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Heyne, die, geschieden von ihrem ersten Manne Georg Forster, den ehemaligen kursächsischen Geschäftsträger am Mainzer Kurhofe Ludwig Ferdinand Huber geheiratet hatte 1. Die Erziehung des Knaben fiel, da der Vater schon im Jahre 1805 verstarb, ganz der Mutter anheim.

Therese hatte im Elternhause keine religiöse Erziehung empfangen, und sie sprach von Gott nur wie von einem ,unerklärbaren Wesen, das unseres Lebens Faden verwickelt und fortspinnt' 2. In den zahlreichen Briefen, in welchen sie sich in späteren Jahren über ihre Stellung zu religiösen Fragen aussprach, konnte sie sich niemals auf Eindrücke und Erfahrungen berufen, die sie in dieser Beziehung im Vaterhause gesammelt hatte.

Wie sie selbst erzogen worden, erzog sie auch ihre Kinder.

Als Victor Aimé fünf Jahre alt war, kannte er bereits die ganze heidnische Mythologie, aber über Bibel und Christenthum' erhielt er keinen Unterricht. Mit Freuden berichtete die Mutter über die mythologischen Kenntnisse der Kinder, vermied dagegen absichtlich jede Berührung der hei= ligen Geschichte. Seit meinem achtzehnten Jahre', schrieb sie im April 1805 einem Freunde, ,trug ich den guten kindlichen Marc Aurel im Grunde meines Herzens als das höchste Moralische, was ich kannte; aber bis meine Töchter in das Alter kamen, wo ihre bürgerliche Lage ihnen ein Religionsbekenntniß auflegte, hatte ich ihn nur in Beziehung

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1 Näheres über die Scheidung und Wiederverheiratung in unserer unten folgenden Abhandlung: Eine Culturdame und ihre Freunde.

2 Vergl. ihren Brief an Sömmering vom 23. Juli 1787 bei Hettner, Georg Forster's Briefwechsel. S. 410.

auf mich lieb. Wie die Mädchen endlich das christliche Dogma, die Offenbarung als Glaubenslehre, lernen mußten, ward ich sehr verlegen, wie ich die Offenheit gegen das Beste ohne Etikette einer Secte bei ihnen erhalten könnte. Da fiel mir Dacier's alter Marc Aurel wieder in die Hände; ich interpretirte ihnen einen Tag das Evangelium, einen Tag Marc Aurel, während sie Zoroaster und Confucius durch Geschwäg und Märchen kennen lernten. An ihrem zweiten Gatten rühmte sie in dessen Lebensbeschreibung die ,ihm angeborene Freiheit von allem Dogma'. Erst kurz vor seinem Ende und infolge des Todes eines Lieblingsfindes sei ihm der Gedanke an ein Fortleben und an ein Wiedersehen nach dem Tode nahe getreten. Reue kannte er nie, über keine Handlung seines Lebens, er sah von einer jeden die Folge, als Lohn oder Strafe, mit Ruhe über sich ergehen. . . . In gleichem Sinne sprach sie sich gegen ihren Vater über ihre eigenen religiösen Empfindungen aus. Ich irrte oft und kann in Zukunft noch irren, aber so wie kein Augenblick der Vergangenheit meine Seele betrübt, so soll keine Zukunft sie erschrecken.'

Auch in der Erziehungsanstalt von Fellenberg in Hofwyl, in welcher Victor Aimé vom Jahre 1806-1816 verweilte und zur Vollendung der Menschlichkeit in der ,vollsten Bedeutung des Wortes' erzogen werden sollte, wurde auf Religionsunterricht nur wenig Gewicht gelegt. Dieser beschränkte sich, nach Huber's Mittheilungen in den,Erinnerungen an Hofwyl und Fellenberg', auf das Lesen einiger Kapitel des Alten und Neuen Testamentes, welche,in einer gewissen gemüthlich frommen, vermittelnden Weise, mit allerlei Anklängen an modern rationalistische Ausleerung und Auslegung, interpretirt wurde. Was uns nicht ge=

geben wurde, sagt er, ,konnten wir auch nicht haben, und so wüßte ich in der That nicht, daß auch nur die histo= rischen Grundlagen christlichen Glaubens und Lebens, geschweige denn diese Lehren selbst, so weit sie nicht mit denen. der allgemeinen humanistischen Religion und Moral zu= sammenfallen, ein irgend erhebliches bewußtes Moment in unserm Leben nach innen oder außen gewesen wären. Die Helden, Thaten und Leiden der Profangeschichte, und noch mehr jene der Ilias, der Odysfee und des Nibelungenliedes, hatten einen sehr viel größern Antheil in unseren Gedanken und Gefühlen, Sympathien und Kämpfen, als die Personen und Begebenheiten des Alten und Neuen Testaments. Ja, David und die Maccabäer etwa ausgenommen, wüßte ich kaum auch nur Eine biblische Episode, die erheblichen Eingang bei uns gefunden hätte. Wir sind in der Religionsstunde, berichtete er am 25. Juli 1816,,bei der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und von dem Leben nach dem Tode; da hat der Lehrer heute erst angefangen, uns Phädon von Plato vorzulesen.' Aehnlich wie mit dem Unterrichte verhielt es sich mit den religiösen Uebungen. Von einer Theilnahme der Zöglinge', heißt es in den,Erinnerungen, oder auch nur eines Theiles derselben an dem regelmäßigen kirchlichen Gottesdienst habe ich jedenfalls keine Erinnerung. Habe ich ein- oder zweimal das Innere der Kirche gesehen, so muß es bei Gelegenheit einer Taufe oder einer sonstigen außergewöhnlichen Gelegenheit gewesen sein.‘

Huber's Vater gehörte äußerlich der katholischen, seine Mutter der lutherischen Kirche an, während seine verheiratete Schwester, Frau von Greyerz, als reformirt bezeichnet wird. Die Mutter hatte von jeher sehr geringen Werth auf die Zugehörigkeit zu der einen oder andern Confession

gelegt und sich nicht gehindert gefühlt, gelegentlich auch katholische Ceremonien mitzumachen. Als ein kleiner Enkel von ihr gestorben war, ließ sie für das Kind reformirter Eltern ein Hochamt halten. Die frommen Töne, die mit den Weihrauchwolken von dem kleinen Sarge hinaufstiegen, der nun Alles umschließt, hoben den Schmerz mit sich zum Himmel auf', schrieb sie darüber an Fellenberg. Von der Taufe eines andern Enkels berichtet sie mit besonderer Freude, daß dieses Kind reformirter Eltern von einem katholischen Priester getauft worden, während ein lutherischer Geistlicher, ein württembergischer Prälat, als Gevatter ge= standen, und so die drei Confessionen vereint gewesen seien. Sie sprach oft eine Vorliebe für die katholische Kirche aus, und begründete sie damit, daß diese Kirche für die menschlichen Bedürfnisse am menschlichsten sorge: ihre Cultushandlungen seien so mannigfacher tiefsinniger Deutung fähig, daß auch der Aufgeklärte sie mitmachen und ihnen dabei den besondern, seinem Bedürfniß entsprechenden Sinn unterlegen könne. Ich war am Gründonnerstag, schrieb sie einmal an ihren Sohn, ,in einer Kirche, um das Abendmahl zu nehmen. Da mußte ich vier Stunden sizen und hörte eine unpassende Predigt, sang ebenso unpassende Lieder, und die lutherische Gemeinde sah mit eben der Ehrerbietung auf die Königin, die mit uns communicirte, wie die frommen Katholiken auf ihren Christus.' Als sie bald darauf von dem Begräbnisse eines Bekannten und dem ihm gehaltenen Requiem schrieb, sezte sie hinzu: „Ich erfreute mich auf's Neue des schönen Kirchenthums, zu dem auch Du gehören wirst.‘

Am liebsten hätte sie nämlich gesehen, daß ihr Sohn der Religion des verstorbenen Vaters gefolgt wäre, aber Victor Aimé blieb ohne ein festes Bekenntniß. In dem

Sinne', schrieb er der Mutter, ,wie ich oder wie man idealisch den Protestantismus nehmen kann, bin ich freilich ohne weiteres ein Protestant, - aber es ist nur schlimm, daß die Protestanten bald dies, bald jenes darunter verstehen. Natürlich ein bestimmtes Glaubensbekenntniß würde ich nie unterschreiben oder ablegen. Reicht es aber hin, ohne weitere Umstände mich zu nennen, was ich bin, so wäre es Thorheit, es nicht zu thun. Allgemeines läßt sich darüber nicht sagen, weil unter zwanzig Pastoren kaum zwei dieselbe Antwort geben würden, aber sei's auch bloß aus Neugierde, will ich doch einmal darnach fragen, was eigentlich dazu als erforderlich angesehen wird? Lange Jahre hindurch hielt er es für die schönste Zierde des Protestantismus', daß es ,keine protestantische Kirche gebe, sondern jeder Tag sein eigenes neues Glaubensbekenntniß schaffe und gegen die Vergangenheit und deren dogmatische Bildungen protestire'. Während seiner spätern Wirksamkeit in Bremen trat er in die dortige reformirte Landeskirche ein, in Rostock schloß er sich dem in Mecklenburg herrschenden Lutherthum an, in Preußen der Union. Von der Kirche als einer göttlichen, unwandelbaren Anstalt erhielt er keinen Begriff. Seine principielle Schwäche in religiösen Dingen trug eine Hauptschuld, daß so viele seiner wahrhaft edlen, ernsten und opferwilligen Bemühungen, besonders auf socialem Gebiete, ohne großen Erfolg geblieben sind.

Im Jahre 1816 bezog der sechzehnjährige Huber die Universität Göttingen, um Medicin zu studiren, und lebte dort unter eifrigen Studien drei und ein halbes Jahr lang im Hause seiner Großmutter, der verwittweten Frau Professor Heyne. Manche Eindrücke, die er in Hofwyl empfangen hatte,

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