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einer Abgabe, welche an das Volk verteilt werden sollte, gegen jede weitere Einziehung geschützt, schliefslich aber durch ein Gesetz vom J. 111 auch diese Abgabe aufgehoben.') Mit dem thorischen Gesetz fiel zugleich das Assignationskommissariat, mit dem von 111 der Begriff des Occupationslands überhaupt. Es gab nur noch Privatgut, verpachtete Staatsdomäne von beschränktem Umfang und Gemeinweide. Damit war die Möglichkeit nicht revolutionärer Assignationen in grofsem Mafsstab in Italien abgeschnitten, wenn man nicht den Besitz der Bundesgenossen angreifen wollte. Könnten wir den Bestand der römischen Bürgerschaft bis zum Bundesgenossenkrieg verfolgen, so liefsen sich die Konsequenzen dieser Reaktion schärfer herausstellen; so aber haben wir weder die Schlufszahl des Census von 119, noch die zwischen 114 und 86. Im J. 114 selbst betrug die Zahl 394 336°) gegen 394 736 im J. 130, woraus zugleich hervorgeht, dafs was C. Gracchus an Assignationen für Proletarier in Italien zu denen seines Bruders hinzufügte, nur unbedeutend sein konnte; durch die Verkäuflichkeit der assignierten Landlose aber mufste dem Proletariat neue Nahrung zugeführt werden, so dafs die Bürgerschaft von 114 nicht einmal die Vermehrung durch den natürlichen Bevölkerungszuwachs aufweist. Es war dem gegenüber für die wahrhaft konservativen Interessen ein geringer Ersatz, wenn im J. 115 der Konsul M. Ämilius Scaurus die Freigelassenen nunmehr durch ein Gesetz auf die städtischen Tribus beschränkte"), so richtig es auch an sich war, derartige Mafsregeln der censorischen Willkür zu entziehen. 4) Für die Latiner und die übrigen Bundesgenossen fiel von der Bewegung der Jahre 133 bis 121 nichts ab; ihre privilegierten Klassen allerdings behielten, was sie an Domänen besessen hatten, aber die Masse blieb in den früheren Verhältnissen, und nicht einmal die von M. Livius Drusus

1) Hiervon sind Bruchstücke erhalten C. inscr. l. 1, n. 200, wozu der Kommentar Mommsens. Die früher herrschende Ansicht, diese Fragmente gehörten zum thorischen Gesetz, ist mit Beziehung auf Cic. Brut. a. a. O. von Ihne, r. G. 5, 113 A. 3 wieder aufgenommen worden, indem er vectigali levavit übersetzt: 'vom Vectigal befreite', nicht: 'durch ein Vectigal'; allein jene Deutung stimmt nicht mit Appian.

2) Liv. ep. 63.

3) de viris illustr. 72: M. Aemilius Scaurus consul legem de sumptibus et libertinorum suffragiis tulit.

4) Vgl. o. S. 418.

in Aussicht gestellte Besserung des persönlichen Rechts wurde bewilligt. 1)

§. 26. Von C. Gracchus' Tode bis zum Tribunat des jüngern M. Livius Drusus.

1. Mit Ausnahme des Anrechts der Senatoren auf die Besetzung Die Reaktion. der Richterstellen, das man den Rittern so bald nicht mehr entreifsen konnte2), war nun das alte Senatsregiment wiederhergestellt. Man war des revolutionären Tribunats Herr geworden, indem man es niedergeschlagen, und wenn das gewaltthätige Einschreiten gegen den fungierenden Tribun nicht ohne Bedenken und Gefahr gewesen war, so war es nun gelungen, den Agitator zuerst aus der Gewalt zu entfernen und dann zu strafen; die Magistratur hatte mit den wenigen Truppen, die ihr unmittelbar zu Gebot standen3), im übrigen gestützt auf das Aufgebot der gutgesinnten Bürger die revolutionäre Partei bewältigt und daneben auf rein konstitutionellem Wege durch Aufbieten eines entgegenwirkenden Tribuns das gefährlich gewordene Tribunat wieder durch sich selbst lahm gelegt; die noch vorhandenen Anhänger der Gracchen waren teils summarisch als Empörer bestraft worden1), teils wurde ihnen der Prozess gemacht, wobei man sogar den Papirius Carbo, der doch zeitig zur siegreichen Partei übergegangen war, nicht schonte. 5) Indem man die oben erwähnten Gesetze,,

1) Vgl. o. S. 475 A. 4.

2) Aus d. J. 106 wird ein Gesetz des Kons. Q. Servilius Cäpio erwähnt, das nach Tac. ann. 12, 60 den Senatoren die Gerichte zurückgegeben, nach Obseq. 101 und Cassiodor sie zwischen Rittern und Senatoren geteilt hätte; letzterer Notiz würde nicht widerstreiten, dafs Cicero in Verr. act. I. 38 sagt: cum equester ordo iudicaret annos prope L continuos, wohl aber andre Stellen, in denen die Ritter als alleinige Richter in der Zeit zwischen Cäpio und dem plautischen Gesetz vom J. 89 erscheinen. Vgl. z. B. Cic. de orat. 2, 199 z. J. 94. Die Notiz des Tacitus ist nun hinsichtlich der Geschichte der leges iudiciariae so ungenau, dass Irrtum bei ihm anzunehmen leicht möglich ist; Cicero aber spricht de invent. 1, 92. de orat. 2, 199. Brut. 161 von diesem Gesetz wie von einem nicht blofs promulgierten. So ist es wahrscheinlich, dafs in der That im J. 106 es zwar gelang, den Senatoren neben den Rittern Platz zu schaffen, dafs dies aber durch Saturninus oder Glaucia wieder beseitigt wurde.

3) Man hatte Söldner, sagittarii, zur Verfügung. Oros. 5, 12. 4) Plut. C. Gr. 18.

5) Val. Max. 3, 7, 6, wo von Exil, Cic. ad fam. 9, 21, 3, wo von Selbst

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mit denen man die gracchische Agrarreform rückgängig machte, dem Volke, wie eben ihr Inhalt zeigt, möglichst klug eingab, suchte man die Bürgerschaft in der neu errungenen Gefügigkeit zu erhalten, und da man aufserdem den Schein wahrte, mit dem konservativen Regiment die alte Ehrbarkeit wiederherzustellen, war auch das Gewissen beruhigt. Die Censoren von 115 stiefsen 32 Senatoren aus und beschränkten die Schauspiele1), derselbe M. Ämilius Scaurus, Konsul des Jahrs 115, der das Recht der Freigelassenen wieder verkürzte und von nun an in der Stellung eines princeps senatus die leitende Rolle hatte 2), war auch Urheber eines Speisegesetzes3), und durch Untersuchungen gegen Vestalinnen, die 114-113 zuerst nachlässig, dann streng geführt wurden1), rettete man Sittlichkeit und Religion. Es war nun gewifs die Wiederherstellung einer konservativen Regierung durchaus notwendig, sogar mehr als je, wenn der Staat erhalten werden sollte, aber die Mittel dazu waren politisch gar zu ungenügend und sittlich heuchlerisch. Noch einmal war jetzt Gelegenheit gegeben, das Tribunat zu beschränken, seine legislatorische Thätigkeit auf das äufserste zu reduzieren und sie, soweit man sie noch duldete, dem Senat zu unterwerfen, im übrigen das Tribunat überhaupt in den Senat hereinzuziehen, innerhalb desselben aber ihm in ernsthafter Weise die von seinem Ursprung her ihm zukommende Rolle einer Volksvertretung anzuweisen. Allein gerade in dieser Beziehung that man nichts. Infolge hievon war bald wieder eine tribunicische Opposition da; den Prozessen gegen Populare wagte man eine Anklage gegen den Konsul Opimius wegen seines Verfahrens gegen die Gracchen entgegenzustellen, was, wenngleich erfolglos"), doch genügte, um die Partei als noch vorhanden zu zeigen, und legislatorisch war das Tribunat schon im J. 119. wieder oppositionell oder wenigstens unabhängig thätig mit einem Gesetz des C. Marius, das äufserliche Vorkehr für die Freiheit der Abstim

mord infolge der Anklage durch Crassus die Rede ist. Cic. de leg. 3, 35: (Carbonis), cui ne reditus quidem ad bonos salutem a bonis potuit afferre. 1) Liv. ep. 62. Cassiod. z. J. 115.

2) von 115 bis zu seinem Tod; s. den Nachweis bei Willems, le sénat 114 A. 3.

3) s. o. S. 478 A. 3; vgl. auch die andern dieser Art aus der Folgezeit bei Gell. 2, 24. Macr. Sat. 3, 17.

4) Liv. d. h. seine Ausschreiber ep. 63. Oros. 5, 15. Obseq. 37. Ascon. p. 46 u. a. St.

5) Liv. ep. 62.

mungen traf1), vielleicht auch einige Jahre nachher mit einem neuen Repetundengesetz des C. Servilius Glaucia.) Ebenso notwendig wie eine Änderung in der Stellung des Tribunats war es, die zwei brennenden Fragen, die soziale Reform und die Neuordnung Italiens in die eigene Hand zu nehmen, um den Anspruch auf die Erneuerung der Regierungsmacht zu rechtfertigen; aber wie man in ersterer Beziehung das gerade Gegenteil that, ist schon bemerkt, und in letzterer Beziehung begnügte man sich, den vornehmeren Bundesgenossen ihren persönlichen Anteil an den Domänen zu sichern.) Die Not der Sklavenkriege in Italien und Sicilien (103-100)1) zeigte nach beiden Seiten hin, was man neben andern Folgen durch diese Versäumnis herbeiführte. Der Schein einer festen und ehrbaren Regierung aber war nur zu durchsichtig; im jugurthinischen Krieg kehrte die Schmach der spanischen Feldzüge, der durch Scipio Ämilianus ein Ende gemacht worden war, Jahr um Jahr wieder, in offener Schamlosigkeit bei den Magistraten gewöhnlicher Art, in heimlicher Schlechtigkeit bei dem Vorbild der adeligen Ehrbarkeit M. Ämilius Scaurus.5)

2. Die zuletzt erwähnten Erfahrungen zerstörten mit einem C. Marius. Male die wiedergewonnene Macht der Nobilität. Trotzdem dafs sie schon aus sich selbst heraus einen wirklich tüchtigen Mann, den Q. Cäcilius Metellus gestellt, der das Kriegsglück wieder her

1) Cic. de leg. 3, 38: pontes etiam lex Maria fecit angustos. s. u. im Syst. Val. Max. 6, 9, 14. Plut. Mar. 4.

2) Cic. Brut. 224: (Servilius) in praetura consul factus esset, si rationem eius haberi licere iudicatum esset; nam et plebem tenebat et equestrem ordinem beneficio legis devinxerat. Ascon. p. 21: Q. Servilius Caepio Scaurum pecuniarum captarum reum fecit (im J. 91) repetundarum lege quam tulit Servilius Glaucia; die andern Zeugnisse zusammengestellt bei Mommsen C. inscr. 1. 1. p. 55. Es wird nirgends direkt gesagt, dafs Glaucia das Gesetz in seiner Prätur (im J. 100) gegeben habe, die bekannten Anwendungen desselben fallen nach d. J. 100, ein Tribunat des Glaucia aber ist nicht bekannt. Nun läfst sich aber das ciceronische devinxerat leicht auf eine frühere Zeit beziehen und die Notizen über das J. 100 sind relativ vollständiger, so dafs es auffallen müfste, wenn ein bedeutenderes Gesetz dieses Jahres nicht mit erwähnt wäre. Von letzteren Argumenten aus mul man dem Giaucia ein Tribunat zuschreiben, das etwa 10 Jahre vor seine Prätur fallen würde.

3) Vgl. 1. agr. c. 29. (Corp. inscr. lat. 1. p. 81).

4) Diod. 36, 1. Obseg. 45.

5) Sall. Jug. 15: (Scaurus) homo nobilis impiger factiosus avidus potentiae honoris divitiarum, ceterum vitia sua callide occultans. Vgl. c. 29.

Herzog, d. röm. Staatsverf. I.

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stellte, rief das Volk, das schon im J. 110 durch Annahme der Rogation des Tribunen C. Mamilius Rechenschaft verlangt hatte1), den Metellus ab und beauftragte mit der Fortführung des Kriegs den durch seine militärische Tüchtigkeit emporgekommenen Bauernsohn C. Marius, den Tribun von 119.) Da die Warnung, welche hierin lag, im Cimbern- und Teutonenkrieg missachtet wurde und dieser in denselben Wegen habsüchtiger und unfähiger Kriegsführung und furchtbarer Niederlagen verlief, wurde mit Nichtachtung der Bestimmungen über die Wiederwahl Marius viermal hintereinander während des Kriegs (106-101) und ein fünftes Mal (100) nach demselben zum Konsul gewählt, trotzdem dafs wiederum schliefslich die Nobilität aus sich in Lutatius Catulus einen Feldherrn gefunden hatte und Metellus mit seinen in Afrika errungenen Ansprüchen, für die ihm die Censur 102 nicht genügte, noch vorhanden war.

Es waren aber diese Jahre, in denen Marius den Oberbefehl führte, für die Republik in mehrfacher Beziehung verhängnisvoll. Dafs ein tüchtiger Kriegsmann mehrere Jahre hintereinander den Oberbefehl erhielt, war in dieser Art neu, aber nicht notwendig konstitutionell schädlich; im Gegenteil war durch die jetzige Lage des Staats angezeigt, die Verfassung in dieser Richtung zu ändern. Dafs man jedoch die Ausnahme dem blofsen Willen des Volks, wie es sich in der Wahl aussprach, überliefs, ohne sie durch einen Akt förmlicher Dispensation mit dem Gesetz auszugleichen3), war ein schlimmer Vorgang. Sodann aber wurde durch Marius auf dem Wege der militärischen Verwaltungsbefugnis schon im jugurthinischen Kriege eine radikale Veränderung in das römische Heerwesen eingeführt, die wichtige politische Folgen haben mufste. Der zweite punische Krieg hatte die Proletarier bis zu 4000 Assen herab in den regel

1) c. 40. 65: nobilitate fusa per legem Mamiliam.

2) c. 73. Die Annahme, dafs C. Marius von niedrigem Stande gewesen, läfst Madvig nicht gelten und ändert (kl. philolog. Schr. S. 526) bei Vell. 2, 11 C. Marius natus agresti loco in equestri. Allein, abgesehen von der Richtigkeit der allgemeinen Gründe, welche Madvig anführt, Vellejus wollte offenbar niedrige Geburt hervorheben; wäre nun, was an sich wohl denkbar, Marius aus der untersten Schicht des Ritterstands hervorgegangen, so hätte Vellejus notwendig solche Beschränkung der Ritterstellung hervorheben müssen.

3) Plut. Mar. 12: τὸ δεύτερον ὕπατος ἀπεδείχθη τοῦ μὲν νόμου κωλύ οντος -- τοῦ δὲ δήμου τοὺς ἀντιλέγοντας ἐκβαλόντος.

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