Page images
PDF
EPUB

Die Gens als ein Ganzes war nicht blofs eine Vorschule für den Staat, sie konnte mit der Kraft, die sie unter den italischen Stämmen sich erhielt, auch nach Entstehung des Staats und von bestehenden Staaten aus fortwährend zu Neubildungen führen. Nicht blofs eine Anzahl von Geschlechtern, sondern ein einzelnes Geschlecht war unter Umständen stark genug, um eine neue Ansiedlung zu gründen1), und die fortwährende Beteiligung dieser Kraft wird ihrerseits wieder dazu geführt haben, die Gentilverfassung in ihrer Integrität auch innerhalb des Staats zu erhalten.

2. Als Anfang des Staats, als einfachste rein politische Der Gau. Gemeinde treffen wir bei den italischen Stämmen den Gau (pagus)2). Derselbe ist eine Zusammensiedlung mehrerer Geschlechter mit Beibehaltung der Feldgemeinschaft für die einzelnen Gentes und zeigt sich auch äufserlich in der Gestalt einer festeren

esse accepimus, qui Romam in exilium venisset, cui Romae exulare ius esset, si se ad aliquem quasi patronum applicavisset intestatoque esset mortuus, nonne in ea causa ius applicationis, obscurum sane et ignotum, patefactum in iudicio est a patrono) und demgemäfs von jeher mit dem Charakter eines Treuverhältnisses. Klientel bei den Sabinern, von denen Attus Clausus mit seinen Klienten kam, Dionys. 2, 46. 5, 40. Liv. 2, 16, bei den Etruskern Dionys. 9, 5. Die Annahme Beckers aber, 1, 1, 126, die Klientel sei in Latium nicht heimisch gewesen, sondern erst durch die Sabiner hereingekommen, entbehrt der Begründung. Wenn später ein Treuverhältnis vorkommt zwischen unterworfenen Städten und den römischen Beamten, welche die Unterwerfung vollzogen, so tritt dieses Verhältnis erst ein, nachdem der Charakter des Siegers in den des neuordnenden und fürsorgenden Beamten und Vertreters übergegangen.

1) Vgl. die Erzählung von den Fabiern am Cremera Dionys. 9, 15. 2) Über Gauverfassung im Altertum, speziell in Italien vgl. Voigt, drei epigraphische Konstitutionen Constantins 1860. Mommsen r. G. 1, 36 f. Analogieen aus der griech. Welt bei E. Kuhn über die Entstehung der Städte der Alten. Komenverfassung und Synoikismos 1879. Pöhlmann, die Anfänge Roms 1881. p. 28 ff. bestreitet nicht blofs die Annahme einzelner zerstreuter Geschlechtsniederlassungen in der latinischen Ebene, sondern auch ländliche Gaudörfer mit Burgen; er setzt gleich die auf der Höhe angelegte Stadt an die Spitze. Dafs die Natur des Landes gröfsere gesellschaftliche Siedelungen begünstigte oder forderte und deshalb eine Zersplitterung der Niederlassung in Einzelhöfe der Geschlechter als Grundform unwahrscheinlich ist, kann man wohl zugeben, aber die Annahme des loseren Gaus vor der Stadt wird durch die grofse Bedeutung des Geschlechtszusammenhangs bei den Latinern gerechtfertigt, was Pöhlmann zu wenig berücksichtigt. Im übrigen ist zu beachten, dafs der Unterschied zwischen Gauburg mit offenem Dorf und zwischen der Stadt mit den um sie gelegenen Dörfern und Höfen doch ein relativer ist.

und bleibenderen Niederlassung mit der zum Schutze und als Versammlungsort gebauten Burg (arx, capitolium), um welche die Gaugenossen in offenen Höfen wohnten. Die Organisation des Gaus ist, obgleich die Form desselben bei einzelnen Stämmen weit in die geschichtliche Zeit hineinreicht, nicht näher bekannt; dieselben Gründe aber, welche für das Geschlecht eine strengere einheitliche Leitung nicht wahrscheinlich machen, führen auch, verstärkt durch die Bedeutung des Geschlechts innerhalb desselben zu der Vermutung, dafs der Schwerpunkt der Leitung in der Gemeinde der Gaugenossen oder einer Vertretung der Geschlechter lag.

Der Gaubund. 3. Den Gau finden wir jedoch nirgends als ein vollständig selbständiges Ganze. Bei denjenigen Stämmen, welche, im Gebirgsland ansässig, nicht zur Städteverfassung fortschritten und bei welchen er die einzige Form politischer Einzelgemeinde war, ist er integrierender Teil des Stamms, von dem allein die politische Initiative ausging, und der insbesondre, so lange er noch nicht auf das Wandern verzichtete, seine Kräfte strenger zusammenhalten mufste1). Bei den sefshaften Latinern dagegen hatte sich zwar nach Gewinnung bleibender Sitze der Stammeszusammenhang gelöst, aber es waren teils einzelne Gaue frühe zur Stadt vorgeschritten und hatten andre sich untergeordnet, teils hatten sich die Einzelgemeinden, Städte oder Gaue, zu Genossenschaften vereinigt, die sich auf Grund der Stammesgemeinschaft zusammenthaten, aber in ihrem Wesen und Umfang nicht durch diese, sondern durch Zweckmäfsigkeitsgründe bestimmt wurden. Das Bewusstsein des natürlichen Stammeszusammenhangs war nicht verloren gegangen, aber es war nicht in einer politischen Form repräsentiert, sondern nur in den Erinnerungen an die Besitznahme des Landes, in gemeinsamer Sitte und Religion und in dem Namen der Latiner 2). Indessen wenn wir auch den Gau in Latium nur in einer relativen Selbstständigkeit fassen können, so ist er doch nicht blofs theoretisch, sondern auch geschichtlich als einzelne Gestaltung denkbar und

1) Liv. 10, 14, 9: ex omnium Samnitium populis quodcunque roboris fuerat, contraxerant. 10, 38, 3: dilectu per omne Samnium habito nova lege, ut qui iuniorum non convenisset ad imperatorum edictum quique iniussu abisset caput Jovi sacraretur.

2) omne nomen Latinum Liv. 1, 38, 4: über die später aufgekommene Bezeichnung prisci Latini (Fest. p. 226 Liv. 1, 3, 7 u. s. w.) s. unten.

als solche eine wichtige Übergangsstufe von der patriarchalischen Gentilverfassung zur rein politischen und fester gefügten städtischen Gemeinde.

Als Genossenschaft tritt in Latium in der Zeit, in welcher von der Gründung Roms berichtet wird, ein Bund von dreifsig Mitgliedern auf. Es mufs dies nicht der erste in der Landschaft gewesen sein, noch der einzige, noch war ein bestehender Bund stets unveränderlich in seinen Mitgliedern. Die Zahl dreifsig, welche durch späteres urkundliches Zeugnis zu erweisen ist, erscheint in der Sage als ursprünglich und typisch fest1), unabhängig vom Wechsel der Aus- und Eintretenden; aber sie begreift nur die politisch Stimmberechtigten; wollten weitere an den Wohlthaten des Bundes teilnehmen, so konnte dies wenigstens nach der späteren Ordnung bewilligt werden und fand seinen Ausdruck darin, dafs die Vertreter der betreffenden Gemeinden bei dem Opfer am Jahresfest mit ein Stück vom Opferfleisch erhielten). Der Zweck des Bundes lautet bei den Latinern neben der Gewährleistung gegenseitigen Schutzes auf Sicherung des friedlichen Verkehrs (commercium) und Erhaltung des engeren Zusammenhangs durch gegenseitige Gewährung echter Ehen (conubium). Die äufsere Form bestand in Versammlungen von Vertretern der dreifsig Gemeinden und jährlichen allgemeinen Festen bei gemeinsamen Heiligtümern3). Der Bund,

1) Vgl. einerseits die Sage von der lavinischen Sau mit den 30 Ferkeln Schwegler 1, 322 f., andrerseits das Verzeichnis bei Dionys. 5, 61.

2) Carnem in monte Albano accipere Plin. n. h. 3, 69. Cic. pro Planc. 23. Dionys. 4, 69.

3) Solcher Heiligtümer werden verschiedene genannt: neben dem bedeutendsten des Jupiter Latiaris auf dem mons Albanus das der Penaten in Laurentum Lavinium und der Hain der Diana zu Aricia Cato (orig. 2, 21 Jord.) bei Priscian 4 p. 129: Lucum Dianium in nemore Aricino Egerius Laevius Tusculanus dedicavit dictator Latinus, hi populi communiter: Tusculanus, Aricinus, Lanuvinus, Laurens, Coranus, Tiburtis, Pometinus, Ardeatis Rutulus. Es fragt sich, ob diese verschiedenen Heiligtümer sich auf verschiedene zu verschiedenen Zeiten oder neben einander vorhandene Bünde beziehen oder ob mit Beziehung auf die von Cato mitgeteilte Urkunde einzelne Mitglieder eines Bundes zu Kultzwecken für sich zusammentreten und bei einem gemeinsamen Heiligtum ein Fest feiern konnten. Dafs Priscian aus Cato nur einen Teil der Urkunde genommen, jene acht Gemeinden also nur zufällig in dieser Zahl dort erscheinen, in der Urkunde selbst 30 waren, ist das wahrscheinliche, so dafs jene Stelle nicht beweisend wäre für einen Sonderbund. Seeck (rhein. Mus. 1882. S. 1-25) vermutet,

Berührungen der Gaue unter einander.

der in die geschichtliche Zeit hinein sich erstreckt und zu
welchem Rom in dauernde Beziehung trat, wird seiner Ent-
stehung nach geknüpft an die Stadt Alba Longa, gelegen unter
der Höhe des mons Albanus, auf der Terrasse über dem Albaner-
see, und es wird dieses Verhältnis auch so ausgedrückt, dafs
die Bundesorte Kolonieen von Alba heifsen1). Wie weit die
führende Gewalt ging, ist nicht zu ersehen, es hängt indes
wieder mit dem Unterschied zwischen den wandernden Samniten
und den sefshaften Latinern zusammen, dafs die Glieder des
Bundes bei den letzteren ziemlich lose verbunden waren.
innerhalb der Bundesgemeinschaft hat nur der
der samnitische,
nicht der latinische Gau Ähnlichkeit mit der germanischen
Dorfschaft oder Hunderte als integrierendem Glied der Völker-
schaft2).

Auch

4. Bei aller verhältnismäfsigen Ruhe, der sich die Latiner erfreuten, während in den Bergen hinter ihnen noch die Wanderbewegungen vor sich gingen, werden ihre Niederlassungen doch nicht ganz ohne Kämpfe geblieben sein. Es gab fortwährend Besiegte, die in Knechtschaft gerieten oder in ein Klientelverhältnis zugelassen wurden, Versprengte oder Vertriebene latinischen oder fremden Stamms, die als einzelne oder Familien oder Geschlechter Anschlufs suchten und fanden, je nach ihrer

dafs Alba Longa einerseits, Lanuvium andrerseits je Metropolen eines besonderen Bundes waren, in beiden spielt die Geschichte von der Sau mit den 30 Ferkeln (s. S. 15. A. 1.), in beiden opfern die röm. Magistrate zu Anfang ihrer Amtsführung, so dafs Rom in beiden die Erbschaft der Führung übernahm. Indessen wo sollen so viele Orte im alten Latium gelegen sein? Als ein Heiligtum, bei welchem Bundesversammlungen gehalten werden, wird bezeichet der Hain bei dem Quell der Ferentina im Thal unterhalb Alba Longa. Fest. p. 241 Lat. s. v. praetor.: populos latinos ad caput Ferentinae, quod est sub monte Albano, consulere solitos et imperium communi consilio administrare; Liv. 1, 50, 1 (ad lucum Ferentinae) vgl. 2, 38, 1, wo sogar die Volsker ad caput Ferentinae ihre Versammlung gehalten haben sollen.

1) Fest. p. 241: (ait Cincius) Albanos rerum potitos usque ad Tullum Liv. 1, 3, 7. Dionys. 3, 31: ἡ τῶν ̓Αλβανῶν πόλις regem. ἡ τὰς τρι άκοντα Λατίνων ἀποικίσασα πόλεις. Gruppen solcher Kolonieen werden genannt Verg. Aen. 6, 773 ff. (acht), Diodor bei Euseb. I p. 289 Schöne (achtzehn): welch letztere auch de orig. gent. rom. c. 17 zu Grunde liegt. vgl. Schwegler 1, 348. Mommsen, Hermes 16 p. 56. Sie sind konstruiert aus dem, was man als den ältesten Bestand der prisci Latini annahm. 2) Waitz, deutsche Verfassungsgesch. 13, 211 ff.

Bedeutung als Klienten oder als Bürger. Als letztere werden wohl nur Geschlechter aufgenommen worden sein, und andrerseits wurden die Klienten Geschlechtern und nicht dem Ganzen zugewiesen.

5. Zu der Zeit aber, da Rom gegründet wurde, werden, Die Stadt. wie schon gesagt, in Latium nicht blofs Gaue, sondern auch Städte genannt, zumal Alba und Lavinium. Es ist auch anzunehmen, dass diese Angabe richtig ist; denn wenn Rom die erste Stadt in dieser Landschaft gewesen wäre, so hätte es leichter eine gebietende Stellung in Latium gewonnen; so erscheint es nur als eine durch die Gunst besondrer Verhältnisse allmählich neben andern zu besonderer Blüte gelangte. Gegründet wurden die latinischen Städte ohne Zweifel nach dem bei den andern städtebauenden Völkern Italiens üblichen Schema der Limitation, das auch später bei jeder Koloniegründung der Latiner und Römer in Anwendung kam. Die dabei in erster Linie stehende Einholung von Auspicien durch Vogelschau gehörte jedenfalls den Latinern gleichmässig an wie den andern Italikern; die übrigen Bräuche aber, die Mauerlinie zu ziehen mittelst eines mit Stier und Kuh bespannten Pfluges, drei Thore dabei vorzusehen, mit Aufhebung des Pfluges an der Stätte jedes Thors, die Tempel abzustecken für die drei Götter Jupiter, Juno und Minerva, in der Mitte des limitierten Raumes den mundus, d. h. die Grube anzubringen, in welche Früchte, Teile des Geräts, Schollen der heimischen Erde der etwa von aufsen kommenden Gründer oder Mitgründer eingeworfen und die dann im Viereck übermauert wurde dies nannten die Römer etrurischen Ritus.') Indes wurde der Städtebau in dieser Weise, wie es scheint, von den Umbrern) noch früher geübt als von den an der italischen Westküste an ihre Stelle tretenden Etruskern, und dafs die ersten Anfänge dazu,

1) Varro de ling. lat. 5, 143: oppida condebant in Latio Etrusco ritu. Fest. p. 285 rituales. Der Gründungsritus selbst Serv. Aen. 5, 755. Varro a. a. O.; über die dabei gezogene Furche, den sulcus primigenius, Fest. p. 236. 237. 375, über die drei Thore und drei Tempel Plin. n. h. 3, 9. Serv. Aen. 1, 422, dazu die Stelle über das Capitolium vetus, unten S. 26, A. 3, den mundus Plut. Rom. 11. Von neueren vgl. Rudorff, röm. Feldmesser 2, 293 ff. Nissen, Templum 84 ff.

2) Dionys. 1, 26: ἔξω γὰρ Κρότωνος τῆς ἐν Ὀμβρικοῖς πόλεως καὶ εἰ δή τι ἄλλο Αβοριγίνων οἰκισθὲν ἐτύγχανε τὰ λοιπὰ τῶν Πελασγών διεφθάρη πολίσ ματα. c. 28. Κρότωνα πόλιν ἐν μεσογείῳ εἷλον καὶ ἐντεῦθεν ὁρμώμενοι τὴν νῦν καλουμένην Τυρρηνίαν ἔκτισαν.

Herzog, d. rom. Staatsverf. I.

2

« PreviousContinue »