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VORBEMERKUNGEN

ÜBER DIE

EPISTELN DES HORAZ UND IHR VERHÄLTNIS ZU DEN SATIREN.

Wie die Satiren (Ep. 1, 4, 1), so bezeichnet Horaz auch die Episteln mit dem Namen sermones (Ep. 2, 1, 250), und zwar, wie sich aus dem a. a. O. nachfolgenden, den Gegensatz zu der epischen Dichtungsart hervorhebenden Epitheton repentes per humum ergibt, um sie dadurch, wie die Satiren (vgl. Sat. 1, 4, 42 ff.), hinsichtlich ihrer Form und namentlich der in ihnen herrschenden Sprache als sermoni (dem Gesprächstone) propiores und als der Musa pedestris (Sat. 2, 6, 17) angehörig zu charakterisieren.

Als 'Briefe' aber in dem gebräuchlichen Sinne dieses Wortes stellen sich diese Dichtungen, ganz abgesehen von ihrem Inhalte, schon durch die gleich im Eingange einer jeden erfolgende Adressierung an eine bestimmte Person dar, selbst wo dieselbe wie 1, 20 ('der Dichter an sein Buch') nur ein fingiertes Individuum oder, wenn auch eine wirkliche Person, doch vielleicht nur ein fingierter Empfänger ist (wie 1, 13 und 14), mit dem der Dichter sich nur scheinbar in einem für andere Leser bestimmten und um anderer Leser willen verfaßten Schreiben beschäftigt. Ganz anders verhält es sich mit denjenigen Satiren, in denen gleichfalls eine Person, namentlich Maecenas, und zwar, wie Satire 1, 1 und 1, 6, gleich im Eingange oder, wie Sat. 1, 3, 64, nur beiläufig in der Mitte angeredet wird. Diese Anrede läßt die erwähnten Satiren noch nicht als an den Maecenas gerichtet und zunächst mit Rücksicht auf die Persönlichkeit desselben abgefaßt erscheinen.1 Durch die Anrede in der ersten Satire stellt sich dieselbe vielmehr nur als eine dem Maecenas gewidmete Betrachtung über den in derselben behandelten Gegenstand dar, durch deren Voranstellung bei Veröffentlichung des ersten Buches der Satiren der Dichter seinem hohen Gönner unstreitig einen Beweis seiner Hochachtung geben wollte und ihm gewissermaßen das ganze Buch widmete (vgl. Carm. 1, 1); in der sechsten Satire dagegen

1 Ebenso verhält es sich mit denjenigen Satiren des Persius (2, 5 und 6), welche gewissen Personen gewidmet sind; vgl. Jahn, Prolegom. ad Pers. p. LXV.

wurde er schon durch den Gegenstand derselben veranlaßt, dasjenige, was ihm von der Denkungsart des Maecenas, welchen er sich mit unter den Lesern derselben wünschen mußte, bekannt war, in eine Anrede an diesen einzukleiden. Der ganze Gedankengang dieser Satiren weist aber dieser Anrede gleich am Eingange ihre Stelle an, während in der dritten die Anrede nur ganz gelegentlich vorkommt. In beiden Fällen steht Maecenas dem Dichter nur wie jeder andere Leser gegenüber, zu dem er das sagt, was er ebensogut in dritter Person hätte von ihm sagen können, also infolge einer apostrophe absentis, durch welche die Rede an Lebhaftigkeit gewinnt, wie 1, 6, 24: quo tibi, Tilli . .

In den Satiren kommen demnach keine persönlichen Beziehungen zu Individuen vor, welche der Verfasser sich als Empfänger und Leser derselben denkt; er tritt in denselben gar nicht in Beziehung zu einem einzelnen, sondern zu dem gesamten lesenden Publikum, und die Behandlung des jedesmaligen Themas ist rein objektiv gehalten, was von den Episteln mindestens nicht in gleichem Grade gilt. Freilich befinden wir uns hinsichtlich der Empfänger der Briefe nur bei ganz wenigen in der günstigen Lage, über ihre Person und ihr Verhältnis zu dem Dichter mehr zu wissen, als aus den Briefen selbst sich ergibt. Gleichwohl ist die Voraussetzung berechtigt, daß in den Episteln, wenn auch in der Regel nicht die ganze, unverkennbar über die Person des Adressaten hinaus an die Adresse eines ungenannten weiteren Leserkreises sich richtende Ausführung, so doch die Wahl des jedesmaligen Themas durch die Individualität des genannten Adressaten bedingt ist.

Im einzelnen ist zu unterscheiden zwischen einer kleineren Zahl kürzerer Gelegenheitsbriefe, deren Inhalt einen ausschließlich oder vorwiegend persönlichen Charakter trägt, und einer größeren Zahl mehr oder weniger lehrhafter Briefe, in welchen der Dichter an kürzere Mitteilungen oder Fragen persönlicher Art ausführliche Erörterungen von allgemeiner Bedeutung zu schließen pflegt.1 Auch scheint manches darauf hinzuweisen, daß einzelne Briefe als Antwortschreiben 2 zu betrachten sind.

1

1 Vgl. Kettner, Die Episteln des Horaz (1900), Seite 26: 'Wenn Horaz seine Episteln herausgab, so mußte er dabei mit den Ansprüchen eines weiten Leserkreises rechnen. Eine Wirkung auf ferner Stehende aber konnten sie nur gewinnen, wenn sie trotz ihres zunächst persönlichen Charakters doch zugleich allgemeine Bedeutung hatten. Es ist mit dem poetischen Gelegenheitsbriefe nicht anders als mit dem Gelegenheitsgedicht. Auch hier muß das individuelle Erlebnis und das Empfinden des Dichters so weit abgeklärt sein, daß in dem Einzelnen ein Allgemeines sich spiegelt. Dieser Idealisierungsprozeß ist auch in den Episteln des Horaz vollzogen.'

2 Vgl. Kolster, Über die Episteln des Horaz, welche ersichtlich Antwortschreiben sind (Meldorf, Progr. 1867).

Sämtliche Episteln gehören den späteren Lebensjahren des Dichters an, einer Zeit, in welcher bei ihm an die Stelle der Beschäftigung mit der Lyrik (vgl. Ep. 1, 1, 10: nunc itaque et versus et cetera ludicra pono) mit zunehmenden Jahren die ernste Beschäftigung mit vorwiegend ethischen Fragen der praktischen Lebensphilosophie getreten war (vgl. a. a. O. 11f.: quid verum atque decens, curo et rogo et omnis in hoc sum: condo et compono, quae mox depromere possim). Die Veröffentlichung des ersten Buches scheint im Jahre 20 v. C.1, die Abfassung der Briefe des zweiten Buches, sowie des de arte poetica liber zwischen den Jahren 18 und 13 v. C. erfolgt zu sein.

'Wie im Bau des Verses, so im Gefüge des Inhaltes unterscheiden sich die Horazischen Briefe von den Satiren durch ein erhöhtes Bestreben, bei sauberster Form den Schein zwangloser Plauderei zu erwecken, ohne doch auf Einheit und inneren Zusammenhang der Gedanken zu verzichten. Abschweifungen, Seitenbemerkungen, Sprünge, episodische Geschichten kreuzen und durchbrechen den schnurgeraden Vortrag; aber gibt man genauer acht, so führen sie nur in anderer Form doch einem festen Ziele zu.2 Wie in der Periode, so wird im Aufbau größerer Gedankengruppen das logisch untergeordnete Glied gern vorausgeschickt, um dann erst gleichsam den Nachsatz folgen zu lassen. Die größere Schwierigkeit des Verständnisses wird nur (?) durch geflissentliches Vermeiden von Wendungen des Überganges verursacht.' (Ribbeck, Gesch. der röm. Dichtung II, S. 175.)

Die schriftstellerische Tätigkeit des Horaz erreicht mit der Abfassung der Episteln ihren Höhepunkt. Der reichhaltige Inhalt mancher dieser Dichtungen spiegelt gewissermaßen das geistige Fazit seines Lebens wider.

1 Vgl. Oesterlen, Fl. J. 1893, 4; 5, S. 305 ff. ('Die Reihenfolge der Briefe des ersten Buchs von Horatius und das Verhältnis zwischen Horatius und Maecenas vom Jahr 21 an.') — Über die Reihenfolge der Briefe des ersten Buchs vgl. auch die sehr beachtenswerten Ausführungen Heinzes (Hermes 33, S. 443 f.).

2 Vgl. hierzu die zutreffenden Bemerkungen Weckleins ('Die Kompositionsweise des Horaz und die epistula ad Pisones', München, 1894. Aus den Sitzungsber. der philos.-philol. und der histor. Klasse der K. Bayer. Akad. d. W. 1894, Heft III.).

ERSTES BUCH.

ERSTE EPISTEL.

AD MAECENATEM.

Prima dicte mihi, summa dicende Camena, Spectatum satis et donatum iam rude quaeris,

Epist. I. Wie sämtliche Episteln des Horaz dem späteren Lebensalter des Dichters angehören, in welchem er der Beschäftigung mit der lyrischen Poesie fast gänzlich entsagt hatte, so auch die vorliegende, wenngleich die Zeit der Abfassung nicht genau bestimmt werden kann. Aus der Epistel selbst ergibt sich, daß Maecenas den H. aufgefordert hatte, zu jener bereits aufgegebenen Beschäftigung zurückzukehren. Deshalb spricht sich H. gegen diesen über die Gründe aus, welche ihn bewogen haben, sich von derselben zurückzuziehen und sich vielmehr dem für sein vorgerücktes Alter mehr passenden und seiner gegenwärtigen Stimmung (mens, V. 4) mehr zusagenden Studium der Lebensweisheit zu widmen. (Vgl. hierzu Ep. 2, 2, 141-144.) Im Gegensatze zu den Ansichten der Menge, welche die äußeren Güter, insbesondere das Geld, über alles schätzt und der Tugend vorzieht, zeigt er, wie Tugend und Weisheit dasjenige seien, worauf das wahre Glück des Lebens beruhe, wie aber dazu gerade jenes Studium führe. Betrachtungen über den hohen Wert desselben machen demnach den Hauptgegenstand dieses Briefes aus, welcher um so mehr dazu geeignet war, die erste Stelle in der Sammlung der Episteln einzunehmen, da er die Lebensrichtung erkennen läßt, aus welcher die meisten dieser Episteln hervorgegangen sind. †

V. 1–19. Erklärung des Dichters über seine mit den Jahren veränderte Neigung. Mehr als die Poesie beschäftigt ihn jetzt das Studium der praktischen Philosophie; doch treibt er dieselbe nicht als Anhänger einer bestimmten Schule, sondern als Eklektiker. 1. prima

Camena] inniger Ausdruck der von Horaz während der ganzen Zeit seiner dichterischen Tätigkeit dem Maecenas bewahrten und durch Widmung aller seiner Gedichtsammlungen (vgl. Sat. 1, 1; Epod. 1; Carm. 1, 1; Ep. 1, 1) bezeugten treuen und dankbaren Gesinnung. † Der Ursprung dieser Ausdrucksweise ist zu suchen bei Hom. Il. 9, 97: (Ατρείδη) ἐν σοὶ μὲν λήξω, σέο δ ἄρξομαι, nachgebildet von Theognis 14: Ὦ ἄνα Λητούς υἱέ, Διὸς τέκος, οὔποτε σεῖο λήσομαι ἀρχόμενος οὐδ ̓ ἀποπαυόμενος, ἀλλ ̓ αἰεὶ πρῶτον σὲ καὶ ὕστατον ἔν τε μέσοισιν ἀείσω. Desgl. von Theokr. 17, 1-4: En siòs ἀρχώμεσθα καὶ ἐς Δία λήγετε, Μοῖσαι, ἀθανάτων τὸν ἄριστον ἐπὴν ἄδωμεν ἀοιδαῖς· ἀνδρῶν δ ̓ αὖ Πτολεμαῖος ἐνὶ πρώτοισι λεγέσθω καὶ πύματος καὶ μέσσος· ὃ γὰρ προφερέστερος ἀνδρῶν. Verg. Εcl. 8, 11: a te (Pollio) principium, tibi desinet. Vgl. auch Carm. 3, 6, 6. — dicte] 'genannt', wie dicende temporal zu fassen. † Sinn: 'dem mein erstes Lied galt, dem auch mein letztes Lied gelten soll.' summa] = ultima, wie Carm. 3, 28, 13; Verg. Aen. 2, 324. Camena] Musa, carmine. 2. spectatum... ludo] die

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