatoren) diéqɛgov ävεv tāv vпodnμárov οὐδέν· τοῖς γὰρ εὐπατρίδαις τὰ ὑποδήματα ἀστυκὰ καὶ τῇ τε ἐπαλλαγῇ τῶν ἱμάντων καὶ τῷ τύπῳ τοῦ γράμματος ἐκεκόσμηντο, ἵν ̓ ἐκ τούτων δοκοῖεν ἀπὸ τῶν ἑκατὸν ἄνδρων τῶν κατ' ἀρχὰς βουλευσάντων κατιέναι· τὸ γράμμα dè óóó paoiv ɛival. Die Auszeichnung der Tunika (Plin. 33, 1, 7) wird wohl mit der andern gleichzeitig entstanden sein.

2) Dionys. 2, 57: διακληρωσάμετοι τοῖς λαχοῦσι δέκα πρώτοις ἀπέδωκαν ἄρχειν τῆς πόλεως.

wer die formelle Leitung des Losens hatte und die Auspicien für den ersten Interrex anstellte; vermutlich stand dies dem ältesten Mitglied zu.

b) Die Bedeutung der auctoritas patrum, von der zu reden ebenfalls schon die Königswahl Veranlassung gab (s. o. S. 61ff.), welche aber auch weitere Anwendung hat, läfst sich teils aus dem Wort auctoritas, teils aus Zeugnissen späterer Jahrhunderte entnehmen. Auctoritas, von augere, heifst eine Erklärung, durch welche ein speziell dazu Befugter den Akt eines andern durch seine Zustimmung gewichtiger oder überhaupt gültig macht'); die Kehrseite dieser positiven Bedeutung bildet im Falle der Verweigerung der Tadel oder die Verhinderung des Gültigwerdens.) Solche Erklärung abzugeben haben die patres bei der Wahl des Königs und bei Gesetzen, und ihre Zustimmung ist unentbehrlich zum Zustandekommen. Aber die Entscheidungsgründe, welche die Abgabe der Erklärung bestimmen, sind nicht allgemeiner Natur, sondern gerade wie den Patres das Interregnum zukommt, weil sie die Kontinuität der Auspicien repräsentieren, so haben sie auch mit ihrer Auctoritas bei Wahlen und Gesetzen die religiös-politische Seite zu prüfen, zu sehen, ob nach dieser Seite hin bei den nicht von ihnen vorgenommenen Akten, für welche sie die Auktorität geben sollen, kein Fehler vorgekommen sei. In diesem Sinn werden sie an mehreren Stellen in Parallele gestellt mit den patricischen Priestern und den patricischen Magistraten als solche, deren Patriciertum die Reinheit der Auspicien verbürge.")

1) auctoritas will Lange, de patrum auctor. comment. alt. p. 14 ff. immer auf etwas bevorstehendes bezogen wissen; dafs aber das Gegenteil der Fall ist und man auctor ist für eine vorhergehende Aufserung, Willenserklärung, Handlung, habe ich Fleckeisen, Jahrbb. 1877. S. 568f. zu zeigen versucht.

2) Cic. pro Planc. 8: si ita esset (dafs ein Durchfallen bei der Wahl für den Richter mafsgebend wäre), quod patres apud maiores nostros tenere non potuerunt, ut reprehensores essent comitiorum, id haberent iudices. Tum enim magistratum non gerebat is, qui ceperat, si patres auctores non erant facti. 3) Cic. de dom. 38: Ita (d. h. wenn jeder Patricier, wie es ihm beliebte, Plebejer werden könnte) populus Rom. brevi tempore neque regem sacrorum neque flamines nec salios habebit nec ex parte dimidia reliquos sacerdotes neque auctores centuriatorum et curiatorum comitiorum, auspiciaque populi Rom., si magistratus patricii creati non sint, intereant necesse est, cum interrex nullus sit etc. Liv. 6, 41, 7: (wer Plebejer zu Konsuln macht) tollit ex civitate auspicia; vulgo ergo pontifices, augures, sacrificuli reges creentur; cuilibet apicem dialem, dummodo homo sit, imponamus; tradamus ancilia, penetralia,

auctoritas

patrum.

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