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schüßende Hand leihe. Gute Miene zum bösen Spiel: das ist hier der „Erfolg" auf seinen richtigen Ausdruck gebracht. Wenn Rechtsgelehrsamkeit, geleitet von bureaukratischer Schlauheit, genügen würde um schwierige politische Probleme zu lösen, dann wäre das neue Ministerium recht vielversprechend. Die Deutschliberalen fühlen aber selbst, daß ihre Culturpolitik orientalische Nachhülfe nicht entbehren könne.

Der Wunsch den Fürst Bismark schon vor zehn Jahren ausgesprochen, die Verlegung des Schwerpunktes der Monarchie nach Ofen - er ist von dem geistvollen Reichskanzler mit dem „warmen deutschen Herzen" im Jahre 1867 erfüllt worden. Was wir seither erleben, ist nur ein Auswirken dieser unqualificirbaren That. Die Scenen wechseln, die Handlung wird immer verwickelter, die Lösung unbegreiflicher, aber es ist doch immer dasselbe Drama.

Der Gedanke nationalliberaler Gewaltherrschaft, der sich durch die ganze österreichische Schicksalstragödie hindurchzieht, ist an sich sehr einfach, und seine Pflege hat in anderen Staaten zu überraschenden Erfolgen geführt. Eben die Einfachheit dieses Gedankens, seine nächste Verwandtschaft mit dem Geiste absolutistischen Waltens in den letzten hundert Jahren, endlich das Verlockende was darin liegt, im Bewußtseyn eines mächtigen nationalen Nückhaltes die Freiheitsphrase zur Unterjochung Andersdenkender zu gebrauchen das kann es wohl erklären, wie man in Oesterreich an einer bestimmten Richtung mit einer Zähigkeit festhält, die noch alle Mißerfolge überdauert hat.

Ich spreche hier nur von den außerungarischen Ländern; denn in Ungarn gibt es andere Erklärungsgründe für die in den Zielpunkten übereinstimmende Politik. Dort hat ge= schichtlich stets die rohe Gewalt in constitutioneller Form eine große Rolle gespielt und wenn der politisch bevorzugte Stamm dieses Landes in einen Existenzkampf verwickelt wird, so ist es natürlich daß er die Waffe schärft, die er zu handhaben gewohnt ist. Die Liberalen außerhalb Ungarns ver

stehen es wohl gleichfalls sich für den Gewaltbesitz zu begeistern, aber ihre Unduldsamkeit gegen eine abweichende Meinung liegt im beständigen Kampf mit den wohlgeschlungenen „Zwirnsfäden“ der Doktrin. Drängt nun die selbstgeschaffene Lage zur offenen Vergewaltigung der Gegner, so wird die Führung demjenigen zufallen, der in diesem Geschäfte der Meister ist. In natürlicher Entwicklung der Dinge sind die liberalen Deutschösterreicher zu Schleppträgern der Magyaren geworden, und wenn sich dieselben gegenwärtig schon den Zwang anthun müssen, die Magyaren zum zweiten Culturvolk" in Desterreich zu erheben, so ist dieß eine Huldigung die sie der politischen Befähigung dieses Stammes, im bezeichneten Sinne, darbringen. In diesem Sinn sind aber die Magyaren nicht das zweite, sondern thatsächlich das erste Culturvolk", ihr Wille ist entscheidend und ein ernster Widerstreit mit demselben gar nicht denkbar, ohne daß die Deutschliberalen ihre vollendete Ohnmacht vor aller Welt zur Schau stellen. Die constitutionellen Einrichtungen in „Desterreich-Ungarn“, gestüßt und belebt von liberaler Einsicht und Verfassungstreue, hätten es also zuwege gebracht daß, statt die Cultur nach Osten zu tragen", alle Einleitungen getroffen sind um den Transport in umgekehrter Nichtung zu vermitteln. Es läßt sich begreifen, daß in einer so mißlichen Situation aller Takt und alle Logik abhanden kömmt.

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Bei der Eröffnung des Neichsraths am 28. Dezember 1871 hat die in der Thronrede ertheilte Zusicherung: „den Geseßen unbedingten Gehorsam zu sichern“, einen „stürmischen Beifall" hervorgerufen. Dieser Jubel enthält das Bekenntniß: so wie die Dinge jezt stehen. mit dem zweiten Culturvolk" nämlich sind wir stark genug die erste und einfachste Bedingung jedes Staatslebens zu erfüllen; bisher waren wir zu schwach dazu! - Durch einen erzwungenen. todten Gehorsam lassen sich die Geseze wohl nicht beleben; aber eine solche Auffassung kann um so weniger überraschen, als ja die Regierung in ihrem ganzen „Programm“, das sie,

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den liberalen Blättern zufolge, in der Threnrede entwickelte, mit der Logik auf gespanntestem Fuße steht. Es wird constatirt, daß die Geneigtheit mit Zustimmung des Reichsraths" also verfassungsmäßig „die äußersten Zugeständnisse zu gewähren, den erwünschten Frieden nicht herzustellen vermochte." Gleichzeitig wird aber ausgesprochen, daß die Völker nach Frieden und Ordnung verlangen, um sich des Genusses der Rechte der Verfassung“ also des Reichsraths zu erfreuen", und diese selbe Körperschaft wird aufgefordert: „das Werk der Einigung der Völker fortzusehen!!"

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Wenn sich die Regierung auf eine Partei stützt und eine Verfassung vertheidigt, die beide nur vom Völkerzwist leben, dann ist es doch besser das segenbringende Wort „Friede“ gar nicht in den Mund zu nehmen; ein verlezender Beigeschmack des Hohnes ist sonst nicht zu vermeiden, und so mächtig ist kein Staat, daß er die Mißachtung der Völkereintracht lange ertragen könnte. Die Regierung hatte überall Neuwahlen ausgeschrieben, wo sie sich von ihren Pressionsmitteln ein günstiges Resultat versprach, und dennoch zeigte der Ausgang der Reichsrathswahlen, daß 91 Verfassungstreuen 112 Gegner gegenüberstanden. Nur das Fernbleiben eines großen Theils der Gegner vom Reichstag dieses Symptom des tiefen Unfriedens, hat nach wie vor den Reichsrath möglich gemacht. Insolange sich die beiden Begriffe: Völkerfriede und Verfassung, geradezu ausschließen, ist es ein wahrer Frevel von politischen Erfolgen zu sprechen. Solche Gedanken können gewaltsam zurückgedrängt werden, aber widerlegen lassen sie sich nicht, und wenn der „deutschnationale Nückhalt" und die magyarische Freundschaft nicht wäre, so hätte den österreichischen Liberalismus schon die Angst vor den eigenen Thaten aufgezehrt.

Das Ministerium hat in der Thronrede die Wege bezeichnet, die es betreten will um zu „regieren“ oder, besser gesagt, um sich einige Zeit zu erhalten. Zuerst sollten die

„eigenthümlichen Verhältnisse“ Galiziens durch Gewährung einer Sonderstellung Berücksichtigung finden, dann dem „Mißbrauch der verfassungsmäßigen Wahlmandate“ gesetzlich vorgebeugt und endlich, last not least, die Reichsvertretung in selbstständiger Weise" gebildet werden. Die Noth ist vorhanden und mit dieser das „Nothwahlgefeß“; alles andere ist noch ein lockendes Bild der Zukunft.

Der sogenannte Ausgleich mit Galizien ist ein Arbeitspensum das man auf ein magyarisches Gebot zurückzuführen pflegt. In ungarischen Kreisen wird die diplomatische Kunst vorwiegend unter einem russenfeindlichen Gesichtspunkt aufgefaßt. Neminiscenzen des Jahres 1848 und der mächtige slavische Bevölkerungszusaß des eigenen Landes bestimmen hiezu, und dort wo die politische Freiheit als Racenherrschaft aufgefaßt wird, ist eine solche Auschauung nicht überraschend. Geographisch bildet Galizien die Scheidewand zwischen Nußland und Ungarn, und da die Gegnerschaft des polnischen Elementes gegenüber der nordischen Großmacht erprobt ist, so glaubt man es mit einem brauchbaren, der Ermunterung würdigen Kriegsmaterial zu thun zu haben. Es gibt wohl auch Ruthenen in Galizien, die sich zu Rußland nicht allzu spröde verhalten und für jene polnische Scheidewand die unangenehme Eigenschaft zeigen, daß sie mit ihren Niederlassungen nicht bloß über die russische sondern auch die ungarische Grenze hinübergreifen; allein die Majorität im galizischen Landtage hatten noch jederzeit die Polen, und die Haltung der Nuthenen in Ungarn war bis jezt nicht sehr imponirend. Nimmt man noch das überschäumende Kraftgefühl des Magyaren hinzu, so wird man sich dem Verständniß wenigstens nähern, wie die ungarischen Politiker bezüglich Nußlands in erster Linie mit ihrer Honvedarmee, und in zweiter mit den Polen rechnen. können.

Die friedliche Vorarbeit dieser diplomatischen Conception wurde der Regierung und dem Reichsrath in Wien zugewiesen. Ein Widerstreben machten schon die Beziehungen zu

Ungarn nicht möglich; bei der rein formalistischen Auffassung der Staatsaufgaben und dem principlosen Gebahren der Verfassungspartei war aber ein ernster Widerstand auch gar nicht zu besorgen. Einige dreißig Stimmen der Opposition im Reichsrath entziehen, und dadurch die Majorität den Liberalen sichern, ist doch gewiß sehr nüßlich, und was der Partei Vortheil bringt ist selbstverständlich auch politisch „correft".

Dieser galizische Ausgleich" nimmt ohne Zweifel ein klägliches Ende; troß oder wegen der eigenthümlichen Verhältnisse“. Die hierüber gepflogenen Vorberathungen und die ganze Behandlungsart bieten aber immerhin werthvollen Stoff zu einer Studie über die Natur des Liberalismus.

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Alle erhaltenden Kräfte Desterreichs bekämpfen den Föderalismus und vertheidigen in der Centralisation das Lebensprincip des Staates." So lautet die Thesis, welche die Liberalen überall, wo sie ein aufmerksames Publikum auftreiben können, in der Presse, im Parlamente, in den Vereinen und Versammlungen, mit dem Aufgebot aller ihrer Beredsamkeit vertheidigen. Ich weiß aber wahrhaftig nicht, was mehr Bewunderung verdient: die glänzenden Neden oder die Selbstverläugnung die in ihrem widerspruchsvollen Handeln liegt. Ist die Centralisation wirklich das Heilsprincip, so ziehe man auch die Consequenzen daraus, deren erste und einfachste doch die ist: alle schon gegebenen Mittel auszunügen, um die Uebermacht des Centrums vor Schwächung zu bewahren. Was war denn aber die erste Handlung mit der diese Partei, nach wiedererlangter Macht, ihre Staatskunst glänzen ließ? Die Anerkennung von mit der bestehenden Verfassung unvereinbaren Landes- Eigenthümlichkeiten, durch Einleitung von Ausgleichsverhandlungen mit Galizien; also Lösung der centralistischen Verfassungsfcffel für ein Land, wo die einseitige Anwendung des perhorrescirten föderativen Principes am allergefährlichsten ist und wo gerade gar kein Rechtsanspruch für eine er

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