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stellt, ohne dass es mir eben gelungen sein möchte, aus ihm ein wirkliches Uebergangsmoment zu deduciren. Man kann den Mohammedanismus nur als ein verspätetes Product orientalischer Geistesentwickelung betrachten, das aber durch seine Massenhaftigkeit imposant wurde und fortbesteht, ohne besondere Bildungsmomente zu enthalten.

Im neueren Europa angelangt wird die Darstellung, welche sich in einem zweiten Theile fortsetzen soll, sich an das römisch-christliche, an das germanische und an das slawische Völkerrecht anlehnen. Von dem letzteren ist in den vorhandenen Bearbeitungen selten Erwähnung geschehen, gleichwohl hat das slawische Element für Europa eine grosse Bedeutung schon gehabt, nach allen Zeichen wird es noch eine bedeutendere Zukunft haben. Seit fast einem Jahrhundert ist in Europa keine erhebliche Staatsfrage entschieden worden, ohne die repräsentirenden Mächte der slawischen Nation in Rücksicht zu nehmen. Und doch war das Slawenthum zersplittert, ohne das Bewusstsein der Einheit und Zusammengehörigkeit, physisch ohnmächtig und moralisch gedrückt, während es jetzt mit bewundernswerthem Eifer auf gegenseitige Annäherung und Ausgleichung hinstrebt und viel mehr als den blossen Schein für sich hat, dass es sich die ihm in der Geschichte gebührende Stelle erringen werde.

Das vorerst in der Literatur begonnene Consolidiren des Slaventhums muss in völkerrechtlicher Hinsicht immer als eine erfreuliche Erscheinung betrachtet werden, da aus diesem frischen, bisher noch in geringem Maasse zur geschichtlichen Wirksamkeit gekom

menen Leben noch eine reichhaltige Entwickelung zu erwarten steht. Die diesen Gedanken zwar hemmende Besorgniss, dass mit dieser Entwickelung das Slawische Volkselement seine natürlichen Grenzen überschreiten und im Weiterdringen andere, durch höhere Intelligenz berechtigte politische Organismen erdrücken werde, wird als unbegründet erkannt, wenn der slawische Geist, der seine wahre Intensität nur nach der Befreiung von allem Fremdartigen, das sich den Schein von Verwandtschaft und ursprünglicher Gemeinschaft mit ihm giebt, enthüllen kann, auf das Zeugniss der Geschichte hin nicht als der ausschliessende und kampfgeneigte, sondern als der auf die innere Gestaltung gerichtete genügsame und freiheitbedürftige Geist aufgefasst ist. Auch das ist eine Aufgabe der Völkerrechtswissenschaft, nicht nur das Recht der nationalen Gegensätze, sondern auch ihre Nothwendigkeit und ihre moralischen Vortheile zum Bewusstsein zu bringen, zu zeigen, dass die nebeneinander stehenden Staatenindividuen das gegenseitige Interesse freier und gedeihlicher Fortentwickelung haben, und dass allein die Absorption einer lebensfähigen Nationalität als Verlust zu betrachten ist. Auf dem Standpunkt der Civilisation ist die Verschiedenheit der Nationen nicht mehr trennend und stört die Sympathien der Völker nicht. Es gehört zu den politischen Pflichten eines intelligenten Volks, nationale Verschiedenheiten zu achten, und gilt für eine der schwersten Verletzungen des Rechts, das in Sprache und Sitte bestehende Eigenthümliche einer physisch unterdrückten Nation zu zerstören, da es so viel ist, als die Nation selbst vernichten. Die

,,erobernde Civilisation" kann nur dann segensreich sein, wenn sie allen geistigen Lebenskeimen nachforscht, an sie anknüpft und ihr Höheres unter den Gesichtspunkt, welchen das niedriger stehende nationale Bewusstsein einnimmt, zu bringen weiss, um auf diesem Wege eine geistige Vermittelung zwischen den Völkern herzustellen, welche die Grundlage des Rechts bildet. Die Völker haben gegen einander nicht bloss materielle, sondern edlere, sittliche Interessen; diese in den Vordergrund gestellt, knüpfen das Band fest, welches den gegenseitigen Barbarismus verbannt und den Patriotismus mit dem Rechtsgefühl identificiren lässt. Darum ist es der Völkerrechtswissenschaft so wichtig, den Grundcharacter jedes Volks und dessen Verhältniss zu den allgemeinen Sittlichkeitsideen, auf denen das Staatsleben beruht, festzustellen. Da diese Sittlichkeitsideen unter allen Verhältnissen entscheidend sind, und von der Geschichte aus aufbewahrt werden, so müssen deren Zeugnisse dem Völkerrechtslehrer zur Hand sein. Eine Finleitung in seine Wissenschaft scheint deshalb die bestimmte Aufgabe zu haben, das geschichtliche Material herbeizuschaffen, die Quellen, aus denen es fliesst, unter den Gesichtspunkt der Kritik zu bringen und aus dem Besonderen und Thatsächlichen das Begriffliche und Allgemeine zu finden. Wie weit der vorliegende Versuch diese Aufgabe erfüllt hat, will ich nicht selbst entscheiden. Sollte er auch nur der Ausgangspunkt für künftige tiefer eingehende Bearbeitungen sein, so wird er doch einstweilen vielleicht einem wesentlichen Mangel unserer juristischen Literatur abhelfen. Der Verfasser.

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